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SPD-Vize Schweitzer über Bürgergeld: "Hilfe in einer Notlage"


Ministerpräsident Schweitzer
"Es wird keine Rückkehr in die alte Welt geben"

  • Daniel Mützel
InterviewEin Interview von Daniel Mützel

12.10.2025Lesedauer: 6 Min.
Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer: "Wir dürfen die Emotionalisierung nicht der politischen Konkurrenz überlassen."Vergrößern des Bildes
Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer: "Wir dürfen die Emotionalisierung nicht der politischen Konkurrenz überlassen." (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur/imago)
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Schwarz-Rot hat sich auf die erste Sozialreform geeinigt: Das Bürgergeld erhält einen neuen Namen, Sanktionen werden verschärft. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer lobt den Durchbruch – warnt aber vor falschen Erwartungen.

30-Milliarden-Finanzloch, eine schwächelnde Industrie: Die Bundesregierung von Union und SPD steht unter enormem Druck, bei zentralen Reformvorhaben zu liefern. Erste Entscheidungen sind nun gefallen: Die Koalition verschärft die Bürgergeld-Sanktionen, und das in einer Weise, wie es für die SPD vor Kurzem noch schwer denkbar schien.

Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und stellvertretende SPD-Vorsitzende, Alexander Schweitzer, warnt im Gespräch mit t-online vor falschen Versprechungen. Die Milliardeneinsparungen, wie die Union sie fordert, werde es bei der Reform nicht geben – und zwar aus gutem Grund, sagt er. Im Interview erklärt Schweitzer, worauf es bei der Bürgergeldreform wirklich ankommt, warum er sich von der SPD mehr Emotionen wünscht und warum er den Rückgriff auf Gerhard Schröder für den falschen Weg hält.

t-online: Herr Schweitzer, ist die SPD zu langweilig, wie Sie mal in einem Interview sagten?

Alexander Schweitzer: Mir nicht, ich liebe meine Partei. Aber ich erlebe immer wieder, dass einige Menschen das so empfinden. Das ist ein Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Wir müssen Menschen noch stärker emotional ansprechen.

Können Sie das nachvollziehen?

Ich kann verstehen, wie der Eindruck entstanden ist. Wir haben in der Vergangenheit zu oft versucht, den Leuten unsere Politik mit Excel-Tabellen zu erklären. Wer glaubt, die SPD wird gewählt, weil wir bei einer Reform den Menschen vorrechnen können, dass sie am Ende 17 Euro mehr in der Tasche haben, irrt. Sie nehmen es positiv wahr, aber wählen die SPD deswegen nicht unbedingt.

Was muss passieren, dass wieder mehr Menschen die SPD wählen?

Eine gute Regierungsbilanz ist zwar wichtig, sie wird alleine aber nicht ausreichen. Wir müssen auch ein emotionales Angebot machen. Die SPD braucht eine nach vorne gerichtete Geschichte, die ein positives, emotionales und freiheitliches Bild von der Zukunft zeichnet. Wir müssen auch wieder mehr Debatten führen, die die Themen berühren, die Menschen im Alltag beschäftigen.

Wie kann Politik emotionalisieren, ohne ins Populistische abzugleiten?

Indem wir bei den Fakten bleiben, aber sie mit mehr Leidenschaft vermitteln. Wir dürfen die Emotionalisierung nicht der politischen Konkurrenz überlassen, was aktuell leider der Fall ist. Es gibt ein toxisches, emotionales Angebot von rechts außen, das unsere Demokratie bedroht.

Sie meinen die AfD?

Ja, die AfD betreibt eine hochemotionale Politik und unterlegt sie mit Ressentiments. Das ist Gift für die Demokratie. Aber es ist ein wachsender Trend, wenn Sie in die europäischen Nachbarländer schauen. Dem müssen wir etwas entgegensetzen.


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Das Bürgergeld ist kein Grundeinkommen.


Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer


Sie sagen, eine gute Regierungsbilanz alleine reicht nicht. Aber wäre das nicht die Grundvoraussetzung, dass sich die Stimmung dreht?

Ja, aber da sind wir auch auf einem guten Weg. Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses am Mittwoch zeigen, dass die Regierung handlungsfähig ist. Die Partner haben sich über wichtige Projekte verständigt, etwa beim Bürgergeld. Hier wird unter anderem die Vermittlung in Arbeit gestärkt, was aus meiner Sicht ein ganz zentraler Punkt ist. Ich habe aber auch eine gute Atmosphäre der Gespräche wahrgenommen; das ist ebenfalls sehr wichtig.

Bei der Bürgergeldreform setzt die schwarz-rote Koalition vor allem auf härtere Sanktionen. Terminschwänzern und Totalverweigerern drohen schlimmstenfalls eine Komplettkürzung ihrer Leistungen. Das richtige Signal?

Das Verfassungsgericht hat uns einen Spielraum gegeben, Menschen zu sanktionieren und die Sozialleistungen zu entziehen. Diesen nutzen wir nun voll aus. Das Bürgergeld ist kein Grundeinkommen, sondern Hilfe in einer Notlage. Das zentrale Ziel muss sein, Menschen aus der Arbeitslosigkeit in Arbeit zu bringen. Und die allermeisten in dieser Situation wollen dies auch.

Auf schärfere Sanktionen hatte vor allem die Union gedrungen. Wie schwer wird das den Genossen zu vermitteln sein, insbesondere im linken SPD-Flügel?

Ich sehe das nicht als Problem, da es verbunden ist mit dem Ziel, die Potenziale der arbeitslosen Menschen in den Blick zu nehmen. Noch mal: Die Verweigerer sind eine kleine Minderheit. Die Mehrheit der Bürgergeld-Bezieher braucht Qualifizierung, Weiterbildung und Unterstützungsangebote, um wieder in Arbeit zu kommen.

Welche Unterstützungsangebote meinen Sie?

Mobilitätshilfen wie einen Führerschein zum Beispiel. Wer den Führerschein bezahlt bekommt, kommt vielleicht wieder zur Arbeit. Es ist eine Investition, über die das Jobcenter vor Ort individuell entscheiden muss.

Mehr Investitionen in Leistungsempfänger hieße aber auch steigende Bürgergeld-Kosten. Die Union wird das kaum mitmachen.

Der Etat steigt dadurch nicht zwingend. Wir brauchen Jobcenter, die Menschen individuell unterstützen und nicht nur Briefe verschicken, auf der die Adresse eines Unternehmens steht, bei dem man sich bewerben kann.

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Es wird keine Rückkehr in die alte Welt geben.


Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer


Ein Großteil der Langzeitarbeitslosen hat keine abgeschlossene Schul- oder Berufsausbildung. Wie bekommt man diese Menschen wieder in Arbeit?

Wir müssen vor allem die regionale Nähe der Jobcenter zu den Betroffenen, den Branchen und den Regionen aufrechterhalten. Die Jobcenter-Betreuer brauchen dazu aber auch den vollen Spielraum an Instrumenten, um erfolgreich zu vermitteln. Sie können jemanden, der vielleicht psychisch krank ist oder in einer Lebenskrise steckt, nicht einfach mit staatlicher Härte zurück ins Arbeitsleben bringen und dann glauben, das sei nachhaltig. Das ist eine Illusion.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat neulich noch einmal angekündigt, "sehr viele Milliarden" beim Bürgergeld einzusparen. Wie passt das zusammen?

Die Union blieb zu lange auf der Ebene ihrer Wahlkampfslogans. Bei näherer Überprüfung merkt man: Neben einigen Einspareffekten, die sich sicher erzielen lassen, muss das System vor allem leistungsfähiger und zielgerichteter werden. Das Hauptziel muss bleiben, Menschen in Arbeit zu bringen.

Welchen Zweck muss die Bürgergeldreform Ihrer Meinung nach erfüllen?

Abgesehen von kosmetischen Dingen wie einer Namensänderung erwarte ich vor allem zwei Dinge: Das Bürgergeld muss für die da sein, die es brauchen. Das heißt im Umkehrschluss, dass diejenigen, die es nicht brauchen, künftig mehr Nachdruck verspüren werden. Vor allem aber muss das Bürgergeld diejenigen unterstützen, die in Arbeit kommen wollen.

Beim Verbrenner-Verbot konnte sich die Bundesregierung hingegen nicht einigen. Woran hakt es?

Konkret gab es dazu noch keine Einigung, aber man ist dem Vernehmen nach ein Stück vorangekommen. Für uns als SPD geht es darum, dass Klimaziele, Wettbewerbsfähigkeit und der Erhalt von Arbeitsplätzen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir wollen Klimaschutz, aber die Industrie nicht auf der Strecke verlieren. Es braucht ein atmendes System und Flexibilität in Bezug auf die unterschiedlichen Technologien.

Am Donnerstag lud das Kanzleramt die Chefs großer Autokonzerne und Verbände zum Automobildialog. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?

Zunächst bin ich froh, dass die SPD den Autogipfel durchgesetzt hat. Die Automobilindustrie ist von zentraler Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für die Menschen, die dort arbeiten. Nach meinem Eindruck gibt es ein gemeinsames Verständnis dafür, dass die Zukunft elektrisch ist, dass es auf dem Weg dorthin aber Flexibilität und Pragmatismus braucht. Es wird keine Rückkehr in die alte Welt geben, das ist aus meiner Sicht beim Gipfel klar geworden.


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Wenn Schulen verfallen und Straßen gesperrt sind, verliert der Staat seine Glaubwürdigkeit.


Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer


Finanzminister und SPD-Chef Lars Klingbeil hat im Interview mit t-online gerade einen "Marathon der Reformen" angekündigt. Auch lobte er Altkanzler Gerhard Schröder für seinen Reformmut. Was kann die SPD von Schröder lernen?

Die Debatten der 90er- und 2000er-Jahre helfen heute nicht mehr weiter. Das gilt auch für die Union, die jetzt ganz plötzlich und in manchen Teilen zumindest zur neoliberalen Reformrhetorik neigt.

Sie meinen die Äußerung von Kanzler Friedrich Merz, dass wir uns den Sozialstaat nicht mehr leisten können?

Ja, das ist genauso unpassend und wenig zielführend für die Sozialstaatsdebatte des Jahres 2025. Wir stehen heute vor einer viel größeren, ja historischen Aufgabe. Wir müssen den Sozialstaat auf Jahrzehnte zukunftsfest machen. Ich bin Lars Klingbeil und Bärbel Bas dankbar dafür, dass sie das so offensiv und klar ansprechen.

Die Koalition hofft weiter auf die Stimmungswende im Land und verspricht jetzt Tempo beim 500-Milliarden-Sondervermögen des Bundes. Lässt sich damit die AfD kleinkriegen?

Das Geld muss jetzt schnell fließen. Von den 4,8 Milliarden Euro, die nach Rheinland-Pfalz gehen, bekommen die Kommunen 60 Prozent. Das ist eine wichtige Botschaft. Die Kommunen sind überlastet, viele sind verschuldet. Das wird sich nun ändern. Wenn Schulen verfallen und Straßen gesperrt sind, verliert der Staat seine Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus stellen wir den Kommunen bei uns weitere 600 Millionen Euro im Rahmen des Sofortprogramms "Handlungsstarke Kommunen" zur Verfügung. Es geht voran.

500 Milliarden klingen viel, fünf Milliarden für Rheinland-Pfalz gar nicht mehr so viel. Reicht das wirklich, um den Reformstau in Deutschland zu bewältigen?

Ja, wenn wir es klug einsetzen. Dabei ist mir besonders wichtig, dass wir neben Straße und Schiene auch die Investitionen in die Bildung vorantreiben. Wir haben mit den Kommunen vereinbart, dass keine Kita unmodernisiert bleibt. Auch die Sanierung der Schulen hat für mich Priorität. Zudem: Von den 400 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen, die dem Bund zustehen, wird ein großer Teil in die Länder fließen. Wie genau das Geld in den Bundesländern verteilt wird, darüber muss jetzt gesprochen werden.

Sie haben seit Oktober den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK). Wird der Verteilschlüssel bis zum nächsten Bund-Länder-Treffen im Dezember geklärt sein?

Das wird ein wichtiges Thema in den nächsten Wochen. Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir das auf die Tagesordnung setzen und bald eine Lösung finden.

Herr Schweitzer, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Alexander Schweitzer
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