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Rechtsextremismus bei der Bundeswehr: Kritischer Soldat zu Unrecht abgestraft


Gericht urteilt gegen Bundeswehr
Kritischer Soldat wurde zu Unrecht abgestraft

  • Carsten Janz
Von Carsten Janz

Aktualisiert am 20.08.2023Lesedauer: 4 Min.
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Ein Soldat der Bundeswehr (Symbolfoto): Das Verwaltungsgericht Hannover verhandelt am Mittwoch die Klage eines Ex-Soldaten gegen seine Entlassung.Vergrößern des Bildes
Ex-Soldat Patrick J. feiert vor Gericht ersten Sieg gegen Bundeswehr. (Quelle: IMAGO / Political-Moments/imago images)

Ex-Soldat Patrick J. hat über viele Jahre rechtsextreme Verdachtsfälle unter seinen Kameraden gemeldet. Die Bundeswehr stellte ihn als Querulanten dar. Ein Gericht gibt ihm jetzt recht.

Am Telefon klingt Patrick J. erleichtert, als er von dem neuesten Gerichtsurteil rund um seine Auseinandersetzung mit der Bundeswehr erzählt. Und kämpferisch. "Das ist jetzt der Anfang der Klärung", sagt er. "Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass die Bundeswehr zukünftig mit Meldungen angemessen umgeht und Meldende nicht willkürlich Repressionen ausgesetzt werden." Vor wenigen Tagen hat er die Nachricht bekommen, dass das Verwaltungsgericht in Berlin der Bundeswehr untersagt, ehrverletzend über ihn zu sprechen.

Es ist ein erster Sieg in einer jahrelangen Auseinandersetzung des früheren Soldaten Patrick J. mit der Bundeswehr. In diesem Streit geht es um die Frage: Wie ernst nimmt die Bundeswehr Hinweise auf Rechtsextreme in den eigenen Reihen? Wie konsequent werden sie verfolgt? Und: Wie gehen sie mit Hinweisgebern um?

Weg nach oben

Patrick J. war ein Soldat, der Karriere bei der Bundeswehr machen wollte. Sein erklärtes Ziel war das KSK, das Kommando Spezialkräfte, eine Truppe von Elitesoldaten. Er schlug den vorgeschriebenen Weg ein und tat alles dafür, seinem Traum vom Spezialsoldaten näherzukommen. Und die Bundeswehr unterstützte ihn in diesem Vorhaben. Bis Patrick J. als Kommandofeldwebelanwärter in Pfullendorf unbequem wurde. Zumindest in den Augen mancher Vorgesetzter. So erzählt er es.

Rechtsextreme in der Truppe

Denn Patrick J. will schnell erkannt haben, dass einige seiner Kameraden nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung standen. Er meldete zunächst einige wenige Verdachtsfälle von Rechtsextremen in Pfullendorf, später immer mehr. "Das Wort Jude wurde als Schimpfwort genutzt", sagt Patrick J. Bücher des Schriftstellers Ernst Jünger kursierten. Jünger gilt als ein intellektueller Wegbereiter der Nationalsozialisten, obwohl er der NSDAP nie beitrat. Aussagen, die auch von den Pegida-Demonstranten in Dresden hätten stammen können, seien an der Tagesordnung gewesen, sagt J. Zudem fand er in sozialen Netzwerken zahlreiche Soldaten, die mit Rechtsextremen vernetzt waren, die selbst rechtsextreme Inhalte teilten oder rechte Inhalte mit "gefällt mir" markierten. Details dazu können Sie auch hier nachlesen.

Doch die Bundeswehr tat mit diesen Hinweisen nicht das, was J. erwartete. Statt die Betreffenden genau zu überprüfen und gegebenenfalls zu suspendieren, erlitt er nach eigenen Angaben Repressalien. Die Bundeswehr machte seine vertraulichen Hinweise innerhalb der Kaserne öffentlich, andere Kameraden erhoben plötzlich schwere Vorwürfe gegen ihn. Patrick J. galt fortan als Nestbeschmutzer.

Der Höhepunkt der Auseinandersetzung war 2018 erreicht. Die Bundeswehr leitete ein Entlassungsverfahren gegen Patrick J. ein, in dem sie die von ihm gemeldeten Verdachtsfälle als "haltlos und unbegründet" darstellte. Nachdem "Der Spiegel" über seinen Fall berichtet hatte, postete die Bundeswehr auf der Plattform X (vormals Twitter) sogar zu seinem Fall. Dort schrieb sie: "In der Nebensache gründet die Entlassung auch auf der Vielzahl nicht ausreichend belegbarer Meldungen des Soldaten." Gegen diese und weitere ähnliche Aussagen hatte Patrick J. daraufhin geklagt und jetzt recht bekommen. Das Verwaltungsgericht untersagte der Bundeswehr diese Aussagen weiterzuverbreiten.

Ohrfeige für die Bundeswehr

Die Entscheidung des Gerichts liest sich wie eine Ohrfeige für die Bundeswehr. Denn aus der Begründung geht hervor, dass der Militärische Abschirmdienst (BAMAD), der Nachrichtendienst der Bundeswehr, die gut 100 Meldungen von Patrick J. gar nicht überprüft hatte. J. hatte ein detailliertes Dossier erstellt, mit Belegen von Soldaten, die rechtsextreme Inhalte bei Instagram oder X geliked hatten – und vieles mehr. Offenbar ignorierte die Bundeswehr all dies.

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Das Bundesverteidigungsministerium teilte t-online hierzu knapp mit: "Die gemeldeten Fälle wurden geprüft." Doch das Gericht sah das offenbar anders. Die Bundeswehr musste sich in einem Schreiben gegenüber dem Gericht rechtfertigen. Daraus geht laut Beschluss lediglich hervor, dass

"das BAMAD gegen vier Personen die operative Bearbeitung aufgenommen habe, dass zwei Personen dort bereits bekannt seien, und dass in zwei weiteren Fällen derzeit die Aufnahme einer operativen Bearbeitung geprüft werde".

BAMAD überprüft nur vier Meldungen – unvollständig

Der Militärische Abschirmdienst hat sich also offensichtlich nur vier Fälle genauer angeschaut und das ohne abschließende Bewertung. Das ist ein Bruchteil der gut 100 von J. gemeldeten Fälle. Dennoch wurde Patrick J. als Nestbeschmutzer dargestellt und ohne Belege öffentlich bei X gedemütigt.

Bundeswehr legt Patrick J. Steine in den Weg

Und nicht nur das. Als sich Patrick J. bei einer anderen Behörde bewarb, sorgte die Bundeswehr dafür, dass diese von den angeblich übertriebenen Meldungen erfuhr. Sie schickte den Entlassungsbescheid, mit den mittlerweile vom Gericht untersagten Feststellungen an den neuen potenziellen Arbeitgeber. Das Gericht schreibt dazu: Die "Formulierungen" in dem Entlassungsbescheid sind für Patrick J. "nachteilig und bloßstellend". Patrick J. bekam den Job nicht.

"Wiederholungsgefahr"

Das Gericht sieht außerdem eine "Wiederholungsgefahr", es schreibt im Beschluss: "Deswegen ist absehbar, dass die Antragsgegnerin sich erneut etwa in einer Pressemitteilung in den sozialen Medien zum Antragsteller positionieren könnte." Sollte die Bundeswehr dies tatsächlich tun, droht ihr laut einstweiliger Unterlassung des Gerichts ein Ordnungsgeld.

Die Bundeswehr wollte sich zu dem Beschluss des Gerichts nicht äußern, eine Sprecherin schrieb t-online, dass das "Bundesministerium der Verteidigung in Achtung der Unabhängigkeit der Gerichte Entscheidungen grundsätzlich nicht kommentiert".

Gericht räumt mit Vorurteil auf

Das Gericht räumt tatsächlich mit einem Vorurteil auf. Patrick J. wurde auch öffentlich von ehemaligen Kameraden als schwieriger Mensch bezeichnet, als Nestbeschmutzer. Weil sich seine Meldungen angeblich bisher nicht bestätigt hätten. Das Gericht sagt auch, dass viele Fälle noch unbestätigt sind, sieht die Verantwortung aber hier bei der Bundeswehr und der ausbleibenden Bearbeitung. Und führt aus: "Zutreffend mag sein, dass eine Vielzahl der von dem Antragsteller erstatteten Meldungen bisher ohne Ergebnis geblieben und sich der geäußerte Verdacht somit nicht bestätigt hat. Das belegt aber noch nicht, dass der Antragsteller ohne hinreichenden Grund Meldungen erstattet hat und insoweit eine problematische Persönlichkeitsstruktur aufweist."

Patrick J. hofft, dass der Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts erst der Auftakt für eine noch weiterreichende Richtigstellung ist, auch das Disziplinarverfahren noch einmal überprüft wird. Er sieht sich bestätigt, dass die Vorwürfe der Bundeswehr allesamt unhaltbar sind.

Verwendete Quellen
  • Eigene Quellen
  • Gespräche Patrick J.
  • Urteil Berliner Verwaltungsgericht
  • Anfrage Bundesministerium der Verteidigung
  • Anfrage Eva Högl, Wehrbeauftragte
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