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Leser zum Grundgesetz: "Der erste Artikel ist das Beste am Grundgesetz"


Leser zum Verfassungs-Jubiläum
"Der erste Artikel ist das Beste am Grundgesetz"

Von Charlotte Janus

Aktualisiert am 23.05.2019Lesedauer: 5 Min.
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t-online.de-Leser Hilke Brinker und Wilfried PolzinVergrößern des Bildes
t-online.de-Leser Hilke Brinker und Wilfried Polzin: Beide sind so alt wie die das Grundgesetz. (Quelle: imago-images-bilder)

Die Hoffnung auf neue Freiheit, Erfahrungen mit Grenzkontrollen und die deutsch-französische Freundschaft. Zwei t-online.de-Leser, beide geboren im Jahr 1949, sprechen über die Bedeutung des Grundgesetzes und der Demokratie in ihrem Leben.

Seit siebzig Jahren leben die Menschen der Bundesrepublik nun mit dem Grundgesetz. Wie hat die zunächst als Provisorium gedachte Nachkriegsverfassung das Leben der Bürger beeinflusst? Wir haben die t-online.de-Leser gefragt, was sie mit dem Grundgesetz und der Demokratie in der Bundesrepublik verbinden. Zwei Leser haben uns ihre Gedanken und Erlebnisse ausführlich geschildert.

Wilfried Polzin (69), wohnhaft in Frankfurt am Main

Wilfried Polzin ist als Sozialarbeiter in der Jugendhilfe und in einer psychologischen Beratungsstelle tätig. Wilfried – so nannte ihn seine Mutter ganz bewusst, als er Anfang Juni 1949, kurz nach der Gründung der Bundesrepublik, zur Welt kam. Der Name bedeutet "der den Frieden will". So wollte seine Mutter ihren Wunsch nach Frieden und die Hoffnung auf einen Neubeginn ausdrücken. Bis heute findet er diesen Gedanken schön und trägt seinen Namen mit Stolz.

t-online.de: Herr Polzin, welche Rolle hat das Grundgesetz in Ihrem bisherigen Leben gespielt?

Polzin: Ich glaube, dass unsere freiheitliche Verfassung bis ins Arbeits- und Privatleben ausstrahlt. Ich habe nie Probleme bekommen, wenn ich meine Meinung zu den Dingen des Lebens freimütig geäußert habe. Unsere Vorfahren oder die Menschen in der ehemaligen DDR, denke ich, konnten sich nie sicher sein, ob nicht ein Kollege, ein Nachbar oder sogar Familienangehörige Meldung bei einer Behörde machen würden und sie dadurch Nachteile bekommen könnten.

Was bedeutet für Sie die Demokratie in Deutschland?

Es ist ein stetiges Ringen der Parteien, der großen Verbände, der Gewerkschaften und Kirchen, damit alle Bürger zu ihren Rechten kommen, insbesondere Minderheiten. Mir ist jedoch klar, dass diejenigen, die die Produktionsmittel in ihren Händen halten, zu viel Macht und Möglichkeiten haben, um ihre Ziele durchzusetzen.

Ich bin froh, dass wir die verschiedenen unabhängigen Medien und vor allem das Internet haben. Sie kontrollieren als "Vierte Gewalt" das Treiben der Politik und Wirtschaft. Ohne Aufklärungsjournalismus sähe es um die Rechte des Bürgers schlechter aus.

Gibt es für Sie bestimmte Schlüsselereignisse in der Geschichte der Bundesrepublik?

Die Regierungserklärung Willy Brandts im Jahr 1969, in der er verkündet hat, "wir wollen mehr Demokratie wagen". Willi Brandt hat, wie kein anderer vor ihm, die demokratische Entwicklung vorangetrieben und verkrustete Strukturen aufgebrochen. Mit ihm haben auch neue Zeiten im Umgang mit den Vertretern der DDR begonnen. Noch heute lese ich hin und wieder in dieser Regierungserklärung – sie war und ist für mich ein Leitfaden für die Demokratie.

Ein ganz zentrales Erlebnis war natürlich die Wiedervereinigung 1989. Ich habe in meiner Jugend vier Jahre in West-Berlin gelebt und so direkt erfahren, was die Trennung für viele Familien, die Angehörige in der DDR hatten, bedeutet hat.

Ein weiteres Schlüsselerlebnis hat das Jahr 2015 gebracht, als Bundeskanzlerin und Regierung entschieden, die Flüchtlinge, die in Ungarn feststeckten, ohne Kontrolle in die Bundesrepublik einreisen zu lassen. Das war eine großartige humane Geste. Nur so konnte eine menschliche Katastrophe vermieden werden.

Wie haben Sie die Teilung persönlich erlebt?

Während ich in Westberlin gelebt habe, musste ich die strengen Grenzkontrollen bei den Reisen zwischen meinem Heimatort und Berlin ertragen. Mir war schnell klar, dass es nicht darum ging, meine Ein- oder Ausreise zu verhindern, sondern die Ausreise der eigenen Bürger. Die DDR war für mich ein Gefängnis für 20 Millionen! Sie mussten weitaus mehr ertragen als ein paar lästige Kontrollen.

Wie sehen Sie die Zukunft Deutschlands?

Für mich sind Deutschland und Frankreich treibende Kräfte in der Verwirklichung der EU. Ich hoffe, dass beide Länder es schaffen werden, die Union nicht nur zusammenzuhalten, sondern dazu beitragen, dass eines Tages alle Menschen in Europa in den Genuss all dessen kommen, was wir seit Langem haben: Freiheit und Wohlstand.

Ich muss dazu sagen, dass ich mir am Ende eines Wandlungsprozesses die EU als Vereinte Staaten von Europa vorstelle, ein Europa der Regionen, mit einem Senat, der aus Vertretern aller Regionen besteht, entsprechend der Größe der Region.

Hilke Brinker (70), wohnhaft in Potsdam

Hilke Brinker wuchs in der Umgebung von Bremen auf. Sie hat Hotelfachfrau gelernt, und hat viel von der Welt gesehen. Später hat sie Kulturpädagogik studiert. Seit 18 Jahren lebt Hilke Brinker in Potsdam und leistet generationenübergreifende Arbeit.

t-online.de: Frau Brinker, Sie sind etwa genauso alt wie das Grundgesetz. Spielt das für Sie eine Rolle?

Brinker: Ja. Es ist der einzige Tag, der ganz persönlich zu einem Menschen gehört. Ich wurde im Mai 1949 geboren und war demnach immer so alt wie die beiden deutschen Republiken und das Grundgesetz. Die Erfahrungswerte, die man bis ungefähr zu seinem 21. Lebensjahr sammelt, die sind prägend bis ins hohe Alter.

Wie sieht diese Prägung denn aus?

Ich gehöre einer ausgesprochenen Umbruchgeneration an. Die Achtundsechziger waren sehr geprägt von ihrer Elterngeneration und besonders ihren Vätern. Wir, die etwas Jüngeren, hatten schon etwas mehr Luft. Auf uns hat der Nationalsozialismus nicht mehr so sehr gelastet. Die Jahre nach 1949 waren schon so, dass man lernen konnte, was es auf der Welt außer einer Diktatur gibt. Der erste Artikel: "Die Würde des Menschen ist unantastbar", ist das Beste, was damals in das Grundgesetz hineingeschrieben wurde.

Welche Bedeutung hat die deutsche Demokratie für Sie?

Da ich in der ehemaligen britischen Zone, in der Gegend um Bremen, aufgewachsen bin, gehöre ich zu den ersten Schuljahrgängen, die Demokratie erlernen durften. Die Briten haben das demokratische Prinzip hierher mitgebracht. Wir haben in der Schule viele Diskussionen darüber geführt, was Demokratie ist. Dazu gehörte das Erlernen einer Pro-Kontra-Debatte, zu erkennen, dass jede Sache immer mindestens zwei Seiten hat und insbesondere, wie man einen Kompromiss findet. Es muss diskutiert und dann darüber entschieden werden, welchen Weg man gemeinsam gehen will. Dieses gemeinsame Gehen eines Weges halte ich für sehr wichtig.

Gibt es bestimmte Ereignisse in Ihrem Leben, die Sie mit der Bundesrepublik verknüpfen?

Ich bin ein erstes Produkt des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages, den die Großvätergeneration in Gestalt Adenauers und de Gaulles ausgehandelt hatten. Mit einer Gruppe von 30 jungen Leuten haben wir 1969 im Schwarzwald im Forst gearbeitet. Es waren junge Leute aus Frankreich und aus Deutschland, die sich darüber Gedanken gemacht haben, wie man Dinge miteinander gestaltet. Die Deutschen und die Franzosen wollten in der damaligen Zeit noch gerne herausfinden, was an den anderen verkehrt war. Wenn man gemeinsam etwas zustande bekommen hat, dann stellt sich die Frage der Nationalitäten aber nicht mehr. Das verbindet, das versichere ich Ihnen. Bis heute habe ich Freunde in Frankreich.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Serie zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes: t-online.de blickt auf das erste Jahrzehnt der Bundesrepublik zurück. Im Multimedia-Spezial und auf unserer Homepage t-online.de finden Sie zahlreiche Beiträge zu dieser Zeit.

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