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Finanzminister Lars Klingbeil: Wie kommt Deutschland aus der Krise?


Finanzminister Lars Klingbeil
"Die Quittung dafür bekommen wir jetzt"

  • Daniel Mützel
InterviewEin Interview von Daniel Mützel, Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 08.10.2025Lesedauer: 8 Min.
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Finanzminister Klingbeil über seinen 500-Milliarden-Investitionstopf: "Mir ist egal, wer die Lorbeeren kriegt." (Quelle: Thomas Koehler/t-online)
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Wie kommt Deutschland aus der Krise? Finanzminister Lars Klingbeil schwört die Bürger im t-online-Interview auf große Veränderungen ein. Er sagt: Alle müssen ihren Beitrag leisten.

Krieg in Europa, schwächelnde Industrie, Trump-Zölle: Deutschland steckt in der längsten Rezession seit 20 Jahren. Die schwarz-rote Koalition will den Reformstau aufbrechen und könnte schon an diesem Mittwoch beim Koalitionsausschuss wichtige Entscheidungen treffen.

Die Rolle des Chef-Reformers der SPD fällt dabei Lars Klingbeil zu. Der frühere Mitarbeiter von Gerhard Schröder und heutige Finanzminister und SPD-Chef ist seit der Bundestagswahl der neue starke Mann der Sozialdemokraten. Mit einem Schönheitsfehler: Auf dem SPD-Parteitag im Juni straften ihn die Delegierten mit einem historisch schlechten Ergebnis ab. Doch für Klingbeil kein Grund, von seiner Linie abzuweichen. Im Gegenteil: Er wirkt befreit – wie einer, der jetzt aufs Ganze geht. Ein Interview über den neuen SPD-Kurs, Sensibilität in der Politik – und warum sich alle Bürger auf schmerzhafte Einschnitte einstellen müssen.

t-online: Herr Klingbeil, Kanzler Friedrich Merz hatte Sie in einer Sitzung der Unionsfraktion als sensibel bezeichnet. Ist Sensibilität in der Politik eine Tugend oder ein Makel?

Lars Klingbeil: Ich finde es völlig in Ordnung, wenn Politiker sensibel sind. Sensibilität ist kein Makel, sondern zeugt von Stärke.

Also für Sie ein Kompliment?

Ich glaube, es ging Friedrich Merz darum, in der Union für Ruhe zu sorgen. Wir müssen endlich raus aus dem Modus, getroffene Absprachen hinterher zu torpedieren. Dieses Signal hat der Bundeskanzler setzen wollen. Ich empfehle allen, sich daran zu halten.

Besonders wirkungsvoll war der Merz-Appell offenbar nicht. Die Union nimmt das Wehrdienstgesetz seit Tagen unter Beschuss. Wurde nicht vor Kurzem ein fairer Umgang in der Koalition vereinbart?

Es gibt leider eine gewisse Vielstimmigkeit in der Union. Das schwächt die Erfolge dieser Bundesregierung. Dabei haben wir einiges auf der Haben-Seite, über das wir sprechen könnten.

Der Union geht der neue Wehrdienst von Verteidigungsminister Boris Pistorius nicht weit genug. CSU-Chef Markus Söder spottete gar von einer "Wischiwaschi-Wehrpflicht". Nervt es Sie, wie undiszipliniert die Union manchmal agiert?

Was mich persönlich nervt oder nicht nervt, ist nicht der Maßstab. Ich bin fest davon überzeugt: Die Menschen wollen, dass die Bundesregierung ihren Job erledigt und das Land nach vorne bringt. Darum geht es. Im Koalitionsvertrag gibt es eine klare Absprache zum Wehrdienst. Wir setzen dabei zunächst auf Freiwilligkeit und wollen junge Menschen über Anreize für die Bundeswehr gewinnen. Ich finde das richtig.

Die Union verweist auf eine gesteigerte Bedrohungslage durch russische Drohnenüberflüge und fordert eine Wehrpflicht noch in diesem Jahr.

Die Erfassung von Freiwilligen, die bei der Bundeswehr ihren Dienst für unser Land leisten – und darum geht es bei dem Gesetz –, hat mit der Bedrohung durch Drohnen wenig zu tun. Hier brauchen wir vor allem bessere technische Fähigkeiten. Auch deshalb investieren wir massiv in unsere Sicherheit. Es geht hier aber doch um etwas anderes: Kompromisse, die ausverhandelt wurden, werden jetzt wieder aufgemacht. Das muss aufhören. Umgekehrt glaube ich auch nicht, dass Markus Söder will, dass ich die Mütterrente öffentlich in Frage stelle.

Ein Warnschuss nach Bayern?

Vertragstreue gilt für alle.

Sprechen wir über die Haben-Seite, wie Sie es nannten. Bei Ihrer Antrittsrede sagten Sie, Sie wollen nicht nur Finanzminister, sondern auch "Investitionsminister" sein. Mit dem 500-Milliarden-Sondertopf haben Sie dazu reichlich Gelegenheit. Aber was, wenn die Milliarden einmal investiert sind, aber am Ende niemand dem Investitionsminister der SPD dankt?

Mir ist egal, wer die Lorbeeren kriegt. Wichtig ist, dass es nicht zehn Jahre dauert, bis das Schlagloch weg ist, die Bahn pünktlicher kommt oder die Schule saniert ist. Der Bundesrat hat vor wenigen Tagen grünes Licht gegeben. Die Milliarden fließen bald, das ist die gute Nachricht. Allein für dieses Jahr planen wir mit Rekordinvestitionen von 115 Milliarden Euro. Wir ermöglichen damit einen Modernisierungsschub für unser Land: für gute Schulen, Kitas und Krankenhäuser, für moderne Bahnstrecken, Brücken und Straßen, für Klimaschutz und Digitalisierung. Es bewegt sich etwas. Und ich mache weiter Druck, dass wir die Genehmigungs- und Planungsverfahren beschleunigen, damit die Investitionen schneller ankommen.


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Wir haben einen Marathon der Reformen vor uns.


VizeKanzler Lars Klingbeil


Im Frühjahr wurden "spürbare Verbesserungen" bis Sommer versprochen. Jetzt ist Herbst, aber die Verbesserungen sind noch immer nicht da. Wann können die Bürger denn nun damit rechnen?

Wir sind als Regierung mit hohem Tempo gestartet. Mit den beiden Haushalten für 2025 und 2026 und unserem 500-Milliarden-Investitionspaket haben wir auch die Grundlagen geschaffen, dass wir zu neuer wirtschaftlicher Stärke kommen. Aber das geht nicht von heute auf morgen.

Sondern?

Die Dinge ändern sich rasant. Wir haben eine Lage, in der eine Pressekonferenz von Donald Trump die Weltwirtschaft auf den Kopf stellen kann. Wir sollten als Regierung jeden Tag hart dafür arbeiten, dass wir Arbeitsplätze erhalten, neue Jobs schaffen und das wirtschaftliche Wachstum ankurbeln. Ich möchte lieber positiv überraschen, als hochgesteckte Erwartungen nicht zu erfüllen.

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Ist der "Herbst der Reformen" nicht das nächste Versprechen der Bundesregierung, das sich so nicht halten lässt?

Das hat Carsten Linnemann gefordert, da müssen Sie bei der CDU nachfragen. Mir ist das ehrlich gesagt auch viel zu wenig ambitioniert. Es ist doch nicht so, dass wir jetzt einen Herbst haben, drei Monate in die Vollen gehen und dann war's das. Wir haben einen Marathon der Reformen vor uns. Allein der Bürokratieabbau oder die Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren werden uns die gesamte Legislatur beschäftigen. Aber wir arbeiten jeden Tag hart daran.

Ärgern Sie sich über die überzogenen Versprechungen Ihres Koalitionspartners?

Die Koalition sollte vor allem dadurch überzeugen, dass die Menschen die Veränderungen wahrnehmen und unser Land im Alltag wieder besser funktioniert. Nicht durch markige Ankündigungen.

Sie haben neulich gesagt, der "Status quo ist der Gegner". Geht man die einzelnen Politikfelder durch, agiert eher die Union als Antreiberin, die SPD hingegen wirkt oft getrieben. Übersehen wir etwas?

Die SPD war immer dann stark, wenn sie sich an die Spitze von Veränderungen gesetzt hat, wenn sie das Land gerechter gemacht hat. Das ist auch mein Anspruch für die nächsten vier Jahre. Wir sind die Partei, die die Sicherheit von Arbeitsplätzen und das wirtschaftliche Wachstum ganz nach vorne stellt. Das ist auch eine Konsequenz aus den letzten Jahren. Wir hätten da entschiedener für kämpfen müssen.

Hat die SPD nicht auch beim Bürgergeld zu spät gegengesteuert?

Auch da werden wir jetzt Korrekturen vornehmen. Mir ist vor allem wichtig, dass man diejenigen härter sanktioniert, die schwarz arbeiten oder die das Geld vom Staat nehmen, aber nichts leisten wollen. Das verstößt gegen das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen und auch gegen mein persönliches.

Wann dürfen wir mit der Reform des Bürgergelds rechnen?

Arbeitsministerin Bärbel Bas arbeitet in enger Abstimmung mit dem Bundeskanzler an der Reform. Ich gehe davon aus, dass wir in Kürze mehr darüber erfahren.


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Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass es Veränderungen geben muss.


VizeKanzler Lars Klingbeil


Sie haben vor Kurzem Altkanzler Gerhard Schröder als mutigen Reformer gelobt, distanzieren sich aber von dessen Agenda 2010. Wie passt das zusammen?

Wir brauchen mutige Entscheidungen, die in die heutige Zeit passen. Deshalb können wir nicht einfach die damaligen Reformen kopieren. Die Agenda 2010 bestand aus einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen. Heute geht es vor allem darum, dass wir die sozialen Sicherungssysteme effizienter machen, damit der Sozialstaat zukunftsfest ist. Klar ist: Wir können uns nicht mehr durchmogeln. Wenn wir wollen, dass Deutschland ein starkes Land bleibt, brauchen wir jetzt Veränderung.

Der Name Gerhard Schröder löst in der SPD nicht nur wegen Schröders Russland-Position unschöne Erinnerungen aus. Seine Agenda-Reformen haben den historischen Abwärtstrend der SPD eingeleitet. Was bezwecken Sie mit dem Rückgriff auf Schröder?

Seine Russland-Position hat zu einem klaren Bruch zwischen uns geführt. Aber für seine Reformen habe ich Gerhard Schröder schon früher verteidigt. Danach wurde in Deutschland während der 16 Jahre unter Angela Merkel eine Politik betrieben, die niemandem etwas zumuten wollte. Die Quittung dafür bekommen wir jetzt. In den vergangenen fünf Jahren überschlugen sich die Ereignisse, von der Pandemie bis zum Krieg in Europa. All das hat uns Hunderte Milliarden Euro gekostet – und das in einer wirtschaftlichen Schwächephase. Das schlägt sich auch im Haushalt nieder.

Müssen sich die Menschen in Deutschland auf schmerzhafte Einschnitte einstellen?

Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass es Veränderungen geben muss. Die vertragen auch klare Worte und verstehen, dass wir ein Haushaltsloch von über 30 Milliarden Euro im Jahr 2027 nicht ohne Einschnitte schließen können. Das Leben hat sich fundamental verändert und die Politik darf nicht so tun, dass alles einfach so weiterlaufen kann. Aber als Sozialdemokrat sage ich auch: Wir müssen diese Reformen gerecht gestalten. Wenn der Eindruck entsteht, nur ein Teil der Gesellschaft leistet seinen Beitrag, verlieren wir Vertrauen.

Sie selbst haben Steuererhöhungen ins Gespräch gebracht , obwohl das der Koalitionsvertrag mit der Union nicht vorsieht. Hand aufs Herz: Wie viel müssen Topverdiener und reiche Erben abstottern, um das Finanzloch der Regierung zu stopfen?

Wir reden unter den vier Parteivorsitzenden darüber, wie ein gerechtes Gesamtpaket aus Einsparungen und Reformen aussieht. Ich werde darauf drängen, dass alle ihren Beitrag leisten.

Sozialreformen gegen eine höhere Reichensteuer?

Wir werden am Ende ein gemeinsames Paket vorlegen. Bis dahin sollten wir die einzelnen Schritte nicht andauernd öffentlich diskutieren. Aber ich bin hier sehr klar: Die SPD wird die Reformen beim Bürgergeld und den Sozialsystemen mit vorantreiben. Auf der anderen Seite erwarten wir aber auch, dass Menschen mit sehr hohen Einkommen oder sehr hohen Vermögen ihren Beitrag leisten. Übrigens treffe ich genügend Menschen, die mir sagen, dass sie auch dazu bereit wären, wenn es bedeutet, dieses Land auf Vordermann zu bringen.


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Ich habe keine Lust, dass irgendwann nur noch chinesische Autos hier herumfahren.


VizeKanzler Lars Klingbeil


Am Donnerstag findet im Kanzleramt der Autogipfel statt. Wird die Bundesregierung dann offiziell verkünden, dass sie das Verbrenner-Aus 2035 aufweicht?

Mir ist wichtig, dass wir die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie sichern und gleichzeitig an den Klimazielen festhalten. Daran zu rütteln, würde die falschen Signale senden. Denn die Zukunft der Autoindustrie ist elektrisch. Daher gilt die Zielmarke von 2035 weiter, aber der Weg kann flexibler sein und mehr Technologieoptionen ermöglichen. Ich erwarte aber auch, dass die Unternehmen Zusagen für Investitionen und die Sicherung der Standorte in Deutschland machen.

Machen wir es konkret: Bestimmte Verbrennungsmotoren sollen also auch nach 2035 in Autos verbaut werden dürfen?

Was bestimmte Modelle betrifft, etwa Plug-in-Hybride und Range Extender, bin ich offen dafür, dass wir diese länger als 2035 laufen lassen. Aber nur unter der Voraussetzung, dass die Arbeitsplätze gesichert und die Klimaziele eingehalten werden.

Ihr Bundesumweltminister scheint das anders zu sehen: Gerade sagte er in einem Interview mit der "Zeit", dass das Verbrenner-Aus 2035 "unbedingt" bleiben müsse. Hersteller, die sich nicht daran hielten, müssten Strafen zahlen. Was gilt nun?

Wir sind auf einer Linie: Arbeitsplätze sichern, Klimaziele einhalten – und auf dem Weg zur vollständigen E-Mobilität mehr Flexibilität und mehr Technologieoptionen.

Die Bundesregierung hat gerade angekündigt, die Kfz-Steuerbefreiung für Elektroautos bis 2035 zu verlängern. Ist das Ihr Versöhnungsangebot an diejenigen in der SPD, die die Aufweichung des Verbrenner-Verbots kritisch sehen?

Wir müssen jetzt die richtigen Anreize setzen, damit wir in den nächsten Jahren sehr viel mehr Elektroautos auf die Straße bringen. Deshalb befreien wir E-Autos weiterhin von der Kfz-Steuer. Da geht es auch um die Arbeitsplätze von morgen. Die Chinesen investieren nicht umsonst Milliarden in den Markt für E-Autos. Die Antwort darauf muss auch ein gesunder europäischer Patriotismus sein. Deswegen habe ich einen weiteren Vorschlag, den wir jetzt weiter beraten werden: Klimaneutraler Stahl, der in Europa produziert und in Autos verbaut wird, soll auf deren CO2-Bilanz angerechnet werden. Das hat den schönen Nebeneffekt, dass das auch die Stahlindustrie stärkt, die ebenfalls unter Druck steht. Wir brauchen pragmatische Lösungen, um uns für die Zukunft stark aufzustellen. Ich habe keine Lust, dass irgendwann nur noch chinesische Autos hier herumfahren. Wir wollen, dass die besten Autos weiterhin in Deutschland gebaut werden.

Herr Klingbeil, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Lars Klingbeil
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