Jette Nietzard "Meine Gegner wollten, dass ich schwach bin"

Beim Bundeskongress in Leipzig vollzieht die Grüne Jugend einen Führungswechsel. Das heißt auch: Abschiednehmen von einer, die polarisiert hat wie wohl keine vor ihr in der Nachwuchsorganisation.
Julia Naue berichtet aus Leipzig
Als die Nachfolgerin von Jette Nietzard gewählt wird, tobt der Saal. Mit 93,6 Prozent stimmt die Grüne Jugend für Henriette Held als neue Sprecherin. Beim Bundeskongress in Leipzig leitet die Jugendorganisation der Grünen am Samstag ein neues Kapitel ein. Nach einem Jahr der Kontroversen und Skandale tritt Nietzard offiziell ab. Auch ihr Co-Sprecher Jakob Blasel hatte vor einigen Wochen überraschend hingeworfen. Auf ihn folgt nun Luis Bobga. Doch bedeutet das auch einen Neuanfang für die Grüne Jugend – und wie sieht der aus ohne Nietzard?
Hinter der Grünen Jugend liegen turbulente Zeiten. Im vergangenen Jahr kündigte der gesamte Vorstand den Rücktritt von allen Ämtern an und verließ anschließend die Partei wegen tiefgreifender inhaltlicher Differenzen. Nietzard und Blasel übernahmen als neue Doppelspitze. Während Blasel im Hintergrund blieb, polarisierte seine Co-Sprecherin und sorgte für Schlagzeilen.
Ob Anti-Polizei-Pulli oder kontroverse Posts im Netz, Nietzard erhitzte die Gemüter. Im Sommer kündigte die 26-Jährige an, nicht noch einmal als Bundessprecherin kandidieren zu wollen – und teilte kräftig gegen ihre eigene Partei aus. Pünktlich zum Bundeskongress sorgt ihre Person dann noch einmal für Ärger: Der "Spiegel" berichtete am Freitag, dass Nietzard während ihrer Zeit an der Spitze des Verbandes andere Mitglieder angeschrien, eingeschüchtert und diffamiert habe. Sie weist das zurück.
Nietzard: "Mir ist egal, was die Leute sagen"
In der Turnhalle in Leipzig mag darüber niemand so recht sprechen. Es sei wichtig, dass jetzt wieder ein bisschen Ruhe einkehre, sagt ein Mitglied der Grünen-Nachwuchsorganisation. Das sei jetzt hier ein "positiver Aufbruch", meint jemand anderes. Mit Blick auf den "Spiegel"-Bericht heißt es, da sei halt jemand sauer gewesen. So sei das eben, dann werde geplaudert. Offensiv abstreiten will die Geschichte aber kaum jemand so recht.
Nietzard läuft in Leipzig immer wieder zielstrebig durch den Saal, von Kopf bis Fuß in Knallrot gekleidet. Sie ist zwischen den Hunderten Teilnehmern nicht zu übersehen. In ihrer Abschiedsrede schlägt sie versöhnliche Töne an, verschweigt aber auch nicht, dass das letzte Jahr für sie nicht einfach gewesen sei. Sie habe als starke Frau wahrgenommen werden wollen, weil ihre Gegner gewollt hätten, dass sie schwach sei.
Während Blasel in seiner Abschiedsrede vor allem über Inhalte spricht, geht es in Nietzards Rede vor alle um – Nietzard. Trotzig stellt sie klar: "Mir ist es egal, was Menschen da draußen sagen." Und erklärt nochmal ihre Vorstellung von dem Amt, in dem sie so sehr aneckte:: "Sprecherin zu sein, bedeutet auch Kunstfigur zu sein."
Für Nietzard gibt es ordentlich Applaus, Standing Ovations. Doch den wirklich tosenden Applaus bekommt an diesem Samstag ihre Nachfolgerin Held. "Viele von euch sind enttäuscht von den Grünen: ich auch", sagt die 23-Jährige in ihrer Bewerbungsrede. Immer wieder wird sie von Jubel unterbrochen. Am Ende kann sie sich über ein spektakuläres Ergebnis freuen.
Nachfolgerin Held ist auch nicht leise
Ihr Erfolg kommt wohl auch daher, dass sie ganz anders auftritt und agiert als Nietzard. Sie sei gut vernetzt, ein "richtig positiver Mensch", ein "Bindeglied", heißt es, wenn man sich umhört. Die Studentin ist seit 2021 Mitglied bei der Grünen Jugend, kommt aus der "Fridays for Future"-Bewegung. An der Universität Greifswald studiert sie Jura mit Schwerpunkt Umwelt- und Klimarecht. Auch das Thema Sichtbarkeit im Osten ist für sie von Bedeutung.
Die Grünen sind dort zuletzt in Thüringen und Brandenburg aus den Landtagen geflogen. Auch in den Umfragen für die Wahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern sind die Umfragewerte der Partei im Keller. Die Grünen hätten einen zu großen Fokus auf das Akademikermilieu, moniert Held. In ihrer Bewerbungsrede erzählt sie vom Leben in Mecklenburg-Vorpommern, vom Kampf gegen Rechts. Sie spricht mit starker, lauter Stimme, wirkt auf der Bühne wie ein Profi.
Mit einem guten Wahlergebnis für Held haben hier alle gerechnet. Doch von der Euphorie, die die Nietzard-Nachfolgerin im Saal ausgelöst hat, und den fast 94 Prozent Zustimmung sind dann doch einige überrascht. Ihr neuer Co-Sprecher Bobga, der in seiner Rede vor allem über Rassismus und soziale Gerechtigkeit spricht, kommt auf ebenfalls respektable 76 Prozent. Wie Held tritt er ohne Gegenkandidatur an. Das sei "krass gut", er freue sich da sehr drüber, sagt er im Anschluss über sein Ergebnis.
Bloß keine Kampfkandidatur
Bobgas Kandidatur kam überraschender als die von Held. Eigentlich wollte sein Vorgänger Jakob Blasel noch einmal antreten. Dann ließ er vor einigen Wochen überraschend wissen, dass er sich nun doch lieber auf sein Studium konzentrieren wolle. Auf Nachfragen dazu, schwieg Blasel, der stets eher zurückhaltend und ruhig wirkte. Der "Spiegel" schreibt, Bobga sei von Nietzard unterstützt worden. Blasel habe einer Kampfkandidatur aus dem Weg gehen wollen. Nietzards letzte Rache, sozusagen.
Dass das Verhältnis zwischen Blasel und Nietzard nicht das Beste war, konnte man sich bereits denken. Im Gespräch mit t-online im Sommer etwa verlor Blasel kein schlechtes Wort über seine Co-Sprecherin, gab sich loyal. Positives war ihm aber ebenfalls nicht zu entlocken. Der frisch gewählte Bobga weist zurück, dass er auf Nietzards Geheiß kandidiert habe. "Ich habe mich eigenständig dazu entschieden, als Bundessprecher zu kandidieren", sagt der 23-Jährige darauf angesprochen.
Nietzard hatte keinen leichten Stand in der Partei
Held und Bobga müssen jetzt inhaltlich Akzente setzen – und das Verhältnis zur Mutterpartei neu austarieren. Das war auch schon von Blasel und Nietzard erwartet worden, nachdem sich die Partei und ihre Nachwuchsorganisation in der Ampel-Zeit derart entfremdet hatten, dass der Bundesvorstand geschlossen zurückgetreten war. Doch gelungen war ihnen das nicht wirklich.
Doch spätestens als Nietzard zum Jahreswechsel postete "Männer die ihre Hand beim Böllern verlieren können zumindest keine Frauen mehr schlagen" (sic!)" ging es wieder bergab. Weitere Aufreger folgten. Parteikollegen wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann oder Cem Özdemir, der Kretschmann in dem bürgerlichen Bundesland politisch beerben will, forderten Nietzard zum Parteiaustritt auf.
Und auch sonst machte in der Partei hinter vorgehaltener Hand kaum jemand ein Geheimnis daraus, dass man von Nietzard nicht viel halte. Auf den Rückzug der 26-Jährigen reagierten viele mit Erleichterung. Bei den Auseinandersetzungen sei es weniger um Inhalte, als um politischen Stil und den Umgang miteinander gegangen, heißt es.
- Der Grüne inszeniert sich auf der Bühne: Habecks Gesprächsreihe
- "Grünen-Bashing kommt nicht mehr nur von Rechtsextremen": Interview mit Berîvan Aymaz
"Felix, bitte links abbiegen"
Es ist die klassische Aufgabe von Nachwuchsorganisationen ihre Parteien inhaltlich vor sich herzutreiben und in ihren Ansichten radikaler zu sein. Nach dem Ende der Ampel-Regierung sind die Grünen nun wieder in der Opposition, einstige Gesichter der Partei wie Annalena Baerbock oder Robert Habeck haben sich zurückgezogen. Die Grünen sind auf der Suche nach einem neuen Kurs, stagnieren in Umfragen bei elf bis zwölf Prozent. Die Grüne Jugend will die Partei nach dem Realo-Kurs während der Ampel-Zeit wieder nach links treiben.
Wie links das sein kann, zeigt ein Schild zum Wehrdienst auf dem Bundeskongress in Leipzig. "Wenn ich ehrenamtlich Nazis blockiere, will ich nicht hauptamtlich mit ihnen in der Kaserne schlafen", steht darauf. Der Mutterpartei dürfte es kaum schmecken, dass ihre Jugendorganisation Soldatinnen und Soldaten pauschal mit Nazis gleichsetzt.
Etwas braver ist da das Banner, dass einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer während der Rede von Grünen-Chef Felix Banaszak in die Höhe halten. "Felix, bitte links abbiegen", steht darauf. Der lacht – und bekommt Applaus für seine Rede, in der er die schwarz-rote Koalition angreift und sagt, er wolle keine "angepasste" Grüne Jugend. "Linksrutsch jetzt", rufen ihm einige am Ende zu.
"Ich glaube, dass auch der Parteivorsitzende der Grünen sich darüber freut, eine laute Jugendorganisation zu haben", sagt der neue Sprecher Bobga, der aus Nordrhein-Westfalen kommt und in Osnabrück Internationale Migration und interkulturelle Beziehungen studiert. Was eben nicht gehe, seien Rücktrittsforderungen aus der eigenen Partei. Da sei "eine Grenze überschritten". Es müsse fair zugehen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Grüne Jugend ohne Jette Nietzard im vergangenen Jahr wohl kaum so viel Aufmerksamkeit bekommen hätte. Das sagt auch der ein oder andere Teilnehmer des Bundeskongresses in Leipzig. Ob jede Aufmerksamkeit eine gute ist, steht auf einem anderen Blatt. Jette Nietzard sagt in ihrer Abschiedsrede: "Schweigend kann man nichts erkämpfen."
- Bundeskongress der Grünen Jugend in Leipzig
- Bericht "Spiegel": So hart lief der Machtkampf in der Grünen Jugend










