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Richter haben entschieden: Rückt mit den Urteilen ein Lockdown näher?


Richter haben entschieden
Rückt mit den Urteilen ein Lockdown näher?

  • David Schafbuch
  • Theresa Crysmann
Von David Schafbuch, Theresa Crysmann

Aktualisiert am 30.11.2021Lesedauer: 6 Min.
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Leer Straße in Aalen: Aufgrund der hohen Inzidenzen gelten im Ostalbkreis (Baden-Württemberg) Ausgangsbeschränkungen für Ungeimpfte.Vergrößern des Bildes
Leere Straße in Aalen: Aufgrund der hohen Inzidenzen gelten im Ostalbkreis (Baden-Württemberg) Ausgangsbeschränkungen für Ungeimpfte. (Quelle: Marius Bulling/imago-images-bilder)

Viele Maßnahmen der Bundesnotbremse sind laut Bundesverfassungsgericht zulässig gewesen. Was haben die Richter konkret entschieden und was könnte daraus folgen? Ein Überblick.

Der Bund durfte in der dritten Pandemiewelle im Frühjahr über die sogenannte Corona-Notbremse Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen verhängen. Die Maßnahmen hätten in erheblicher Weise in verschiedene Grundrechte eingegriffen, seien aber "in der äußersten Gefahrenlage der Pandemie" mit dem Grundgesetz vereinbar gewesen, teilte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Dienstag mit.

Ebenso waren die im Frühjahr dieses Jahres angeordneten Schulschließungen nach Auffassung des Gerichts zulässig. Mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die Schulschließungen wiesen die Karlsruher Richter in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss zurück. Gleichzeitig erkannten die Richter aber erstmals ein Recht der Kinder und Jugendlichen gegenüber dem Staat auf schulische Bildung an.

Wie hat das Gericht konkret entschieden und was könnte das für die weiteren Corona-Maßnahmen bedeuten? t-online gibt einen Überblick:

Kontaktbeschränkungen:

Von Mitte April bis Ende Juni erlaubte die Bundesregierung in vielen Städten und Landkreisen nur Treffen im kleinsten Kreis: Überschritt die Zahl der Neuinfektionen an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Schwelle von 100 je 100.000 Einwohner, durften sich Personen eines Haushaltes dort nur noch mit einer weiteren Person treffen. Wer sich nicht an die Regelung hielt, musste ein Bußgeld fürchten.

Laut Bundesverfassungsgericht war das zwar ein schwerer Eingriff in das Familiengrundrecht, in die Ehegestaltungsfreiheit und in das Recht auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit. Dennoch sahen die Richterinnen und Richter die Kontaktbeschränkungen als verfassungsgemäß an. Grund war die "äußerste Gefahrenlage" der Pandemie und die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Bundesregierung, Gesundheit und Leben der Bevölkerung zu schützen. Dass strengere Corona-Maßnahmen nötig geworden waren, habe auf "tragfähigen tatsächlichen Erkenntnissen" der Expertinnen und Experten des Robert Koch-Instituts beruht.

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Das Gericht in Karlsruhe sah keinen Verstoß gegen das Grundgesetz darin, dass die Bundesregierung deshalb teilweise ein Kontaktverbot aussprach. Die Begründung: Es habe kein anderes Mittel gegeben, das die Bevölkerung genauso wirksam geschützt und die Grundrechte weniger eingeschränkt hätte. Weder die damals mögliche Impfung noch weichere Kontaktbeschränkungen hätten den gleichen Schutz geboten, so der Richterspruch.

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Darüber hinaus habe die Regierung eine gute Balance zwischen ihrer Schutzpflicht und den unvermeidbaren Grundrechtseingriffen gefunden. Dazu zählte das Bundesverfassungsgericht vor allem die zeitliche und räumliche Begrenzung der Regelung und wies darauf hin, dass die Maßnahme fortlaufend an das Infektionsgeschehen angepasst wurde: Nach fünf aufeinanderfolgenden Tagen mit einer Inzidenz unter 100 traten die Kontaktbeschränkungen wieder außer Kraft.

Außerdem habe es von Anfang an Ausnahmen gegeben, beispielsweise für Beerdigungen. Ab Mai seien private Treffen von geimpften und genesenen Personen dann überhaupt nicht mehr von der Regel betroffen gewesen.

Ausgangsbeschränkungen

Ähnlich sahen die Richterinnen und Richter die angeordneten Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr: Mit Auslösen der Notbremse durften sich die Menschen in betroffenen Städten und Landkreisen zwischen 22 Uhr und 5 Uhr des Folgetages nicht mehr im Freien aufhalten. Neben Konflikten mit dem Familiengrundrecht, der Ehegestaltungsfreiheit und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit kollidierten die Ausgangssperren laut Gericht auch mit der "tatsächlichen körperlichen Bewegungsfreiheit". Dennoch sei die Maßnahme verfassungsgemäß gewesen.

Das Bundesverfassungsgericht begründete dies ähnlich wie die Legitimität der Kontaktbeschränkungen. Denn: Die Ausgangsbeschränkungen seien als unterstützende Maßnahmen gedacht gewesen. Im "privaten Rückzugsbereich" wären Kontaktbeschränkung, Abstand, Maskenpflicht und andere Hygieneregeln nachts und abends sonst kaum durchsetzbar gewesen, so der Gerichtsentscheid.

Zusätzlich habe es auch bei dieser Maßnahme von Anfang an wichtige Ausnahmen gegeben. Dadurch sei der Grundrechtsschutz so weit wie möglich berücksichtigt worden. So durfte man zwischen 22 Uhr und Mitternacht noch aus dem Haus, um allein Sport zu machen oder frische Luft zu schnappen. Auch medizinische Notfälle, der Weg zur Arbeit, die Berufsausübung im Freien sowie Wege für Pflege- oder Sorgerechtsaufgaben waren von der Regel ausgenommen. Besonders alleinerziehende Eltern sollten so entlastet werden.

Schulschließungen

Die Bundesnotbremse hatte für Schulen grob zwei Grenzen eingezogen: Ab einer Inzidenz von 100 sollte in einem Landkreis Wechselunterricht eingeführt werden, sodass Schüler den Unterricht nicht jeden Tag im Klassenraum verbringen mussten. Ab einer Inzidenz von 165 sollten alle Schüler von zu Hause am Unterricht teilnehmen.

Das Gericht erkannte in seinem Urteil erstmals ein Recht von Kindern und Jugendliche auf schulische Bildung gegenüber dem Staat an. Dieses Recht sei seit Beginn der Pandemie "in schwerwiegender Weise" durch Schulschließungen eingeschränkt worden. Dennoch waren die Regeln laut Gericht aus mehreren Gründen verfassungskonform: Zum einen wurde eine vollständige Schließung erst bei einer – für damalige Verhältnisse – hohen Inzidenz von 165 verhängt. Gleichzeitig seien die Maßnahmen von Beginn an nur für einen begrenzten Zeitraum vorgesehen gewesen.

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Drittens habe der Bund bereits vor Einführung der Notbremse Maßnahmen verkündet, die solche schweren Einschränkungen in Zukunft möglichst verhindern sollten. Als Beispiel nannte das Gericht etwa 1,5 Milliarden Euro Fördergelder, um den digitalen Fernunterricht zu verbessern.

Was bedeuten die Urteile für die Corona-Politik der Parteien?

Grundsätzlich ist von Bedeutung, dass das Gericht über die Maßnahmen der Notbremse zu dem Zeitpunkt urteilte, als sie in Kraft war. Auch der Präsident des Verfassungsgerichts, Stephan Harbarth, hatte Mitte November im ZDF-"heute journal" gesagt, es gehe um "ein bestimmtes Gesetz zu einem bestimmten Zeitpunkt". Aus den ausführlichen Begründungen der Karlsruher Entscheidungen ergeben sich aber üblicherweise "Hinweise für Folgefragen, die sich stellen werden, etwa für kommende Pandemien oder für Maßnahmen in der gegenwärtigen Pandemie für die kommenden Monate".

Dementsprechend dürfte sich mit den Urteilen der Druck auf die Regierungsparteien im Bund und in den Ländern erhöhen. In dem gerade erst verabschiedeten Infektionsschutzgesetz sind Ausgangsbeschränkungen und Schulschließungen allerdings nicht mehr als Maßnahmen vorhanden.

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Aus den Ampelparteien könnten sich vor allem die Grünen durch die Urteile bestätigt sehen. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner hatte sich bereits am gestrigen Montag für eine härtere Gangart bei den Corona-Maßnahmen ausgesprochen: "Für uns sind weitere verschärfte Maßnahmen notwendig, die wir mit unseren Koalitionspartnern unter Einbeziehung der Länder beschließen werden", sagte Kellner t-online. Das Urteil aus Karlsruhe solle dabei "den Korridor vorgeben, in dem zusätzliche Maßnahmen zu treffen sind".

In der SPD hatte vor allem Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach auf eine deutliche Verschärfung gepocht. Denn durch schnelle Impfbooster sei die aktuelle Welle nicht mehr zu stoppen. "Wir brauchen Kontaktbeschränkungen/Schließungen", hatte Lauterbach getwittert. Der kommende Bundeskanzler hatte sich allerdings bisher noch zurückhaltender geäußert. Es gebe zwar nichts, was man nicht in Betracht ziehe, um die Zahlen wieder zu drücken, hatte Olaf Scholz am Wochenende geschrieben. Konkretere Maßnahmen nannte er aber nicht. In Parteikreisen hieß es zuletzt, Scholz nehme vor allem Rücksicht auf die FDP, die einen härteren Corona-Kurs bisher kritisch sah.

Das Urteil könnte aber vor allem für die Liberalen eine Brücke sein: Die Partei hatte in der Vergangenheit immer wieder viele Corona-Maßnahmen scharf kritisiert. Die Regelungen seien häufig unverhältnismäßig gewesen. "Instrumente wie Lockdowns oder Ausgangssperren schließen wir aus", hatte der kommende Justizminister Marco Buschmann (FDP) dem "Tagesspiegel" noch vor wenigen Tagen gesagt. Die Entscheidungen des obersten Gerichts könnten der Partei nun argumentativ einen Weg ebnen, sich doch für stärkere Maßnahmen einzusetzen. Über den aktuellen Entscheid hinaus wiesen die Richterinnen und Richter auch grundlegend darauf hin, dass die Regierung umso dringender verpflichtet ist, "gesetzgeberisch zu handeln", "je größer die Nachteile und Gefahren sind, die aus gänzlich freier Grundrechtsausübung erwachsen können".

Auf eine Verschärfung pocht auch die Union. Unmittelbar nach Verkündung der Urteile brachte Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) bereits eine Neuauflage der Bundesnotbremse ins Gespräch: "Das Urteil macht deutlich, dass verbindliches bundeseinheitliches Handeln in der Corona-Krise möglich ist. Und ich füge hinzu: In der aktuellen, schwierigen Situation ist es auch erforderlich." Ob sich Bund und Länder dazu allerdings in ihrer heutigen Schaltkonferenz durchringen werden, ist mehr als fraglich. Denn laut Braun sind Beschlüsse aus dem heutigen Treffen nicht zu erwarten: "Das war die Vorbedingung für das Treffen", sagte Braun RTL/ntv.

Ähnlich wie Braun warb zuvor auch Bodo Ramelow (Linke) für eine Rückkehr zur Notbremse: Er empfehle "sofort einheitliche Maßnahmen analog der Bundesnotbremse vorzubereiten", sagte Thüringens Ministerpräsident dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" am Montag. Ramelow kündigte an, dass Thüringen "jede Koordination der bundesweiten Maßnahmen aktiv unterstützen und auch umsetzen" würde.

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