"Bereit, mein Blut zu vergießen" Angeklagter Russe verhöhnt Staatsanwälte bei Plädoyer

Drei russische "Wegwerfagenten" sollen in Deutschland Infrastruktur für Anschlagspläne ausgespäht haben. Die Beweislage gegen den Hauptangeklagten scheint erdrückend. Er will auf Freispruch plädieren.
Acht bewaffnete Beamte sichern am Freitagmorgen den Saal, als der fast schmächtig wirkende kleine Mann mit Glatze und langem Bart im Sicherungsgriff zur Anklagebank geführt wird. Dieter S., von seinen Freunden Dima genannt, wünscht den Medien sogar "einen schönen guten Morgen". Er wirkt eher belustigt.
Dabei drohen dem Deutsch-Russen bis zu zehn Jahre Haft. Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Spionage. Es geht um mutmaßliche Anschlagsplanungen und Ausspähungen im Auftrag des russischen Geheimdiensts.
Der Kommandeur darf nicht aussagen
Hinter dem Richter hängt eine große Leinwand. Davor ein Projektor. Eigentlich sind alle technischen Mittel für eine Videovernehmung vorhanden. Und darum geht es zuerst.
Die Verteidigung hatte beantragt, Akhra Avidzba, den Kommandeur der russischen Pyatnashka-Brigade, als Entlastungszeugen zu vernehmen. Notfalls eben per Telegram-Videoanruf. Das sei möglich, behauptete Verteidiger Loewe, schließlich habe Avidzba auch mit einem US-amerikanischen Journalisten auf diesem Wege über den Fall kommuniziert.
In einem langen Vortrag erläutert das Gericht, dass dies nicht machbar sei, denn dem habe das Bundesjustizministerium widersprochen. Es gebe außenpolitische Bedenken; man könne den Kommandeur weder anschreiben noch vorladen oder per Video verhören. Die Laune bei Dieter S. verschlechtert sich derweil zusehends. Er schüttelt abwertend den Kopf, gestikuliert, spricht leise mit seinem Verteidiger. Nachdem der Antrag abgelehnt ist, eröffnet Bundesanwalt Hannes Meyer-Wieck sein Plädoyer.
Die Ziele: Zuggleise, Nato-Anlagen
Über eine Stunde lang legen zwei Staatsanwälte vor, was an Beweisen gegen Dieter S. und seine beiden Mitangeklagten Alexander D. und Alexander J. vorliegt. Immer wieder fallen auch hier die Namen der Pyatnashka-Brigade und ihres Kommandeurs, Akhra Avidzba. Die Anklagepunkte teilen sich in zwei Bereiche.
Erstens soll Dieter S. Mitglied der Pyatnashka-Brigade gewesen und aktiv am illegalen Überfall im ukrainischen Donezk 2014 bis 2016 beteiligt gewesen sein. Zweitens sollen alle drei Angeklagten in Deutschland Spionage für Russland betrieben haben. Hierbei sollen sie erst sehr viel später, nämlich 2022 und 2023, massiv Zuggleise, Nato-Anlagen und Rüstungsfirmen für mögliche Anschläge ausgespäht haben. Dieter S. habe die Ergebnisse an Kommandeur Avidzba weitergegeben, wie t-online berichtete. Seine beiden Mitangeklagten hätten ihm bei der Suche nach Informationen geholfen.
Fotos aus dem Kampfgebiet
Im Februar 2014 sei Dieter "Dima" S. nach Russland gereist, habe sich der Pyatnashka-Brigade angeschlossen und offenbar auch an der Ukraine-Front gekämpft. Dies würden vor allem drei Fotos, weitere Videos und vor allem die auf Handys und Computern festgestellten Chat-Verläufe klar belegen. In diesen prahlt Dieter S. mit Sätzen wie diesen: "Auch ich bin bereit, mein Blut zu vergießen. Viele Jungs gestorben, aber ich nicht! Ich habe eine andere Bestimmung."
Belastend sind auch die vielen Zeugenaussagen, die von Dieter S. als Krieger in Uniform und mit Waffe handeln. Eine wichtige Rolle spielt darin auch ein ZDF-Beitrag, der ihn zeigte. Mitglieder des ZDF-Teams wurden als Zeugen vernommen, auch ihre Aussagen belasten Dieter S. schwer. Seine Version geht hingegen anders.
Die Waffe auf den Bildern sei eine Attrappe gewesen. Kommandeur Akhra Avidzba habe ihn als Schauspieler engagiert, der westlichen Medien als Dolmetscher und vermeintlicher "Kämpfer" zur Verfügung stehen solle. Diese Darstellung widerspricht der Beweislage.
S. will Schauspieler gewesen sein
Zum einen war Dieter S. nachweislich in einem aktiven Kriegsgebiet, in dem das Herumlaufen ohne Waffe und in einer Uniform zu jeder Zeit lebensgefährlich war. Zum anderen legt die Staatsanwaltschaft recht glaubwürdig dar, dass es abwegig sei, in der Waffenkammer einer Fronteinheit stünden Attrappen zur Verfügung.
Dieter S. ist inzwischen unruhig. Er wendet sich an seine Verteidiger, spricht oft leise mit ihnen, winkt ab. Seine Mitangeklagten sehen nach unten, zeigen kaum Reaktionen.
Je länger das Plädoyer dauert, je klarer wird das Bild eines Mannes, der auf jeden Vorwurf eine passende Antwort zu haben scheint.
Er habe ja in Donezk nur Fleisch verkauft, sei Schauspieler im Auftrag von Avidzba gewesen und in Deutschland habe er nur so viel mit seinen Einsätzen geprahlt, um – wie er sagt – "Frauen flachzulegen".
Dann klatscht S. hämisch und lacht
Der Mann bezeichnet laut Staatsanwalt Ukrainer oft als "Päderasten" oder "Khokhol", von Russen abfällig für Ukrainer gebraucht. Er hasse offenbar Ukrainer. Seiner ehemaligen Frau schreibt er "Wenn mein Enkel ein 'Khokhol' wird, erhänge ich mich!" Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher: Dieter S. war kein Schauspieler, sondern ein aktiver Kämpfer der Pyatnashka-Brigade. Und die gilt, so die Bundesanwaltschaft, als Teil der sogenannten Volksrepublik Donezk, also einer terroristischen Organisation.
Spätestens an diesem Moment ist erstaunlich, dass im Saal nur wenige Medienvertreter sitzen. Das bevorstehende Urteil kann große Konsequenzen haben, denn Dieter S. ist nicht der einzige Deutsch-Russe, der im Donbass kämpfte und zurückkehrte. Wird er als Mitglied einer terroristischen Organisation verurteilt, kann dies später auch Konsequenzen für jene haben, die eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen, denn wer in so einer Terrormiliz kämpft, läuft Gefahr, die deutsche Staatsbürgerschaft zu verlieren.
Nachdem das Plädoyer zum ersten Anklagepunkt beendet ist, klatscht Dieter S. hämisch und lacht mit ironischer Miene. Doch dann folgte das Plädoyer zum zweiten Anklagepunkt.
Die Verbindungen zum GRU
Darin heißt es, dass alle drei Angeklagten massive Erkundungen über Bahn- und Militäranlagen durchgeführt haben sollen. Alex J. und Alex D. hätten Dieter S. zugearbeitet, der diese Informationen dann an Akhra Avidzba weitergegeben habe.
Angeblich, so Dieter S., aus Geldnöten.
Wer am 9. Mai 2025 die jährliche Siegesparade Putins im Kreml verfolgt hat, der sieht gleich wenige Meter von Putin entfernt eben jenen Avidzba stehen. Dieser stehe auch, so die angehörten Sachverständigen und der Generalbundesanwalt, in direkter Verbindung mit dem russischen Militärgeheimdienst GRU.
Auf der Anklagebank wird es etwas unruhig. Es scheint immer wieder, als wolle der Angeklagte selbst etwas sagen, er spricht dann aber nur mit seinem Verteidiger.
Dem Generalbundesanwalt ist offenbar bekannt, dass die Pyatnashka-Brigade eine reine Ausländereinheit ist. Eine Art "Legion", in der auch viele Kämpfer westeuropäischer Nationen im Einsatz sind. Die Einheit betreibt eine eigene Website, Telegram-Kanäle und wird insbesondere in Deutschland aktiv unter anderem von der Propagandistin Alina Lipp ins Gespräch gebracht.
S. will auf Freispruch plädieren
Brisant und belastend ist dann der Umstand, dass der Hauptangeklagte Dieter S. bereits nach einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bayreuth 2018 weiter Kontakt mit Akhra Avidzba hielt. Er wusste also, sagt der Staatsanwalt, dass er beobachtet wird. Trotzdem habe er proaktiv immer wieder seine Informationen und die seiner Mitstreiter über Infrastruktur, Bahnanlagen und Militäreinrichtungen an den Kommandeur weitergegeben. Und da dieser eben mit dem GRU in Verbindung stehe, sei der Tatbestand der Spionage erfüllt.
Was hätte Akhra Avidzba dazu gesagt, wäre er auf der großen Leinwand im Gerichtssaal erschienen? Es hätte Dieter S. und seinen Freunden wohl nicht geholfen. Denn wie glaubwürdig ist ein Kommandeur, der eine illegale Einheit in einem Angriffskrieg gegen die Ukraine führt?
Und so fordert die Staatsanwaltschaft insgesamt acht Jahre und acht Monate für Dieter S. Ein Jahr auf Bewährung sollen Alexander D. und Alex J. erhalten. "Mein Mandant", sagt Verteidiger Loewe, "sieht das als politischen Prozess gegen ihn." In einer Woche wollen sie auf Freispruch plädieren.
- Eigene Recherchen







