Habecks Gesprächsreihe Der Grüne inszeniert sich auf der Bühne

Habeck und sein Ex-Regierungskollege Wissing präsentieren sich im Berliner Ensemble als verkannte Macher der gescheiterten Ampel-Koalition. Beim Auftakt von Habecks neuer Gesprächsreihe sind hauptsächlich die anderen Schuld.
Irgendwann reicht es Anne Will. Am Ende sei die Ampel-Koalition ja schließlich geplatzt, vielleicht habe doch nicht alles so toll geklappt in der Regierung, sagt die Journalistin. Sie sitzt gemeinsam mit dem Grünen-Politiker Robert Habeck und dem einstigen Verkehrsminister Volker Wissing (Ex-FDP) auf der Bühne des Berliner Ensemble in Berlin. Es ist die Auftaktveranstaltung von Habecks Gesprächsreihe – mit dem Titel "Habeck live".
Hier sucht der einstige Vizekanzler und Ex-Wirtschaftsminister nun eine neue Bühne – die ganz große ist es nicht mehr. Ernsthafte Lösungen für die Probleme unserer Zeit bringt die Debatte im Theater am Schiffbauerdamm nicht. Stattdessen versuchen sich Habeck und seine Gäste an einem politischen Befund. Doch wenn es darum geht, wie die aktuellen Krisen bewältigt werden können, stochern sie im Nebel, bleiben vage und kommen über bloße Plattitüden nicht hinaus. Das liegt auch an einer großen Portion Selbstgefälligkeit.
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Vor Wills Ausbruch haben sich Wissing und Habeck ausschweifend selbst dafür gelobt, wie gut sie als Minister bei der Reform des Straßenverkehrsrechts zusammengearbeitet hätten. Es habe da gar keinen öffentlichen Streit gegeben, sagt Wissing. Deshalb habe das wohl auch gar niemand so recht mitbekommen. Wissing betont, er habe bei der Reform den Konsens von vornherein mitgedacht – und mit Habeck habe das gut funktioniert. Die beiden stellen sich ein gutes Zeugnis aus.
Will verteidigt Medien
Habeck fragt Will, ob sie meine, es wäre möglich gewesen, dass sich zwei Minister einigen, wenn es zu der Problematik eine Talkshow im TV gegeben hätte. Die ehemalige Moderatorin der ARD-Talkrunde "Anne Will" betont, dass es ja nicht die Journalisten gewesen seien, die die Streitigkeiten in der Ampel verursacht hätten. Generell könne man nicht die Medien für alles verantwortlich machen.
So geht das zu diesem Zeitpunkt seit fast einer Stunde. Habeck scheint sich in der Rolle des großen Erklärers zu gefallen. Er sinniert darüber, warum politische Talkshows die Kommunikation in der Politik verderben würden. Es sei Gift, wenn man dem politischen Mitwerber in so einer Sendung recht gebe. Und außerdem spreche man dort hauptsächlich für die Kommentatoren der Medien. Will hält dagegen.
Habeck hat im Sommer öffentlichkeitswirksam sein Bundestagsmandat niedergelegt, in Interviews dann noch mal ordentlich gegen politischen Gegner ausgeteilt. Sein Abschied wirkte ein bisschen wie der eines schmollenden Kindes. Seine eigene Partei schaute etwas verdutzt auf den Vorgang und sucht nun nach dem Post-Habeck-Kurs. Habeck zieht es jetzt zum Arbeiten an die Elite-Universität Berkeley in Kalifornien und das Dänische Institut für Internationale Studien in Kopenhagen.
Diskussionsreihe geht weiter
Daneben ist aber offenbar noch etwas Zeit übrig. "Brauchen Demokratien den Notfall?" heißt die Auftaktveranstaltung seiner Gesprächsreihe am Sonntagnachmittag im Berliner Ensemble, zu der Wissing und Will zu einer zweistündigen Diskussion auf die Bühne geladen hat. Die drei sitzen an einem Tisch, Habeck leitet die Unterhaltung vor ausverkauftem Haus. Für Ende November ist bereits eine zweite Ausgabe geplant. Kritischen Fragen muss sich der Grüne hier nicht stellen, er gibt den Takt vor.
Wissing präsentiert sich an diesem Sonntag als Mann der Verantwortung und Weitsicht. Er beschreibt, warum er nach dem Ampel-Bruch dennoch Minister geblieben ist. Eine gewisse Bitterkeit schwingt mit, wenn er erzählt, dass nicht immer alle in den Parteien und Fraktionen an einer Lösung gearbeitet hätten, weil sie nicht wirklich an die Sache geglaubt hätten. Anders als er selbst natürlich. Habeck wiederholt sein Mantra: "Wir wollten ja gern weitermachen." Aber sie durften eben nicht. Erst gezofft, dann abgewählt.
Irgendwann richtet sich dann auf der Bühne der Blick nach Europa und die USA, auf liberale Demokratien in Gefahr – nicht zuletzt wegen Desinformationskampagnen. Wissing, der mittlerweile bei einer Beraterfirma angeheuert hat, fordert mehr Engagement eines jeden Einzelnen. Habeck fragt sich, ob man den Menschen den Ernst der Lage nicht verständlicher machen müsse, dass man angegriffen werde, um dann auch die notwendigen Reformen durchzusetzen.
Seitenhieb gegen Habeck
Wieder ist Journalistin Will das Korrektiv, die darauf hinweist, dass die Menschen Antworten auf ihre konkreten Probleme wollten. Sie ist es auch, die an einer Stelle gegen Habeck stichelt, als sie von Politikern spricht, die ihr Bundestagsmandat ernst nehmen würden. Gelächter im Saal. Ansonsten kommen Habecks eigentümlicher Abgang und seine Zukunftspläne nicht weiter zur Sprache.
Der Erkenntnisgewinn von "Habeck live" ist begrenzt. Da sitzen zwei Ex-Politiker der Ampel-Koalition zwischen SPD, Grünen und FDP auf Bühne, die durchaus zu Recht auf mehr Anstand und weniger Aufregung in der Politik pochen. Doch von Selbstkritik ist in den zwei Stunden von den einstigen Ampel-Kollegen nichts zu hören. Die selbstgerechte Botschaft lautet stattdessen: Wenn alle so Politik gemacht hätten wie wir, wäre die Ampel nicht zerbrochen.
Hätte, könnte, wäre... Das bringt aktuell wirklich niemanden weiter. Habeck könnte die bitteren Lehren aus seiner Zeit in der Regierung nutzen, um in der Politik weiter – besser – für seine Sache einzutreten. Doch Opposition und ein einfaches Mandat, das ist offenbar nicht attraktiv genug. Nun philosophiert er vor einem Publikum in Berlin-Mitte darüber, wie sich Politik besser gestalten lässt. Statt darüber zu reden, sollte er es einfach machen.
- "Habeck live" im Berliner Ensemble
- Eigene Gedanken




