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Leipzig – Antifa-Demo in Sachsen: Polizei mit Großaufgebot


Linke Demo in Leipzig
Polizei in der Überzahl

Aus Leipzig berichtet Adrian Arab

Aktualisiert am 13.09.2020Lesedauer: 5 Min.
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Teilnehmer der Demonstration "Storm the fortress - break all borders!" gehen durch die Stadt.Vergrößern des Bildes
Teilnehmer der Demonstration "Storm the fortress - break all borders!" gehen durch die Stadt. (Quelle: Robert Michael/dpa-bilder)

Neue Gewalt bei linken Demos verhindern – das sollte ein Großaufgebot der Polizei in Leipzig. Nach den Auseinandersetzungen der letzten Wochen kam es am Samstag aber anders.

Wer an diesem Samstagnachmittag in Leipzig die Straßenbahnlinie 3 bestieg und, vorbei am berühmten Gewandhaus, in Richtung Osten fuhr, erblickte eine Stadt im Ausnahmezustand. Wasserwerfer der Polizei rollten über den Bahnhofsvorplatz, auch ein Räumungspanzer war zu sehen, irgendwo am Himmel drehte ein Helikopter seine Runden. Es waren Bilder, wie man sie sonst nur von großen Politikereignissen kennt oder, in abgeschwächter Form, von den Corona-Demonstrationen in der Hauptstadt. In Leipzig sind solche Einsätze eigentlich nicht an der Tagesordnung.


Der Grund für das Aufgebot, zumindest der offizielle, befand sich auf der Eisenbahnstraße, 20 Fahrminuten vom Bahnhof entfernt, im Nordosten der Stadt. Die Straße, die einmal quer durch den multikulturellen Stadtteil Volkmarsdorf führt, hat den berüchtigten Ruf, die "schlimmste Straße Deutschlands zu sein". Eine Dokumentation, ausgestrahlt auf ProSieben, bezeichnete sie einmal so. Die Straße hat sich die Legende bis heute bewahrt, auch wenn sie statistisch längst widerlegt ist. 2018 führte die sächsische CDU hier die erste Waffenverbotszone im Bundesland ein.

Massives Polizeiaufgebot

Man muss das im Hinterkopf behalten, um das massive Polizeiaufgebot zu erklären, mit dem die Behörden auf eine verhältnismäßig kleine Demonstration reagierten, die das linke Nika-Bündnis ("Nationalismus ist keine Alternative") für diesen Samstag angemeldet hatte. Unter dem Titel "Gegen die Festung Europa und das autoritäre Regime Chinas" wollten 600 Teilnehmer, überwiegend aus Leipzig, vom Stadtrand in das Zentrum ziehen.

Es war ein ungewöhnlicher Titel für eine Zeit, in der Systemkritiker auch gegen Corona-Auflagen demonstrieren könnten, doch er stammte noch aus den Tagen vor der Pandemie. Bis das Coronavirus kam, war in der Geburtsstadt von Karl Liebknecht und Bill Kaulitz für dieses Wochenende nämlich der chinesische Präsident Xi Jinping erwartet worden, um mit der Bundesregierung unter anderem über ein Investitionsschutzabkommen mit der EU zu verhandeln. Auch das umstrittene Sicherheitsgesetz in Hong Kong stand auf der Tagesordnung.

Widerstand gegen EU-China-Gipfel

Die Hoteliers in der Stadt hatten bereits Monate zuvor volle Auftragsbücher vermeldet, was allerdings nicht nur auf Diplomaten und Unterhändler zurückzuführen war. Die Leipziger Antifa – einer der militantesten Ableger der linksautonomen Strömung – hatte im ganzen Land mobilisiert und den "Widerstand gegen diesen Gipfel als DAS zentrale Ereignis der deutschen Linken 2020" bezeichnet. Das war eine Kampfansage, die bei den Behörden unschöne Erinnerungen an den G20-Gipfel weckte. Während Peking und Berlin in der Leipziger Kongresshalle am Zoo tagten, so der Plan, sollten in der Innenstadt "schöne Bilder wie aus Paris" produziert werden.

Doch es kam anders, zumindest ein bisschen. Der Gipfel fiel ins Wasser, die Demonstration aber blieb. Für das ganze Wochenende hatte das EU-China-Gipfel-Protestbündnis Veranstaltungen angekündigt, um aus Leipzig heraus gegen "den Aufstieg des Reichs der Mitte zur Weltmacht" zu demonstrieren. Auch die Polizei, so schien es, änderte ihr Programm nicht und blieb beim ursprünglich anvisierten Aufgebot.

Das lag auch daran, dass die linke Szene bereits am Wochenende zuvor gezeigt hatte, was sie kann. Nach der Räumung zweier besetzter Häuser im Leipziger Osten und im alternativ geprägten Stadtteil Connewitz gab es drei Nächte lang Ausschreitungen. Die Bilanz: 20 verletzte Polizisten und 38 Ermittlungsverfahren wegen Brandstiftung und Körperverletzung. Auch wenn die Veranstalter dieser Demonstration der Gewalt zuvor öffentlich abgeschwört hatten, blieben die Behörden skeptisch. Der Verfassungsschutz rechnete in einer öffentlichen Stellungnahme ganz offen mit Ausschreitungen.

Demonstranten singen friedliche Evergreens

Wie übertrieben diese Sorge war, wurde bereits beim geplanten Beginn der Demonstration um 16.30 Uhr klar. Überwiegend schwarz gekleidete Demonstranten, von denen fast alle einen Mund-Nasen-Schutz trugen, stimmten am Straßenrand friedliche Evergreens wie "Don’t stop me now" (Queen) oder den "Rauch-Haus-Song" der Berliner Rockband Ton Steine Scherben an. "Der Mariannenplatz war blau, soviel Bullen waren da", heißt es in einer Zeile dieses Protestsongs.

Ergänzt um den richtigen Ort, beschrieb er die absurde Situation fast perfekt. Kaum mehr als 100 Demonstranten standen einer Armada von Polizisten gegenüber, die aus zahlreichen Bundesländern angereist waren und besonders in den ersten Minuten die Zahl der Teilnehmer um ein Vielfaches überstiegen. Erst 45 Minuten später hatten sich die Reihen der Antiautoritären dahingehend gefüllt, dass sich der Protestzug gesichtswahrend gegen Politik, Polizei und Peking aufmachen konnte. Zwischenzeitlich nahmen nach Polizeiangaben bis zu 600 Demonstranten teil.

Die Polizei wollte ihre Einsatzstärke aus taktischen Gründen am Abend noch nicht offen legen. Im Gespräch mit t-online sprach Polizeipräsident Horst Kretzschmar lediglich von "mehr als 1.000 Polizisten für das gesamte Wochenende", die aus allen Teilen der Republik angereist waren. Ob dies angesichts des friedlichen Verlaufs gerechtfertigt war, darüber lässt sich streiten. Bei den Demonstranten zeigte man sich jedenfalls irritiert.

"Wenn die Polizei einen friedlichen Protestzug mit gepanzerten Fahrzeugen begleitet, muss sie sich über Szenen wie bei G20 nicht wundern", sagte etwa Demonstrant Robert, der anonym bleiben will. Er wundere sich, wieso die Polizei in Berlin den Sturm auf den Reichstag "durch Faschisten" zulasse, während sie in Leipzig vollkommen "überdrehe".

Hauptorganisator droht ein Strafverfahren

Beide Seiten, also Polizei wie Demonstranten, beließen es bei dieser Art von verbaler Provokation, körperlich blieb es ruhig. Größter Aufreger auf Seiten der Demonstranten war ein angedrohtes Strafverfahren gegen den Hauptorganisator der Demo, dem die Polizisten vorwarfen, ein vertrauliches Kontaktgespräch mit den Behörden aufgezeichnet zu haben. Die Situation klärte sich durch den MDR, der den jungen Mann zuvor mit einem Knopfmikrofon verkabelt hatte. Die Demonstranten bedankten sich mit ausufernden "Bullenschweine"-Sprechchören.

Das Versprechen, China in die Mangel zu nehmen, wurde hingegen nicht eingelöst. Andere Themen drängten, etwa das Verhalten der Bundesregierung nach dem Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria, was sich in Sprechchören gegen den Bundesinnenminister Horst Seehofer zeigte, verbunden mit dem Vorwurf "Europa ist eine Mörderin". Auch der antikapitalistische Dreiklang von "Staat, Kapital, Nation – Scheiße" und die Feststellung "Pyrotechnik ist kein Verbrechen" wurde verlautbart und mit dem Wurf vereinzelter Böller untermalt. Die Polizei nahm es sportlich. Dass der chinesische Präsident aber schon rein technisch keine Notiz von den Vorgängen in Leipzig nehmen konnte, lag auch daran, dass ein gegen ihn gerichtetes Transparent auf Kantonesisch formuliert war. Jinping spricht aber nur Mandarin.

Linker Protest, so drückte es ein Teilnehmer am Ende der Demo aus, müsse gewalttätig sein, ansonsten sei er nicht wahrnehmbar und werde von den Medien schlicht ignoriert. Die Demonstranten, so scheint es, haben das an diesem Samstagnachmittag widerlegt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche in Leipzig am 12. September 2020
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