t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon

Menü Icont-online - Nachrichten für Deutschland
Such Icon
HomePolitikAuslandKrisen & Konflikte

Krim-Konflikt: Der Moment für eine Eskalation ist günstig


Der Moment für eine Eskalation ist günstig

Ein Gastbeitrag von Thomas Franke

Aktualisiert am 30.11.2018Lesedauer: 5 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Wladimir Putin bei einem Truppenmanöver im September: Wirft dem ukrainischen Präsidenten politisches Kalkül vor.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin bei einem Truppenmanöver im September: Er wirft dem ukrainischen Präsidenten politisches Kalkül vor. (Quelle: Sputnik/Alexei Nikolsky/Kremlin/Reuters-bilder)

Lange Zeit teilten sich die Ukraine und Russland das Asowsche Meer friedlich. Doch zuletzt wuchsen die Spannungen, die sich nun entluden. Der Beginn einer heißen Phase des Konflikts?

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist erneut eskaliert. Russland hat die Einfahrt ins Asowsche Meer blockiert, drei Schiffe der ukrainischen Marine angegriffen und gekapert. Geht der Krieg in die nächste Runde?

Die jetzige Eskalation im Asowschen Meer ist die nahtlose Fortsetzung von Russlands Angriffspolitik gegen die Ukraine. Seit 2014, seit der Annexion der Krim, war diese Eskalation absehbar. Denn Russland wird langfristig die Krim ohne Landzugang nicht versorgen können.

Präsident Putin war nicht zimperlich. In Moskau sprach er nach Angaben der "Tagesschau" bei einem Investitionsforum von einer "Masche". Der ukrainische Präsident Poroschenko habe das Kriegsrecht nur verhängen lassen, weil seine Aussichten bei der kommenden Präsidentenwahl schlecht seien.

Poroschenko sei der Liebling des Westens, und wenn er demnächst einen Säugling zum Frühstück verspeisen möchte, dann würde ihm dieser auch serviert. Die Ukraine gehe mit Banditenmethoden vor, so Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums auf Twitter.

Und Putins Sprecher Dmitrij Peskow legte nach. Die Verhängung des Kriegsrechts für einen Monat, so sagte er, könnte die Feindseligkeiten im Osten der Ukraine neu anfachen. Dabei waren sie nie weg. Mindestens 10.000 Tote und mehr als 35.000 Verletzte hat der Krieg, den Russland im Osten der Ukraine führen lässt, bisher gekostet.

Russlands Übermacht zu See ist überwältigend

Die jetzige Eskalation wurde seit Langem erwartet. Seit Monaten verstärkt Russland sein Militär am Asowschen Meer. Russland ist gut dafür gerüstet, hat, Experten zufolge, mehr als 60 Marineschiffe dort liegen. Darunter auch Boote, mit denen man Truppen an Land absetzen kann. Da sind die Einheiten auf der Krim und die Schwarzmeerflotte noch nicht mitgerechnet. Die Übermacht ist überwältigend, die Ukraine ist zwar nicht mehr so wehrlos wie vor 4 Jahren, ist aber dennoch zu schwach. Seit Jahren schon kursieren Gerüchte, Russland könne den ukrainischen Küstenstreifen am Asowschen Meer von See aus angreifen und sich so einen Landzugang zur 2014 annektierten Krim freikämpfen.

Die Blockade des Asowschen Meeres ist nicht neu. Immer wieder halten russische Behörden Frachtschiffe, die Mariupol anlaufen wollen, mit langwierigen Kontrollen bis zu drei Tagen auf, klagen Seeleute. Mit gravierenden Folgen. Die lange Pier im Hafen von Mariupol ist bis auf ein Schiff verwaist. Aleksej Mischenko gibt einem der Kranführer ein Zeichen, der zieht eine wuchtige Metallplatte aus dem Rumpf des Schiffes und schwenkt sie über die Pier. Mischenko weicht ein paar Schritte zurück. Seit 13 Jahren arbeitet er schon im Hafen.

"Vor dem Konflikt im Donbass war der Hafen voll ausgelastet. Alle Kais waren mit Schiffen belegt. Der Hafen hat gelebt. Es war stabil. Entschuldigung ..." Er wendet sich wieder der Metallplatte zu. Mischenko ist 32 Jahre alt, hat zwei Kinder. Seine Frau ist Buchhalterin. Wie alle im Hafen macht Mischenko Kurzarbeit, die Löhne wurden um 20 Prozent gesenkt. Immerhin hätten sie noch niemanden entlassen müssen, erzählt Hafenchef Alexandr Oleynik. "Das ist sozialer Sprengstoff", sagt er, "wenn die Menschen keine Arbeit mehr haben und keinen Lohn mehr bekommen, auf welche Seite schlagen sie sich dann?" Er vermutet, auf die russische.

Lange Zeit hatten sich die Ukraine und Russland das Asowsche Meer friedlich geteilt. Der Ärger begann 2014 mit der Annexion der Krim und verschärfte sich mit dem Bau der Brücke, mit der die Krim an das russische Festland angeschlossen wurde. Doch die Brücke ist recht niedrig. Seit August 2017 können nur noch Schiffe bis zu 33 Meter Höhe die Meerenge passieren. "Etwa 140 Schiffe, die früher regelmäßig kamen, können Mariupol wegen der Höhenbegrenzung nicht mehr anlaufen", klagt Hafenchef Oleynik, "wir haben deshalb einen sehr großen Vertrag mit dem Stahlkonzern Metinvest verloren." Metinvest ist eines der größten Stahl- und Bergbauunternehmen in Europa. Der Hauptsitz ist in Mariupol. Dort besitzt die Gruppe zwei Stahlwerke.

Das Krim-Desaster

Russland braucht den Landzugang zur Krim. Denn die "Heimkehr" der Krim, einst Putins Prestigeprojekt Nummer 1, ist bisher ein Desaster. Die Krim hat große Probleme mit der Energieversorgung. Vor allem aber mit dem Wasser. Seit der Annexion 2014 kommt nur noch ein Sechstel der Wassermenge auf der Krim an. Der größte Teil der Halbinsel versteppt. Die Krim ist mit 27.000 Quadratkilometern etwas größer als Mecklenburg-Vorpommern, und Landwirtschaft ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Der berühmte grüne und felsige Küstenstreifen ist nur ein kleiner Teil. Doch auch da läuft es schlecht. Nach der Euphorie 2014 sind die Touristenzahlen stark zurückgegangen. Viele Erholungsheime und Privatzimmer stehen leer.

Zahlen sind in diesem Kontext grundsätzlich mit äußerster Vorsicht zu behandeln. Die Russische Industrie- und Handelskammer berichtete, der Lebensstandard auf der Krim liege weiterhin unter dem russischen Durchschnitt, Infrastruktur und Anlagen seien stark abgenutzt.

All diese Zusammenhänge sucht man in den russischen Medien vergeblich. Dort ist die Ukraine der Aggressor, der Russland provoziert und russische Hoheitsgewässer verletzt habe, Gewässer, die schon vor der Annexion der Krim zu Russland gehört hätten. Völkerrechtlich ist das nur schwer haltbar, denn die Krim und die sie umgebenden Gewässer gehören zur Ukraine. Seit Jahren schüren die staatlich gelenkten russischen Medien Hass auf das Nachbarland, verbreiten Lügen von einer angeblichen Bedrohung der russischstämmigen Bevölkerung, von Faschisten, die in Kiew an der Macht seien.

Der Moment für eine Ausweitung des Krieges ist günstig

In der Ukraine stehen im nächsten Jahr Parlaments- und Präsidentenwahlen an. Natürlich stärkt eine weitere Eskalation radikale Kräfte in der Ukraine und bringt die mühsamen Reformversuche dem Scheitern um Längen näher. Nach innen kann Russland mit dem Finger auf den Westkurs der Ukraine zeigen und behaupten, das Land versinke deshalb im Chaos.

Der Moment für eine Ausweitung des Krieges ist günstig: Die EU ist mit dem Brexit beschäftigt, Angela Merkel geschwächt in der Endrunde ihrer Kanzlerschaft, der Präsident der USA kann Balkan und Baltikum nicht auseinanderhalten.


Als 2008 der Konflikt zwischen Russland und Georgien gar nicht weit vom Asowschen Meer entfernt eskaliert ist, hatten die Amerikaner in kürzester Zeit einen Zerstörer mit "Hilfsgütern" in Georgien liegen. Das war ein klares Signal. Nach der Annexion der Krim? Fehlanzeige. In aller Ruhe erweiterte die russische Marine ihren Einflussbereich vor der Küste der Ukraine.

Natürlich ist die Empörung bei uns jetzt groß. Und natürlich ist Deeskalation wünschenswert. Die Nato wird wegen der Ukraine keinen Krieg mit Russland riskieren. Die Reaktionen können nur zivil sein. Die Forderung nach weiteren Sanktionen gehörte zu den ersten Reaktionen westlicher Politiker. Ein wirkungsvoller Schritt wäre es aber, den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 in der Ostsee zu stoppen. Das täte dem direkten Umfeld von Präsident Putin weh, würde für Einigkeit in der EU sorgen und die Ukraine als Transitland für russisches Gas stärken.

Thomas Franke berichtet seit vielen Jahren über Politik und Gesellschaft in Russland. Von 2012 bis 2016 lebte er in Moskau. 2017 erschien sein Buch "Russian Angst: Einblicke in die postsowjetische Seele".

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

t-online - Nachrichten für Deutschland


TelekomCo2 Neutrale Website