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Altkanzler Gerhard Schröder: "Die Entzauberung der Grünen hat begonnen"


Klartext vom Altkanzler
Die Entzauberung der Grünen

MeinungVon Gastautor Gerhard Schröder

Aktualisiert am 28.05.2021Lesedauer: 4 Min.
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Robert Habeck und Annalena Baerbock: "Teils wenig hilfreiche, teils sogar gefährliche Äußerungen des grünen Spitzenpersonals"Vergrößern des Bildes
Robert Habeck und Annalena Baerbock: "Teils wenig hilfreiche, teils sogar gefährliche Äußerungen des grünen Spitzenpersonals" (Quelle: imago-images-bilder)

Politische Erfahrung ist nicht alles, aber viel. Das zeigen die törichten Aussagen des grünen Spitzenpersonals. Die Partei wird derzeit auch deshalb überschätzt, weil bei der Wahl im Herbst ebenfalls die soziale und ökonomische Kompetenz zählt.

Wir stehen vor einem der interessantesten, wenn nicht dem spannendsten Bundestagswahlkampf seit dem Jahr 2005. Das liegt vor allem daran, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik die Amtsinhaberin beziehungsweise ein Amtsinhaber nicht wieder antritt. Es hat aber auch damit zu tun, dass es rund vier Monate vor der Wahl keinen klaren Favoriten gibt: Sowohl die Union als auch die Grünen und die SPD haben nach jetzigem Stand die Chance, die künftige Regierung anzuführen.

Die Entzauberung der Grünen hat bereits begonnen. Das hat mit teils wenig hilfreichen, teils sogar gefährlichen Äußerungen des grünen Spitzenpersonals zu tun: Der Co-Vorsitzende Robert Habeck äußerte sich zuletzt in leichtsinniger und verantwortungsloser Weise zu Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock genehmigte sich selbst einen Corona-Bonus, der eigentlich denen zustehen sollte, die in der Pandemie Außergewöhnliches geleistet haben, wie etwa Pflegekräfte oder Supermarktbeschäftigte. Politikerinnen und Politiker gehören nicht dazu.

Wir dürfen nicht unsere Zukunft gefährden

Politische Erfahrung ist sicherlich nicht das einzige Kriterium bei der Frage, wer ein Land wie Deutschland führen sollte. Aber die genannten Beispiele zeigen, dass Erfahrung von Vorteil ist, um Fehler zu vermeiden. Alle bisherigen Kanzler und Kanzlerin Merkel waren zuvor Ministerpräsidenten, hatten ein Amt in der Bundesregierung inne beziehungsweise waren im Fall von Konrad Adenauer Oberbürgermeister einer Großstadt. Natürlich kann man bei der Wahl einer Bundeskanzlerin oder eines Bundeskanzlers auf diese Amtserfahrungen verzichten – aber es birgt eben auch Risiken, wie man an den törichten Aussagen der letzten Tage sehen kann.

Für die meisten Bürgerinnen und Bürger wird bei der Stimmabgabe die Frage entscheidend sein, wie wir soziale Sicherheit, Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland sichern. Nicht allein ökologische, sondern auch soziale und ökonomische Kompetenzen werden von Bedeutung sein.

Deutschland ist eine der größten Volkswirtschaften der Welt, wir leben von unserer starken industriellen Basis und vom Export. Wenn wir diese Wettbewerbsvorteile aufs Spiel setzen, gefährden wir nicht nur unsere eigene Zukunft, sondern auch die der gesamten Europäischen Union. Denn Deutschland kommt zusammen mit Frankreich die Führungsrolle in Europa zu.

Das Ziel der Klimaneutralität teilen wir alle. Es ist wichtig, und wir werden es, wenn wir Innovationen fördern, erreichen können. Aber auch hier gilt: Augenmaß und Verlässlichkeit sind entscheidend. Alles, was geplant ist, muss auch umsetzbar sein und darf unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährden. Daher darf der Klimaschutz, so wichtig er ist, nicht verabsolutiert werden.

Denn wir haben in diesem Land einen enormen Reformbedarf, wenn wir unseren Lebensstandard halten wollen. Deshalb wird man auch gewählt, um den jungen Menschen, die aus den Schulen und Universitäten kommen, eine sichere Zukunft zu ermöglichen. Man wird auch gewählt, weil wir etwas gegen den drohenden Mangel an Arbeitskräften tun müssen. Man wird auch gewählt, weil wir zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit massiv in unsere Infrastruktur wie Digitalisierung sowie Straßen und Schienen investieren, und diese Investitionen solide finanzieren müssen. Man wird gewählt, damit die Älteren eine sichere und auskömmliche Rente und wir alle ein funktionierendes Gesundheitssystem mit gut bezahlten Pflegekräften haben.


Gerhard Schröder war von 1998 bis 2005 Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. An der Spitze einer rot-grünen Bundesregierung setzte er damals unter anderem umfassende Sozialreformen (Hartz-Gesetze) durch. Der 77-Jährige arbeitet heute als Rechtsanwalt in Hannover, wo er mit seiner Frau, der südkoreanischen Wirtschaftsexpertin Soyeon Schröder-Kim, lebt. Außerdem ist er Aufsichtsratsvorsitzender des russischen Energiekonzerns Rosneft und der Pipeline Nord Stream.

Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz liegen in den Umfragen nah beieinander. Das zeigt, dass die Wählerinnen und Wähler noch kein abschließendes Urteil getroffen haben und einige Bewegung in den Wahlabsichten möglich ist. Olaf Scholz kann mit Sachverstand und Zuverlässigkeit punkten, denn er beweist als Bundesfinanzminister nicht nur, dass er inhaltlich auf der Höhe der Zeit ist, sondern auch, dass er die internationale Szenerie genau kennt und sich dort zu verhalten weiß.

Die demokratischen Parteien haben gewaltigen Nachholbedarf

Armin Laschet wiederum hat sich in einem internen Machtkampf sehr respektabel gegen einen allzu forschen Markus Söder durchgesetzt und damit seinen Führungsanspruch bewiesen. Ihn darf man nicht unterschätzen. Er hat die CDU im Jahr 2017 im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen wieder an die Macht geführt. Beide Kandidaten haben gute Chancen, dass sie mit ihren Kompetenzen die Umfragewerte ihrer jeweiligen Parteien wieder verbessern.

Der Wahlkampf 2021 wird aber auch aus einem weiteren Grund komplett anders werden als frühere. Mein letzter Wahlkampf im Jahr 2005 war von Großkundgebungen geprägt mit Zehntausenden von Besucherinnen und Besuchern. Doch der Straßenwahlkampf ist weitgehend Vergangenheit. Das hat nicht nur mit den durch die Corona-Pandemie verursachten Einschränkungen zu tun, sondern auch mit dem Wandel der öffentlichen Meinungsbildung, die nun verstärkt über soziale Medien erfolgt.


Die demokratischen Parteien haben hier noch einen gewaltigen Nachholbedarf und müssen in ihren Positionierungen noch schneller und pointierter werden, um Aufmerksamkeit zu generieren. Leider gelingt dabei nicht immer, politisch tiefgründig zu argumentieren. Aber die demokratischen Parteien dürfen dieses Feld nicht extremen Rechten, Querdenkern oder anderen verschrobenen Bewegungen überlassen.

Und als Trost an alle, deren Umfragewerte zurzeit nicht besonders rosig sind, kann ich aus eigener Wahlkampferfahrung sagen, was das Wichtigste ist: Man muss fest an sich glauben und davon überzeugt sein, dass man trotz alledem gewinnt. Nur mit dieser Überzeugung kann man mobilisieren. Ob man das schafft, weiß man nicht, aber man darf den Mut nicht verlieren. Mein Motto lautete nach Heinrich Heine stets: "Schlage die Trommel und fürchte dich nicht!" Denn wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Ohne diese Einstellung wären meine Wahlsiege nicht möglich gewesen.

Und mit Blick auf den Wahltag gibt es schon heute eine gute Nachricht, egal, wer am Ende den Wahlsieg einfahren wird: Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern noch immer ein Hort der politischen Stabilität – und wird es auch bleiben. Auch künftig gibt es eine Politik, die auf Vernunft und Kompromiss setzen wird. Denn weder die irrlichterne Linke noch die rechtsextreme AfD werden bei der Koalitionsbildung eine Rolle spielen. Darum beneiden uns im Ausland sehr viele Menschen. Und wir sollten am Wahltag daher alles tun, damit das so bleibt.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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