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Sündenfall der SPD: Wie Luxemburg und Liebknecht starben


Mord vor 100 Jahren
Sündenfall der SPD: Wie Luxemburg und Liebknecht starben

Von Helena Serbent

14.01.2019Lesedauer: 6 Min.
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Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg; Vor 100 Jahren wurden die Gründer der KPD ermordet.Vergrößern des Bildes
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg: Vor 100 Jahren wurden die Gründer der KPD ermordet. (Quelle: t-online.de/imago-images-bilder)

Am 15. Januar 1919 werden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet. Die Täter: Ein geheimes Freikorps-Mordkommando. Der Sozialdemokrat Gustav Noske gilt als Verbündeter. Die Morde markieren den finalen Bruch zwischen Linken und Sozialdemokraten.

Der 15. Januar 1919, kurz vor Mitternacht. Vom bewölkten Himmel fällt leichter Schnee über Berlin, die Luft ist feucht. Eine Frau wird aus der Lobby des "Hotel Eden" am Zoologischen Garten gezerrt. Ein Pöbel aus Männern, der sie dort erwartet, brüllt: "Schlagt sie tot!" Ein Soldat schlägt ihr einen Gewehrkolben gegen den Kopf. Die Frau fällt bewusstlos zu Boden. Der Mann stößt mit den Kolben ein weiteres Mal zu, wieder gegen ihren Kopf. Die umstehenden Offiziere beginnen auf die Frau einzuschlagen, einer stiehlt ihre Schuhe. Schließlich wird der regungslose Körper auf den Rücksitz eines Autos gepackt. Der Motor geht an, der Wagen fährt los. Ein Offizier springt auf das Trittbrett und schießt der Frau in den Kopf. Die Leiche wird im Landwehrkanal versenkt. Rosa Luxemburg ist tot.

Sie stirbt nur wenige Stunden später, nachdem auch ihr Parteifreund Karl Liebknecht von einer Geheimtruppe im Auftrag des Generalstabsoffiziers Waldemar Papst misshandelt und ermordet wurde.

Rosa Luxemburg: Marxistin seit frühester Jugend

1871: Rozalia Luksenburg wird in Zamość, im zu Russland gehörenden Königreich Polen geboren. Zu Hause sprechen Luxemburgs, wie sie sich nach dem Schreibfehler einer Behörde nennen, Deutsch und Polnisch. Rosa liest Karl Marx’ Hauptwerk, "Das Kapital" und "Das kommunistische Manifest". Die darin beschriebene Ausbeutung der Arbeiterklasse wird ihr größter Antrieb, sich für den Klassenkampf zu engagieren. Luxemburg will sich nicht mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten abfinden. Nach dem Abitur wird ihr die Auszeichnung für ihre herausragenden schulischen Leistungen verweigert – sie sei zu rebellisch. In Zürich promoviert sie 1897 mit Auszeichnung in Rechtswissenschaften. Da ist sie 26 Jahre alt und glühende Marxistin.

Für die deutsche Staatsangehörigkeit heiratet Luxemburg 1898 einen deutschen Schlosser. So kann sie Mitglied der progressivsten, europäischen Arbeiterpartei werden: der SPD. Fortan lebt sie in Berlin und wird Wortführerin des linken Flügels der Sozialdemokraten. Sie kämpft gegen das an, was sie am meisten verabscheut: den militärischen Nationalismus.

Liebknecht: Zu links für Vaters Erbe

Während Luxemburgs Elternhaus als eher unpolitisch einzuordnen ist, wird dem gleichaltrigen Karl Liebknecht der Marxismus in die Wiege gelegt: Seine Taufpaten sind Karl Marx und Friedrich Engels persönlich. Mitglied der SPD wird der Rechtsanwalt Liebknecht erst zwei Jahre nach Luxemburg, 1900, und das, obwohl sein Vater Wilhelm die Partei mitbegründete. 1912 zieht Liebknecht als SPD-Abgeordneter in den Reichstag ein.

Die sozialdemokratischen Parteigenossen werden für Liebknecht und Luxemburg im Laufe der Geschichte zum politischen Feind. Am 4. August 1914 stimmt die SPD-Reichstagsfraktion einstimmig mit den übrigen Fraktionen für die Aufnahme der ersten Kriegskredite. Damit ermöglicht auch sie die Mobilmachung Deutschlands für den Ersten Weltkrieg.

Für die Antimilitaristin Luxemburg ist das zu viel. Mit den übrigen Kriegsgegnern in der SPD gründet sie die "Gruppe Internationale", aus der später der Spartakusbund hervorgehen wird. Kriegsgegner Liebknecht schließt sich an.

Als im Dezember 1914 eine zweite Abstimmung für erneute Kriegskredite ansteht, stimmt Liebknecht als einziger SPD-Abgeordneter dagegen. Am 2. Januar 1916 schließt seine Fraktion Liebknecht aus. Drei Monate später spalten sich die linken Kriegsgegner in der SPD um Luxemburg als USPD ("Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschland") ab. Wegen ihres offenen Antimilitarismus müssen Luxemburg und Liebknecht ins Gefängnis – die Anklage lautete auf Landesverrat. Das Verhältnis zwischen Sozialdemokraten und linkeren Sozialisten ist zerrüttet.

1918: Es lebe die (sozialistische) Republik

Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 erhofft sich die sozialistische Gruppierung um Luxemburg eine Revolution wie in Russland. Auf die Monarchie soll eine sozialistische Räterepublik folgen. Nachdem der Sozialdemokrat Philip Scheidemann am 9. November die Republik ausruft, hält auch Liebknecht vor dem Berliner Stadtschloss eine Rede: "In dieser Stunde proklamieren wir die sozialistische Republik Deutschland." Er kommt allerdings zu spät.

Zunächst führen die Mehrheitssozialdemokraten und USPD trotzdem gemeinsam den regierenden Rat der Volksbeauftragten. Dieser übernimmt, mit dem SPD-Reichskanzler Friedrich Ebert an der Spitze, die Regierung. Doch die MSPD, wie die Ur-SPD sich nun nennt, sucht nicht die Aussöhnung mit der sozialistischen Schwesterpartei. Die Differenzen sind mittlerweile zu groß und gehen über die Haltung zum Krieg hinaus: Sozialisten und Kommunisten wollen die Revolution, die MSPD strebt den Ausbau der demokratischen Gesellschaft und freie Wahlen an.

Als im November 1918 Generalleutnant Wilhelm Groener dem Sozialdemokraten Ebert telefonisch die Loyalität und Unterstützung der Obersten Heeresleitung anbietet, können sich die beiden Männer schnell auf die Bedingung dieser Verbindung einigen: Groener will den "Bolschewismus", wie die Militärs alles Linke nennen, aufhalten.

Wenn man der Militärpropaganda glaubt, die zwischen 1918 und 1919 immer wieder zur Ermordung der Spartakus-Mitglieder aufruft – besonders der von Liebknecht – könnte man meinen, dass Deutschland kurz davor stand, eine Räterepublik zu werden. Der Journalist Michael Sontheimer widerspricht dem in seinem Artikel "Blutiger Beginn": "Die Anhänger der radikalen Linken waren wenige, isoliert und schlecht organisiert." Ein sozialistischer Umsturz wäre demnach unrealistisch gewesen.

Doch Ebert und seine Gefolgsleute haben die Entwicklung des russischen Bürgerkriegs vor Augen und Lenins Worte, dass die kommunistische Weltrevolution über Deutschland gehen müsse, im Ohr. Die Angst vor einem Umsturz, wie unrealistisch er zu dieser Zeit auch sein mag, wächst.

Der Januaraufstand

Ende 1918 gründen Liebknecht und Luxemburg mit Gesinnungsgenossen die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Als der Berliner Polizeichef Emil Eichhorn, Mitglied der USPD, am 4. Januar 1919 entlassen wird, erscheint den Linken dies als konterrevolutionärer Akt. Bei einem Generalstreik und anschließenden bewaffneten Kämpfen in Berlin vom 5. bis 12. Januar 1919, versuchen verschiedene linke Gruppen die Revolution wieder voranzubringen. Ein weiteres Ziel: Die demokratischen Wahlen sollen verhindert werden, die Räterepublik soll kommen. In Berlin herrscht in diesen Tagen eine Art Bürgerkrieg. Anhänger von KPD, USPD und des Spartakusbunds schließen sich den Protesten an, doch weder Luxemburg noch Liebknecht sind von diesem Aufstand begeistert. Liebknecht unterstützt ihn schließlich eher notgedrungen, Luxemburg dagegen bleibt distanziert.

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Um die Aufständischen niederzuschlagen, kooperieren die Oberste Heeresleitung und Friedrich Eberts MSPD miteinander. Der Sozialdemokrat Gustav Noske meldet sich freiwillig, als Volksbeauftragter für Heer und Marine, den Aufstand zu beenden. Noske, der bald als "Bluthund" tituliert wird, schlägt mit den ihm unterstellten Freikorps-Soldaten jede Form von Protest blutig nieder. Auch Unterhändler, die friedliche Übergaben von besetzten Behörden vereinbaren, werden von Noskes Männern erschossen.

Das Ende der Genossen

Den Befehl, Liebknecht und Luxemburg als Verbündete der Aufständischen zu ermorden, gibt der Offizier Waldemar Pabst. Er will die populärsten Gegner — Ikonen der Linken — aus dem Weg geräumt wissen. Zuvor sichert er sich ab: Den politischen Verbündeten MSPD will er nicht verlieren. Noske, der ehemalige Genosse und Parteifreund von Liebknecht und Luxemburg, gibt Pabst Rückendeckung, wenn nicht indirekte Ermunterung.

Als sie merken, dass der Aufstand keine Chance hat und sie um ihr Leben fürchten müssen, verstecken sich Luxemburg und Liebknecht in der Wohnung eines Verbündeten. Jemand muss sie verraten haben, denn am 15. Januar, am späten Abend, steht eine Gruppe Soldaten vor der Tür. Liebknecht und Luxemburg werden aus der Wohnung in Berlin-Wilmersdorf getrennt voneinander ins "Hotel Eden" gebracht und Pabst vorgeführt. Wenige Stunden später sind sie tot.

Ikonen der DDR

Luxemburgs Leiche wird erst vier Monate später aus dem Landwehrkanal gezogen. Da liegt ihr leerer Sarg längst unter der Erde. Deutschland ist an einem Bürgerkrieg vorbeigeschrammt. Für Kommunisten und Sozialisten sind Luxemburg und Liebknecht Märtyrer. Linke Parteien und Regime beziehen sich bis heute auf sie und verwenden ihre Aussagen nach Bedarf.

Mit Gedenkmärschen wird den KPD-Gründern in der DDR gedacht, Luxemburg Plätze, Straßen und Schulen gewidmet. Doch auch, als die DDR-Bürgerinnen und -Bürger in den Achtzigerjahren gegen den Staat auf die Straße gehen, proklamieren sie sich Luxemburgs berühmtesten Ausspruch: "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden."

Die Konsequenzen der Morde

Noske hat die Morde an Liebknecht und Luxemburg gebilligt. Sie waren der Preis für ein politisches Bündnis, das Noske und die übrigen führenden Sozialdemokraten als nützlich erachtet haben. Diese Billigung kann als Sündenfall in der Beziehung zwischen Sozialdemokraten und Sozialisten gesehen werden.

Bis heute zählt die Ermordung von Luxemburg und Liebknecht zu dem schmerzlichen Mythos der politischen Linken. Ein Grund dafür ist die geringe bis kaum erfolgte Strafe der Täter. Der Soldat Runge, der auf Luxemburg und Liebknecht mit dem Gewehrkolben eingeschlagen hatte, erhält zwei Jahre und zwei Wochen Gefängnis. Der Oberleutnant Vogel wird zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Alle anderen Beteiligten werden freigesprochen, auch Hermann Souchon, der laut Zeugenaussagen Luxemburg erschossen hat. Gustav Noske wird nie in irgendeiner Form belangt.

Der "Bluthund" Noske geht als erster sozialdemokratischer Militärminister in die deutsche Geschichte ein. Für die SPD ist er heute vor allem der Mann, der am Widerstand des 20. Juli 1944 gegen Hitler beteiligt war.

Auch heute sorgt die Beteiligung Noskes für Diskussionsstoff. Klaus Gietinger, Rosa-Luxemburg-Forscher und andere linke Intellektuelle fordern die Sozialdemokraten dazu auf, die Verantwortung für den Mord an der KPD-Mitbegründerin im Januar 1919 zu übernehmen. Tatsächlich spricht die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles 2018 davon, dass Noske bei der Ermordung Luxemburgs "seine Hände im Spiel hatte". Doch im Januar dieses Jahres relativiert sie ihre Aussage: Es gäbe keine "endgültigen Beweise" für Noskes Schuld.

Ein wahres Schuldeingeständnis ist offenbar auch 100 Jahre nach dem Doppelmord an Luxemburg und Liebknecht ein zu großer Schritt, um die Kluft zwischen Linken und Sozialdemokraten zu überwinden.

Verwendete Quellen
  • Mark Jones: Am Anfang war Gewalt
  • Geo Epoche: Die Mörder Rosa Luxemburgs
  • Spiegel Geschichte: Blutiger Beginn
  • Spiegel: Waldemar Pabst
  • Spiegel: SPD will keine Schuld an Rosa-Luxemburg-Mord tragen
  • Deutschlandfunk: Die Gründung der USPD
  • Kate Evans: Red Rosa
  • Historisches Wetter: 19.01.19 Berlin
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