Putins Schatz Der schockierende Satz des Friedrich Merz

Ändert das alles? Friedrich Merz will die Partner beim EU-Gipfel in Kopenhagen von einem gewaltigen Milliardentrick für die Ukraine überzeugen. Doch noch gibt es Vorbehalte.
Friedrich Merz liefert den Beipackzettel für seine Worte an diesem Abend gleich mit. "Ich will's mal mit einem Satz sagen, der vielleicht auf den ersten Blick ein bisschen schockierend ist, aber ich mein' ihn genau, wie ich ihn sage." Der Bundeskanzler ist am Montag in Düsseldorf, die "Rheinische Post" hat zum Empfang geladen. Eine hübsche Kulisse für Merz' harten Satz: "Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden."
Cyberangriffe, Drohnen-Spähaktionen, Luftraumverletzungen – und natürlich Russlands Krieg gegen die Ukraine. Die regelbasierte Weltordnung werde durch pure Machtpolitik abgelöst, inklusive militärischer Mittel, sagt Merz. "Wir sind in einer völlig anderen Welt."
Es ist diese völlig andere Welt, mit der sich an diesem Mittwoch der inoffizielle Europäische Rat in Kopenhagen beschäftigen wird. Vier Stunden Zeit, in denen vor allem die Verteidigungs- und die Ukraine-Politik auf der Tagesordnung stehen. Wie erlangt Europa schnellstmöglich die Fähigkeiten, für die man bisher auf die USA vertraut hat? Welche gemeinsamen Rüstungsprojekte sind sinnvoll? Wo liegen die Schwerpunkte?
Das ist die eine Art der Fragen an diesem Tag. Die andere, ebenso wichtige ist: Wie kann Europa der Ukraine langfristig helfen, zu überleben? Der Bundesregierung ist wichtig, dass diese Frage nicht in Vergessenheit gerät bei aller aktuellen Aufregung. Friedrich Merz will deshalb in Kopenhagen für einen Milliardentrick werben, auf dem im Kanzleramt große Hoffnungen ruhen. Sehr große Hoffnungen.
Putin soll selbst zahlen
Die Bundesregierung ist der Ansicht, dass die Ukraine jetzt vor allem eines braucht: Geld, und zwar viel davon und vor allem langfristig. Die Finanzierung des ukrainischen Abwehrkampfes sei "nicht mehr gesichert, die Amerikaner fallen aus", sagt ein Regierungsbeamter. "Die Europäer werden sehr viel mehr auf ihre Schultern nehmen müssen." Trump brüstet sich zu Hause schon länger damit, dass er der Ukraine kein Geld mehr gibt und keine Waffen mehr kauft.
Ab 2026 sieht es deshalb düster aus für die Ukraine, da macht man sich in Berlin keine Illusionen. Nur woher das Geld nehmen? Aus den nationalen Haushalten? Die sind überall knapp. Aus dem EU-Haushalt? Der gibt auch nicht mehr viel her. Also hat man in Berlin und in Brüssel einen Weg entwickelt, mit dem man Russlands Geld für den Kampf der Ukraine gegen Putin einsetzen will. Ohne dabei in rechtliche Schwierigkeiten zu kommen.
In Belgien liegen über 200 Milliarden Euro an russischem Zentralbankvermögen, von denen gerade 140 Milliarden Euro verfügbar sind. Europa hat das Geld wegen des Krieges eingefroren, Russland kann nicht darauf zugreifen. Es gibt schon länger Forderungen, es Russland schlicht wegzunehmen, Putin also zu enteignen, um der Ukraine damit zu helfen. Doch nicht zuletzt die Bundesregierung hat Sorgen, dass andere Anleger Europa dann nicht mehr als sicheren Hafen sehen und ihr Geld abziehen könnten.
Durch einen Trick könnte die Ukraine in den nächsten Jahren nun trotzdem an die 140 Milliarden kommen. Der belgische Finanzdienstleister Euroclear, der das eingefrorene Geld hat, soll damit EU-Anleihen kaufen. Mit diesem Geld soll die EU dann in mehreren Tranchen zinslose Kredite an die Ukraine geben. Die EU-Mitgliedstaaten würden für das Konstrukt bürgen, damit das Ganze nicht doch eine De-facto-Enteignung Russlands wäre.
Langfristig soll aber eigentlich Russland zahlen, so zumindest der Plan. Indem das eingefrorene Geld mit den Reparationen verrechnet wird, die Putin bei Kriegsende an die Ukraine zahlen soll. Schon bisher war vorgesehen, dafür auch die eingefrorenen Milliarden als Pfand zu nutzen.
"Ein Gamechanger"
Die Bundesregierung verspricht sich viel von der Idee. Es sei "der wohl größte Hebel, den die Europäer ukrainepolitisch im Augenblick in die Hand nehmen können", sagt der Regierungsbeamte. Wenn es gelänge, diesen Hebel anzusetzen, dann habe es das Potenzial, "ein Gamechanger zu sein". Ein Hebel also, der den Krieg zugunsten der Ukraine wenden könnte. So werde das auch in Kiew gesehen.
Wenn das gelänge, davon sind sie in der Bundesregierung überzeugt, würde das der Ukraine nicht nur "absolut wertvolle Zeit kaufen, um sich gegen den russischen Angriffskrieg zu wehren", sagt Merz' Beamter. "Es wird in Moskau auch dazu führen, dass man die eigene Zeitplanung überdenkt und zu rechnen beginnt, wann der Moment gekommen ist, dass man an den Verhandlungstisch kommen muss."

Der rational kalkulierende Putin, so die Hoffnung, wird neu kalkulieren, wie lange er sich diesen Krieg noch leisten kann und leisten will. Einen Krieg immerhin, in dem sich die Front nach dem ersten russischen Vorstoß mit Beginn der Vollinvasion am 24. Februar 2022 nun seit Jahren nicht wesentlich verändert hat. Weder für die Ukraine noch für Russland.
Das Geld wäre aber natürlich auch ein Signal an die Ukraine. Dort beginnt bald der Winter, die russischen Angriffe auf die Infrastruktur schmerzen in der Heizperiode noch mal mehr. Was die Regierung in Kiew sehr besorgt. Und auch Donald Trump darf sich wohl angesprochen fühlen. Der kann sich nach seinen gescheiterten Friedensbemühungen zum Missvergnügen der Europäer noch immer nicht entscheiden, Sanktionen gegen Putin zu verhängen.
Noch gibt es Fragen – und Orbán
Friedrich Merz hat Ende vergangener Woche in einem Gastbeitrag für die "Financial Times" für den Milliardentrick geworben. Es ist auch für ihn eine Wende, denn bislang wollte er wegen der befürchteten Turbulenzen auf den Finanzmärkten das eingefrorene Geld nicht anfassen. Jedenfalls nicht über die Zinserträge hinaus, die schon jetzt an die Ukraine fließen.
Mit diesem Weg aber glaubt die Bundesregierung, dass die Europäer rechtlich auf der sicheren Seite sind. Was nicht heißt, dass es nicht noch diverse Fragen zu klären gibt, kleinere und größere Details. Merz ist etwa wichtig, dass das Geld nur für den militärischen Bedarf der Ukraine eingesetzt wird. Und er will, dass Waffen und Ausrüstung vor allem von europäischen Konzernen gekauft werden – um den Aufbau der eigenen Rüstungsindustrie zu befördern.
Ein Problem bei der europäischen Ukraine-Politik ist zudem traditionell Ungarn. Viktor Orbán stellt sich meist quer, wenn es gegen Putin gehen soll. Die Sache müsste also wahrscheinlich in einem Vertrag der restlichen europäischen Staaten fixiert werden – ohne Ungarn.
Allerdings braucht es bisher sogar alle sechs Monate die Zustimmung Orbáns (und aller anderen EU-Staaten), damit das russische Geld überhaupt in Belgien eingefroren bleibt. Fraglich, ob er diese Zustimmung weiter gäbe, wenn das Geld gegen Putin eingesetzt würde. Also arbeitet die EU gerade daran, darüber auch mit qualifizierter Mehrheit entscheiden zu können.
Belgien ist verärgert
Auch Belgien, das den Finanzdienstleister Euroclear und damit das eingefrorene Vermögen beherbergt, ist noch nicht überzeugt. Verärgert trifft es eher. Nachdem Merz seinen Gastbeitrag veröffentlicht hatte, sagte der belgische Premier Bart De Wever auf einer Pressekonferenz: "Putins Geld nehmen und die Risiken bei uns lassen – das wird nicht geschehen, lassen Sie mich da sehr klar sein."
Der Vorstoß des Bundeskanzlers – der belgische Premier fand ihn gar nicht glücklich. Er nehme das Merz "ein bisschen übel", sagte De Wever. "Ich habe allen gesagt: Ich rede gerne mit, aber lasst uns reden und mit einem Vorschlag kommen – und nicht jeden Tag mit einer Meinungsmeldung. Das finde ich ziemlich problematisch."
Die Gelegenheit zum Reden – die gibt es an diesem Mittwoch auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen. Vielleicht hilft es ja.
- Eigene Recherchen und Gespräche
- vrt.be: "Premierminister De Wever kritisch über Vorschlag von Bundeskanzler Nehammer"









