Brisante Entscheidung Wackeln Dobrindts Abschiebe-Pläne?

Die Bundesregierung möchte nach Syrien abschieben. In Straßburg ist nun aber in diesem Zusammenhang eine brisante Entscheidung gefallen. Sind Abschiebungen nach Syrien damit vom Tisch?
Vor einem Monat hob der letzte Abschiebeflug nach Afghanistan mit Straftätern an Bord in Leipzig ab. Es war der erste Flug dieser Art unter der neuen Bundesregierung und der zweite nach der Machtübernahme der islamistischen Taliban im August 2021. Zeitgleich inszenierte sich Innenminister Alexander Dobrindt auf der Zugspitze beim Treffen mit EU-Kollegen als harter Hund. Dort wurde über härtere Asylregeln beraten. Reiner Zufall, wie der CSU-Politiker mit Blick auf den Zeitpunkt beteuert. Doch die Botschaft war eindeutig: Diese Regierung will beim Thema Migration durchgreifen.
Im Koalitionsvertrag steht: "Nach Afghanistan und Syrien werden wir abschieben – beginnend mit Straftätern und Gefährdern." Während dieses Versprechen bei Afghanistan bereits eingelöst wurde, steht es bei Syrien noch aus. Rund eine Million Syrer leben in Deutschland, die meisten von ihnen sind in der Hochphase der Flüchtlingskrise rund um das Jahr 2015 nach Deutschland gekommen.
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Dobrindts Migrationswende
Es war die Zeit, aus der Angela Merkels (CDU) berühmter Satz "Wir schaffen das" stammt. Ziemlich genau zehn Jahre ist es her, dass die damalige Bundeskanzlerin so ihre politische Entscheidung begründete, die Grenzen nicht zu schließen, sondern Hunderttausende Geflüchtete aufzunehmen. Seitdem bemüht sich die Union um eine Kurskorrektur – Dobrindt will den Gegenentwurf zu Merkels Politik liefern. Der Innenminister gibt sich als Hardliner und hat die Migrationswende ausgerufen.
Das zeigt er bereits bei den Abschiebungen nach Afghanistan. Dobrindt will sogar direkte Verhandlungen mit den islamistischen Taliban, um mehr Flüge nach Kabul zu ermöglichen – vor einigen Jahren noch undenkbar und auch heute ein umstrittenes Vorhaben. Undenkbar waren bis vor nicht allzu langer Zeit auch Abschiebungen nach Syrien. Der Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad im vergangenen Dezember hat der Regierung aber die Möglichkeit eröffnet, diese Rückführungen nicht mehr pauschal auszuschließen. Bisher hat Deutschland noch nicht in das vom Krieg erschütterte Syrien abgeschoben.
Dort herrschen nach Assads Fall immer noch Chaos und Gewalt, da verschiedene Milizen, Oppositionsgruppen und externe Akteure um Macht und Einfluss ringen. Dennoch hat sich Dobrindt zum Ziel gesetzt, syrische Staatsbürger dorthin zurückzuschicken. Doch wie realistisch ist es, dass die Bundesregierung absehbar auch nach Syrien abschiebt?
Ein explosives Urteil
Dazu lohnt sich ein kurzer Blick ins Nachbarland Österreich. Denn Österreich hat bereits einen Mann nach Syrien abgeschoben – der gilt seither als vermisst. Österreich ist damit das einzige EU-Land, das nach Assads Sturz nach Syrien abgeschoben hat. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vergangene Woche eine brisante Entscheidung getroffen und eine zweite Abschiebung vorläufig gestoppt – die erste hatte er noch genehmigt.
Das Gericht hat nun Zweifel an der Lagebewertung Österreichs für Syrien. Die Regierung solle dem Gericht unter anderem mitteilen, ob die Risiken von Tod und Folter für den Abschiebe-Kandidaten ausreichend berücksichtigt worden seien, heißt es in einer einstweiligen Verfügung. Bis September soll die österreichische Regierung Stellung beziehen.
Hat die gerichtliche Anordnung auch Signalwirkung für Deutschland? EGMR-Entscheidungen sind bindend für Mitgliedsstaaten des Europarats, zu denen auch Deutschland und Österreich gehören. Ihre Durchsetzung liegt in der Verantwortung der Staaten. Das Bundesinnenministerium gibt sich unbeeindruckt von dem vorläufigen Stopp für Österreich und teilt mit: "Es handelt sich um einen Beschluss in Bezug auf einen österreichischen Einzelfall. Die genauen Umstände des Einzelfalls sind uns nicht bekannt." Der Beschluss liege dem Ministerium zwar nicht vor, man habe aber Kenntnis davon.
Man halte daran fest, Rückführungen nach Syrien wie im Koalitionsvertrag vereinbart durchzuführen, stellte das Ministerium auf Anfrage von t-online klar. Die Vereinbarkeit einer Rückführung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention werde vor einer Rückführung durch die zuständigen Behörden geprüft.
Experte: Das kann man auch Spektakel nennen
Der Migrationsforscher Jochen Oltmer hält die Abschiebe-Pläne der Bundesregierung nicht für bloße Rhetorik. "Es ist durchaus damit zu rechnen, dass zu gegebener Zeit tatsächlich Abschiebungen erst von Straftätern, dann möglicherweise auch von anderen Menschen umgesetzt werden", sagt er. "Die Bundesregierung sieht sich ja offensichtlich gedrängt, sehr öffentlichkeitswirksame Maßnahmen auf den Weg zu bringen." Er gehe daher davon aus, dass insbesondere Dobrindt in diesem Kontext bereit sei, "gewissermaßen an die Grenze zu gehen und davon zu sprechen, dass die Sicherheitslage in Syrien doch so günstig sei, dass solche Abschiebungen stattfinden könnten".
"Das sind dann sehr öffentlichkeitswirksame Maßnahmen, die man auch Spektakel nennen kann. Da werden dann die entsprechenden Bilder produziert", so Oltmer. Auch bei den Abschiebungen nach Afghanistan gehe es darum, "dass diese besagten Bilder produziert werden können, um die es offensichtlich sehr explizit geht". Derartige Abschiebungen nach Syrien würden an den Migrationsverhältnissen in Deutschland wenig ändern, sagt der Experte. Das zeige auch ein Blick auf die Zahlen.
Nur wenige kehren freiwillig nach Syrien zurück
Gemäß aktuellen deutschen Behördenangaben leben (Stand Ende 2023) rund 974.000 syrische Staatsangehörige in Deutschland – darunter mehr als 700.000 Schutzsuchende. Die mit Abstand meisten Syrerinnen und Syrer kamen in den Jahren 2015 und 2016 nach Deutschland – damals eskalierte der Bürgerkrieg in Syrien, Erstaufnahmeländer wie Jordanien, der Libanon oder die Türkei waren teils überlastet, viele Geflüchtete flohen weiter nach Europa.
Seitdem sind laut Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung mehr als 160.000 Syrerinnen und Syrer eingebürgert worden. Die Bundesregierung fördert freiwillige Ausreisen syrischer Flüchtlinge in ihr Heimatland über bestimmte Programme. Die Zahl der Menschen aus Syrien, die daran teilnehmen, ist allerdings sehr gering. Auch Migrationsexperte Oltmer rechnet nicht damit, dass Menschen aus Syrien in erheblichem Maße freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren werden. Die Gründe dafür seien sowohl die ausgesprochen schwierige Sicherheitslage als auch die wirtschaftliche Lage in Syrien. Viele Syrerinnen und Syrer seien zudem auch mittlerweile in Deutschland vernetzt.
Von der Opposition gibt es deutliche Kritik an den Plänen der Bundesregierung. Angesichts der Sicherheitslage in Syrien verbiete sich eine Debatte um Abschiebungen nach Syrien, warnt Luise Amtsberg, amtierende außenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. "Dass die Union weiterhin an diesen Plänen festhält, ist verheerend", so Amtsberg zu t-online. Die Anordnung des EGMR habe gezeigt, dass die Abschiebepläne "ganz offensichtlich nicht mit dem Recht und unseren Grundwerten vereinbar sind".
Anders als die deutsche Opposition sieht man das in Österreich. Dort will man an den Abschiebungen nach Syrien festhalten und sieht keinen Bedarf zu einer Kurskorrektur. Österreichs Innenminister Gerhard Karner sagte, Syrien sei "stabiler, als manche denken, und stabiler, als manche wollen". Das habe ihm sein syrischer Amtskollege versichert.
- Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierung
- Angaben zu freiwilligen Ausreisen der Bundesregierung
- Angaben zu in Deutschland lebenden Syrern
- Interview mit Migrationsexperten Oltmer
- Statements des Bundesinnenministeriums und der Grünen-Politikerin Amtsberg
- Material der Nachrichtenagentur dpa





