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Jugendliche und Fundamentalismus | Das Gift des Islamismus entfaltet weiter seine Wirkung


Jugendliche und Fundamentalismus
Das Gift des Islamismus entfaltet weiter seine Wirkung

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 06.07.2018Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Eigenartige Vorstellungen von gutem Handeln: Mann in traditioneller Bekleidung vor einem Versammlungsort von Salafisten in Berlin.Vergrößern des Bildes
Eigenartige Vorstellungen von gutem Handeln: Mann in traditioneller Bekleidung vor einem Versammlungsort von Salafisten in Berlin. (Quelle: Florian Schuh/dpa)

Warum verfängt bei jungen Muslimen nicht selten fundamentalistisches Denken? Weil ihnen oft die Fähigkeit zu kritischem Hinterfragen fehlt,

Wer denkt, das Problem des Salafismus und Islamismus würde sich langsam von selbst erledigen, weil wir weniger in den Medien davon hören, irrt. Die Zahl der Extremisten steigt oder stagniert auf hohem Niveau, wie jüngst die Verfassungsschutzbehörden in Bremen und NRW und gestern in Brandenburg meldeten.

Somit entfaltet das Gift ihrer Gedanken weiter schleichend seine Wirkung in der Gesellschaft. Junge Muslime entwickeln nicht zuletzt deswegen mitunter eigenartige Vorstellungen von gutem Handeln. Sie definieren dieses Handeln nach fundamentalistischer Doktrin als bloßes Einhalten von Geboten. Wer auch die letzte (vermeintliche) Vorschrift Gottes noch detailliert befolgt, so glauben sie, sei ein guter Mensch und gehe ins Paradies ein.

Ich halte das für viel zu kurz gedacht und gefährlich. Gebote im Islam sind fast allesamt Verhandlungssache. Wer welches Gebot wie für gültig erachtet, hängt davon ab, welche Influencer jemand um sich hatte. Waren die Influencer islamistisch geprägt, kann die Katastrophe leicht ihren Lauf nehmen.

Was der Koran über Bestrafungen sagt

Daher wunderte es mich nicht sonderlich, als mich muslimische Jugendliche jüngst fragten: "Frau Kaddor, eigentlich müssten wir doch in Deutschland auch die Hadd-Strafen einführen. Der Koran schreibt das doch vor." Dann starrten sie mich so unbedarft wie naiv und erwartungsvoll an.

Das angebliche Gesetzbuch Koran und die Überlieferungen des Propheten Muhammad erwähnen aber gerade mal für sechs Vergehen konkrete Strafen. Das sind Diebstahl, Wegelagerei, widerrechtlicher Geschlechtsverkehr, falsche Bezichtigung der Unzucht, Alkoholkonsum und Abfall vom Islam. Sie sind dem Glauben nach mit den sogenannten Hadd-Strafen zu belegen. Das sind drakonische Mittel wie Auspeitschen, Hand abhacken, Steinigen oder Kreuzigen.

Diese Strafen prägen zwar heute vielfach den schlechten Ruf des Islam, in der Geschichte aber wurden sie kaum angewandt, was an den enorm hohen Hürden liegt, die das islamische Recht vor dem Vollzug solcher Strafen gestellt hat. Die Vergehen werden genau definiert, die Anforderungen für den Tatbeweis sind höchst kleinlich, und es gilt das Prinzip der schubha: man ist aufgefordert, aktiv den Zweifel an der Tat zu suchen.

All das macht Hadd-Strafen für den alltäglichen Gebrauch gänzlich unpraktisch, weswegen manche Gelehrte sie bloß für eine moralische Mahnung halten statt für eine konkrete Vorschrift. Keine Frage, dass sich Regimes im Iran, Sudan, in Saudi-Arabien darum nicht sonderlich scheren und die Hürden einfach missachten. Das ist eben der Charakter von Diktaturen.

Zu Zeiten Mohammeds galt das Recht des Stärkeren

Um die Hadd-Strafen einordnen zu können, muss man sich gedanklich ins 7. Jahrhundert auf die arabische Halbinsel zurückversetzen. Menschenrechtserklärungen gab es da noch nicht, es galt das Recht des Stärkeren, Brutalität hatte eine andere Bedeutung als heute: was wir als schlimm empfinden, war damals gang und gäbe. Kurz: Die Sicht auf die Welt war dereinst eine völlig andere.

In diese archaische Umgebung "platzte" die Offenbarung des Koran an Mohammed. Die Strafen, die damals offenbart wurden, setzten auf die vorhandenen gesellschaftlichen Gegebenheiten auf. Es gibt hierzu eine bekannte Geschichte im Islam: Mohammed hatte es mit ein paar unzufriedenen Beduinen zu tun gehabt. Sie waren zum Islam konvertiert, wollten aber nicht mehr in seiner Gemeinschaft leben.

Also ließ Mohammed sie hinaus in die Wüste ziehen. Dort stießen sie auf seine Kamele. Sie töteten den Viehhüter und trieben die Herde davon. Mohammed ließ nach ihnen suchen. Als sie gestellt wurden, bestrafte er sie hart. Ihnen wurden die Augen ausgestochen, bevor man sie der Wüste Arabiens überließ. Daraufhin, so besagt es die Tradition, bekam Mohammed eine Offenbarung zu jenen Hadd-Strafen, die ihn lehrte, solch grausame Dinge nicht mehr zu machen.

Der Kontext der Gebote ist wichtig

Was für uns heute als brutal erscheint, wurde früher als Abmilderung betrachtet. Das entspricht dem Grundcharakter des Koran, der das Handeln der Menschen gerechter, moderater und verbindlicher gestalten will, als es zuvor üblich war. Dieser Grundcharakter ist zeitlos, während spezifische Regelungen vom jeweiligen Kontext abhängig sind.

Man stelle sich vor, Mohammad würde seine Offenbarungen im 21. Jahrhundert in Deutschland erhalten, dann träfe er auf eine Gesellschaft, die von unserem Grundgesetz geprägt ist. Mit Regelungen aus dem 7. Jahrhundert würde man sie radikalisieren und ungerechter machen, was gegen den zeitlosen Geist des Koran verstieße. Dass die Hadd-Strafen heute aus der Zeit gefallen sind wie die Sklaverei, zeigt schon, dass von Vergehen wie Wegelagerei die Rede ist.

Um insbesondere junge Menschen aufzuklären, muss die Befähigung zum kritischen Denken vermittelt werden. Zu vielen muslimischen Jugendlichen wird jedoch beigebracht, religiöse Dinge gerade nicht zu hinterfragen. Islamische Religionspädagogik sieht bislang zu häufig so aus, dass die Lehrenden froh sind, wenn ihre Schüler das Gesagte schlucken und nicht bezweifeln. Diese Haltung bereitet den perfekten Humus, auf dem islamistisches Gedankengut gedeihen kann.

Das Ergebnis sind dann jene Vorstellungen, wonach doch "eigentlich" auch in Deutschland Delinquenten exekutiert und Gliedmaßen amputiert werden müssten. Auch wenn das außer echten Extremisten niemand tatsächlich anstrebt, solche theologischen Erwägungen stellen eine vollkommene Verirrung dar, die vor allem Eltern, aber auch Moscheen und Schulen herausfordert – umso mehr, als radikale Rattenfänger weiter mit genau solchen Vorstellungen rekrutieren.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin und Publizistin. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnisten auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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