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Angela Merkel in China: "Menschenrechte dürfen nicht geopfert werden"


Merkels schwierige Mission in China
"Menschenrechte dürfen nicht geopfert werden"


Aktualisiert am 24.05.2018Lesedauer: 6 Min.
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang: Merkel hält sich zu einem zweitägigen Besuch in der Volksrepublik China auf.Vergrößern des Bildes
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang: Merkel hält sich zu einem zweitägigen Besuch in der Volksrepublik China auf. (Quelle: dpa)

Die Menschenrechtslage in China ist desolat und die deutsche Industrie wirft Peking eine aggressive Wirtschaftsstrategie vor. Findet Kanzlerin Merkel auf ihrer Reise die richtigen Worte?

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf schwieriger Mission in Peking und Shenzhen: Im Mittelpunkt ihrer elften Visite in China steht das Tauziehen um die Atomkonflikte mit dem Iran und Nordkorea. Außerdem geht es in Anbetracht eines drohenden Handelskonfliktes mit den USA unter Präsident Donald Trump auch um wichtige wirtschaftliche Fragen.

"An China führt im Welthandel kein Weg vorbei. In Zeiten, in denen die USA auftreten wie der Elefant im Porzellanladen, können Europa und Staaten wie China in einigen handelspolitischen Fragen enger zusammenstehen", sagt Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, zu t-online.de.

"Abziehen von Knowhow aus Deutschland und Europa"

Neben den Handelsstreitigkeiten klagen deutsche Unternehmen über mangelnden Marktzugang und erzwungenen Technologietransfer in China. Behörden und Unternehmen befürchten auch intensive Wirtschaftsspionage. "Angesichts der protektionistischen Handelspolitik der USA ist konsequentes Eintreten für den Freihandel gefordert. Nach wie vor gibt es viel zu hohe Hürden beim Marktzugang für deutsche Unternehmen in China," meint Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion, gegenüber t-online.de. "Auch das gezielte Abziehen von Knowhow aus Deutschland und Europa durch chinesische Firmen muss Thema bei den Gesprächen sein."

Merkel reist mit einer kleineren Wirtschaftsdelegation nach Peking und in die Wirtschaftsmetropole Shenzhen. Mit dabei sind unter anderem die Vorstandschefs von VW und Siemens, Herbert Diess und Joe Kaeser. Größere Abkommen sollen zwar nicht unterzeichnet werden, aber die Reise ist eine Möglichkeit für die Kanzlerin, strittige Wirtschaftsfragen auf den Tisch zu legen. "Ich gehe davon aus, dass beim Besuch der Kanzlerin kritische Themen im Bereich der Wirtschaft angesprochen werden", betont Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, im Gespräch mit t-online.de. "Eine enge wirtschaftliche Partnerschaft und ein Ausbau der Handelsbeziehungen darf nicht zulasten der Wettbewerbsfähigkeit unserer heimischen deutschen Industrie gehen."

Angesichts des wirtschaftlichen Schwerpunktes der Merkel-Reise und dem Gesprächsbedarf über die aktuellen Konflikte um das Iran-Atomabkommen und Nordkorea, haben besonders Bürgerrechtler die Sorge, dass das Thema Menschenrechtsverletzungen in China beim Merkel-Besuch kaum Berücksichtigung findet.

"Menschenrechte dürfen nicht wirtschaftspolitischen Themen geopfert werden. Die Rechte auf Meinungs-, Versammlungs-, Presse- und Religionsfreiheit werden in China immer stärker eingeschränkt", kritisierte Anika Becher, Asien-Expertin bei Amnesty International in Deutschland, gegenüber t-online.de. "Menschenrechtler, Anwälte, Journalisten und politisch engagierte Menschen werden von der Regierung eingeschüchtert, drangsaliert und willkürlich inhaftiert." Auch Folter sei weit verbreitet und Überwachung und Zensur würden zunehmen. "Bundeskanzlerin Merkel muss deutlich machen, dass China die Menschenrechte im eigenen Land und als internationaler Akteur auch weltweit zu achten hat", fordert die Menschenrechtsaktivistin.

Der Fall Liu Xia

In China gibt es eine strenge Zensur der Medien, politische Verfolgung, Gefangene sind teilweise in Arbeitslagern interniert und aus Gefängnissen gibt es immer wieder Berichte über Folter und Organraub. Im internationalen Vergleich wird laut Amnesty International in China am häufigsten die Todesstrafe verhängt.

Bei all der Kritik hinsichtlich der Menschenrechtsverletzungen sticht ein aktueller Fall heraus: Bei ihrem Besuch in China soll sich Merkel nach dem Wunsch von Bürgerrechtlern für die Freilassung von Liu Xia einsetzen. Die seit acht Jahren unter Hausarrest stehende Witwe des in Haft an Leberkrebs gestorbenen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo solle endlich nach Deutschland ausreisen dürfen, fordern Freunde und Menschenrechtsgruppen.

"Merkels Besuch ist die beste und einzige Chance, Liu Xias Probleme dieses Jahr zu lösen", sagte der chinesische Bürgerrechtler Hu Jia, ein Vertrauter der Familie, der Deutschen Presse-Agentur. "Wir alle wünschen uns, dass sie mit Merkel nach Deutschland fliegen kann, aber die chinesische Regierung wird das nicht zulassen." Merkels Besuch könne dennoch helfen, Fortschritte zu erzielen. "Die Bundesregierung sollte den Besuch der Kanzlerin nutzen, um sich erneut für die Freilassung von Liu Xia einzusetzen. Sie muss der chinesischen Regierung deutlich machen, dass der anhaltende unrechtmäßige Hausarrest nicht hinnehmbar ist", forderte Becher.

Liu Xiaobo, der im vergangenen Juli im Gefängnis starb, war 2009 wegen "Untergrabung der Staatsgewalt" zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Sein Leben lang hatte sich der Bürgerrechtler friedlich für Demokratie, Menschenrechte und Toleranz in China eingesetzt. 2010 erhielt er dafür den Friedensnobelpreis, was Chinas Regierung empörte. Seine Frau Liu Xia steht in Peking unter Hausarrest, ohne eines Verbrechens beschuldigt zu werden.

Die 57-Jährige ist psychisch in einem schlechten Zustand. "Wenn ich nicht gehen darf, dann sterbe ich zu Hause", sagte sie jüngst einem Freund am Telefon.

"Politischer Pluralismus ist ein Fremdwort"

Dieser Fall ist exemplarisch für viele Menschenrechtsvergehen, die immer noch in China stattfinden. Menschenrechtler beklagen, dass die Verfolgung unter Xi Jinping noch zugenommen hat. "Ich erwarte von der Kanzlerin, dass sie in China die deutlich verschlechterte Menschenrechtssituation offen anspricht", sagt Hofreiter. "Frau Merkel muss sich für ein Ende der Repressionen gegen Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten einsetzen. Ich fordere sie auf, klare Worte in der Tibetfrage zu finden, statt sich aufgrund von Wirtschaftsinteressen wegzuducken."

In der Vergangenheit traf sich Merkel in Peking mit den Bürgerrechtsanwälten Jiang Tianyong und Yu Wensheng, die mittlerweile auch in Haft sind. "In der Frage der Menschenrechte muss sich die Bundeskanzlerin klar positionieren. Die Volksrepublik durchläuft derzeit einen Prozess hin zu noch mehr Repression als in den Jahren zuvor", betonte Graf Lambsdorff. "Individuelle Freiheiten werden mehr und mehr eingeschränkt. Politischer Pluralismus ist nach wie vor ein Fremdwort."

"Handel mit China hat nicht geholfen"

Hoffnung setzen deutsche Politiker dagegen vor allem in den Dialog mit Peking. "Zur engen Zusammenarbeit mit China gehört auch, den Menschenrechtsdialog zu intensivieren sowie den konstruktiven Dialog mit China zu Fragen der Rechtsstaatlichkeit, zum Finanzwesen, zu Klima und Umweltthemen fortzusetzen", erklärte CDU-Politiker Hardt. Ob dieser Rechtstaatlichkeitsdialog Früchte trägt ist jedoch fraglich. Erst am Dienstag war der tibetische Menschenrechtler Tashi Wangchuk von einem chinesischen Gericht wegen "Anstiftung zum Separatismus" verurteilt worden, weil er der "New York Times" ein kritisches Interview gegeben hatte.

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Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) forderte von Merkel, die massive Verschlechterung der Menschenrechtslage anzusprechen. "Mehr Handel mit China hat nicht geholfen, dass Menschenrechte in der Volksrepublik mehr respektiert werden", heißt es nach Angaben der Organisation in einem Schreiben von GfbV-Direktor Ulrich Delius an die Kanzlerin. Die Organisation Reporter ohne Grenzen verlangte, Merkel müsse sich öffentlich für die Freilassung der angeblich 56 in China inhaftierten Journalisten und Blogger einsetzen.

Wenig Freundlichkeit oder Toleranz zeigt China auch in der Kontrolle regierungsunabhängiger Organisationen aus dem Ausland, die noch schlimmer als erwartet verschärft wird. Besonders betroffen sind die deutschen parteinahen Stiftungen, die seit vielen Jahren in China arbeiten, sich heute aber meist nur noch selbst verwalten können. Einige Organisationen denken bereits daran, China zu verlassen, was der chinesischen Seite wohl nur recht wäre.

Chinas umstrittene Wirtschaftsstrategie

Der Besuch der Kanzlerin befindet sich in einem sensiblen Spannungsfeld. Zu den Forderungen von Menschenrechtsorganisationen gesellen sich die Erwartungen der deutschen Wirtschaft an die Kanzlerin. Merkel lehnt Trumps raue Methoden im Handelsstreit zwar ab, teilt aber durchaus die Klagen über mangelnden Marktzugang, zunehmend erzwungenen Technologietransfer und unzureichenden Schutz geistigen Eigentums in China. Zwar wächst der Handel und wird bald die 200-Milliarden-Euro-Marke überschreiten. Aber auch die Spannungen werden größer. Nie zuvor haben sich deutsche Geschäftsleute in China so wenig willkommen gefühlt wie heute, haben Umfragen ergeben.

Doch die Experten vom China-Institut Merics in Berlin haben von deutschen Firmen, die in der Volksrepublik investieren, ein starkes Bremsen vernommen, Merkel möge die Interessenskonflikte doch bitte nicht zu scharf thematisieren. Die Auftragsbücher seien gut gefüllt - da fürchten manche Unternehmen wohl, zu starke Kritik könne das Geschäft verhageln.

Mit seiner ehrgeizigen "Made in China 2025"-Strategie strebt China die Technologieführerschaft in der Welt an: auch durch Verdrängung der Konkurrenz und Zukäufe ausländischer oder besonders deutscher Hi-Tech-Firmen mit der Unterstützung staatlicher Banken. "Ich kritisiere das, anders als andere, nicht. Ich denke, dass auch wir in Deutschland und der EU eine absolut klare industriepolitische Strategie haben sollten, die den Umgang mit China und seinen Ambitionen einschließt", relativierte Bernd Westphal, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, gegenüber t-online.de. "Es kann doch langfristig nicht in unserem Interesse sein, wenn China mit verlockenden Investitionsprogrammen viele ost- und südosteuropäische Staaten an sich bindet."

"Rechtsstaatsdialoge mit China"

Dennoch wächst der Widerstand gegen chinesische Investitionen - vor allem dann, wenn es um sicherheitsrelevante Bereiche und die Sorge vor Wirtschaftsspionage der Chinesen geht. Sie wolle "auch im Handel über reziproken Zugang sprechen und die Fragen des geistigen Eigentums", sagte Merkel kürzlich in ihrem Podcast.

China ist für Deutschland wichtigster Handelspartner und Deutschland der größte chinesische Handelspartner in der EU. Anders als im Handel mit vielen anderen exportiert Deutschland aber weniger Waren nach China als umgekehrt.

Angesichts der Streitigkeiten um Menschenrechte und den Handel bleibt offen, welche Strategie in der China-Politik die Bundeskanzlerin und die Kanzlerin verfolgen. Die Parteien im Bundestag fordern von Merkel klare Worte, sind jedoch gegen Sanktionen. "Ein strikt menschenrechtsbasierter Ansatz müsste dann ebenso die wirtschaftlichen Beziehungen zu Saudi Arabien oder den USA einfrieren. Damit wäre aber Niemandem gedient", sagt Fabio De Masi, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag, t-online.de. Langfristige Rechtsstaatsdialoge mit China, etwa in der Ausbildung von Juristen, seien oft nützlicher.

Verwendete Quellen
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