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Wehrpflicht-Streit: Heftige Kritik an Pistorius


Wehrdienst-Streit
"Fahrlässig", "Gröbaz" – Heftige Kritik an Pistorius


04.11.2025Lesedauer: 6 Min.
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Muss gerade einiges an Kritik aushalten: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius. (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur/imago)
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Sein Wehrdienstgesetz hängt in der Luft, eine Einigung zeichnet sich weiter nicht ab: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist noch immer auf Konfrontationskurs mit den Fraktionen von Union und SPD. Was läuft da ab?

Im Streit über die Wehrpflicht brodelt es weiter in der Koalition von Union und SPD. Wie blank die Nerven liegen, ließ sich an einem Statement des verteidigungspolitischen Sprechers der Unionsfraktion, Thomas Erndl (CSU), am Montagabend ablesen.

"Wir brauchen keine Symboldebatten zur Musterung, sondern eine Armee mit Vollausstattung!", sagte Erndl in einer Stellungnahme, die die Union breit an Pressevertreter verteilte. Es sei "fahrlässig, dauernd von einem Spannungs- und Verteidigungsfall zu reden" und wen man dafür einziehen müsste, wenn "null Material" für einen Aufwuchs vorhanden sei, polterte Erndl weiter.

Was dem CSU-Mann dem Vernehmen nach sauer aufstieß: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zeigt im Streit über die Wehrpflicht bisher wenig Kompromissbereitschaft. Pistorius bleibe in zentralen Fragen seines "Wehrdienstmodernierungsgesetzes" hart. So sieht man es zumindest in der Union.

Damit scheint die Koalition bei einem Kernprojekt der schwarz-roten Bundesregierung weiterhin auf Kollisionskurs zu sein. Der neue Wehrdienst soll eigentlich am 1. Januar 2026 starten. Er soll die Bundeswehr abschreckungsfähig machen und die eklatante Personalnot der Truppe lindern. Doch den Koalitionspartnern bleibt nicht mehr viel Zeit. Finden sie in den nächsten Wochen keine Einigung, könnte das Gesetz in diesem Jahr noch scheitern. Schaffen sie es also noch, sich zusammenzuraufen?

Es ist kompliziert

Der Druck, endlich eine Lösung zu finden, ist enorm. Mitte Oktober eskalierte der Streit zwischen Union und SPD öffentlich. Eine gemeinsame Pressekonferenz musste kurz vorher abgesagt werden, weil Pistorius einen Kompromiss der Koalitionsfraktionen in einer SPD-Sitzung zerpflückt hatte. Pistorius war unzufrieden damit, was die Fachpolitiker von Union und SPD aus seinem ursprünglichen Wehrdienstgesetz gemacht hatten.

Konkret schlugen die Fraktionen ein Vierstufen-Modell vor: In der ersten Stufe sollen alle Männer einen Online-Fragebogen ausfüllen müssen, in dem sie Angaben über ihre körperliche Fitness und ihr Interesse an der Bundeswehr bekunden. Falls sich nicht genügend Freiwillige melden, soll in einer zweiten Stufe per Losverfahren entschieden werden, wer zur Musterung muss. Kommen dann noch immer nicht genug Freiwillige zusammen, würde der Bundestag über die verpflichtende Einziehung junger Männer entscheiden. Auch diese "Bedarfswehrpflicht" soll per Los bestimmt werden.

Doch das Fraktionsmodell stieß nicht nur beim zuständigen Minister auf Ablehnung. Auch in der SPD hagelte es Kritik, vor allem am vorgeschlagenen Losverfahren. In der Folge einigte man sich auf einen neuen Versuch: Die Vierergruppe aus Norbert Röttgen (CDU), Thomas Erndl (CSU), Siemtje Möller und Falko Droßmann (beide SPD) sollte den Minister künftig enger einbeziehen. Pistorius wiederum sollte den Fraktionen konkrete Änderungswünsche liefern, im Fachjargon "Formulierungshilfe" genannt.

Pistorius startet Kommunikationsoffensive

Den Knoten durchschlagen konnte man damit aber nicht. Was aus Pistorius’ Haus bei den Fraktionen am vergangenen Donnerstag ankam, wurde von dort unmittelbar wieder zurückgeschickt. Man bat um Nachbesserung – bis diesen Dienstagabend.

Doch statt abzuwarten, ob man hinter den Kulissen nicht doch noch zu einer Einigung kommt, ging Pistorius an die Öffentlichkeit. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters am Samstag lehnte er das Losmodell erneut ab und bestand weiter auf einer umfassenden Musterung ab 2027. "Eine Auswahl nach dem Zufallsprinzip hätte im ungünstigsten Fall den gegenteiligen Effekt", so Pistorius.

Zusätzlich schickte der Verteidigungsminister seinen wichtigsten militärischen Berater vor. Am Montag erklärte Generalinspekteur Carsten Breuer in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), warum die Musterungsidee seines Chefs eine militärische Notwendigkeit sei. "Aus militärischer Sicht ist es entscheidend, dass jeweils der gesamte Jahrgang gemustert wird. Nur so wissen wir, wer zur Verfügung steht und auf wen wir im Verteidigungsfall, den wir verhindern wollen, zugreifen könnten", sagte Breuer.

Auf Kollisionskurs

In den Fraktionen wurde das als "nicht hilfreich" bewertet. Vor allem bei CDU/CSU kam die Kommunikationsoffensive des Ministers nicht gut an. Der verteidigungspolitische Sprecher Thomas Erndl kritisierte Pistorius nicht nur in der Musterungsfrage, sondern holte zum Rundumschlag aus. Wer die Abschreckungswirkung erhöhen wolle, müsse einen "ambitionierteren Aufwuchspfad beim Personal" vorlegen und sich "um pünktlich gelieferte und funktionierende neue Waffensysteme kümmern", kritisierte der CSU-Politiker.

Außerdem brauche man "mehr Ehrgeiz beim Ausbau der Ausbildungskapazitäten" für den neuen Wehrdienst. "Eine homöopathische Erhöhung der bestehenden Strukturen reicht nicht."

Geringe Ambition, Beschaffungchaos, fehlender Ehrgeiz – die Angriffe aus der Union gegen den SPD-Verteidigungsminister waren ungewöhnlich scharf.

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Knackpunkt Musterung

Dabei könnte auch der Union noch eine schmerzhafte Korrektur der eigenen Position bevorstehen. Denn beim Thema Musterung scheint sie zunehmend auf verlorenem Posten zu stehen. Dass die Bundeswehr per Zufallsverfahren junge Männer zur Musterung zwingen soll, und nicht nach bewährten Kriterien wie Tauglichkeit, hat in der öffentlichen Debatte zu harscher Kritik geführt. Manch ein Koalitionär beklagt die "Verhetzbarkeit" des Losverfahrens.

In der SPD ist man hier weiter. Der Generalsekretär der Sozialdemokraten, Tim Klüssendorf, zeigte sich am Montag bemerkenswert versöhnlich: Klüssendorf, der eigentlich zum linken Parteiflügel zählt, nannte die Musterungspflicht für einen kompletten Jahrgang einen "gangbaren Weg". Auch in der SPD-Fraktion deutet sich zunehmend Unterstützung dafür an, vor allem, weil man eine Musterung per Los für nicht rechtskonform hält.

Zweifel in der Union

Dass ausgerechnet die Union sich an der allgemeinen Musterungspflicht stört, ist zudem öffentlich kaum vermittelbar. CDU/CSU plädieren ohnehin für mehr verpflichtende Elemente beim Wehrdienst, im Wahlprogramm 2025 nannte man eine "aufwachsende Wehrpflicht" notwendig, um den Frieden im Land zu sichern. Und nun klagt man über den Vorschlag des Verteidigungsministers, dass ganze Jahrgänge erst mal nur gemustert werden sollen? Für viele in der SPD ist das nicht nachvollziehbar.

Selbst in der Union wachsen die Zweifel am Losmodell, das vor allem von Fraktionsvize Norbert Röttgen (CDU) vertreten wird. Röttgens CDU-Kollege Thomas Röwekamp, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, rückte gerade öffentlich davon ab. Der "Augsburger Allgemeinen" sagte Röwekamp am Dienstag, er teile die Einschätzung von Generalinspekteur Breuer. Eine einheitliche Musterung aller jungen Männer sei ein notwendiger Schritt, um im Krisenfall schnell und zielgerichtet handeln zu können.

Druck scheint zu wirken

In Teilen der SPD stört man sich dennoch am kompromisslosen Agieren des Ministers. Von einem "Gröbaz" spöttelt gar ein SPD-Mann, dem "Größten Boris aller Zeiten". Es ist eine sarkastische Abwandlung von "Gröfaz", dem "Größten Feldherr aller Zeiten", einem spöttischen Spitznamen für Adolf Hitler. Der Vorwurf: Pistorius nutze seine Umfragewerte als beliebtester Politiker Deutschlands, um seine Linie durchzuboxen. Befindlichkeiten seiner Partei und der Koalition seien ihm weniger wichtig.

Doch Pistorius scheint seinen Kurs nun vorsichtig zu ändern. Wie aus Koalitionskreisen zu hören ist, lässt die Kritik den Minister nicht völlig kalt. "Pistorius bewegt sich gerade sehr", heißt es. Vor allem bei der Frage, ob die neuen Wehrdienstleistenden als Soldaten auf Zeit (SaZ) eingestuft werden sollen und damit mehr Gehalt und Karrierechancen erhalten, soll sich Pistorius kompromissbereit zeigen.

Video | Wehrpflicht-Streit: "Es ist fünf vor zwölf"
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Quelle: t-online

Widerstand gegen die Hochstufung kam vor allem aus CDU/CSU. Nach dem Willen der Union sollten die neuen Rekruten den Status der bisherigen Freiwillig Wehrdienstleistenden (FWDL) behalten. Aus Sicht von Pistorius sollte die Verbesserung in Status und Gehalt den Wehrdienst attraktiver machen. Dreh- und Angelpunkt des neuen Wehrdienstes ist weiterhin die Freiwilligkeit, auch wenn die Debatte sich seit Wochen vor allem um die Pflicht dreht.

Doch nun könnte Pistorius in dem Punkt nachgeben, um einen Kompromiss zu ermöglichen. Im Vergleich zur Musterung wäre es wohl das weniger schmerzhafte Zugeständnis des Ministers.

Wie geht es weiter?

Ob die Fraktionen die ausgestreckte Hand des Ministers annehmen, muss sich in den nächsten Tagen zeigen. Momentan scheinen beide Seiten noch gewillt zu sein, den Konflikt am Köcheln zu halten, in der Hoffnung, möglichst viele der eigenen Punkte durchzubringen. Wie aus Koalitionskreisen zu hören ist, wird diese Woche nicht mehr mit einer Einigung gerechnet.

Ohnehin steht noch ein wichtiger Termin an, der die koalitionäre Gefechtslage verändern könnte. Am 10. November sollen im Verteidigungsausschuss des Bundestags Sachverständige ihre Einschätzung zum Wehrdienstgesetz geben.

Neben Vertretern von Jugendverbänden und einem Professor für Militärgeschichte ist auch Carsten Breuer geladen, auf Vorschlag der SPD. Vielleicht gelingt es dem ranghöchsten Soldaten der Bundeswehr dann, die Union von der allgemeinen Musterungspflicht zu überzeugen. Eine weitere Verzögerung des Gesetzes kann sich eigentlich niemand mehr leisten. Eine Fortsetzung der schwarz-roten Schlammschlacht auch nicht.

Verwendete Quellen
  • Eigene Gespräche und Beobachtungen
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