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Asylzahlen in Deutschland sinken: Die wahren Gründe für den Rückgang


Ursachen liegen nicht in Deutschland
Die wahren Gründe für den Rückgang der Asylanträge


Aktualisiert am 13.10.2025Lesedauer: 5 Min.
Flüchtlinge auf dem Mittelmeer (Symbolbild): Viele europäische Politiker wollen die Asylgesetze verschärfen und illegale Einwanderung reduzieren. Das sei häufig Heuchelei, sagt der Forscher Hein de Haas.Vergrößern des Bildes
Geflüchtete auf dem Mittelmeer (Archivbild): Die Zahlen sinken. (Quelle: Unai Beroiz/imago-images-bilder)
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Die Zahl der Asylanträge in Deutschland geht seit zwei Jahren zurück. Mit den Maßnahmen der Bundesregierung hat das allerdings wenig zu tun. Die Gründe liegen außerhalb der EU.

Nicht weniger als eine Migrationswende versprach Friedrich Merz (CDU) Anfang des Jahres, damals noch im Wahlkampf. Nachdem er die Wahl gewonnen hatte und seine Regierung vereidigt worden war, ließ der Bundeskanzler dann Taten folgen. Die Grenzkontrollen wurden weiter hochgefahren, Menschen sollten auch dann abgewiesen werden, wenn sie um Asyl bitten.

Sein Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) erklärte nun, Deutschland sei "nicht mehr Bremser, sondern Treiber der Migrationswende in Europa". Auch Merz hatte bereits im September festgestellt: "Wir haben die Migrationswende eingeleitet: Die Asylantragszahlen sinken."

Damit hat er zumindest teilweise recht: Die Zahlen sinken tatsächlich, in bisher jedem Monat des Jahres waren die Zahlen niedriger als im Vorjahr. Bis zum August gab es 78.246 Erstanträge, ein Rückgang um rund 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Doch liegt das wirklich an den Maßnahmen der Regierung?

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich ein ganz anderes Bild. Schließlich sinken die Zahlen schon seit rund zwei Jahren kontinuierlich – lange vor Merz' "Migrationswende". Die Ursachen für diese Entwicklung liegen dabei größtenteils weit außerhalb der deutschen Grenzen, sogar außerhalb der EU.

In der gesamten EU geht die Zahl der Asylanträge zurück

Denn schaut man an die EU-Außengrenzen, zeigt sich dort eine ganz ähnliche Entwicklung wie in Deutschland. Bereits im Vorjahr ging die Zahl der illegalen Grenzübertritte um 38 Prozent zurück, im ersten Halbjahr 2025 war es noch einmal ein Rückgang um 20 Prozent. Das bedeutet: Es ist nur logisch, dass die Zahl der Asylanträge in Deutschland zurückgeht, wenn deutlich weniger Menschen in die EU kommen.

Der Migrationsexperte Franck Düvell von der Universität Osnabrück stellt deshalb im Gespräch mit t-online fest: "Die Bundesregierung hat einen sehr, sehr geringen Anteil an den sinkenden Asylzahlen."

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(Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur/imago)

Zur Person

Franck Düvell ist leitender Wissenschaftler am Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien (Imis) der Universität Osnabrück. Er beschäftigt sich dabei insbesondere mit irregulärer Migration und Flucht. Zuvor war er Leiter der Abteilung Migration am Deutschen Institut für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin und Associate Professor am Centre on Migration, Policy and Society (Compas) der University of Oxford. Er beriet bereits die EU-Kommission, das österreichische Innenministerium und das britische Parlament.

In der Union ist man derweil auch von einem Abschreckungseffekt überzeugt, der weit über die Landesgrenzen hinausgeht. So erklärte Christoph de Vries, Innenpolitiker der Union, kurz nach Beginn der Grenzkontrollen der Wochenzeitung "Die Zeit": "Man wird das wenige Wochen so machen, und dann kommt keiner mehr."

Doch auch dieser Effekt ist kaum erkennbar. Die Vermutung der Abschreckungswirkung sei zwar zunächst plausibel, lasse sich in der Forschung aber nicht nachweisen, erklärt Experte Düvell. Dafür gebe es einen guten Grund: "Die Bedingungen in den Herkunftsländern oder den Zwischenstationen sind so viel schrecklicher als in Europa, dass die Abschreckung niemals so sehr wirkt wie die Furcht vor den Bedingungen vor Ort." Egal, wie viel Europa also abzuschrecken versucht, erscheint es doch immer als lebenswerterer Ort als das Kriegsgebiet.

Situation in Syrien und Libyen hat sich verändert

Und woran liegt es, wenn die Abschreckung nicht wirkt und dennoch viel weniger Menschen in die EU kommen? Das zeigt sich insbesondere am Transitland Türkei. Das Land ist wichtiger Teil der Balkanroute und erster Anlaufpunkt für Geflüchtete aus Syrien. Doch seit dem Ende des Bürgerkriegs gehen die Zahlen der Geflüchteten markant zurück. Im Vergleich zum Jahr 2021 gibt es mittlerweile 1,2 Millionen weniger syrische Geflüchtete im Land, mehr als 400.000 sind in den vergangenen Monaten in ihr Heimatland zurückgekehrt.

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Eine andere Entwicklung gibt es in Libyen. Das Land war bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 selbst Zielland für Geflüchtete – anschließend wurde es zum Transitland mit riesigen Geflüchtetenlagern unter schlimmsten Bedingungen. Doch mittlerweile hat sich die Lage vor Ort laut Düvell zumindest leicht verbessert. Weniger Menschen drängen von dort nach Europa.

Dazu kommen die Kontrollen der libyschen Küstenwache, die mit EU-Geld unterstützt wird und Flüchtende daran hindern soll, nach Europa zu kommen. Diese ist stark umstritten, weil sie als korrupt gilt, mit Menschenschmugglern zusammenarbeitet und zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begeht. Zuletzt gab es Berichte über Angriffe auf Seenotretter. Dennoch fängt auch sie weiter Menschen im Auftrag der EU ab und bringt sie zurück nach Libyen.

Auch mit Tunesien hat die EU ein Abkommen geschlossen, um eine Weiterreise von Flüchtlingen zu verhindern. Doch Experte Düvell schränkt ein: "Solche Arten von Abschreckungsmaßnahmen haben oft nur eine kurzfristige Wirkung. Sechs Monate später gibt es eine neue Route."

Neue Routen, doch die Zahlen sinken

So ist es auch aktuell. Während zwei Hauptrouten also deutlich weniger genutzt werden, kristallisieren sich neue Wege heraus. So gab es zuletzt mehr Bewegung auf der Atlantikroute zu den Kanaren, und es ist laut Düvell eine neue Route von Algerien zu den Balearen entstanden. So stieg die Zahl der Ankünfte auf den Kanaren im vergangenen Jahr um 17 Prozent. Allerdings handelt es sich auf beiden Routen lediglich um ein paar Tausend ankommende Menschen, die den Rückgang auf anderen Routen kaum ausgleichen.

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Düvell stellt deshalb fest: "Es gibt insgesamt weniger Drang, nach Europa zu flüchten." Das bedeutet allerdings nicht, dass es weltweit keine Fluchtbewegungen gibt. Allerdings kommen diese aus unterschiedlichen Gründen nicht in die EU. So können die Menschen im Gazastreifen das Gebiet nur schwer verlassen, sie haben nicht die Möglichkeit, in andere Staaten zu flüchten. Durch das nun getroffene Friedensabkommen mit Israel könnte sich die Lage mittelfristig ohnehin entspannen.

Derweil herrscht im Sudan aktuell die weltweit größte Migrationskrise. Während des seit zwei Jahren herrschenden Bürgerkriegs sind bereits 14 Millionen Menschen innerhalb des Landes geflohen. Die EU ist aber kaum ein Ziel. "Es gibt keine Tradition sudanesischer Migration nach Europa, die Menschen gehen eher in die Nachbarländer", erklärt Düvell. Und: "Wenn sie keine Netzwerke und Kontakte haben, machen sie sich nur selten auf den Weg."

Durch die geänderte Lage haben sich auch die Verhältnisse in Europa verändert. Im ersten Halbjahr 2025 lag Deutschland erstmals seit 2012 nicht mehr auf Platz eins im Ranking der meisten Asylanträge, Frankreich und Spanien verzeichneten mehr Anträge. In diesen Ländern stellen vor allem Menschen Asylanträge, die die gleiche Muttersprache haben wie das Ankunftsland. So kommen viele Geflüchtete aus den ehemaligen Kolonien in Afrika aus Sprachgründen nach Frankreich, viele Menschen aus Venezuela oder Kolumbien flüchten nach Spanien.

Dabei können diese oftmals ohne Visum einreisen und später einen Asylantrag stellen. Andere kommen mit einem begrenzten Visum und stellen später einen Antrag. So ist es laut Düvell eine Fehlannahme, dass ein Großteil der Asylbewerber illegal über das Meer nach Europa kommt. Ein großer Teil kommt auch ganz legal.

Wieso steigt plötzlich die Zahl der Folgeanträge?

Doch obwohl die Zahl der Ankommenden und der Asylerstanträge in Europa und Deutschland zurückgeht, stieg in den vergangenen Wochen plötzlich die Zahl der Folgeanträge in Deutschland. Diese können gestellt werden, wenn der Erstantrag abgelehnt wurde und sich neue Erkenntnisse ergeben. Also neue Beweise für eine Gefahr im Heimatland vorliegen oder sich die grundsätzliche Situation dort geändert hat.

Seit Beginn des vergangenen Jahres lag die Zahl dieser Anträge pro Monat stets unter 2.000. Seit Mai steigt die Zahl immer weiter an, im August waren es 8.779. Damit gab es mehr Folge- als Erstanträge, laut Angaben der Deutschen Presse-Agentur waren es im September bereits 10.790. Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe. Einerseits ist die Anerkennungsquote im laufenden Jahr deutlich gesunken; weniger als jeder vierte Antrag wird anerkannt, in den zurückliegenden Jahren lag sie teils bei über 60 Prozent.

Andererseits sind unter den Folgeantragstellern viele Frauen aus Afghanistan. So hatte der Europäische Gerichtshof im vergangenen Jahr entschieden, dass afghanische Frauen in ihrer Heimat unter "geschlechtsspezifischer Verfolgung" leiden und somit Anspruch auf Asyl haben. Daher probieren es viele von ihnen mit der veränderten Rechtslage erneut.

An der Zahl der Neuankommenden ändert das allerdings wenig. Und so glaubt Experte Düvell, dass sich das aktuelle Niveau einpendeln wird – mit oder ohne Maßnahmen der Bundesregierung: "Ich erwarte nicht, dass sich in Zukunft etwas ändert." Die Zahlen könnten aufgrund von verschiedenen Entwicklungen in Afrika zwar ansteigen, ein großer Ansturm sei aber nicht zu erwarten.

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