Digitalminister Wildberger "Diese Entwicklung ist kaum zu fassen"

Bundesminister Karsten Wildberger soll Bürokratie abbauen, die deutsche Verwaltung reformieren und digitalisieren. Ist das zu schaffen – und wenn ja, wie? Hier zieht Wildberger nach einem halben Jahr Bilanz.
Früher leitete er große Unternehmen, heute soll er Deutschland vor der Bürokratie retten: Karsten Wildberger ist seit sechs Monaten Minister für Digitales und Staatsmodernisierung. Er gilt als einer der Hoffnungsträger im Kabinett Merz. Doch sein Ministerium wurde ganz neu geschaffen, die Mitarbeiter sind noch nicht aufeinander eingespielt, die Räume sind provisorisch, in Kürze steht noch ein Umzug an.
An diesem Mittwoch legt Wildbergers Haus einen ersten Arbeitsnachweis vor. Zum ersten Mal tagt die Regierung speziell zum Thema Entlastungen. Beschließen soll sie eine Reihe von Maßnahmen, die Wildbergers Stab über Wochen erarbeitet hat. Was können die Bürger erwarten – heute und in den kommenden Monaten? Ist Wildbergers große Aufgabe überhaupt zu schaffen?
t-online: Herr Wildberger, Sie sind als Außenseiter in die Politik eingestiegen, haben vorher einen Konzern geleitet. Wie lautet Ihr Fazit nach sechs Monaten: Warum tut sich Deutschland so schwer mit Reformen?
Karsten Wildberger: Wir haben 20 Jahre lang Regulierungen angehäuft und Komplexität aufgebaut. Wir haben Beton aufgetragen. Das war ein langer Prozess, das verändert auch die Kultur. Jetzt haben wir Kipppunkte erreicht, an denen klar wird: Es ist zu viel.
Sie sollen das Problem lösen. Wie machen Sie das?
Es ist eine große Herausforderung. Denn auch das System, in dem wir arbeiten, ist komplex: Europa, Bund, Länder, Kommunen. Dazu Ministerien, die sehr eigenständig funktionieren. Wir arbeiten als Querschnittsministerium anders als andere Ministerien – und so kommt auch etwas anderes heraus. Aber es braucht natürlich ein bisschen Zeit, bis das auch die Bürgerinnen und Bürger erreicht.
Zur Person
Karsten Wildberger ist seit Mai Minister für Digitales und Staatsmodernisierung im Kabinett Merz. Davor war er Unternehmensberater und Manager. Als Vorstandsvorsitzender der Ceconomy AG sowie Geschäftsführer der Media-Saturn-Holding GmbH war er zuletzt für Tausende Mitarbeiter zuständig und verdiente Millionen. Dann folgte er dem Ruf von Friedrich Merz in dessen Kabinett und trat auch der CDU bei. Wildberger hat Physik studiert und 1997 in dem Fach promoviert.
Was haben Sie konkret in der Arbeitsweise Ihres eigenen Ministeriums verändert?
Wir haben zum Beispiel einen Staatssekretärsausschuss für Staatsmodernisierung und Bürokratieabbau eingeführt, der regelmäßig tagt. Da trägt unser Haus mit Philipp Amthor federführend die Verantwortung. Wir beschäftigen uns am Kabinettstisch jede Woche mit Themen aus unserer Modernisierungsagenda für den Bund. Wir starten diese Modernisierungsagenda jetzt auch in Zusammenarbeit mit den Ländern. Wir gehen stringent und strukturiert vor. Meine Hoffnung ist deshalb groß, dass wir etwas verändern können.
Wünschen Sie sich manchmal, dass Sie wie ein Konzernchef Dinge einfach anordnen könnten?
Auch wenn man einen Konzern aus der Krise führen soll, passieren Dinge nicht nur, weil man sie sich wünscht. So funktioniert die Welt nicht. Man muss Menschen immer für sich gewinnen.
Aber in einem Konzern lassen sich Blockaden doch schneller auflösen. Muss ein moderner Staat nicht eher wie ein Wirtschaftsunternehmen handeln?
Ja, ein bisschen schneller geht es in einem Konzern. Aber ich erfahre mehr Unterstützung, als ich mir das vorher vorgestellt habe – von allen Kabinettskollegen, vom Kanzler allemal. Ich bin positiv überrascht vom Dialog, der Offenheit, dem respektvollen Umgang. Natürlich gibt es Unterschiede bezogen auf Sachfragen. Aber das ist okay so, das ist Demokratie.
Wenn Sie eine Schulnote von eins bis sechs vergeben, wie agil ist der deutsche Staat?
Eine Schulnote ist eine Statusbeschreibung, ein Blick in den Rückspiegel. Davon halte ich nichts. Wir müssen nach vorne schauen. Wir bewegen schon jetzt eine Reihe von Dingen, viel funktioniert gut. Das müssen wir ausbauen.
Das Entlastungskabinett an diesem Mittwoch ist Ihr erster großer Wurf. Ganz konkret: Welche zwei Vorhaben aus dem Entlastungskabinett sind aus Ihrer Sicht zentral?
Mit dem beschlossenen Entlastungspaket hat eine Regierung erstmalig einen konkreten Plan für langfristigen Bürokratierückbau. So etwas gab es noch nie. Das bringt Entlastungen in Milliardenhöhe und zeigt auch, dass wir als Regierung und auch unter den Ministerien gut zusammenarbeiten. Das war echtes Teamwork.
Wir haben acht konkrete Entlastungen gleich im Kabinett und rund 50 Eckpunkte für die nächsten Monate beschlossen. Anschaulich ist: Wir reformieren das Gebäudetyp-E-Gesetz vom Justiz- und vom Bauministerium. Damit passen wir das Bauvertragsrecht so an, dass man beim Bau leichter von Komfort- beziehungsweise Ausstattungsstandards abweichen kann – also zum Beispiel bei der Anzahl von Steckdosen und Heizungen. So wird Bauen einfacher, günstiger und schneller. Darüber hinaus vereinfachen wir die Gewerbeordnung und heben in vielen Bereichen Berichtspflichten auf und führen zum Beispiel Erleichterungen bei bestimmten steuerlichen Verordnungen ein.
Sie haben vorher aus allen Ministerien Vorschläge eingesammelt, wo Bürokratie und Kosten kürzbar wären. Was ist für Sie an den Einsendungen der Kollegen ablesbar, wo liegen die Probleme?
Wir haben zwei Klassen von Vorhaben erarbeitet. Erstens: Eckpunkte. Da sind große Vorhaben dabei, die zum Teil sehr viel handwerkliche Arbeit brauchen, bevor sie beschlossen werden können. Das ist ein bunter Strauß an Themen. Diese Eckpunkte haben wir jetzt so durchdekliniert, dass wir einen klaren Zeitplan haben, bis wann sie in den Gesetzgebungsprozess kommen. Sodass feststeht: Zu Zeitpunkt X soll eine bestimmte Vorschrift abgeschafft sein. Die zweite Klasse an Vorhaben kann schon jetzt gesetzgeberisch angegangen werden. Die machen allerdings den kleineren Teil aus.
Warum?
Wir wollen eine bessere Gesetzgebung machen, auch das ist Teil unserer Modernisierungsagenda. Das heißt auch, handwerklich sauber zu arbeiten.
Den einen großen Schalter, den man umlegen könnte und alles wird wunderbar, gibt es einfach nicht.
Karsten Wildberger
Das klingt kleinteilig, nicht nach dem großen Wurf.
Den Vorwurf höre ich oft. Da kann ich nur sagen: Ach, ehrlich? Den einen großen Schalter, den man umlegen könnte und alles wird wunderbar, gibt es einfach nicht. Da müssen wir uns ehrlich machen. Wir haben die Verwaltung über viele Jahre immer komplexer gemacht. Um das zurückzubauen, müssen wir in alle Bereiche und alle Branchen reingehen, uns Stück für Stück vorarbeiten. Das tun wir jetzt.
In Ihrer Modernisierungsagenda versprechen Sie, in dieser Legislaturperiode 16 Milliarden Euro durch Bürokratieabbau einzusparen. Wie viel ist davon schon erreicht?
Wir haben seit Beginn dieser Regierung mit zum Beispiel dem Bau-Turbo, der Reform des Lieferkettengesetzes und dem beschleunigten Netzausbau bereits Entlastungen im Umfang von drei Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Und so geht es jetzt weiter. Die Modernisierungsagenda ist dabei unsere Richtschnur, wie wir unseren Staat agiler und digitaler machen.
In Argentinien hat Javier Milei gerade wieder Rückendeckung von der Bevölkerung bekommen. Der Mann, der weltweit Schlagzeilen macht, weil er mit der Kettensäge radikal den Staat zurückbaut. Sie wollen erklärtermaßen kein Kettensägen-Mann sein. Was dann?
Ich will einen ganzen Werkzeugkasten dabeihaben und je nach Situation das richtige Instrument zücken. Schweres wie feines Gerät. Sie können ja mal versuchen, mit der Kettensäge Feinschliff zu betreiben. Da sage ich nur: viel Erfolg.
Ist die Erwartungshaltung an Sie zu groß?
Die Menschen haben ein Recht darauf, viel zu erwarten. Ich nehme diese Aufgabe ernst, ich nehme sie auch sehr persönlich. Wie im Übrigen mein gesamtes Team. Dieses Land kann so viel mehr. Ich hoffe, dass die Menschen mit der Zeit Zutrauen zu uns entwickeln, dass etwas passiert. Und dass sie Verständnis haben, wenn ich ihnen erkläre, dass es den einen großen Schalter eben nicht gibt.
Auch ohne diesen Schalter: Wie lange dauert es, bis man als normaler Bürger wieder das Gefühl haben wird, dass der Staat funktioniert?
Ich hoffe, dass die Menschen im Laufe dieser Legislatur sagen: Es wird spürbar einfacher. Wir brauchen auch einen Regelprozess: Wenn wir an einer Stelle Bürokratie aufbauen, müssen wir sie an einer anderen abbauen. Das muss zur Selbstverständlichkeit werden. Ich gehe auch nicht nur einmal im Jahr ins Fitnessstudio, sondern jede Woche. So muss es auch die Politik halten.
Bürokratiebremsen gab es auch in der Vergangenheit schon, funktioniert haben sie nicht. Deutschland hat mittlerweile 960 nachgelagerte Behörden und 350.000 Beamte. Viele Bürger blicken in diesem Dickicht nicht mehr durch. Sie versprechen, die Anzahl der Behörden zu reduzieren. Welche Behörde kann weg?
Mir ist wichtig, erst einmal einen konstruktiven Weg zu beschreiten. In den Behörden zu wirken, Abläufe um 20 bis 30 Prozent zu beschleunigen, Verfahren effizienter zu gestalten. Da kann auch Künstliche Intelligenz viel helfen.
Aber es ist doch nicht nur eine Frage der Abläufe, sondern auch der grundsätzlichen Struktur. Das deutsche Behördendickicht hat manchmal tödliche Folgen. Etwa bei Mordanschlägen: Da wusste das eine Bundesland nicht, wer ein Gefährder ist, weil die Daten aus einem anderen Bundesland nicht vorlagen.
Natürlich werden wir uns auch die Frage stellen: Braucht es an manchen Stellen vielleicht nicht 16 Behörden, sondern nur eine? Nehmen wir als Beispiel Datenschutzbehörden oder Eichämter: Sie interpretieren Gesetzesvorhaben und Regeln. Es reicht aus meiner Sicht, wenn diese Interpretation einmal zentral vorgenommen wird. Aber meine Top-Priorität ist Prozessoptimierung. Ich weiß, das ist für Medien keine gute Überschrift. Aber mir geht es nicht um Überschriften. Mir geht es allein um die Frage: Was hat die größte Wirkung?
Brauchen Sie aber nicht auch gute Überschriften, um wieder einen Anpackergeist in der Bevölkerung zu befördern? Dieses Gefühl: Es geht was!
Natürlich wollen wir Freiheiten schaffen, das Fenster öffnen, Sauerstoff in den Raum lassen. Aber wir sollten Deutschland auch nicht zu schwarz malen. Dieses Land ist in der Lage, Großes zu leisten. Wir haben hervorragend ausgebildete junge Leute, wir haben Champions im Mittelstand, wir haben sehr gute Start-ups. Diese Erkenntnis gibt doch totale Energie. Bisher konzentrieren wir uns hierzulande zu sehr darauf, was alles nicht läuft.
Auch beim großen Zukunftsthema Künstliche Intelligenz werden in der öffentlichen Debatte häufig eher die Risiken betont als die Chancen.
Das ist genau die Denke, die wir hinter uns lassen müssen.
Woher kommt sie?
Das haben wir uns antrainiert. Wir müssen uns wieder bewusst machen, wofür die Deutschen eigentlich in der Welt stehen: Erfindungsgeist, Gestaltungskraft, Innovation. Natürlich birgt die Künstliche Intelligenz Risiken. Aber diese Risiken beherrschen wir nur, wenn wir die Technologie beherrschen. Stattdessen führen wir Debatten über Regulierung. Und während wir diskutieren, bauen andere die Produkte. So bleibt uns am Ende nichts anderes übrig, als Kunden dieser Produkte zu werden. Das ist fatal.
Sie haben aber die Zweifler doch auch an Ihrem Kabinettstisch sitzen. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hat vor Kurzem den geistigen Vampirismus der US-amerikanischen KI-Größen scharf kritisiert.
Herr Weimer adressiert sicherlich ein ganz wichtiges Thema: Wie gehen wir mit geistigem Eigentum im Digitalen um? Das ist eine grundsätzliche und super relevante Frage. Mein Fokus ist aber ein anderer: Wie nehmen wir am Wettbewerb teil und gestalten? Die Antwort auf neue Technologien kann nicht allein Regulierung sein.
Welcher Staat ist bei der Digitalisierung Ihr Vorbild?
Wir können von vielen Ländern sehr viel lernen. Aber mich beeindrucken Staaten noch mehr, die sich aus einer noch schwierigeren Ausgangslage neu erfunden und weit nach vorn katapultiert haben. Nehmen wir China oder Singapur: Wo standen diese Länder vor 40 Jahren, wo stehen sie heute? Diese Entwicklung ist kaum zu fassen.
China ist eben eine Diktatur, da entscheidet einer an der Spitze, was gemacht wird.
Nein, diese Darstellung greift zu kurz. In China sind sehr viele sehr weitsichtige Köpfe in die strategische Entwicklung des Landes involviert.
Die EU will bei der Künstlichen Intelligenz jetzt auch Gas geben und fünf "KI-Gigafactories" in Europa fördern: riesige Anlagen, künftige Zentren der Innovation. In Deutschland wollten sich ursprünglich mehrere Unternehmen zusammenschließen und einen Antrag für ein großes Projekt stellen. Doch das ist gescheitert, man kam nicht überein. Stattdessen gibt es nun mehrere Anträge. Ein weiterer schwerer Fehler?
Es ist doch hervorragend, dass wir mindestens sechs glaubwürdige Bewerber haben, die auch eigene Anträge stellen können. So haben wir die Chance, nicht nur eine KI-Gigafactory zu uns zu holen. Welches Land kann das schon von sich behaupten?
Die EU will in der gesamten EU aber nur fünf Gigafactories finanzieren. Halten Sie es wirklich für realistisch, dass Deutschland sogar für mehrere davon den Zuschlag bekommen kann?
Wir haben als Regierung immer gesagt: Wir wollen mindestens eine. Und ich denke, das klappt auch. Die anderen Projekte können wir immer noch umsetzen – dann eben privatwirtschaftlich, ohne große Förderung der EU.
Herr Wildberger, vielen Dank für das Gespräch.
- Gespräch mit Karsten Wildberger














