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Anerkennung Palästinas: Falsche Reihenfolge oder notwendiger Schritt?


Palästina offiziell anerkennen?
Ein Wetterleuchten für Deutschland


Aktualisiert am 22.09.2025Lesedauer: 1 Min.
Ein Demonstrant in Jerusalem hat die israelische Flagge um seine Schultern gelegt: Deutschland zögert bei der Anerkennung eines palästinensischen Staates.Vergrößern des Bildes
Ein Demonstrant in Jerusalem hat die israelische Flagge um seine Schultern gelegt: Deutschland zögert bei der Anerkennung eines palästinensischen Staates. (Quelle: IMAGO/Faiz Abu Rmeleh)
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Wie kann die Zweistaatenlösung im Nahen Osten überleben? Immer mehr westliche Länder erkennen Palästina als Staat an. Deutschland zögert noch – zu Recht?

Am Montag wollen Frankreich und Saudi-Arabien in der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York eine Debatte über die Zweistaatenlösung im Nahostkonflikt anstoßen. Mehrere Länder planen, dabei offiziell einen palästinensischen Staat anzuerkennen.

Deutschland zögert dabei. Bundesaußenminister Wadephul kritisiert die israelische Vorgehensweise im Gazastreifen zwar, gleichzeitig erklärte er vor der UN-Debatte aber, dass die Anerkennung eines palästinensischen Staates für Deutschland erst am Ende des Friedensprozesses stehe. Das führt zu der Frage:

Sollte Deutschland den Staat Palästina offiziell anerkennen?

Pro
Tobias SchibillaRedakteur Politik & Wirtschaft

Deutschlands Position ist scheinheilig

Seit Jahrzehnten kann sich Deutschland nicht dazu durchringen, einen palästinensischen Staat anzuerkennen. Dabei ist klar: Ohne die Anerkennung der palästinensischen Staatlichkeit wird es keinen Prozess hin zu einem gerechten Frieden geben. Wer zwei Völker in dauerhaften Verhandlungen zusammenbringen will, muss sie zunächst auf Augenhöhe setzen. Hier versagt Deutschland bislang, obwohl die verschiedenen Regierungen stets betont haben, sich für eine Zweistaatenlösung einzusetzen.

Doch diese Position ist ohne Anerkennung Palästinas scheinheilig. Denn Israel würde aus der Position einer anerkannten Demokratie heraus verhandeln, während die Palästinenser ohne diesen Status am Tisch Platz nehmen müssten.

Völkerrechtlich gibt es ohnehin längst gute Gründe für eine Anerkennung. Die Kriterien der Staatlichkeit – Bevölkerung, Territorium, Regierung, Fähigkeit zu Außenbeziehungen – sind erfüllt. Seit 2012 führt die UN-Generalversammlung Palästina als Nichtmitgliedstaat, der Staat Palästina ist zudem Vertragsstaat des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. Die offizielle Anerkennung Palästinas wäre keine politische Laune, sondern die Einlösung des Völkerrechts.

Eine Anerkennung könnte außerdem dabei helfen, den Druck auf die israelische Regierung zu erhöhen. Unter Netanjahu und seinem teils rechtsextremen Kabinett beschneidet Israel die Rechte der Palästinenser immer weiter. Die Zweistaatenlösung, immerhin offizielle Position der Bundesregierung, ist so in weite Ferne gerückt.

Zwar wirkt die Anerkennung Palästinas aktuell wie Symbolpolitik. Die Entscheidung könnte Israel und seinem mächtigsten Verbündeten, den Vereinigten Staaten, aber zeigen, dass sie mit ihrer rigorosen Ablehnung der palästinensischen Staatlichkeit zunehmend international isoliert sind.

Die Alternative zur Anerkennung ist düster. Immer wieder hat die israelische Regierung in den vergangenen Jahren Fakten geschaffen, indem sie völkerrechtswidrig besetzte Gebiete im Westjordanland annektiert hat. Würde Deutschland als wichtiger Partner Israels nun die palästinensische Staatlichkeit anerkennen, wäre das für die Regierung von Benjamin Netanjahu ein starkes Signal, dass die Zweistaatenlösung nicht verhandelbar ist. Erkennt Deutschland Palästina dagegen nicht an, kann es gut sein, dass es bald keine Gebiete mehr zum Anerkennen gibt.

International ist die Stoßrichtung ohnehin klar: 2024 haben Spanien, Irland, Norwegen und Slowenien Palästina anerkannt, am Wochenende folgten Großbritannien, Kanada, Australien und Portugal. Deutschland muss sich ihnen anschließen, um die Grundlage für Sicherheit und Souveränität der Palästinenser zu schaffen. Dabei wäre ein palästinensischer Staat kein Geschenk, sondern Druckmittel, Rechtsakt und Friedenssignal in einem.

Kontra
Christoph SchwennickeBereichsleiter Exklusiv

Nein, das ist die verkehrte Reihenfolge – aus falschen Gründen

Die Position der Bundesregierung ist richtig. Denn ob Palästina die Bedingungen für eine staatliche Existenz hinreichend erfüllt, ist zu hinterfragen. Legt man die etablierten Maßstäbe an, dann ist die Antwort schlicht und einfach: Nein. Deshalb verkehrt derjenige die Reihenfolge, der ein Gebilde als Staat anerkennt, das noch gar keiner ist. Man kann auch schlecht einem Club beitreten, den es noch gar nicht gibt. Allenfalls kann man sein Interesse daran anmelden, diesem Club in dem Moment beizutreten, in dem er ins Leben gerufen ist. Das ist der wahre Gedanke, der hinter der Zweistaatenlösung steht. Und nicht jener, den die Ad-Hoc-Anerkenner wie der Brite Keir Starmer und der Franzose Emmanuel Macron in ihrer Eile daraus machen.

Man kann mit einigem Recht sagen, dass Israel ein politisches Statement braucht, eine Art Stoppschild als solidarisches Symbol gegen ihr kriegsvölkerrechtswidriges und menschenverachtendes Vorgehen im Gazastreifen. Und gegen den erkennbaren Versuch, das Westjordanland weiter so zu zersiedeln, dass gar keine physische Grundlage für einen Staat mehr da ist. Es bewirkt aber faktisch nichts. Fühlt sich nur einfach gut an.

Und bietet sich situativ einfach zum eigenen Nutzen an. Damit zum wichtigsten Punkt: den Motiven der Anerkenner. Es ist vermutlich kein Zufall, dass es in Europa zuerst Frankreich und Großbritannien waren, die sich zu diesem Schritt entschlossen haben. Und mit Starmer und Macron zwei Staatenlenker, die innenpolitisch unter höchstem, ja existenziellem Druck stehen. Operative Politik, das ist ihr gar nicht vorzuwerfen, achtet in einer Demokratie immer darauf, Interessen von relevanten Interessengruppen zu berücksichtigen. Um das dann in Zuspruch und Wählerstimmen ummünzen zu können. Der Anteil der muslimischen Bevölkerung in Frankreich liegt bei etwa 10 Prozent. Weil das eine lange koloniale Geschichte hat, dürfen diese auch fast alle wählen. In Großbritannien liegt der Anteil bei 6,5 Prozent. Zwar erlebt Frankreich gerade einen enormen Protest der jüdischen Gemeinden, wie in den Zeitungen dort zu lesen ist. Aber der Anteil der Jüdinnen und Juden an der Gesamtbevölkerung liegt eben nur bei 0,5 Prozent, in Großbritannien ist er in etwa ebenso klein. Die andere Interessengruppe stellt also einfach das größere Wählerpotenzial in Aussicht.

In Deutschland liegen die Dinge anders. Erstens hat das Land diese fürchterliche Bürde der Vergangenheit, der es zu Recht Rechnung trägt. Zum Zweiten hat zwar der Anteil der muslimischen Bevölkerung und damit der potenziellen Palästina-Befürworter in vergleichsweise rasender Geschwindigkeit zu dem Wert Großbritanniens aufgeschlossen. Viele von ihnen sind aber noch keine Wählerinnen und Wähler. Der Großteil von ihnen wird es aber werden. Insofern sind die Debatten, die hitzig in Frankreich geführt werden, wohl auch ein Wetterleuchten dessen, worauf sich Deutschland perspektivisch einstellen muss.

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