Zukunft der Terrororganisation "Die Hamas stellt ihren Machtanspruch"

Der direkte Konflikt zwischen Israel und der Hamas scheint vorerst gebannt. Doch nun stellt sich die Frage, wie es mit der Terrororganisation weitergeht. Ein Experte befürchtet Auswirkungen auf Europa.
Im Nahen Osten herrscht Waffenruhe, die erste Phase des Plans von US-Präsident Donald Trump ist angelaufen. Auch wenn die Hamas alle lebenden Geiseln aus Israel freigelassen hat und im Gegenzug fast 2.000 Palästinenser aus israelischen Gefängnissen entlassen wurden, ist unsicher, wie es weitergeht. Schließlich wartet Israel noch immer auf die Übergabe von 19 toten Geiseln.
Und auch wenn es einen klaren Plan zur Entwaffnung der Terrororganisation gibt, so ist bisher zweifelhaft, inwiefern sich die Hamas daran hält und welche Gefahr von ihr zukünftig ausgehen wird. Der Terrorexperte Hans-Jakob Schindler erklärt im t-online-Interview, dass eine friedliche Waffenniederlegung unwahrscheinlich ist und nun auch Europa in den Fokus rücken könnte.
t-online: Herr Schindler, die Hamas hat alle lebenden Geiseln übergeben, es herrscht eine Waffenruhe und die Mitglieder zeigen sich wieder in Uniform auf den Straßen im Gazastreifen. Wie stark ist die Hamas noch?
Hans-Jakob Schindler: Die Stärke der Hamas beruht auf der Tatsache, dass es keine andere größere und organisierte, bewaffnete Gruppe im Gazastreifen gibt, wenn die israelische Armee sich zurückzieht.
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In der Zwischenzeit haben andere Milizen den Platz der Hamas teilweise eingenommen. Deren Mitglieder werden nun öffentlich hingerichtet.
Dadurch stellt die Hamas jetzt wieder ihren Machtanspruch. Dafür braucht sie auch keine Raketen, sondern nur eine halbwegs organisierte Gruppe mit Waffen – und das ist sie noch. Sie ist nicht mehr die militärische Organisation wie vor dem 7. Oktober 2023, aber für die Macht im zerstörten Gazastreifen reicht es noch.
Welche Rolle will die Hamas künftig einnehmen?
Die Hamas hat erklärt, dass sie laut des Abkommens bereit ist, die administrative Verantwortung ganz offiziell an eine palästinensische Verwaltung abzugeben, aber will nicht alle Waffen abgeben. Das Abkommen verlangt jedoch, dass sie sich komplett entwaffnet. Offensichtlich plant die Hamas, als bewaffnete Gruppe im Gazastreifen fortzubestehen, mit der diese neue Verwaltung in Sicherheitsfragen zusammenarbeiten muss. Dazu will man allerdings die einzige Organisation mit Waffen sein, weshalb sie die anderen Milizen erst einmal ausradieren will.

Zur Person
Hans-Jakob Schindler war bis 2018 Chefberater des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu unterschiedlichen Terrorgruppen und der Entwicklung der globalen terroristischen Bedrohung. Heute ist er Senior Director des Counter Extremism Project (CEP), einer internationalen gemeinnützigen Organisation, die extremistischen Bedrohungen entgegenwirkt.
Nun ist in dem Abkommen eine International Stabilization Force vorgesehen, die dort für Sicherheit sorgen soll. Wie beurteilen Sie ihre Chancen?
Es gibt bisher leider kaum Details. Offenbar soll es zumindest zeitnah ein UN-Mandat geben. Sie würde allerdings auf eine bewaffnete, aggressiv vorgehende Hamas treffen. Da die Stabilisation Force aber die Hamas entwaffnen soll, wird sie auch möglicherweise gegen sie kämpfen müssen.
Wie kann die Hamas denn zum Einlenken gebracht werden?
Es hängt insbesondere davon ab, ob die Staaten, die den Vertrag garantiert haben, die Hamas dazu zu bringen, die Vereinbarungen einzuhalten. Donald Trump hat bereits verdeutlicht, dass er von einer kompletten Entwaffnung der Hamas nicht abrücken wird. Eine besondere Rolle wird die Türkei spielen, wo viele Hamas-Funktionäre leben und mit Firmen auch Geld verdienen. Wenn die Türkei dort finanzielle Daumenschrauben anlegt, könnte wahrscheinlich die Hamas zum Einlenken bewegt werden.
Aber selbst wenn die Entwaffnung gelingt, ist die Hamas nicht ausgelöscht. Wie geht es mit der Terrororganisation weiter?
Es ist Teil des Abkommens, dass Hamas-Mitglieder den Gazastreifen verlassen dürfen. Die Frage ist, wohin sie dann gehen. Sie könnten dann beispielsweise in der Türkei unterkommen. Ein Hamas-Sprecher hat allerdings bereits vor Eintritt der Waffenruhe gesagt, man sei auch weiterhin präsent in Jerusalem, dem Westjordanland und international. Und man hat dem Endziel, der Zerstörung Israels, bisher nicht abgeschworen. Es besteht also ein Risiko, dass die Hamas versucht, dann Terroranschläge gegen Israel und gegen Israelis zu verüben.
Besteht auch Gefahr für Ziele außerhalb Israels?
Das hat die Hamas bisher noch nicht gemacht, aber sie hat solche Anschläge zumindest vorbereitet. Die Festnahmen von Hamas-Mitgliedern in Berlin im Dezember 2023 und vor zwei Wochen zeigen, dass die Hamas die Option von Anschlägen im Ausland bereits seit Jahren geplant und dafür Zellen in Europa installiert hat. Bei dem Fall vor zwei Jahren hatten Hamas-Operateure gezielt Waffenlager in Europa gesucht. Diese wurden schon vor Jahren von der Hamas angelegt. In Verbindung mit den Aussagen des Hamas-Sprechers ist das sehr bedenklich.
- Interview mit Hans-Jakob Schindler


