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Nato-Warnung an Russland: "Dann könnte es richtig gefährlich werden"


Nato-Drohung an Putin
"Rutte hat die Nato in eine schwierige Lage gebracht"

  • Daniel Mützel
InterviewEin Interview von Daniel Mützel

24.09.2025Lesedauer: 5 Min.
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Nato-Generalsekretär Rutte drohte Russland beim nächsten Verstoß mit "militärischen Mitteln". (Quelle: IMAGO/Dursun Aydemir/imago)
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Die Nato droht Russland mit "militärischen Mitteln", sollte es zu weiteren Luftraumverstößen kommen. Der Nato-Experte Michael J. Williams erklärt, was das Kalkül dahinter ist und welche Optionen Wladimir Putin jetzt hat.

Russische Kampfjets über Estland, russische Drohnen über Polen: Die wiederholten Luftraumverletzungen durch Russland alarmieren die Nato. Zweimal innerhalb weniger Wochen rief die westliche Verteidigungsallianz eine Dringlichkeitssitzung ein, um über eine angemessene Reaktion zu beraten. Vorläufiges Ergebnis: eine Warnung an die Adresse Putins, dass er bei der nächsten Provokation mit militärischen Gegenmaßnahmen der Nato rechnen muss.

Reicht das? Oder sollte das Bündnis schärfer reagieren und gar mit dem Abschuss russischer Jets drohen? Der US-Militärexperte Michael J. Williams hält das Zögern der Nato für einen Fehler und erklärt, warum Generalsekretär Mark Rutte die Nato in eine schwierige Lage gebracht hat.

t-online: Herr Williams, die russischen Luftstreitkräfte verletzen seit Wochen den Luftraum von Nato-Staaten wie Polen, Rumänien und Estland. Mal mit Drohnen, mal mit Kampfjets. Wie erklären Sie diese Häufung?

Michael J. Williams: Die Lage ist in der Tat sehr ernst. Luftraumverletzungen durch Russland beobachten wir seit Jahren. Aber was Putin jetzt veranstaltet, hat eine neue Qualität. Er testet, wie entschlossen die Nato reagiert und ob sich Schwachstellen auftun. Ich halte das für eine gefährliche Eskalation.

Michael J. Williams

Michael J. Williams ist ein Dozent für Internationale Beziehungen an der Syracuse University in New York. Zuvor war er Direktor des "Transatlantic Security Program" am Royal United Services Institute (RUSI) in London und arbeitete als Berater im US-Außenministerium. Sein Forschungsschwerpunkt umfasst die Nato, internationale Sicherheit und Verteidigung.

Welche Motive stecken dahinter?

Mehrere. Russland testet die Reaktionsfähigkeit der Nato und sammelt so wertvolle Informationen. Zugleich sind das gezielte Provokationen, um den Westen zu destabilisieren. Putins strategisches Ziel ist es, die Nato zu spalten und zu schwächen. Das lässt sich auch jetzt bereits in Ansätzen erkennen: Während die Osteuropäer auf eine härtere Gangart gegen Russlands Luftraumverletzungen drängen, wollen die westeuropäischen Nato-Mitglieder eine Eskalation vermeiden.

Wo sehen Sie die größte Gefahr?

Dass aus der Uneinigkeit eine handfeste Spaltung erwächst. Wenn etwa italienische Kampfjets im Rahmen des Nato Air Policing eine russische Maschine im estnischen Luftraum abschießen sollen, weil diese eine Bedrohung darstellt, entscheidet das am Ende Italien, nicht Estland. Die italienische Regierung wird abwägen, ob sie für einen toten russischen Piloten verantwortlich sein will. Das lädt Putin geradezu ein, die Allianz auseinanderzutreiben.

Die Entscheidung zum Abschuss trifft nicht die Nato, sondern die jeweilige nationale Regierung?

Korrekt. Italien hat im August das Kommando des Nato Air Policing im Baltikum für vier Monate übernommen. Daher waren es italienische Piloten, die in Estland die russischen MiGs aus dem Nato-Luftraum eskortiert haben. Die Allianz hat ihre Einsatzregeln, aber jedes Nato-Mitglied hat noch mal seine eigenen. Die Entscheidung zum Einsatz tödlicher Gewalt liegt bei den Staaten.


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Das würde die nicht nur Glaubwürdigkeit des Generalsekretärs beschädigen, sondern der gesamten Nato.


Nato-Experte Michael J. Williams


Schweden hat angedroht, russische Jets notfalls eigenständig abzuschießen. "Kein Land hat das Recht, schwedischen Luftraum zu verletzen", sagte Verteidigungsminister Pål Jonson. Geht so Abschreckung?

Die Schweden zeigen eine Entschlossenheit, die ich mir für die gesamte Nato wünsche. Warum gibt es bisher keine Luftraumverletzungen in Schweden, Finnland oder Deutschland? Weil sich Putin die schwächsten und verletzlichsten Länder heraussucht. Und die versucht er zu isolieren. Andere Nato-Mitglieder sehen stärker die Gefahr einer Eskalation, wenn sie ein bemanntes russisches Flugzeug vom Himmel holen. Dieses Zögern spielt Russland aus.

Auch US-Präsident Donald Trump sagte am Dienstag auf die Frage einer Journalistin, dass er es gutheiße, wenn die Nato russische Flugzeuge bei Luftraumverstößen abschießen würde. Was ist Trumps Kalkül?

Es ist ein klares Signal sowohl an die Nato als auch an Russland: Trump stärkt den europäischen Nato-Partnern den Rücken und schickt zugleich eine Warnung an den Kreml. Die Frage ist nun: Wird Putin Trumps Warnung ignorieren?

Nach der Sitzung des Nato-Rats am Dienstag richtete Nato-Generalsekretär Mark Rutte eine Warnung an Russland, dass die Nato bei weiteren Verstößen auch militärische Mittel einsetzen werde. Wie glaubwürdig ist das?

Rutte hat eine deutliche Botschaft gesendet, aber zugleich die Allianz in eine schwierige Lage gebracht. Wenn die Nato bei der nächsten russischen Luftraumverletzung nicht entsprechend handelt, weiß Russland, dass Ruttes Worte eine leere Drohung waren. Das würde nicht nur die Glaubwürdigkeit des Generalsekretärs beschädigen, sondern der gesamten Nato. Dann könnte es richtig gefährlich werden.

Die Gefahr, einen russischen Kampfjet nicht abzuschießen, wäre größer, als ihn abzuschießen?

Ja, weil die Nato sonst ihre eigene Schwäche demonstriert, was Putin auf vielen Ebenen ausbeuten kann.

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Glauben Sie, Putin wird austesten, wie ernst die Nato ihre Drohung meint?

Ich gehe davon aus. Wahrscheinlich nicht morgen oder in einer Woche, aber man sollte auf kurze Sicht damit rechnen. Putin handelt meist rational und bisher hat ihm die Nato zu wenige Grenzen aufgezeigt. Das hat er erkannt und ausgenutzt.

Es könnte also sein, dass demnächst ein Nato-Pilot den Abschussbefehl erhält und einen eindringenden russischen Kampfjet vom Himmel holt?

Wir müssen uns mit diesem Szenario auseinandersetzen. Die türkische Luftwaffe hat 2015 einen russischen Su-24-Kampfjet abgeschossen – danach gab es nur noch einen bekannten Fall einer weiteren Luftraumverletzung. Russland reagiert nicht auf freundliche Appelle, sondern versteht nur Härte.


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Ich will ich mir nicht ausmalen, was passiert, wenn ganze Drohnenschwärme in den Nato-Luftraum eindringen.


Nato-Experte Michael J. Williams


Was Nato-Piloten tun dürfen und was nicht, regeln die Einsatzregeln ("Rules of Engagement"). Sollte die Nato ihre Regeln verschärfen, um ihre Abschreckung zu erhöhen?

Das ist die entscheidende Frage. Meiner Auffassung nach ja. Putin testet gerade die Schwachstellen der Nato-Einsatzregeln: Seine Jets können eindringen, ein paar Kilometer weit fliegen, bis sie von Nato-Flugzeugen abgefangen werden. Am nächsten Tag können sie das Spiel wiederholen. Solange die russischen Maschinen keine unmittelbare Bedrohung darstellen, etwa indem sie einen Angriff vorbereiten, darf die Nato keine tödliche Gewalt anwenden. Dass die Abschreckung der Nato hier aktuell versagt, sehen wir an den wiederholten russischen Überflügen.

Wie könnten strengere Einsatzregeln aussehen?

Klarere Reaktionsmuster, niedrigere Schwellen, ab wann Waffengewalt eingesetzt werden darf. Das hängt natürlich auch von der Mission ab. Das Nato Air Policing hat andere Einsatzregeln als die Operation "Eastern Sentry", die als Reaktion auf die Luftraumverletzungen in Polen ins Leben gerufen wurde. Aber wenn es die Nato jetzt bei Worten belässt, bleibt das Risiko, dass Putin das als Schwäche begreift und die nächste Eskalationsstufe vorbereitet.

Nato-Generalsekretär Rutte sagte, die Nato-Luftverteidigung habe funktioniert, müsse aber weiter gestärkt werden. Bei den Überflügen in Polen wurden billige Drohnen mit teuren Raketen bekämpft. Auch haben Nato-Kampfjets nur einen Teil der Drohnen abgewehrt. Klingt das für Sie nach einem funktionierenden System?

Es funktioniert technisch, aber es ist nicht nachhaltig. Mit einer Rakete, die Millionen Dollar kostet, auf eine Drohne im Wert von ein paar tausend Dollar zu feuern, ist auf Dauer nicht machbar. Europa muss dringend in moderne Luftverteidigung und Drohnenabwehr investieren. Wenn die Nato schon mit ein paar Drohnen alle Hände voll zu tun hat, will ich mir nicht ausmalen, was passiert, wenn ganze Drohnenschwärme in den Nato-Luftraum eindringen.

Herr Williams, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Michael J. Williams
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