Lauterbach bei "Lanz" "Die erleben das Land als grotesk ungerecht"

Karl Lauterbach zeichnet bei "Markus Lanz" ein düsteres Bild von der sozialen Lage und lässt sich auch vom Einspruch eines "Wirtschaftsweisen" nicht überzeugen.
Was treibt die Menschen in westlichen Gesellschaften in die Arme von Populisten? Der SPD-Politiker Karl Lauterbach machte bei "Markus Lanz" vor allem soziale Ungerechtigkeiten dafür verantwortlich. Dabei verwies er nicht nur auf die ineffiziente Krankenversorgung, die er als ehemaliger Gesundheitsminister mitzuverantworten hat, sondern auch in ungewohnter Klarheit auf die Notwendigkeit, irreguläre Migration zu bekämpfen. Andernfalls verliere man große Teile der Wählerschaft.
Gäste
- Karl Lauterbach, SPD-Bundestagsabgeordneter
- Kerstin Münstermann, Journalistin
- Martin Werding, Ökonom
- Peter Neumann, Politikwissenschaftler
Es gebe in Deutschland zwar einen hohen Bedarf an Arbeitsmigration, doch wenn dazu ein überproportionales Maß an irregulärer Migration komme, werde das nicht mehr akzeptiert. "Das Ziel muss auf jeden Fall sein, dass man das trennt. Das muss man der Bevölkerung glaubwürdig mitteilen können", so Lauterbach. Augenzwinkernd zuzulassen, dass Menschen ohne Rechtsanspruch zuwanderten, sei in den Kommunen nicht mehr vermittelbar.
Der SPD-Abgeordnete für den Wahlkreis Leverkusen–Köln IV sprach vor dem Hintergrund des schlechten Abschneidens seiner Partei bei den jüngsten Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen. Besonders besorgt zeigte sich Lauterbach über das Wahlverhalten der arbeitenden Bevölkerung, vom Geringverdiener bis zum kleinen Verwaltungsangestellten. Für deren generellen Unmut äußerte er hingegen Verständnis. "Die erleben das Land als grotesk ungerecht", gab der Sozialdemokrat zu.
Lauterbach kritisiert mangelnde Aufstiegschancen
Neben Einsparungen im Sozialsystem und den schlechteren Bildungschancen für den eigenen Nachwuchs machten diesen Menschen steigende Mieten und mangelnde Zukunftsperspektiven zu schaffen. "Es gibt keine Möglichkeit für einen Aufstieg mehr", konstatierte Lauterbach. Das ganze System werde als unfair wahrgenommen. "Und die Wahrheit ist: Die Leute haben Recht", urteilte das Ex-Regierungsmitglied.
Dem Ökonomen und Mitglied des Sachverständigenrats der Bundesregierung Martin Werding ging diese Einschätzung zu weit: "Ich meine schon, Herr Lauterbach, Sie malen jetzt das Bild sehr viel schwärzer, als es in Wirklichkeit ist." Er argumentierte, es hätten sich viele Dinge, darunter die Aufstiegschancen, gegenüber Zeiten hoher wirtschaftlicher Dynamik verändert, aber sowohl bei der Einkommensverteilung als auch bei der wirtschaftlichen Teilhabe sei die Lage besser als geschildert. Man dürfe nicht anfangen, denen, die versuchten, politisches Kapital aus der schlechten Stimmung zu schlagen, entgegenzukommen.
"Uns steckt in den Knochen, dass wir seit fünf Jahren nicht mehr wachsen", setzte der Ökonom zu einer eigenen Erklärung an. Die Energiekrise, der Inflationsschub und die Auswirkungen der Corona-Pandemie – das alles stecke der Gesellschaft noch in den Knochen. "Wir müssen ein paar Motoren wieder in Gang bringen und wir brauchen Reformen", so Werdings Urteil.
Dieses weniger düstere Bild von der sozialen Lage im Land konnte Lauterbach allerdings nicht überzeugen. "Ich bleibe bei meiner Haltung", widersprach der SPD-Politiker. Man habe den Menschen lange versprochen, dass die Dinge wieder besser würden, etwa wenn es mit Eurokrise, Corona oder der Wirtschaftsflaute vorbei sei. Der Ex-Gesundheitsminister konstatierte: "Die Wahrheit ist: Seit zwanzig Jahren werden die Ungerechtigkeiten größer."
Lebenserwartung geringer als im Rest Westeuropas
Das sei unter anderem an den wachsenden Lebenserwartungsunterschieden zwischen Arm und Reich ablesbar. In gewissen Regionen sinke die Lebenserwartung der Einkommensschwächeren mittlerweile sogar.
Überhaupt lebten die Menschen in Deutschland trotz des zweitteuersten Gesundheitssystems weltweit weniger lang als in allen anderen westeuropäischen Gesellschaften. "Dann kann ich nicht sagen, das ist in Wirklichkeit nicht so schlecht", erklärte Lauterbach. Es fehle großen Teilen der Bevölkerung zudem an Rücklagen.
Das sei ein Grund dafür, warum die Wähler ihr Kreuz bei der AfD machten. "Die SPD hat mehr als die Hälfte der Wähler bei den Arbeitern verloren. Die sind fast alle zur AfD gegangen", rechnete Lauterbach vor.
Journalistin sieht für SPD nur einen Ausweg
Die Journalistin Kerstin Münstermann führte an, dass das Problem bis weit ins bürgerliche Lager reiche. Auch viele Besserverdienende seien zu Recht frustriert und hätten das Gefühl, dass die Sozialabgaben ins Unermessliche stiegen, ohne dass sie selbst etwas zurückbekämen oder etwa der Pflegeplatz für die eigenen Eltern sicher sei. Es brauche auch beim Thema Rente noch mehr Ehrlichkeit. Wenn die SPD nicht die Kraft für echte Sozialstaatsreformen aufbringe, verpasse sie ihren letzten Ausweg, erklärte die Leiterin des Parlamentsbüros der "Rheinischen Post".
Auch das Schicksal der SPD-Spitze hänge davon ab. "Ich glaube nicht, dass Lars Klingbeil Vizekanzler und Finanzminister bleiben kann, wenn sich nichts tut", urteilte Münstermann über die Zukunft des SPD-Vorsitzenden.
Wohin es führt, wenn der Unmut der Bevölkerung sich auf das Thema Migration konzentriert und auf der Straße entlädt, schilderte der Extremismusforscher Peter Neumann, der dies jüngst in seiner Wahlheimat London beobachten konnte. Dort hatte eine große rechtsextreme Demonstration das Stadtleben in Teilen lahmgelegt. Man war sich in der Runde schnell einig, dass man solche Szenen in Deutschland gern vermeiden würde.
- zdf.de: "Markus Lanz“ vom 25. September 2025


