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Exklusive Zahlen zu "Querdenkern" im Polizeidienst: Dein Freund und Zweifler


Exklusive Zahlen
"Querdenker" im Polizeidienst: Dein Freund und Zweifler

  • Annika Leister
Von Annika Leister

15.11.2021Lesedauer: 6 Min.
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Polizisten bei einem Corona-Protest (Symbolbild): Mehrere Bundesländer führen Disziplinarverfahren gegen Beamte wegen Verstößen gegen die Corona-Regeln.Vergrößern des Bildes
Polizisten bei einem Corona-Protest (Symbolbild): Mehrere Bundesländer führen Disziplinarverfahren gegen Beamte wegen Verstößen gegen die Corona-Regeln. (Quelle: serienlicht/imago-images-bilder)

Polizisten sind verpflichtet, die Corona-Regeln durchzusetzen. Doch auch in ihren Reihen gibt es "Querdenker". Eine Recherche von t-online zeigt, in welchen Bundesländern die meisten Maßnahmen-Gegner in Uniform unterwegs sind.

Ob bei der Maskenpflicht, der 2G-Regel in der Gastronomie oder bei Beschränkungen von Demonstrationen: Polizisten sind in der Pandemie die wichtigsten Hüter der Corona-Verordnungen. Sie sind dazu verpflichtet, auf den Straßen durchzusetzen, was Politik und Gerichte zum Schutz der Bevölkerung erlassen. Nie war die Belastung für Einsatzkräfte dabei krasser als in dieser Pandemie, nie zuvor mussten sie Regeln umsetzen, die so empfindlich in unser Leben eingreifen.

Die Schlüsselrolle der Polizei ist auch Gegnern der Corona-Maßnahmen sehr bewusst. "Stellt euch an unsere Seite" war vor allem in der Anfangszeit auf Corona-Demonstrationen ein verbreiteter Sprechchor, gerufen aus Hunderten von Kehlen vor Polizisten in Spalier. Und immer wieder werden Fälle öffentlich diskutiert, in denen Polizisten oder ehemalige Beamte das tatsächlich tun.

Mal treten sie als Redner in Uniform auf Demonstrationen der "Querdenker" auf. Mal kumpeln sie am Rande von Protesten mit Führungsfiguren der Bewegung. Der pensionierte bayerische Polizist Karl Hilz hat mit dem Verein "Polizisten für Aufklärung" gar einen Verein gegründet, der sich der Lobbyarbeit für Maßnahmen-Kritik unter Polizisten verschreibt. Der Verein will unter anderem auch "Ansprechpartner bei dienstlichen Gewissenskonflikten" sein, wie er auf seiner Homepage schreibt.

Wie oft bricht das empfindliche Scharnier? Wie häufig richten sich Polizisten selbst gegen die Maßnahmen, zu deren Umsetzung sie verpflichtet sind? Und wie greifen Behörden in diesen Fällen durch?

t-online hat die Innenministerien und -verwaltungen aller 16 Länder gefragt, wie häufig Beamte im Zusammenhang mit der Corona-Politik gegen ihre Pflichten verstoßen haben. Deutlich wird bei den Antworten: In einigen Bundesländern ist das Problem größer als in anderen – oder man ist dort bereits sehr viel stärker für das Problem sensibilisiert.

Thüringen: Höchste Fallzahl unter den Landespolizeien

Thüringen hat von den Ländern, die sich auf Anfrage äußerten, die meisten Fälle zu verbuchen. 21 Disziplinarverfahren gegen Beamte der Polizei und nachgeordneter Behörden verzeichnet das Bundesland seit Beginn der Pandemie. In den Fällen bestehe unter anderem der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens im Zusammenhang mit den Corona-Regeln, "insbesondere Verstöße gegen Abstands/Maskenregelung oder Ansammlungsverbote oder pflichtwidrige Äußerungen in dem Zusammenhang", teilt das Innenministerium auf Nachfrage von t-online mit.

Die "überwiegende Zahl" der Disziplinarverfahren sei derzeit noch nicht abgeschlossen. "Vereinzelt" seien die Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt oder eine Missbilligung oder ein Verweis ausgesprochen worden. Eine Entlassung oder Entfernung aus dem Dienst sei in keinem Fall erfolgt.

Das Innenministerium betont: Bei den Fällen handele es sich um Einzelfälle. "Eine weitverbreitete Corona-Skepsis oder die flächendeckende Ablehnung von coronapolitischen Maßnahmen ist im Ressort gegenwärtig nicht erkennbar."

Sachsen: Verweise, Zwangsurlaub, Geldbuße

Der Freistaat gilt als eine der Hochburgen von "Querdenkern" und Gegnern der Corona-Maßnahmen. Zwei prominente Fälle von ehemaligen Polizisten, die gegen die Corona-Politik zum Widerstand aufrufen, sind öffentlich bekannt: Steffen Janich und Karsten Hilse.

Beide sitzen inzwischen für die AfD im Bundestag. Janich wurde bereits vor der Bundestagswahl in diesem Herbst aus dem Polizeidienst suspendiert, weil er als Versammlungsleiter auf einem frühen Corona-Protestmarsch auftrat, bei dem Polizisten als "Merkel-Schergen" beschimpft wurden. Karsten Hilses Dienstverhältnis ruht nach eigener Aussage bereits seit seinem erstmaligen Einzug ins Parlament 2017. Explizit richtete er sich als Bundestagsabgeordneter im vergangenen Jahr mit einem offenen Brief an alle deutschen Polizisten und rief sie dazu auf, nicht gegen Demonstranten auf Corona-Protesten vorzugehen.

Verfängt der Aufruf bei den Kollegen im Lande? Zwölf Disziplinarverfahren und ein arbeitsrechtliches Verfahren wurden bisher gegen Polizisten in Sachsen wegen Verstößen gegen die Corona-Maßnahmen oder wegen demokratieschädlicher Einstellungen in Bezug zur Corona-Politik eingeleitet. Das teilt das Innenministerium auf Anfrage von t-online mit. In einem Disziplinarverfahren wurde eine Geldbuße verhängt, die übrigen elf laufen noch. Am Ende eines solchen Verfahrens kann im härtesten Fall die Entlassung stehen.

Darüber hinaus haben die Polizeibehörden in Sachsen in zwölf Fällen andere Sanktionen gegen Bedienstete angewendet: Laut Ministerium wurde einem Polizisten das Führen der Dienstgeschäfte untersagt – es wurde also Zwangsurlaub verhängt, die Bezüge werden in einem solchen Fall aber weiter gezahlt. Außerdem wurden vier Personalgespräche geführt, drei Missbilligungen, drei Pflichtenmahnungen sowie eine schriftliche Ermahnung ausgesprochen. Missbilligungen und Verweise werden in der Regel in der Personalakte der Betroffenen vermerkt und nach zwei Jahren wieder gelöscht.

Brandenburg: Ein Vergehen, mehrere Akteure

In Brandenburg wurden bislang sechs Disziplinar- beziehungsweise Ermittlungsverfahren gegen insgesamt 19 Polizeibedienstete geführt. Zu den Fällen selbst will sich das Innenministerium nicht äußern. Klar ist aber: Es muss in mindestens einem Fall zu Verstößen gekommen sein, derer sich gleich mehrere Beamte schuldig gemacht haben. Elf Missbilligungen wurden ausgesprochen.

Schleswig-Holstein: Sieben Verfahren, (bisher) nur ein Verweis

Das Ministerium für Inneres in Deutschlands nördlichstem Bundesland teilt mit, dass im Bereich der Landespolizei insgesamt sieben Disziplinarverfahren gegen "Corona-Skeptiker wegen des Verstoßes gegen Corona-Beschränkungen oder wegen Maßnahmenkritik" eingeleitet wurden. Vier Verfahren seien bereits abgeschlossen. Bei allen Fällen seien Dienstvergehen festgestellt worden, nur in einem Fall habe die Dienstbehörde einen Verweis erteilt.

Mecklenburg-Vorpommern: Vier Verstöße gegen Corona-Verordnung

In Mecklenburg-Vorpommern laufen derzeit vier Disziplinarverfahren gegen Landespolizisten, bei denen unter anderem der Verdacht des Verstoßes gegen die Corona-Landesverordnung besteht. Das Ministerium betont allerdings, dass anhand der Sachverhalte keine Rückschlüsse auf eine etwaige Gesinnung als „Querdenker“ gezogen werden können.

Hessen: Eng vernetzt mit dem Verfassungsschutz

In Hessen wurden vier Disziplinarverfahren gegen Polizisten eingeleitet, sagt ein Sprecher des hessischen Innenministeriums auf Anfrage von t-online. In einem Fall wurde ein Verweis erteilt, die drei anderen Verfahren laufen noch. Eng vernetzt sei man außerdem mit dem Landesamt für Verfassungsschutz, das für extremistische Bestrebungen unter dem Deckmantel der Maßnahmenkritik den Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" eingerichtet habe, betont das Innenministerium. Dort geführte Extremisten im Staatsdienst sollten umgehend an den Dienstherrn gemeldet werden.

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Baden-Württemberg: Versetzung in den Innendienst

Der Südwesten ist die Heimat der "Querdenker", hier formierten und koordinierten sich früh die ersten Gruppen der Bewegung, um bundesweit zu protestieren. In der Landespolizei haben bisher aber nur zwei Fälle zu Ermittlungen geführt, wie das Innenministerium auf Anfrage von t-online mitteilt.

Einmal habe sich eine Polizistin geweigert, der Maskenpflicht nachzukommen, sich kritisch über die staatlichen Maßnahmen geäußert und bekannt gegeben, dass sie Mitglied des Vereins "Polizisten für Aufklärung" sei. Aktiv habe sie an regionalen und überregionalen Veranstaltungen der "Querdenker" teilgenommen.

Gegen die Frau sei ein Disziplinarverfahren eingeleitet und in der Folge ein Dienstvergehen festgestellt worden. Sie ist also weiterhin Beamtin, wurde laut Ministerium allerdings in den Innendienst versetzt.

Ein ehemaliger Polizeibeamter sei außerdem als Redner bei Veranstaltungen der "Querdenker" aufgetreten, habe sich dort auch als Ex-Ordnungshüter zu erkennen gegeben und gegen die Maßnahmen gestellt. Aber: "Ein disziplinarrechtlich relevantes Dienstvergehen konnte nicht festgestellt werden", teilt das Innenministerium mit. Ein Grund dafür dürfte wohl auch sein, dass der Mann ohnehin nicht mehr im aktiven Dienst ist.

Berlin, Saarland, Bremen: angeblich keine Fälle

Aus Berlin, dem Saarland und Bremen heißt es, es gebe keinerlei bekannte Dienstvergehen im Zusammenhang mit der Corona-Politik unter Polizisten.

Sachsen-Anhalt, NRW, Rheinland-Pfalz und Bayern: Ohne Übersicht

In mehreren Fällen beantworteten die Landesinnenministerien die Anfrage von t-online nicht mit konkreten Zahlen. Die Begründung: Man führe darüber keinerlei Statistik.

Aus dem Ministerium für Inneres in Nordrhein-Westfalen, Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland, heißt es: Im Bereich Polizei seien "vereinzelt Fälle bekannt geworden", bei denen wegen des Verdachts eines Dienstvergehens im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie Disziplinarverfahren eingeleitet wurden. "Die angefragten Fälle werden bei der Polizei aber nicht spezifisch erfasst." Durch Recherchen von t-online bekannt ist der Fall eines Polizeibeamten aus Siegen, der an einer "Querdenken"-Demo in Berlin teilnahm und in Zwangsurlaub versetzt wurde.

Das Ministerium für Inneres in Sachsen-Anhalt teilt mit: "Eine Statistik zu Verstößen gegen die gültige Eindämmungsverordnung wird hier nicht geführt."

Ganz ähnlich heißt es aus Rheinland-Pfalz, es habe "in einigen Fällen Verstöße gegen die Corona-Verordnung mit dienstrechtlichen Konsequenzen" gegeben. Eine systematische Erhebung aber liege dazu nicht vor.

Auch das bayerische Innenministerium teilt mit, dass es eine automatisierte statistische Auswertung zu Dienstvergehen in Bezug zu Corona-Maßnahmen nicht gebe. Mindestens ein Fall eines Polizisten ist aber öffentlich bekannt: Der 49-jährige Dienstgruppenleiter hielt 2020 eine Rede auf einer Corona-Demonstration in Augsburg. Dabei bezeichnete er Deutschland als "Denunziantenstaat" und forderte seine Kollegen auf, sich dem Protest anzuschließen. Er wurde Medienberichten zufolge zuerst auf einen Posten ohne Leitungsfunktion und Bürgerkontakt versetzt und schließlich suspendiert.

Verwendete Quellen
  • Anfrage an alle 16 Landesinnenministerien und -verwaltungen
  • Tagesschau: "Verfassungsschutz beobachtet Ex-Polizisten"
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