Ranghöchste Soldatin bei "Hart aber Fair" "Kann dem aus der militärischen Sicht absolut entgegentreten"

Eine Linke-Politikerin warnt bei "Hart aber Fair" vor einem "Zwang durch die Hintertür" beim freiwilligen Wehrdienst. CDU-Mann Röttgen sieht eine moralische Dimension in der Verteidigungsbereitschaft.
Drohnen über Polen, russische Kampfjets über Estland: Dass Deutschland seine eigene Verteidigungsfähigkeit überdenken muss, ist weitreichender Konsens. Wie diese aussehen und wie die Zukunft der Wehrpflicht gestaltet werden soll, darüber herrschen in Politik und Bevölkerung unterschiedliche Meinungen. Das wurde am Montagabend auch bei "Hart aber Fair" klar.
Gäste
- Norbert Röttgen, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU
- Ines Schwerdtner, Politikerin (Die Linke)
- Nicole Schilling, Stellvertreterin des Generalinspekteurs der Bundeswehr
- Özge Inan, Journalistin und Autorin
- Carlo Masala, Politikwissenschaftler
Zunächst wurde die russische Provokation und die Reaktion des Westens diskutiert. Nicole Schilling, Stellvertreterin des Generalinspekteurs der Bundeswehr, stellte klar: "Wichtig ist in dem Zusammenhang zu wissen: Die Nato-Luftverteidigung ist auch seit Jahrzehnten in gleicher Art organisiert." Und weiter: "Wenn der Eindruck entstanden ist, dass es vielleicht Überraschungen gab oder Kopflosigkeit gab, dann kann ich dem aus der militärischen Sicht absolut entgegentreten und sagen: Die Verfahren sind klar, die Abläufe sind klar."
Schilling nutzte den Moment, um den Eindruck zu entkräften, die Nato sei von den jüngsten russischen Provokationen überrumpelt worden und stehe dem planlos gegenüber. Sie betonte, dass die Abläufe seit Jahren eingeübt seien: Immer entscheide ein Nato-Kommandeur, ob und von wo eine Alarmrotte starte. Diese habe zunächst den Auftrag, das unbekannte Flugobjekt zu identifizieren, dessen Verhalten und Bewaffnung zu prüfen und nach festen Protokollen zu reagieren – in enger Abstimmung mit dem Nato-Kommando.
Röttgen: Keine nationalen Alleingänge
Ines Schwerdtner von der Linken warnte in der Runde vor einer militärischen Überreaktion. Es sei angemessen, auf die russischen Vorfälle zu reagieren, sagte sie, doch der Westen dürfe nicht jede Provokation beantworten. "Ich würde nur dringend davor warnen, weiter zu eskalieren. Man muss nicht auf jede Provokation von Putin reagieren. Wenn ich von CDU-Seite höre, dass jetzt Flugzeuge abgeschossen werden müssen, halte ich das für eine Eskalation, die man vermeiden sollte, weil sie die direkte Konfrontation zwischen Nato und Russland heraufbeschwört. Da sollten wir einen kühlen Kopf bewahren und wann immer möglich so agieren, wie gerade beschrieben."
Norbert Röttgen machte deutlich, dass er von nationalen Alleingängen nichts hält. Eine militärische Reaktion müsse im Bündnis abgestimmt werden. "Unsere Position ist, dass es auf eine Nato-Entscheidung ankommt. Die Nato ist zuständig – und das halten wir auch für notwendig", sagte der CDU-Außenpolitiker. Entscheidend sei, dass es eine gemeinsame und "klare und starke Antwort" auf die Verletzungen des Luftraums gebe.
Nicole Schilling von der Bundeswehr widersprach teilweise und erklärte das "Zwiebelschalenprinzip" der Luftverteidigung: "Es ist tatsächlich nicht einfach, vor allem, wenn die Fläche, die man abdecken muss, sehr, sehr groß ist. (…) Und wenn wir auf die gesamte Nato-Ostgrenze gucken, sind wir bei etwa fünfeinhalbtausend Kilometern." Man müsse sich gleichzeitig gegen Raketen, Flugzeuge und Drohnen schützen – und das funktioniere nicht überall gleich gut.
Klamroth: "Sie klingen ein bisschen wie meine Lehrer"
Schilling räumte indes ein, dass es beim Schutz vor Drohnen Nachholbedarf gibt. Gerade deshalb werde investiert: "Wir werden in diesem Jahr sowohl bewaffnete Kleindrohnen einführen als auch Drohnenabwehrmaßnahmen – auch Netzwerfer. Für Bundeswehr-Entscheidungszyklen sei dies schon rasant schnell."
Klamroth nutzte die Gelegenheit für einen Scherz: "Frau Schilling, Sie klingen ein bisschen wie meine Lehrer früher bei der Zeugnisvergabe: Man hat schon viel geschafft, aber da muss noch ganz, ganz viel passieren." Schilling daraufhin: "Aber am Ende ist aus Ihnen offensichtlich was geworden."
Von der Frage nach Lücken in der Luftverteidigung war es nur ein kleiner Schritt zur grundsätzlichen Debatte über die deutsche Verteidigungsfähigkeit. Moderator Louis Klamroth griff das Stichwort auf und fragte, ob Deutschland "kriegstüchtig" werden müsse – und wie das gelingen könne.
"Frau Schwerdtner, das ist Quatsch"
Norbert Röttgen äußerte in der Sendung Zustimmung zum CDU-Grundsatzprogramm, das ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr vorsieht, bei dem junge Menschen zwischen militärischem und zivilem Dienst wählen können. In der aktuellen Debatte sprach er sich jedoch für den freiwilligen Wehrdienst aus, wie er ab 2026 eingeführt werden soll – verbunden mit der Option, bei zu geringem Zuspruch parlamentarisch über verpflichtende Maßnahmen zu entscheiden.
Linken-Politikerin Ines Schwerdtner warnte dagegen vor Zwang: Viele junge Menschen würden nur deshalb zur Bundeswehr gehen, weil sie keine andere Wahl hätten. Damit entstehe kein Motivationsschub, sondern Unmut.
"Frau Schwerdtner, das ist Quatsch! Das stimmt einfach nicht", entfuhr es dem Politikwissenschaftler Carlo Masala daraufhin. "Es gibt auch die Professorenkinder und Zahnarztkinder, die zur Bundeswehr gehen." Die Bundeswehr sei kein Auffangbecken für sozial Benachteiligte. Nicole Schilling widersprach ebenfalls vehement.
Röttgen: "Ich empöre mich über Krieg"
Schwerdtner bekräftigte ihre Skepsis gegenüber der Freiwilligkeit des Wehrdienstes. Sie glaube nicht daran, dass ein freiwilliger Dienst dauerhaft freiwillig bleiben werde: "Ich glaube wirklich daran, dass Sie in spätestens ein, zwei Jahren sagen würden, dass das nicht ausreicht und dass wir dann in so einen Zwang übergehen werden. Das wird jetzt schon vorbereitet von Ihren Kollegen, und deswegen vertraue ich dem nicht."
Die Runde wurde spürbar hitziger. Masala fragte provokant: "Sie sind für Landesverteidigung – mit wem dann eigentlich?" Er warnte, dass Deutschland nicht verteidigungsfähig sei, wenn man den Dienst aus ideologischen Gründen ablehne.
Norbert Röttgen kritisierte, dass in der Debatte über Bundeswehr und Wehrpflicht oft die grundlegende Realität ausgeblendet werde: "Wir leben in der Zeit der Rückkehr eines großen Krieges nach Europa. Wir haben nicht mehr Frieden in Europa. Seit dreieinhalb Jahren haben wir einen brutalen Krieg. Das ist die Realität." Die Erfassung junger Männer für einen möglichen freiwilligen Wehrdienst sei unter diesen Umständen kein Grund zur Empörung, so Röttgen.
"Zu glauben, wir würden den Frieden wiederherstellen, indem wir uns nicht verteidigen könnten", sei aus seiner Sicht naiv. Gerade weil Deutschland ein freiheitlicher Rechtsstaat sei, müsse es erlaubt sein, junge Männer zu fragen, "ob sie motiviert sind für die Bundeswehr und dass man sie überhaupt erfasst". Es gehe um die Frage, ob sie "vielleicht bereit sind", einen Beitrag zu leisten – auf freiwilliger Basis. "Das ist doch die moralische Dimension, um die es geht."
An die Kritiker gerichtet fügte er hinzu: "Ich empöre mich über Krieg und die Brutalität und das Sterben – und nicht so sehr über die kleinen Dinge, über die wir hier in Deutschland jetzt diskutieren."
- ARD: "Hart aber Fair". Sendung vom 22. September






