Boris Pistorius Das hätte sich Putin nicht besser ausdenken können

Wie sollen die benötigten Soldaten rekrutiert werden? Das weiß die Bundesregierung noch immer nicht. Das Hickhack ist aus vielen Gründen schädlich.
Es ist schon reichlich skurril: Der neue Wehrdienst wird seit diesem Donnerstag im Bundestag diskutiert. Der Gesetzentwurf ist zur ersten Lesung eingebracht worden, wie das im Parlamentsdeutsch heißt. Dabei ist sich die Bundesregierung noch immer überhaupt nicht einig darüber, wie dieser Wehrdienst eigentlich aussehen soll.
Losverfahren Ja/Nein? Musterung für alle ab 2027 oder lieber doch nicht? Es sind gewaltige Fragen. Nichts ist geklärt. Einzig der Zeitdruck zwingt Union und SPD dazu, den Entwurf jetzt schon in den Bundestag zu bringen. Denn 2026 soll es losgehen mit dem neuen Modell. Man muss sich Wladimir Putin als glücklichen Menschen vorstellen. Dieses Hickhack hätte er sich gar nicht besser ausdenken können.
Ein verkorkster Prozess ohne Unschuldige
Die abgesagte Pressekonferenz an diesem Dienstag, die offene Eskalation, ist dabei nur der Tiefpunkt eines verkorksten Prozesses. Und alle haben daran ihren Anteil. Die Union hat dem Entwurf von SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius erst im Kabinett zugestimmt, ein paar Wochen stillgehalten und dann doch bemerkt, dass ihr das alles zu wenig Pflicht und zu viel Freiwilligkeit ist. Hätte man auch früher merken können.
In den vergangenen Wochen dann haben Union und SPD im Bundestag Boris Pistorius und sein Ministerium offensichtlich zu wenig eingebunden, als sich eine Verhandlungsgruppe daran machte, den Entwurf zu verändern. Das ist inhaltlich unklug, weil Fachwissen eines Ministeriums selten schadet. Und es ist polit-strategisch gefährlich.
Womit wir bei Boris Pistorius wären. Der hat es geschafft, die ganze Diskussion in dieser Woche von verkorkst in desaströs zu verwandeln. Und das, obwohl Pistorius Argumente hat, die gut sind, über die zumindest länger nachgedacht und gesprochen werden sollte. Er besteht darauf, ab 2027 flächendeckende Jahrgänge zumindest zu mustern. Um für den Ernstfall genau zu wissen, wen man hat. Klingt ambitioniert, aber nicht dumm.
Doch warum nur wartet Boris Pistorius bis zum letzten Moment, um zu sagen, dass er das Kompromissmodell nicht mitträgt? Warum sagt er es erst wenige Minuten, bevor SPD und Union es der Öffentlichkeit vorstellen wollen?
Ein verantwortungsbewusster Minister muss wissen, dass das so nicht geht. Es ist fahrlässig.
Warum nicht schon am Montag?
Spätestens am Montagabend wäre der Moment gewesen, in dem Boris Pistorius die Sache hätte stoppen müssen. Da saß er mit der Verhandlungsgruppe von SPD und Union zusammen. Er hat seine Bedenken geäußert, das bestreitet niemand der Beteiligten. Aber nicht nur die Union, auch die SPD hatte danach das Gefühl, dass er sich der Sache nicht in den Weg stellen würde.
Dass er stattdessen in der SPD-Fraktionssitzung offenbar SPD-Chefverhandlerin Siemtje Möller persönlich anging und das Kompromissmodell lächerlich machte, ist mehr als schlechter Stil. Es scheint jenen in der Koalition recht zu geben, die glauben, seine Beliebtheit sei Pistorius zu Kopf gestiegen.
Dabei stünde ihm ein wenig Demut gut zu Gesicht, gerade beim Wehrdienst. Das Absurde an der Sache ist nämlich, dass er es ja eigentlich war, der seine SPD zu mehr Pflicht beim Wehrdienst treiben wollte. Er hat es nur nicht geschafft, er hat verloren. Im Juni musste er sich einem Kompromiss beugen, weil die Jusos Stimmung gemacht hatten gegen seine Pläne. Jetzt ein weitergehendes Modell einfach kaputt zu trampeln, das andere mühsam ausgehandelt haben, wirkt dann doch reichlich klein für einen ausgewachsenen Minister.
Fahrlässig ist das alles aber vor allem aus einem anderen Grund, aus einem viel wichtigeren: Wer soll sich bei diesem Tohuwabohu eigentlich noch mit einem guten Gefühl für die Bundeswehr entscheiden?


