Wachsende Wut in den USA "Wir müssen Widerstand leisten"

Zwischen wachsender Wut und beständiger Ratlosigkeit: Die ehemalige Vizepräsidentin Kamala Harris ruft in New York zum Widerstand gegen die Trump-Regierung auf – und offenbart dabei das tiefe Dilemma der Demokraten.
Bastian Brauns berichtet aus New York und Washington
Für einen Abend im späten September war es in New York ungewöhnlich schwül. Gerade hatte Donald Trump vor den Vereinten Nationen seine einzig auf Amerika fixierte Sicht auf die Weltpolitik ausgebreitet. Schwitzende Männer in Anzügen hetzten durch die Straßen. Feierabendverkehr. Absperrungen. Das Hupen und die Abgase der Autos, Taxis und Busse erfüllten Manhattan.
Da steigt Kamala Harris aus einem abgedunkelten Van. Ein Sicherheitsmann blafft neugierige Passanten an. "Gehen Sie zur Seite! Gehen Sie!" Dann betritt die erste ehemalige Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten das kleine Theater mitten in der Millionenmetropole zwischen Hudson und East River. Hier im nahezu ausverkauften "The Town Hall" will die Frau, die im vergangenen November gegen den nun amtierenden US-Präsidenten verloren hat, über ihr Scheitern sprechen.
Es ist der Auftakt zu der startenden Werbetour für ihr Buch "107 Tage". Darin legt sie ausführlich dar, warum es aus ihrer Sicht am Ende nicht gegen Trump gereicht hat. Vor allem Joe Biden und sein Team kommen gar nicht gut weg. Aus Harris' Perspektive sind ihr schon während der Amtszeit viele Steine in den Weg gelegt worden. Und dann erst recht bei ihrer Kandidatur. An manchen Stellen im Buch klingt es fast nach Sabotage.
"Mit diesem Maß an Kapitulation habe ich nicht gerechnet"
Kamala Harris, das wird an diesem Abend klar, hat längst nicht aufgegeben. Die 60-Jährige hat politisch noch etwas vor. Wie das gelingen soll, bleibt aber unklar. Es ist ein Schicksal, das sie nach inzwischen neun Monaten unter Donald Trump mit vielen Demokraten teilt. So richtig fällt der amerikanischen Opposition nichts ein, wie sie sich dem um sich greifenden Trumpismus wirksam entgegenstellen kann.
Auf der Theaterbühne lässt sich Kamala Harris von dem 26-jährigen Influencer Aaron Parnas interviewen. Ein junger Mann, der zugleich unabhängiger Reporter, "Creator" und Anwalt sein will. Seine Fragen sind dementsprechend seicht. Kamala Harris gibt immerhin zu: Mit allem, was in den USA unter Donald Trump derzeit politisch geschieht, habe sie gerechnet. Mit einer Sache aber nicht. "Mit diesem Maß an Kapitulation", sagt die frühere Vizepräsidentin. Sie meint damit vor allem die großen amerikanischen Konzerne, die sich vor der aktuellen Regierung geradezu in den Staub werfen würden und in vorauseilendem Gehorsam einknickten.
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"Wenn wir keine Unterstützung aus Washington bekommen, wenn wir sie nicht von den Industriegiganten bekommen, dann bleibt diese Macht immer noch die größte Macht: das Volk selbst", sagte sie unter donnerndem Applaus in dem New Yorker Theatersaal. Im Publikum sitzen Menschen, auf deren T-Shirts das Wort "Resistance" zu lesen ist. Ob sie sich bei dem bekundeten Widerstand im Zweifel auch den Tränengas-Patronen und Gummigeschossen der Nationalgardisten entgegenstellen würden, ist unklar.
Kamala Harris klingt beschwörend, aber hilflos
Dann legt Kamala Harris nach. Im Gegensatz zu anderen öffentlichen Diskussionen über Trumps Maßnahmen vermeidet sie jedoch Vergleiche mit dem Nationalsozialismus. Sie spricht über die Versuche von Zensur bei Komikern wie Jimmy Kimmel und Angriffe gegen die Pressefreiheit. "Es ist wie eine kommunistische Diktatur, was Trump und seine Unterstützer tun", ruft Harris. Trump und seine Regierung würden gezielt gemeinnützige Organisationen angreifen, versuchen, jegliche Opposition zum Schweigen zu bringen und die Institutionen zu zerstören.
Kamala Harris' Worte klingen beschwörend, fast prophetisch, aber auch etwas hilflos. Sie spiegeln, was bei den Demokraten seit Ende September zu beobachten ist: Sie scheinen zunehmend ihre Stimme zu finden. Ihr Widerstand gegen Donald Trump wirkt organisierter und lauter – wenngleich noch immer zurückhaltend. "Wo ist die Wunderwaffe?", fragt Harris rhetorisch.
Ihre eigene Antwort darauf besteht jedoch lediglich aus wohlklingenden, letztlich aber inhaltsleeren Floskeln: "Wir alle sind in diesem Raum. Schaut euch an. Wir sind alle da. Lasst uns also die Kraft jedes Einzelnen im Raum erkennen und daran arbeiten, ohne uns dabei ablenken zu lassen." Wie ein Motivationscoach wirkt sie in diesem Moment. Den "einen Retter" aus der aktuellen Situation, den gebe es nicht. Es klingt wie eine Entschuldigung dafür, dass sich bei den Demokraten bislang einfach keine Figur finden will, hinter der sich kollektiver Widerstand oder zumindest so etwas wie Aufbruchstimmung bündeln ließe.
"Feuer mit Feuer bekämpfen"
Dann aber sagt Harris etwas, was einen Weg beschreibt, den immer mehr Demokraten bereit sind zu gehen. Es ist eine Strategie, die man als "Schluss mit lustig" bezeichnen könnte. Oder mit dem Ende einer gewissen Anständigkeit, die amerikanische Demokraten in Abgrenzung zu den MAGA-Republikanern für sich bislang oft in Anspruch genommen haben. "Da ist diese Sache, dass wir uns gerne an die Regeln halten", sagt Harris auf der Theaterbühne. "Wir glauben an gewisse Standards und halten diese ein." Harris' neues Rezept: "Wir müssen Feuer mit Feuer bekämpfen!" Der Applaus im "The Town Hall" ist wieder sehr laut.
Nur, was das am Ende heißt? Unklar. Im Publikum ist an diesem Abend zwar Wut auszumachen, ihren richtigen Kanal scheint sie jedoch noch nicht gefunden zu haben. Bis auf gelegentliche, kleine Proteste bleibt es in den USA trotz gewaltiger Umbrüche in Trumps zweiter Präsidentschaft auffällig ruhig. Stattdessen richtet sich die Wut zu oft und so auch an diesem Abend in New York vor allem gegen die vermeintlich eigenen Leute:
Eine Gruppe von Pro-Palästina-Demonstranten hat sich unter das Publikum gemischt und beginnt, die Veranstaltung schon nach wenigen Minuten immer wieder zu stören. Harris sei eine "Völkermörderin", rufen die Demonstranten und werfen ihr vor, als Vizepräsidentin tatenlos zugesehen zu haben, als die israelische Regierung ihre Offensive im Gazastreifen begonnen und die Zivilbevölkerung massakriert habe. Ein Mann auf den oberen Rängen brüllt einem von ihnen entgegen: "Hau ab, Arschloch! Hättest du halt für Kamala gestimmt!"
Immer wieder Gaza
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Harris versucht mehrmals vergeblich einzuschreiten, als sich die Gemüter im Saal nicht beruhigen lassen. Ihre Fans gehen die Störer teils körperlich an. "Lasst uns mal alle runterkommen", ruft sie. "Lasst uns anders sein als der aktuelle Präsident." Während der Saal zustimmend tobt, scheinen Harris' Worte die Demonstranten noch anzufeuern. Sie wollen angesichts Zehntausender Toter nicht "runterkommen".
"Ich bin nicht Präsidentin", ruft Harris schließlich ins Publikum. Es soll heißen: Hättet ihr eben mich gewählt. "Donald Trump hat Benjamin Netanjahu einen Persilschein gegeben, in Gaza zu machen, was er will", sagt sie. Beim Thema Gaza zeigt sich das Dilemma der Demokraten an diesem Abend besonders deutlich: Die Streitigkeiten im eigenen Lager überschatten den Widerstand gegen Trump. "Warum demonstriert ihr nicht bei einer Trump Rallye?", schreit eine Frau, als Sicherheitsleute einen weiteren Störer aus dem Saal führen.
"Ich schreibe darüber auch in meinem Buch", versucht Harris den eigentlichen Grund für ihren Auftritt in Manhattan noch einmal zu betonen. Schließlich will sie es hier ja bewerben. Doch dann muss sie sich wieder einer Störerin erwehren. "Die Lage in Gaza ist empörend, und es bricht mir das Herz!", ruft Harris und betont, dass sie damals als Erste in der damaligen Biden-Regierung darauf hingewiesen habe, dass die Menschen in Gaza verhungern würden. Eine klare politische Forderung, wie sie Netanjahu denn zum Einlenken bringen wollen würde, formuliert sie aber nicht.
Immerhin der Ton wird aggressiver
Und so endet dieser New Yorker Abend über Kamala Harris' 107 Wahlkampf-Tage ohne neue Erkenntnisse. Außer jener, dass die erste Reihe der Demokraten zumindest lauter und bestimmter wird. Figuren, wie Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom versuchen, mit Beiträgen in den sozialen Netzwerken den aggressiven Stil von Donald Trump zu imitieren. Vor Unterstützern in Sacramento sagte er kürzlich: "Es kommt ein Punkt, wo Kompromisse zu Komplizenschaft werden. Dieser Punkt ist jetzt erreicht. Wir müssen Widerstand leisten – vor Gericht, auf der Straße und an der Wahlurne."
Schonungslos versuchen auch Senatoren wie Chris Murphy, Elizabeth Warren oder Chuck Schumer auf das autoritäre Handeln der Trump-Regierung hinzuweisen. "Der Präsident glaubt, er kann den Kongress, die Verfassung und das amerikanische Volk niederwalzen. Wir sind hier, um ihm zu beweisen, dass er sich irrt", sagt etwa Schumer. Und Murphy konstatiert: Hier geht es nicht mehr um Politik. Hier geht es darum, ob wir noch ein freies Land sind." Und der frühere Verkehrsminister Pete Buttigieg ruft dazu auf, "aufzustehen, sich zu organisieren und sich nicht einschüchtern zu lassen."
Eine riskante Chance für die Demokraten
In dieser Woche müssen die Demokraten nun beweisen, wie ernst ihnen der bekundete Widerstand tatsächlich ist. Spätestens am Dienstag rast Washington auf den sogenannten "Government Shutdown" zu, also einen Regierungsstillstand wegen Zahlungsunfähigkeit. Zumindest dann, wenn sich Demokraten und Republikaner nicht auf die Höhe der Haushaltsausgaben einigen können. Nicht nur die Demokraten, sondern auch Trump, der im März noch knapp einen Shutdown vermieden hatte, zeigt dieses Mal wenig Interesse an Kompromissen.
Stattdessen droht der Präsident, Zehntausende von Bundesangestellten zu entlassen. Es wäre ein Schritt, den die Demokraten fürchten, weil Trump seinem Ziel damit noch näher käme, den angeblichen "Deep State", also auch jeglichen weiteren Widerstand gegen seine radikalen Maßnahmen zu brechen. Die drohende Ausgaben-Blockade ist in Amerika immer heikel. Dieses Mal könnte sich am möglichen Shutdown aber das weitere Schicksal der USA tatsächlich entscheiden.
Politisch kann das Vorhaben für beide Seiten nach hinten losgehen. Wenn die Wähler jedoch mehrheitlich den Demokraten die Schuld für die Folgen geben und Trump das Chaos nutzt, um noch radikalere Exekutivmaßnahmen zu rechtfertigen, wäre das Dilemma der Opposition komplett. Ohne klare Führungsfiguren, ohne Konzept und mit sinkenden Beliebtheitswerten bis weit ins eigene Lager hinein würden sie auf die wichtigen Zwischenwahlen im nächsten Jahr zusteuern.
Der zivile Widerstand wächst
Hoffnung keimt für die Demokraten jenseits des politischen Betriebs in Washington und jenseits von Buchvorstellungen glückloser Kandidatinnen wie Kamala Harris: Der Widerstand in kleinen Kommunen wächst, oft mit Smartphone-Kameras als stärkster Waffe. Überall im Land filmen und teilen gewöhnliche Amerikaner verstörende Szenen von ICE-Agenten mit schwarzen Masken, die Häuser durchsuchen, Familien festnehmen und Gewalt auf eine Weise anwenden, die laut Kritikern weit über die rechtlich zulässige Autorität hinausgeht.
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Videos aus Texas, Iowa, Illinois, New York oder New Jersey sind bereits viral gegangen, schüren Empörung und mobilisieren damit weitere Proteste. Für die Trump-Regierung sind diese Proteste allerdings ein willkommenes Mittel, um weitere fragwürdige Schritte einzuleiten. Als Nächstes will der Präsident das Militär in die linke Hochburg Portland im Bundesstaat Oregon schicken. Dies ist eine weitere Eskalation im Machtspiel des Weißen Hauses gegen demokratische Gouverneure.
In New York sagt Harris zu ihren Anhängern: "Das ist nicht 2017. Wir sind jetzt weiser. Wir wissen, womit wir es zu tun haben. Und wir wissen, dass die Macht des Volkes – eure Macht – stärker ist als der Machtdurst eines einzelnen Mannes." Ob ihre Worte einen Widerhall finden werden, wird sich in diesen Tagen zeigen. Zum Aufstand aufzurufen, traut sie sich nicht. Es gehe darum, zu tun, "was die Leute tun möchten", sagt sie. Es müsse etwas sein, "wozu sie bereit sind und wozu sie Lust haben".
- Eigene Recherchen und Beobachtungen vor Ort.















