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Sportunterricht und Leistungsdruck: Bundesjugendspiele in der Debatte


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Streit um Bundesjugendspiele
Kuschelpädagogik statt Leistung? "Das ärgert mich"


Aktualisiert am 10.09.2023Lesedauer: 4 Min.
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Ein Junge beim Weitsprung (Symbolbild): Um die Bundesjugendspiele ist ein politischer Streit entbrannt. (Quelle: Andy Nowack/picture alliance/Zoonar)
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Um die Bundesjugendspiele ist eine Debatte entbrannt. Neue Regeln sollen demnach Kuschelpädagogik sein und Leistung nicht belohnen. Ein Leichtathletik-Funktionär sieht es ganz anders.

Am 1. August um 14.38 Uhr war ein umstrittenes Papier fertig, in dem gar nicht so viel Neues steht: Die zuständige Referentin im Bundesfamilienministerium von Lisa Paus (Grüne) hatte die Ausschreibung für die Bundesjugendspiele neuer Machart fertig zur Veröffentlichung.

Jetzt ist von weniger Wettkampf und mehr Kuschelpädagogik bei den Bundesjugendspielen die Rede. Die FDP sorgt sich sogar, dass Deutschland deswegen in Zukunft weniger Chancen auf WM- und Olympiamedaillen haben wird – und das, wo man doch gerade bei der Leichtathletik-WM so schlecht abgeschnitten hat. "Die geplante Abschaffung der Leistungsmessung bei den Bundesjugendspielen kommt zur Unzeit", erklärte der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle. "Die Kultusminister der Länder sollten am bisherigen Modus festhalten."

Beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) stößt die meiste Kritik an den Änderungen auf Unverständnis. Vizepräsident Dominic Ullrich sagt: "Die Aufregung kommt daher, weil viele Menschen mitreden, die sich nicht intensiv damit befasst haben." Tatsächlich ändert sich gar nicht so viel.

Wer in die Geschichte der Bundesjugendspiele einsteigt, landet beim Ersten Weltkrieg und dem Versailler Vertrag. Dem Verliererland Deutschland wurde die Wehrpflicht untersagt, "Sport als Wehrersatz" war die Maxime, als von 1920 an am Weimarer Verfassungstag die "Reichsjugendspiele" durchgeführt wurden. Es war der Vorläufer.

"Schlangenformationswarten" beim Weitsprung

Die Idee wurde in der jungen Bundesrepublik 1951 mit Bundesjugendspielen wiederbelebt, in der DDR wurde 1964 die Einführung von Kinder- und Jugendspartakiaden beschlossen. Mit "Wehrersatz" sollen die Spiele von heute nichts mehr zu tun haben. "Einstieg und Türöffner" für den Sport, möglichst auch in Vereinen, soll die Sportveranstaltung heute sein, sagt Dominic Ullrich, beim Deutschen Leichtathletik-Verband für den Jugendbereich zuständig. Lust machen auf den Sport: "Dafür ergibt es keinen Sinn, wenn die Kinder Schlangenformationswarten vor einer Sprunggrube praktizieren, weil aufwändig zentimetergenau Weite gemessen wird und sie lange sinnlos anstehen." Das aber hatten die alten Wettkampfregeln vorgesehen.

Ullrich hat die geänderten Aufgaben bei den Bundesjugendspielen für Grundschüler mit ausgearbeitet. "Es gilt weiter das Leistungsprinzip 'Höher, schneller, weiter', und es ärgert mich, wenn das anders dargestellt wird. Kinder brauchen natürlich Leistung und Vergleich." Es werden aber nicht mehr die Normen von Leichtathletikwettkämpfen herangezogen.

Beispiele für die Änderungen: Statt 50-Meter-Sprint aus Startblöcken sind 30 Meter aus zuvor liegender Position zu rennen, Hindernislauf bedeutet Springen in verschiedenen Varianten durch ausgelegte Fahrradreifen, Weitsprung ist verbunden mit Messung in 20- oder 25-Zentimeter-Korridoren. Einerseits biete das ein breiteres motorisches Angebot, andererseits bedeute es weniger Wartezeit während der Spiele. "Wir machen aber auch kein Sackhüpfen", so Ullrich.

Wettbewerb für Grundschüler seit mehr als 20 Jahren empfohlen

Die traditionelle Form der Bundesjugendspiele widerspreche den Inhalten der Bildungspläne und den Konzepten der Vereine, sagt Ullrich. Er war ab 2009 Teil einer Arbeitsgruppe, die zwei Jahre lang ein Konzept für die Form des Wettbewerbs erstellte. 2011 wurde es an den Vereinen eingeführt und 2013 dort verbindlich. An Schulen wird bereits seit den Jubiläums-Bundesjugendspielen 2001 für Erst- bis Sechstklässler "empfohlen", "Wettbewerb" statt "Wettkampf" bei Leichtathletik und Schwimmen anzubieten.

Für das 1. und 2. Schuljahr war die Wettkampf-Variante inzwischen bereits tabu. Die von der Kultusministerkonferenz beschlossene Neuerung sieht nun vor, dass mit diesem Schuljahr die Wettkampf-Variante auch für das 3. und 4. Schuljahr nicht mehr ausgeschrieben wird: nur noch Wettbewerb.

Ullrich hat darauf gewartet: "Die Schulen vollziehen damit verspätet nach, was in den meisten Vereinen bereits seit Jahren Praxis ist. Was bisher noch angeboten wurde, deckt sich nicht mit unseren Vorstellungen." Das gilt für Leichtathletik und Schwimmen, lediglich im Turnen werden die wettkampfmäßigen Disziplinen beibehalten.

Völlig unklar ist, wie viel Veränderung das an den Schulen tatsächlich bedeutet: Es gibt keine Zahlen darüber, wie viele Schulen bisher bereits den Empfehlungen gefolgt sind, an Grundschulen nicht die Wettkampf-Variante zu wählen, und die damit gar nicht umstellen müssen.

Viele Schulen machen nicht mit

Es gibt nicht einmal verlässliche Daten, wie viele Schulen überhaupt mitmachen bei den Bundesjugendspielen, so Ullrich. "Wir arbeiten an einer zentralen Bündelung der Daten.".

Aus einem südlichen Bundesland mit hoher Beteiligung weiß er von 68 Prozent Beteiligung an Grundschulen – eigentlich schwach bei einem verbindlich per Erlass vorgeschriebenen Wettbewerb. Und die Bundesjugendspiele sind nicht einmal die größte Sorge für die Sportverbände: "Qualifizierter Schulsport das ganze Jahr über ist wichtiger als einmal jährlich Bundesjugendspiele, und daran hakt es auch."

Wenn sich die Politik um Medaillen bei internationalen Wettbewerben sorge, dann seien die Einsparungen im Spitzensport wenig nachvollziehbar, sagt Ullrich: Der Haushaltsentwurf sieht vor, dass gut 30 Millionen weniger Zuschüsse fließen, um etwa Trainer und Materialentwicklung zu zahlen. Wenn nun die Bundesjugendspiele als Grund für Leistungsabfälle angeführt werden, findet Ullrich das "unerträglich und sehr irritierend": "Wir müssen Kinder erst mal für das System gewinnen."

Bei der Wettbewerbs-Variante gibt es weiterhin die bekannten Auszeichnungen mit Teilnahme-, Sieger- und Ehrenurkunde für die Schülerinnen und Schüler. Die Urkunden werden zentral bestellt, und es gibt je nach Art der Durchführung unterschiedliche Ausführungen. Die Bestellzahlen könnten Hinweise liefern, was an den Schulen angeboten wird – eigentlich: Schulen würden oft nicht nach aktuellem Bedarf, sondern für Jahre auf Vorrat bestellen, so Ullrich.

Ganz neu in der Ausschreibung ist, dass erstmals auch eine Regelung für inter- und transsexuelle Jugendliche explizit vorgesehen ist: Eine Lehrkraft kann "mit dem Kind oder Jugendlichem, ggf. unter Einbeziehung der Erziehungsberechtigten, eine Einzelfallentscheidung zur geschlechtlichen Zuordnung und den Auswertungsmodalitäten treffen". Wenn es keine einvernehmliche Lösung gibt, geht es nach dem Personenstandsgesetz, also danach, welche Erklärung im Personenstandsregister eingetragen ist.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Dominic Ullrich
  • bundesjugendspiele.de: Aufruf 2001
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