Schwarz-rote Koalition Irgendwer muss geplaudert haben

Wie weit trägt die Freiwilligkeit beim Wehrdienst? Schwarz-Rot ist offenbar nah an einem Kompromiss. Auch wenn eine Indiskretion den Prozess nun noch mal komplizierter macht.
Es hätte ein fröhliches Wochenende werden können für die Verhandlungsgruppe Wehrdienst. Nach monatelangem Hin und Her hatten sich SPD und Union im Bundestag vergangene Woche in kleiner Runde angenähert. Sie waren glücklich, endlich einen Weg gefunden zu haben, der sowohl den Wünschen der SPD als auch der Union gerecht wird: so viel Freiwilligkeit wie möglich, so viel Pflicht wie nötig.
In dieser Woche sollten weitere Details geklärt werden, dann wollte die Koalition alles gemeinsam der Öffentlichkeit vorstellen. So ist es aus der Koalition zu hören. Denn schon am Donnerstag soll die erste Lesung im Bundestag stattfinden. Es wäre ein versöhnliches, geordnetes Ende eines turbulenten Prozesses gewesen, in dem sich SPD und Union mehrfach gefährlich in die Haare bekommen haben.
Doch dann kam der Sonntag und zerschlug zumindest die Hoffnung auf ein geordnetes Ende. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtete über Details der Wehrdienst-Einigung. Irgendwer muss geplaudert haben. Eine Indiskretion, die nun noch mal unnötige Aufregung in eine hochheikle Debatte bringt. Dabei sind die Verhandler von SPD und Union dem Vernehmen nach tatsächlich schon sehr weit gekommen.
Das Pistorius-Modell bekommt ein Upgrade
Die neue Kompromisslinie, um die es demzufolge geht, würde über die bisherigen Pläne von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hinausgehen. Pistorius' Wehrdienstgesetz, das Ende August vom Bundeskabinett beschlossen wurde, sah bislang vor, allen 18-Jährigen eines Jahrgangs einen Fragebogen zuzuschicken.
Die Angeschriebenen sollen darin Fragen zu ihrer körperlichen Fitness und ihrem möglichen Interesse an einem Wehrdienst beantworten. Männer müssen den Online-Fragebogen verpflichtend ausfüllen, Frauen steht das frei. Daraus sollte dann ein Pool an Freiwilligen gebildet werden, der den Bedarf an Wehrdienstleistenden deckt. 2026 rechnete Pistorius so mit 15.000 freiwilligen Wehrdienstleistenden, bis 2029 sollen es insgesamt 114.000 sein.
Eine Zwangseinziehung junger Männer war nur dann vorgesehen, wenn sich nicht genügend Freiwillige meldeten, konkret: "Wenn die verteidigungspolitische Lage einen schnellen Aufwuchs der Streitkräfte zwingend erfordert", wie es im Regierungsentwurf heißt. Kritiker bemängelten, dass die Formulierung schwammig sei, und dass zudem nicht klar sei, wann genau der Übergang von der Freiwilligkeit zur Pflicht stattfinden soll und wie er geregelt ist.
Das Kompromissmodell, das derzeit von den Fraktionen beraten wird, soll diese Schwachstelle nun schließen: Nicht nur sollen feste Zielzahlen an Wehrdienstleistenden vereinbart werden, die pro Jahr zu erreichen sind. Auch soll – falls die Ziele verfehlt werden – künftig ein Losverfahren darüber entscheiden, wer gegen seinen Willen gemustert und eventuell zu einem sechsmonatigen Militärdienst eingezogen wird.
Dem Vernehmen nach soll es keinen "Automatismus" geben: Zunächst sollen die ausgelosten jungen Männer zu einer Musterung und einem Gespräch eingeladen werden, um sie persönlich von einem Wehrdienst zu überzeugen. Erst wenn sich dann immer noch nicht genügend Freiwillige melden, würde ein Teil der Ausgelosten verpflichtend eingezogen. Wobei nach wie vor gilt, dass jeder den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigern darf. Das garantiert das Grundgesetz.
Ärger über Indiskretion und andere Pannen
In der schwarz-roten Koalition ist der Ärger darüber groß, dass Details dieses Plans nun doch schon durchgesickert sind. Die Diskussion in der Koalition war wohl für alle schmerzhaft genug. Immer wieder auch deshalb, weil größere und kleinere Pannen passiert waren. Zuletzt erst vor einer Woche.
Da war Verteidigungsminister Pistorius offensichtlich nicht eingeweiht worden, als die Bundestagsfraktionen von SPD und Union die erste Lesung des Wehrdienstgesetzes um eine Woche verschoben. Und zwar gemeinsam verschoben, um noch über Änderungswünsche der Union verhandeln zu können. Pistorius warf der Union im "Handelsblatt" zunächst trotzdem vor, "fahrlässig" zu handeln, weil so die Einführung des neuen Wehrdienstes möglicherweise verzögert werde.
Schon ein paar Tage später relativierte Pistorius das wieder, er sei "jetzt auch wieder einigermaßen entspannt", sagte er "Table.Media". Es gehe ja nur um eine Verzögerung von einer Woche. Doch der Schaden war aus Sicht der Union angerichtet. Der parlamentarische Geschäftsführer Steffen Bilger zeigte sich "irritiert von der Wortwahl" von Pistorius und kritisierte die "unnötige Debatte" – denn die SPD im Bundestag hatte der Verschiebung ja längst zugestimmt.
Nach dem RND-Bericht von diesem Sonntag wird nun spekuliert, wer die Informationen durchgesteckt haben könnte. Wer hat ein Interesse daran, die Einigung mit Indiskretionen zu gefährden? Es sind toxische Fragen für eine Koalition, die gerade genug damit zu tun hat, mühselig Vertrauen zueinander aufzubauen.
Pistorius schon früher für mehr Pflicht
Für Pistorius dürfte die Diskussion vor allem aus einem anderen Grund ärgerlich sein. Der Verteidigungsminister sieht sich als "Zeitenwende"-Minister. Als derjenige in der SPD, der die Bedrohungslage in Europa nicht nur klar benennt, sondern auch die notwendigen Schritte geht – auch gegen Widerstände in der eigenen Partei. Das zeigt sich auch am Wehrdienst: Schon in der Ampelregierung wollte Pistorius einen stärkeren Pflichtanteil durchsetzen, wurde aber unter anderem von SPD-Kanzler Olaf Scholz ausgebremst.
Der SPD-interne Konflikt um die Wehrpflicht besteht auch in der neuen Regierung fort. Auf dem SPD-Parteitag Ende Juni eskalierte der Machtkampf zwischen Pistorius, der Bundestagsfraktion und den Jusos, der Jugendorganisation der SPD. Wenige Tage vor dem Parteitreffen drohte Juso-Chef Philipp Türmer, Pistorius' Wehrpflichtpläne mit einem Antrag zu Fall zu bringen.
Wie t-online damals berichtete, einigte sich die SPD auf dem Parteitag erst nach stundenlangen Verhandlungen auf die Kompromissformel, dass es "keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger" geben dürfe, solange nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Rekrutierung ausgeschöpft seien.
SPD bremste Pistorius
Auch die SPD-Chefs Lars Klingbeil und Bärbel Bas sollen damals versucht haben, auf Pistorius einzuwirken. Klingbeil habe bei dem Gespräch Pistorius klargemacht, dass die SPD einer Wehrpflicht mehrheitlich nicht zustimmen werde. Pistorius soll seinen Standpunkt verteidigt und auf die sicherheitspolitische Bedrohungslage verwiesen haben.
Sollte sich die Koalition nun tatsächlich auf eine Wehrpflicht-Option per Losverfahren einigen, wäre das für Pistorius unangenehm. Auch wenn er den Vorschlag in der Sache unterstützen dürfte – politisch zöge der Verteidigungsminister einmal mehr den Kürzeren. Nicht nur wäre sein eigenes Modell überarbeitet worden, noch bevor es in den Bundestag kommt.
Es könnte auch der Eindruck entstehen: Was der SPD-Verteidigungsminister bei den eigenen Leuten nicht durchbekommt, hat nun die Unionsfraktion erreicht. Für die künftigen Projekte des Ministers, für die er ebenfalls auf die Unterstützung seiner SPD angewiesen ist, ist das keine gute Nachricht.
- Eigene Recherchen
- rnd.de: Neuer Wehrdienst: Im Fall einer Wehrpflicht soll per Los entschieden werden








