Kritische Beziehung "Das Auge der Taliban wacht nun auch in Deutschland"

Deutschland verhandelt mit den Taliban und lässt gleichzeitig deren Diplomaten ins Land. Kritiker warnen vor einer schleichenden Anerkennung der Islamisten.
Eigentlich pflegt Deutschland zu den aktuellen afghanischen Machthabern keinen Kontakt. Denn seitdem die Taliban-Islamisten nach dem Abzug internationaler Truppen wieder an der Macht sind, herrscht auf diplomatischer Ebene Funkstille – eigentlich.
Doch auch wenn die Bundesregierung nach eigenen Angaben die "De-facto-Regierung der Taliban politisch nicht als legitime Regierung Afghanistans" anerkennt, so gab es in den vergangenen Monaten mehrere Schritte in Richtung genau dieser Anerkennung. So verhandelt das Bundesinnenministerium aktuell direkt mit deren Vertretern über die Abschiebung von afghanischen Straftätern in ihr Heimatland.
Parallel dazu übernahm die Taliban-Regierung die afghanische Botschaft in Berlin und das Generalkonsulat in München. Vor Kurzem wurden auch Taliban-Angehörige ins Land gelassen, die angeblich das Bonner Generalkonsulat übernehmen sollen. Der vorherige Generalkonsul musste auf fragwürdige Weise Platz machen.
- Regierung entscheidet: Zwei Taliban dürfen in Deutschland arbeiten
- Dobrindts Abschiebepläne: "Das ist total abwegig"
Mit den Verhandlungen und der Einreise der Taliban-Mitglieder bewirkt die Bundesregierung eine Legitimierung der Islamisten. Und die Folgen könnten weit über Deutschland hinausreichen.
Deutschland und die Taliban: "Eine Grauzone"
Dabei gibt es deutliche Kritik an dem Vorgehen der Bundesregierung. So betonte der Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour (Grüne) kürzlich bei t-online bezüglich der Verhandlungen eines Abschiebedeals: "Die Unterzeichnung eines offiziellen Abkommens wäre der letzte Schritt zur Anerkennung dieses skrupellosen Terrorregimes und ein beispielloser Fehler."
Von einer Anerkennung will der Afghanistan-Experte Conrad Schetter jedoch noch nicht sprechen. Im Gespräch mit t-online erklärt er aber: "Wir befinden uns in einer Grauzone, in der die Taliban immer mehr an Legitimität gewinnen." Das sei vonseiten der Islamisten eine klare Politik. Demnach haben die Taliban die Grenzen bereits stark verschoben.

Zur Person
Conrad Schetter ist Direktor des Bonn International Centre for Conflict Studies und Professor für Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Bonn. Dabei forscht er insbesondere zu Afghanistan und den Taliban. 2022 veröffentlichte er das Buch "Die Taliban. Geschichte, Politik, Ideologie".
Allerdings geht es nicht nur Deutschland so. Denn auch wenn das ebenfalls international isolierte Russland bisher der einzige Staat ist, der die Taliban-Regierung offiziell anerkannt hat, so sprechen deutlich mehr Länder mit deren Vertretern. "Auf einer informellen Ebene haben sehr viele Staaten erkannt, dass man mit den Taliban reden und mit ihnen arbeiten muss, auch wenn man sie international nicht anerkennt", betont Schetter.
Auch der Iran möchte Geflüchtete wieder nach Afghanistan abschieben und verhandeln. Pakistan verhandelt aktuell mit den Taliban über ein Ende der Gewalt in der Grenzregion – und will ebenfalls geflüchtete Afghanen zurückschieben. China will den Handel mit Afghanistan ausbauen. Zudem haben die Vereinigten Arabischen Emirate und Usbekistan ebenso wie China und Pakistan Botschafter nach Kabul entsandt.
Die Bundesregierung betont, es gebe keine Gegenleistungen für ein Abkommen. Afghanistan-Kenner Schetter bezweifelt das und sieht es als Resultat der Verhandlungen, dass "die Taliban die Vertretungen in Deutschland übernehmen dürfen". Man dürfe die Taliban nicht als "Steinzeit-Islamisten" einschätzen, vielmehr habe die Organisation einen klaren Plan, die eigene Legitimität Schritt für Schritt zu erhöhen – zum Beispiel durch die Übernahme von Botschaften und Konsulaten.
Taliban übernehmen Botschaft und Konsulate in Deutschland
Das ist den Taliban zuletzt gelungen. Das afghanische Generalkonsulat in München kooperierte schnell mit den neuen afghanischen Machthabern, in der Botschaft in Berlin beriefen die Islamisten den Botschafter schließlich ab und ersetzten ihn. Nun gab es auch einen Machtwechsel im Bonner Generalkonsulat, bei dem das Vorgehen der Bundesregierung zumindest Fragen aufwirft.
Denn trotz mehrerer Warnungen von Menschenrechtlern und afghanischen Diplomaten aus anderen Ländern ließ die Bundesregierung Anfang Oktober zwei Taliban-Vertreter als Diplomaten nach Deutschland einreisen. Offiziell sollen sie durch ihre Arbeit Abschiebungen afghanischer Straftäter unterstützen, erklärte Alexander Dobrindt in der ARD.
Doch in Wahrheit gibt es offenbar andere Pläne: Einer der Taliban soll das Bonner Generalkonsulat übernehmen. Der bisherige Generalonsul Hamid Nangialay Kabiri, Vertreter der alten afghanischen Regierung, und seine 22 Mitarbeiter hatten ihre Arbeit aus Protest zuvor niedergelegt. Laut der ARD wurde seine Diplomatenkarte von deutscher Seite allerdings nicht verlängert, seine Kontaktversuche sollen ignoriert worden sein. Das Auswärtige Amt sagt dazu, der Generalkonsul sei vom Außenministerium in Kabul offiziell abberufen worden. Die Entscheidung sei "rechtlich bindend".
Schritt der Bundesregierung hat Folgen
Experte Schetter glaubt allerdings nicht, dass das deutsche Außenministerium machtlos gewesen sei. "Man hätte auch zu einer anderen Entscheidung kommen können – wenn man gewollt hätte." Aber es zeige das große Interesse, mit den Taliban eine Vereinbarung zu schließen.
Einstufung der Taliban
Zahlreiche Länder wie die USA haben die Taliban als Terrororganisation eingestuft, Deutschland allerdings nicht. Der Verfassungsschutz beobachtet die Organisation allerdings in einigen Bundesländern.
Die Übernahme der Botschaft und der Konsulate sei ein wichtiger Schritt für die Taliban und insbesondere von "hoher symbolischer Bedeutung". Allerdings geht die Übernahme der afghanischen Vertretungen in Deutschland weit über die Symbolik hinaus – es hat Konsequenzen für zahlreiche Menschen.
Sorge vor Konsequenzen für Afghanen in Deutschland
Denn mit der Übernahme des Bonner Generalkonsulats gelangen die Taliban an sensible Informationen. Bereits im Februar warnten ein Dutzend afghanische Auslandsvertretungen, die noch nicht unter Kontrolle der Taliban stehen, es gehe um "Unmengen dienstlicher und vertraulicher Daten afghanischer Bürgerinnen und Bürger in der EU und darüber hinaus".
Die Sorge vor negativen Konsequenzen für afghanische Geflüchtete und EU-Bürger mit afghanischer Herkunft ist groß. Allein in Deutschland leben fast 350.000 Schutzsuchende aus Afghanistan und über 100.000 weitere Menschen mit afghanischer Herkunft. Diese könnten nun eingeschüchtert oder verfolgt werden, heißt es in dem Schreiben.
Experte Schetter glaubt, dass sich viele von ihnen nun weniger kritisch äußern könnten, weil "das Auge der Taliban nun auch in Deutschland über sie wacht." Auswirkungen könnte das Vorgehen zudem für die in Afghanistan gebliebenen Familien von geflüchteten Regimegegnern haben.
Schetter glaubt aufgrund der jüngeren Erfahrungen zwar nicht, dass diesen Gewalt angetan wird. Es gehe vielmehr um die Macht, die die Taliban nun mit diesen Daten besitzen. "Man weiß nicht, wann und ob sie diese nutzen. Diese Ungewissheit ist belastend für die Afghanen in Deutschland."
Andere Länder beobachten Deutschland
Das Bestreben der deutschen Politik, straffällige Afghanen in ihre Heimat abzuschieben, ist laut Schetter allerdings letztlich "so dominant, dass dem alle anderen Fragen untergeordnet werden". So hält er es für denkbar, dass künftig nicht nur Straftäter und Gefährder, sondern auch andere afghanische Asylbewerber abgeschoben werden – möglicherweise auch, wenn ihnen Gefahr durch die Taliban droht.
Das deutsche Vorgehen wird im europäischen Ausland derweil genau beobachtet. So machen zahlreiche Länder in der EU großen Druck, bald nach Afghanistan zurückschieben zu können. Das haben 19 Mitgliedsstaaten plus das Nicht-EU-Land Norwegen in einem Brief an EU-Migrationskommissar Magnus Brunner gefordert. Deutschlands Vorgehen könnte dafür nun ein Türöffner sein – mit allen Folgen.
- Gespräch mit Conrad Schetter
- tagesschau.de: "Datenschatz für die Taliban"
- auswaertiges-amt.de: "Deutschland und Afghanistan: Bilaterale Beziehungen"
- taz.de: "Bundesregierung bootet Afghanistans Botschafter aus"
- taz.de: "Deal mit Taliban wohl sicher"
- rijksoverheid.nl: "Joint Letter from the undersigned Ministers on strengthening voluntary and forced returns to Afghanistan" (englisch)






