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Waffenstillstand in Gaza: Warum der Frieden in Nahost fragil bleibt


Friedenserfolg im Nahen Osten
Die dunkle Seite von Trumps Triumph

  • Bastian Brauns
Eine Analyse von Bastian Brauns

Aktualisiert am 14.10.2025Lesedauer: 6 Min.
US-Präsident Donald Trump neben Israels Premierminister Benjamin Netanjahu: Ein großartiger Tag.Vergrößern des Bildes
US-Präsident Donald Trump (r.) mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu: Ein großartiger Tag. (Quelle: Evelyn Hockstein)
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Trump feiert in Jerusalem seinen größten Triumph: das Ende des Gaza-Kriegs und die Freilassung aller Geiseln. Der Präsident nutzt das Friedensabkommen und seinen Auftritt in der Knesset dabei auch zur Demonstration seiner Macht.

Es war der wohl bislang wichtigste Tag seiner Präsidentschaft – vielleicht sogar seines politischen Lebens: Donald J. Trump stand im Plenarsaal der Knesset in Jerusalem, bejubelt von fast allen Abgeordneten, die hier sonst selten einer Meinung sind.

Nur zwei Störer, ein arabischer und ein jüdischer Abgeordneter, wurden vom Knesset-Sprecher Amir Ohana des Saals verwiesen. Sie hatten unter anderem ein Plakat gezeigt, auf dem das Wort "Genozid" zu lesen war, um auf das Leid der palästinensischen Bevölkerung hinzuweisen. Ohana zögerte nicht lange und ordnete an, die beiden Politiker zu entfernen. Trump schien das zu gefallen. "Das war sehr effektiv", sagte er.

Der US-Präsident sollte seine Rede an diesem Tag vor dem israelischen Parlament ohne Einschränkungen halten dürfen. Es ist eine Ehre, die bislang nur zwei seiner Amtsvorgänger zuteilwurde. Clinton sprach hier 1994 und George W. Bush 2008.

Trump als Friedensmacher

Nach zwei Jahren Krieg, Terror und Leid ist Donald Trump nun gelungen, woran Diplomaten zuvor lange scheiterten: die Freilassung aller noch lebenden israelischen Geiseln, ein Waffenstillstand mit den Terroristen der Hamas. Und schließlich: ein umfassendes Friedensabkommen, das erstmals auch die arabische Welt, Europa und weitere Länder der Welt gemeinsam an einen Tisch bringt.

Trumps propagierte Formel "Peace through Strength" – Frieden durch Stärke – hat sich durchgesetzt. Zwar ist sein erster Triumph im Nahen Osten bislang nur ein Anfang. Aber schon jetzt ist er auch eine Demonstration seiner Macht: Der Mann, der Kriege auf seine ganz spezielle Weise beenden will, scheut nicht davor zurück, politische und moralische Grenzen zu verschieben, um seine Ziele zu erreichen. Auch das machte Trump an diesem historischen Tag mehrfach deutlich.

In den Augen vieler ist das Ende dieses langen, brutalen Krieges, der nicht nur die Region, sondern weite Teile der Welt erschüttert hat, tatsächlich nur dem Einwirken des amerikanischen Präsidenten zu verdanken. Und so wurde Trump schon am Morgen in Israel buchstäblich wie ein König gefeiert.

Vergleich mit biblischem König

Knesset-Sprecher Amir Ohana, der wie Benjamin Netanjahu der Likud-Partei angehört, verglich Trumps Handeln mit Wundern in der Bibel und sagte: "Sie sind ein Gigant der jüdischen Geschichte, für den wir zweieinhalb Jahrtausende durch den Nebel der Zeit zurückblicken müssen, um eine Parallele zu finden." Dann verglich Ohana den US-Präsidenten mit dem biblischen König Kyros, einst Großkönig der Perser, der als "Befreier der Juden" aus dem babylonischen Exil gilt. "Donald J. Trump, Sie sind ein Koloss und werden in das Pantheon der Geschichte aufgenommen." Noch in Tausenden von Jahren werde sich das jüdische Volk an Trump erinnern.

Die Erleichterung und Dankbarkeit waren in Israel an diesem Tag der Geiselbefreiung so groß wie wohl seit Jahrzehnten nicht. Ein kollektives und parteiübergreifendes Gefühl, das dann auch der Oppositionsführer Yair Lapid auf den Punkt brachte. Dabei stahl Trump dem Widersacher von Premierminister Benjamin Netanjahu beinahe noch die Show. Der US-Präsident drängte sich ans Rednerpult, obwohl er noch gar nicht dran war.

Doch über Trumps Ungeduld wurde wohlwollend hinweggesehen. In den Worten des Oppositionsführers Lapid wurde deutlich: Das ganze israelische Volk und die jüdische Glaubensgemeinschaft weltweit scheinen Trump in dieser Angelegenheit zu Füßen zu liegen. "Diesen Moment haben wir so herbeigesehnt. Zwei Jahre schlaflose Nächte. Zwei Jahre ohne Luft in unseren Lungen. Heute sind unsere Augen voller Tränen. Unsere Herzen sind voller Dankbarkeit. Denn unsere Kinder kommen nach Hause."

Lapid sagte: "Bei Ihrer Wahl hatten Sie erklärt, Sie würden der Präsident des Friedens sein. Sie haben Wort gehalten. Dass Ihnen der Friedensnobelpreis nicht verliehen wurde, ist ein schwerwiegender Fehler des Komitees." Im kommenden Jahr würden die Nobelpreis-Entscheider aber nicht mehr daran vorbeikommen.

Trump verkündet eine neue Ära

Dann durfte Trump endlich ans Mikrofon treten. Er stellte das Ende des Krieges als Beweis dafür dar, dass sein Prinzip "Peace through Strength" funktioniert habe. "Alle dachten, ich würde brutal vorgehen", sagte Trump. "Hillary Clinton sagte damals: 'Schaut ihn euch an, er wird Krieg mit allen führen.' Aber meine Persönlichkeit ist es in Wahrheit, Kriege zu verhindern – und es scheint zu funktionieren." Die Knesset bebte.

Auch der US-Präsident sparte nicht an Superlativen. Der ganze Nahe Osten stehe nicht nur vor "dem Ende eines Zeitalters des Terrors und des Todes" sondern am "Beginn einer Ära des Glaubens und der Hoffnung", so Trump.

Wie so oft präsentierte er sich als Meister des Verhandelns. Das sei eben das, was er am besten könnte, sagte Trump. "Aber wir hatten viel Hilfe – von Leuten, von denen man es nicht erwartet hätte", sagte er und dankte den arabischen und muslimischen Staaten. Sie hätten "gemeinsam Druck auf die Hamas ausgeübt, um die Geiseln freizulassen". Auch Europa, das nun Milliarden für den Wiederaufbau Gazas zahlen soll, erwähnte Trump lobend.

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Trump pries seine engsten Mitarbeiter – seinen "Freund" Steve Witkoff, seinen Schwiegersohn Jared Kushner, Außenminister Marco Rubio und seinen "Kriegsminister" Pete Hegseth. Fast die "gesamte Region" habe seinen Plan unterstützt, Gaza zu entmilitarisieren und Hamas zu entwaffnen. Er kündigte erneut die Gründung eines "Friedensrats" an, der den Wiederaufbau koordinieren soll: "Jedes beteiligte Land hat mich gebeten, den Vorsitz zu übernehmen – und ich bin sehr beschäftigt –, aber wenn wir es tun, dann machen wir es richtig", so Trump.

Eine typische Trump-Drohung

Es ging an diesem Tag vor allem um Trump, der sein spezielles Verhältnis zu Macht und Rechtsstaat demonstrierte, als er den israelischen Präsidenten Isaac Herzog in seiner Rede kurzerhand aufforderte, Premier Benjamin Netanjahu vor laufenden Korruptionsverfahren zu schützen. Kritiker werfen Netanjahu vor, auch deshalb so lange am Gaza-Krieg festgehalten zu haben, um sich diesen zu entziehen.

"Hey, ich habe eine Idee, Herr Präsident. Warum begnadigen Sie ihn nicht?", fragte Trump und bezeichnete Netanjahu dann noch mit falschem Amtstitel als "größten Präsidenten in Kriegszeiten", ob man ihn nun möge oder nicht. "Zigarren und Champagner. Wen zum Teufel interessiert das alles?", spielte Trump die Vorwürfe gegen Netanjahu herunter. Wieder gab es großen Applaus im Parlament.

Macht und Loyalität – für Trump gehört beides zusammen. Das dürfte in diesem Moment vielen in der Knesset klar geworden sein. Seinen engen Partner Netanjahu will er nun womöglich schützen, um seinen Teil des Deals einzulösen.

Trump drohte in seiner Knesset-Rede indirekt, aber unverhohlen, dem Land die Unterstützung zu entziehen. Und das, obwohl er gerade als "größter Freund Israels" bezeichnet worden war. Er habe sich zwar immer für die Menschen dieser Gemeinschaft eingesetzt und werde auch immer an der Seite Israels stehen. "Außer", sagte Trump in Bezug auf einen möglichen Machtwechsel in Israel, "es passiert vielleicht etwas, das meine Meinung ändert." Etwa dann, wenn jemand, der "wirklich dumm" sei, ins Amt kommen würde und "wirklich schlimme Dinge" tun wolle.

Ein historisches, internationales Treffen

Das am Abend in Ägypten auszuhandelnde Waffenstillstandsabkommen mit den arabischen und europäischen Staaten könnte tatsächlich zu einer historischen Atempause nach Jahrzehnten verheerender Gewalt zwischen Israel und den Hamas-Terroristen führen. Doch wie zerbrechlich der Frieden bleibt, wurde auch hier deutlich. Denn er hängt auch weiterhin fast vollständig von einem Mann ab: Donald Trump.

Denn sein "20-Punkte-Plan" für Gaza lässt entscheidende Fragen weiterhin offen, etwa zum vollständigen Rückzug der israelischen Armee, zur tatsächlichen Entwaffnung der Hamas und auch zur künftigen Verwaltung des Gazastreifens. Nicht wenige Palästinenser fürchten, dass Israel den Waffenstillstand brechen könnte, sobald das unmittelbare Ziel der Geiselbefreiung erreicht ist – und dass Trump das Land dann gewähren lässt. Die versammelten Staats- und Regierungschefs ließen sich das, offenbar den Bildern und Trump zuliebe, aber nicht anmerken.

Trumps bisherige Bilanz nährt aber zumindest diese Sorgen. In der Vergangenheit hatte er die israelischen Schläge im Gazastreifen toleriert, bei denen auch Zehntausende Zivilisten ums Leben kamen. Er fantasierte offen von Gaza als einer "Riviera des Nahen Ostens" mit Immobilien-Investments unter US-Kontrolle. Rund zwei Millionen Palästinenser sollten dafür dazu gebracht werden, "freiwillig" auszuwandern.

Auch Trump gibt sich friedlich

Zumindest an diesem Montagabend gab sich Trump aber durch und durch friedenswillig, auch in Bezug auf Gaza. Als er nach seiner Weiterreise nach Scharm el-Scheich vor Dutzenden versammelten Staats- und Regierungschefs beim Friedensgipfel stand, verkündete er: "Nach Jahren des Leids und Blutvergießens ist der Krieg in Gaza vorbei. Humanitäre Hilfe trifft nun ein, darunter Hunderte Lastwagenladungen mit Lebensmitteln, medizinischer Ausrüstung und anderen Gütern, die größtenteils von den Menschen in diesem Raum bezahlt wurden."

Doch selbst hier spielte Trump mit seinen Allmachtsfantasien. Als er die einzelnen Länderchefs vorstellte, sagte er etwa über Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, dass mit diesem ja viele nicht einverstanden seien. "Die sind alle egal. Nur auf mich kommt es an", erklärte Trump und prophezeite dem Ungarn eine erfolgreiche Wiederwahl.

Die aktuelle Feuerpause und die Befreiung der Geiseln wecken Hoffnung, trotz solchen Gebarens. Der von ihm selbst geschaffene Frieden könnte Trump nämlich unter Druck setzen, sich auch wirklich dauerhaft einzusetzen: Ein Scheitern, etwa weil er plötzlich das Interesse daran verliert, würde schließlich auch seinem Ansehen schaden.

Was die ungewöhnliche Allianz arabischer und europäischer Staaten, zusammen mit Israel und den Palästinensern, unter Trumps US-Führung nun zustande bringt, wird darüber entscheiden, ob der fragile Frieden wirklich einen historischen Wendepunkt darstellt. Oder ob er nur ein kurzes, weiteres Kapitel im endlosen Kreislauf der Gewalt im Nahen Osten ist.

Verwendete Quellen
  • Livestream von Trumps Rede in der Knesset (Englisch)
  • Livestream des Friedensgipfels in Scharm el-Scheich (Englisch)
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