Schwarz-Rot "Die Umfragen sind brutal"

Die Laune ist durchwachsen, die Umfragen sind schlecht: Bei Schwarz-Rot nehmen die Fliehkräfte zu. Dabei will die Koalition jetzt eigentlich wichtige Reformen beschließen.
Jens Spahn wollte offenbar etwas loswerden, bevor es an diesem Montag wieder losgeht im Bundestag. Kann ja nicht schaden in dieser Lage. "Wir gewinnen gemeinsam, wir verlieren gemeinsam", sagte Spahn "Politico". "Im Moment verlieren wir gemeinsam, die Umfragen sind brutal." Und damit es auch alle verstehen: "Der Vertrauensverlust ist groß, die Erwartungshaltung ist groß, die Skepsis ist groß."
Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wen der Unionsfraktionschef damit wachrütteln wollte: die eigenen Leute. Seine Abgeordneten, aber auch die der SPD. Wenn man es nicht wüsste, hätte man in den vergangenen Tagen kaum bemerkt, dass beide in einer Regierungskoalition sind. SPD-Politiker warfen dem Kanzler Friedrich Merz vor, mit seiner "Stadtbild"-Äußerung bewusst rassistische Narrative zu bedienen. Die Union sprach von "Empörungszirkus".
Die Unerbittlichkeit der Vorwürfe ist wohl auch Ausdruck einer tieferliegenden Entfremdung in der Koalition. Die Verletzungen der vergangenen Monate wirken nach, die schlechten Umfragewerte lassen die Nervosität wachsen. Das hat längst Auswirkungen auf die tägliche Arbeit.
Die Fliehkräfte nehmen zu
Die Fliehkräfte, die in dieser Koalition wirken, zeigen sich mittlerweile an mehreren Stellen. Selbst innerhalb der Parteien. Erst in dieser Woche hat sich in der CDU eine Gruppierung gebildet, die den Kurs der Partei unter Friedrich Merz fundamental kritisiert: der "Compass Mitte".
Einer der Initiatoren, der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz, sagte der "Zeit": "Die CDU droht ihren Wertekompass zu verlieren, wenn sie sich nur noch als rein konservative Partei versteht." Der "soziale und liberale Teil der Union" müsse "sichtbarer werden", heißt es in einer Erklärung. Man müsse wegkommen von einer "reinen Konzentration auf das Migrationsthema", wie Polenz im Deutschlandfunk sagte.
Eine Massenbewegung in der CDU ist der "Compass Mitte" bisher nicht, aus der Bundestagsfraktion ist nur Roderich Kiesewetter dabei. Das liegt einerseits daran, dass in der Fraktion der Sozialflügel in den vergangenen Jahren stark an Einfluss verloren hat. Andererseits rechnen viele Liberale es Merz hoch an, dass er die CDU deutlich von der AfD abgrenzen will, die Klimaziele stützt und sich in seinen Reden überparteilich gibt. Wenn er nicht gerade übers "Stadtbild" spricht.
Doch nervös sind auch die zurückhaltenderen Liberalen in der Union. Und nicht nur die.
Verhärtete Fronten beim Wehrdienst
Auch die SPD hat derzeit alle Hände voll zu tun, die eigenen Reihen geschlossen zu halten. Das zeigt sich etwa beim Koalitionsstreit um den Wehrdienst.
Vor zwei Wochen kam es zum Eklat zwischen Union und SPD: Ein von Fachpolitikern der Fraktionen erarbeiteter Kompromiss wurde von SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius kurz vor Verkündung gestoppt. Aus Pistorius' Sicht reichte das Wehrdienst-Modell der Fraktionen nicht aus, um Deutschland schnell verteidigungsbereit zu machen.
Auch der linke SPD-Flügel war über den Kompromiss der Fraktionsspitzen verärgert, aus etwas anderen Gründen. Insbesondere das vorgeschlagene Zufallsverfahren, bei dem ein Teil der Wehrdienstleistenden ausgelost werden soll, stieß auf großen Unmut bei den Genossen. In der Fraktionssitzung der SPD äußerten mehrere Abgeordnete harte Kritik.
Die SPD pocht auf Freiwilligkeit beim neuen Wehrdienst und kann dabei auf einen Parteitagsbeschluss im Sommer verweisen, den vor allem die Jusos erkämpft hatten. Die SPD-Jugendorganisation hat den freiwilligen Wehrdienst als zentrales Thema gesetzt und weiß dabei um die Unterstützung von Teilen der SPD-Fraktion.
Der Konflikt verläuft also auf mehreren Ebenen. Wie so eine Einigung mit der Union zustande kommen soll, die auf mehr verpflichtende Elemente drängt, ist unklar. Die Fronten scheinen verhärtet zu sein.
Die Rentenreform ist nicht sicher
Ebenso verhärtet scheint eine andere Debatte zu sein, auch wenn dort der öffentliche Eklat bislang ausgeblieben ist: die über das Rentenpaket. Vor zwei Wochen stellte sich die Junge Gruppe in der Union offen gegen den Gesetzentwurf, der vom Kabinett schon beschlossen worden war.
Die 18 jungen Abgeordneten könnten das Gesetz im Bundestag alleine verhindern, wenn sie nicht zustimmen. Und noch deutlich mehr Unionspolitiker teilen ihre Kritik. Sie bemängeln, dass mit dem Gesetz das Rentenniveau nicht nur bis zum Jahr 2031 bei 48 Prozent festgeschrieben werden soll, sondern auch darüber hinaus.
Das sei eine "schwere Hypothek für die junge Generation", sagte der Vorsitzende der Jungen Gruppe, Pascal Reddig, damals t-online. Und zwar wegen der immer weiter steigenden Kosten für die Rente. Im Bundestag müsse das "dringend" korrigiert werden.
Die SPD sieht das ganz anders. SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt sprach im "Tagesspiegel" von "Generationentäuschung". Eine Änderung des Gesetzes bedeute: "Heute Beiträge zahlen, morgen weniger Rente bekommen." Im Bundestag sagte sie: "Wir bestehen darauf, dass dieser Gesetzentwurf an dem Punkt so bleibt, wie er ist." Von einer Annäherung ist seitdem nichts zu spüren. Vertreter von Union und SPD ziehen in diesen Wochen durch die Talkshows und bekräftigen ihre Positionen.
SPD-Rebellion beim Bürgergeld
Widerstand aus den eigenen Reihen droht Schwarz-Rot auch bei der Reform des Bürgergelds. Die Bundesarbeitsministerin und SPD-Vorsitzende Bärbel Bas hat ihren Reformentwurf zum Bürgergeld gerade erst in die regierungsinterne Abstimmung gegeben, schon hat sie ein SPD-Mitgliederbegehren am Hacken.
Teile der SPD stemmen sich gegen die Reform, die schärfere Sanktionen vorsieht und das Bürgergeld in "Grundsicherung" umtaufen soll. "Die SPD darf keine Politik mittragen, die Armut bestraft", heißt es in dem Text, mit dem das Mitgliederbegehren eingeleitet werden soll. "Wir, engagierte Mitglieder der SPD, erheben unsere Stimme gegen die aktuellen und geplanten Verschärfungen im Bereich des SGB II (Bürgergeld)."
Zu den 167 Erstunterzeichnern gehören Juso-Chef Philipp Türmer, die Europaabgeordnete Maria Noichl und der frühere Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz. Ob die Initiative Erfolg hat, ist alles andere als ausgemacht: Mindestens ein Prozent der Parteimitglieder muss nach zwei Monaten unterzeichnet haben, um das Mitgliederbegehren zu starten. Erst wenn dann innerhalb von drei Monaten ein Fünftel der SPD-Mitglieder unterschreibt, entscheidet der Parteivorstand, ob er die Forderungen umsetzt – oder nicht.
Viele Hürden also, und das letzte Wort hat die SPD-Spitze. Was man dort über die Rebellion denkt, hat gerade der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, bei RTL/n-tv bekräftigt: "Wir als SPD-Bundestagsfraktion, wir stehen hinter dem Reformvorhaben von Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas." Übersetzt: Die Fraktions- und Parteiführung setzt darauf, dass das Mitgliedervotum scheitert.
Etwas anderes bleibt ihr kaum übrig. Ein Ausscheren aus der Bürgergeld-Einigung dürfte die Haltbarkeit dieser Koalition stark verkürzen, die Union würde das nicht akzeptieren. Und auch bei Wehrdienst und Rente können sich die Koalitionäre ein Scheitern nicht leisten. Den Spitzen scheint das bewusst zu sein. Doch können sie ihre Leute von den vielen schmerzhaften Kompromissen überzeugen?
- Eigene Recherchen
- politico.eu: "Ein Spaziergang mit Jens Spahn"







