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Rechtsextremismus in der Bundeswehr: Werden die falschen Soldaten bestraft?


Elitesoldat packt aus
Wie die Bundeswehr Rechtsextreme schützt

  • Carsten Janz
Von Carsten Janz

Aktualisiert am 09.04.2023Lesedauer: 5 Min.
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Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD): Der Umgang seiner Truppe mit Informanten aus den eigenen Reihen wirft Fragen auf.Vergrößern des Bildes
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD): Der Umgang seiner Truppe mit Informanten aus den eigenen Reihen wirft Fragen auf. (Quelle: IMAGO/Florian Gaertner/photothek.de)

Die Bundeswehr hat immer wieder Ärger mit Rechtsextremisten in den eigenen Reihen. Doch das Schicksal eines Soldaten zeigt: Statt die Probleme zu lösen, knüpft sich die Armee offenbar lieber den Überbringer schlechter Nachrichten vor.

Er will zu einem Elitesoldaten ausgebildet werden und ins Kommando Spezialkräfte, kurz KSK. Und er ist auf einem guten Weg. Doch dann fällt Patrick J. auf, dass viele seiner Kameraden nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, rechtsextreme Parolen grölen, sich mit anderen Rechtsextremen vernetzen. Er meldet die Vorfälle seinen Vorgesetzten, denkt, damit das Richtige zu tun. Doch statt seine Hinweise ernst zu nehmen, straft die Bundeswehr ihn ab – und beendet seine Karriere.

Die Bundeswehr wird immer wieder von Skandalen durch Rechtsextreme in den eigenen Reihen erschüttert. Sei es der mutmaßliche Terrorist Franko A., der Anschläge geplant hatte und Waffen schmuggeln wollte. Oder seien es gleich ganze Strukturen wie der Nordbund, der aus rechtsextremen Kampfsportlern und Soldaten bestand. Lange wurden die Belege ignoriert oder sogar vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) unter den Teppich gekehrt.

Die Geschichte von Patrick J. ist die eines Soldaten, der diesem Treiben nicht länger zuschauen wollte und deshalb immer wieder rechtsextreme Verdachtsfälle meldete. Und der sich nun genauso wenig gefallen lassen will, dass die Bundeswehr ausgerechnet gegen ihn vorgeht.

Patrick J. will selbst ins "Kommando"

Es beginnt vor gut acht Jahren. 2015 wird Patrick J. für die Offizierslaufbahn zugelassen. Ihm winkt eine Karriere in der Hierarchie der Bundeswehr. Doch J. hat etwas anderes vor, er möchte zu den Fallschirmjägern oder dem KSK, entscheidet sich gegen den Aufstieg. In der Bundeswehr sind sie sehr angetan von ihm. Dass jemand freiwillig auf die Offizierslaufbahn verzichtet, ist selten.

Doch die Begeisterung ist schnell vorbei. Denn Patrick J. bekommt in seiner Kaserne mit, wie seine Kameraden problematische Tendenzen zeigen. "Das Wort Jude wurde als Schimpfwort genutzt", sagt Patrick J. "Und viele Soldaten lasen Bücher von Ernst Jünger." Jünger war ein umstrittener Autor, der seine Schriften zur Nazizeit unter anderem im "Völkischen Beobachter" veröffentlichte. Aussagen, die auch von den Pegida-Demonstranten in Dresden hätten stammen können, seien an der Tagesordnung gewesen, sagt J. Außerdem habe ein Ausbildungsjahrgang, der wenige Monate später angefangen hatte, Scheinerschießungen durchgeführt. So erzählt es J.

2017 entscheidet J. sich nach t-online-Informationen schließlich, die Entgleisungen dem MAD zu melden. Die Behörde ist unter anderem dafür zuständig, verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Bundeswehr zu analysieren.

Geheimdienst macht geheime Infos öffentlich

Was J. nur für seine Pflicht hält, entpuppt sich als fatale Entscheidung für sein Berufsleben. Denn anstatt seine Hinweise vertraulich zu behandeln und zu prüfen, gibt der Geheimdienst sie an J.s Vorgesetzte weiter. Auf Anfrage will sich der MAD nicht zu dem Fall äußern.

Für J. ist es der Anfang vom Ende: Er gilt nun als Nestbeschmutzer. Und wird selbst zum Täter gemacht. Kurze Zeit später beschuldigt ein Stubenkamerad J., dass er seine höhere Stellung ausgenutzt und ihn habe strammstehen lassen.

"Missbrauch der Befehlsbefugnis" heißt so etwas bei der Bundeswehr. Patrick J. wird selbst zum Beschuldigen in einem Strafverfahren. "Eine Nebelkerze", sagt er t-online. Das Verfahren gegen den Whistleblower Patrick J. endet zunächst mit einer Verurteilung. Doch bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gibt es zahlreiche Fehler und Lücken. So wollen Zeugen zwar am folgenden Morgen vom "Strammstehen" gehört haben, doch es kam heraus, dass sie an dem Tag gar keinen Dienst hatten. Vor Gericht wurde der Dienstplan dann einfach so verschoben, dass er passte. Die Richter passten die Tat also an die Gegebenheiten an und schauten nicht, ob die Zeugenaussagen überhaupt plausibel waren. J. selbst bestreitet den Vorwurf seines Kameraden noch immer vehement.

Patrick J. sammelt auf Bitten des MAD Hinweise

Ist also alles eine Rache der Bundeswehr, wie Patrick J. glaubt? Auf einen umfangreichen Fragenkatalog von t-online zu seinem Fall und seinen Vorwürfen antwortet die Bundeswehr ausweichend: "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns zu Einzelpersonen und etwaigen Verdachtsfalloperationen nicht äußern können."

Für die Schilderung von Patrick J. spricht, dass er zum damaligen Zeitpunkt auf Bitte des MAD alle Hinweise auf Rechtsextreme im Kommando, im zugehörigen Ausbildungszentrum im baden-württembergischen Pfullendorf und anderen Teilen der Bundeswehr in einem mehr als 100-seitigen Bericht zusammen gefasst hatte. Der Bericht liegt t-online vor. Darin lieferte J. zahlreiche Belege dafür, dass Soldaten selbst rechtsextreme Aussagen gemacht, rechtsextreme Symbolik verwendet oder rechtsextreme Accounts in den sozialen Netzwerken mit "Gefällt mir" markiert haben.

Anscheinend ist der MAD einigen Hinweisen sogar nachgegangen, viel passiert ist jedoch nicht. Das zeigen Recherchen von t-online. So hatte Patrick J. auch einen Soldaten gemeldet, der deutliche Anzeichen einer rechtsextremen Gesinnung zeigte. Der Name ist der Redaktion bekannt.

Der Soldat zeigt auf seiner Instagram-Seite noch immer Bilder von Einsätzen und Übungen und ist nach t-online-Informationen weiter aktiver Soldat. Auf einem geposteten Bild sitzt er auf einem Panzer, an ein Maschinengewehr gelehnt. Dazu schreibt er die Hashtags "#leiderkeineMG42 #sägtaberdennoch". Damit spielt er auf das Maschinengewehr der Wehrmacht "MG42" an, das auch "Hitlersäge" genannt wurde.

Hinzu kommt, dass der Soldat bei Instagram Kanäle wie "only.14.words.needed" abonniert hat. Die "14 words" sind in der rechten Szene ein bekanntes Codewort für "We must secure the existence of our people and a future for White children." ("Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für die weißen Kinder sichern.") Außerdem likt er rechtsextreme Verbindungen wie die Kampfsportgruppe "Knockout 51", über die t-online bereits ausführlich berichtete, und Frank Kraemer, den Sänger der Neonazi-Band Stahlgewitter.

Dass der Soldat noch immer im Dienst ist, verwundert nicht nur Patrick J. Denn die Richtlinien, die sich die Bundeswehr in Sachen Social Media selbst gegeben hat, sind für den Umgang mit rechtsextremen Accounts eindeutig. Bei der Luftwaffe etwa gibt es die Anordnung: "Auch müssen Soldaten sich in sozialen Medien von extremistischen Inhalten distanzieren, z. B. indem sie Chats mit rechtsradikalen Inhalten verlassen, solche Inhalte nicht teilen und nicht 'liken'." Soldaten müssen sich demnach in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Instagram davon abgrenzen.

Doch was, wenn sie das nicht tun? Offenbar gibt es nicht immer Konsequenzen. Denn t-online liegen noch zahlreiche weitere, ähnlich gelagerte Verdachtsfälle vor.

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Wie schützt die Bundeswehr Whistleblower?

Wie geht die Bundeswehr mit Rechtsextremen um? Und wie hält sie es mit Whistleblowern, die rechtsextreme Tendenzen melden? Wie gesagt: Man wüsste das gern von der Bundeswehr selbst. Aber auf entsprechende, präzise Fragen gibt es nur pauschale Antworten.

Fest steht zumindest, dass die Bundeswehr in dem Entlassungsverfahren, das sie gegen Patrick J. führt, die von ihm gemeldeten Verdachtsfälle als "haltlos und unbegründet" darstellt. Und sich ihm gegenüber offenbar auch entsprechend verhält: J. meldete weitere Fälle, bekam als Feedback aber nur Drohungen für den Fall, dass er sich öffentlich dazu äußert.

Nach Jahren des Kampfes hat Patrick J. immer noch das Ziel, dass Extremistinnen und Extremisten bzw. Sympathisanten konsequent aus der Bundeswehr als verfassungstreue Armee entfernt werden - nur, wenn die Bundeswehr auch den Umgang mit seinen Hinweisen ändert, ist das möglich, sagt er. Außerdem geht es ihm mittlerweile auch um seine Ehre. Deshalb hat er bereits vor Monaten eine Unterlassungserklärung ans Bundesverteidigungsministerium geschickt – adressiert an den Ressortchef Boris Pistorius und seine damalige Staatssekretärin, das Verfahren liegt jetzt beim Verwaltungsgericht Berlin. Er will, dass das Ministerium sich verpflichtet, die Vorwürfe gegen ihn nicht zu wiederholen. Bislang hat er keine Antwort erhalten. Überrascht hat ihn das eher nicht.

Verwendete Quellen
  • Interview Patrick J.
  • Einsicht von Akten
  • Wehrrechtsskript Luftwaffe
  • Entwurf "Bericht zu rechtsextremen Verdachtsfällen in der Bundeswehr"
  • Instagram-Accounts mehrerer mutmaßlicher rechtsextremer Soldaten
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