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Neue Vorwürfe gegen Franziska Giffey (SPD): "Ein Flickenteppich aus Plagiaten"


Masterarbeit der SPD-Kandidatin
Neue Vorwürfe gegen Giffey: "Ein Flickenteppich aus Plagiaten"

  • Annika Leister
Von Annika Leister

Aktualisiert am 20.08.2021Lesedauer: 10 Min.
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Franziska Giffey: Nachdem ihr der Doktortitel aberkannt wurde, stellen Forscher jetzt auch in ihrer Masterarbeit Dutzende Plagiate fest.Vergrößern des Bildes
Franziska Giffey: Nachdem ihr der Doktortitel aberkannt wurde, stellen Forscher jetzt auch in ihrer Masterarbeit Dutzende Plagiate fest. (Quelle: Reiner Zensen/imago-images-bilder)

Franziska Giffey will Regierende Bürgermeisterin in Berlin werden. Doch neue, schwere Vorwürfe werden laut. Exklusiv liegt t-online die Plagiatsprüfung eines Berliner Professors zu ihrer Masterarbeit vor.

Auf der letzten Seite der Masterarbeit steht die Erklärung der Verfasserin, unterschrieben mit blauer Tinte: "(…) die aus fremden Werken wörtlich oder sinngemäß übernommenen Gedanken sind unter Angabe der Quellen gekennzeichnet." Es ist ein Versprechen, sich an die Regeln des wissenschaftlichen Zitierens zu halten. Die Unterschrift ist schwungvoll, leicht nach rechts gelehnt: "Franziska Süllke".

Franziska Süllke ist Franziska Giffey. Deutschlands Ex-Familienministerin, SPD-Spitzenkandidatin, die ab Herbst als Bürgermeisterin Berlin regieren will. Die Freie Universität Berlin hat ihr im Juni den Doktortitel wegen "Täuschung über die Eigenständigkeit ihrer wissenschaftlichen Leistung" entzogen. Giffey trat schon vorher als Ministerin zurück.

Dennoch stehen ihre Chancen, ins Rote Rathaus einzuziehen, derzeit prächtig: 21 Prozent Zustimmung hat die SPD in der jüngsten Forsa-Umfrage zur Abgeordnetenhauswahl – gleichauf mit den Grünen sind sie stärkste Kraft in der Hauptstadt. Bei einem Sieg würde Giffey nicht nur Regierende Bürgermeisterin, sondern – wenn die Ressortzuschnitte in der Hauptstadt dieselben bleiben – in Personalunion auch Wissenschaftssenatorin.

Doch nun gibt es neue Zweifel an Giffeys Arbeit und Integrität. Der Verdacht: Die 43-Jährige hat schon früher, Jahre vor ihrer Doktorarbeit, massiv wissenschaftliche Standards verletzt. Auch bei ihrer Masterarbeit soll sie das von ihr unterzeichnete Versprechen an die Wissenschaft gebrochen haben, Seite um Seite.

"Einfachste Grundsätze des wissenschaftlichen Arbeitens verletzt"

Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaften an der Freien Universität Berlin, hat Giffeys Masterarbeit in den letzten Monaten intensiv untersucht. Unterstützt wurde er dabei unter anderem von einem Politikwissenschaftler. Nach Wochen der Sichtung und mühsamer Quellenarbeit fällt Stefanowitschs Urteil hart aus: "Die Masterarbeit ist in großen Teilen ein Flickenteppich aus Plagiaten", sagte er t-online. "Einfachste Grundsätze des wissenschaftlichen Arbeitens wurden verletzt."

Giffey legte die Arbeit mit dem Titel "Der Europapreis der Parlamentarischen Versammlung des Europarats" 2005 unter ihrem Geburtsnamen "Süllke" an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege vor. Da war sie bereits Europabeauftragte des Berliner Bezirks Neukölln, ein aufsteigender Stern in der Kommunalpolitik.

Die Analyse der Forscher liegt t-online exklusiv vor. Die Masterarbeit wurde außerdem von t-online an der Fachhochschule, die heute Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) heißt, eingesehen. An diesem Freitagmittag veröffentlichten die Forscher die gesamte Dokumentation im Netz. Noch ist ihre Prüfung nicht vollständig abgeschlossen, manche der von Giffey angegebenen Quellen sind schwer oder gar nicht mehr aufzutreiben. Stefanowitsch und seine Mitstreiter hoffen mit der Veröffentlichung auch auf Hilfe bei der Quellenarbeit.

62 Plagiate auf 91 Seiten

Schon jetzt aber haben die Forscher 62 Stellen in der 91 Seiten (mit Anhang 141 Seiten) langen Arbeit festgestellt, die sie als mehr oder minder schwere Plagiate bewerten. Auf knapp einem Drittel der Seiten haben sie mindestens einen oder gleich mehrere Absätze gefunden, die wörtlich aus anderen Quellen übernommen wurden, aber nicht als wörtliche Übernahmen gekennzeichnet wurden, sagt Stefanowitsch. Manchmal seien die zu den Inhalten passenden Quellen außerdem erst später im Text genannt oder ganz andere Quellen angegeben worden.

Die Dokumentation der Forscher ist 45 Seiten lang. Passagen aus Giffeys Arbeit stellen sie akribisch und in tabellarischer Form den Originalpassagen gegenüber. Mehrfach wurden in die Masterarbeit ganze Absätze hineinkopiert, ohne ein einziges Wort zu ändern. Manchmal stammen die Originalsätze aus wissenschaftlichen Arbeiten, manchmal wurden sie aber auch von städtischen oder touristischen Webseiten kopiert.

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Auf Seite 50 zum Beispiel heißt es in Giffeys Arbeit:

Als damals noch junges Mitglied der EU bekam Österreich 1998 die Möglichkeit, eine seiner Städte für den Titel "Kulturhauptstadt Europas" zu nominieren. Die Österreichische Bundesregierung hatte Graz zu diesem Zeitpunkt bereits zweimal für den Titel "Kulturhauptstadt Europas" nominiert. Beim ersten Mal (1988) wurde Graz mit der Durchführung des "Kulturmonats" 1993 beauftragt, einer Veranstaltung, die die EU für Städte außerhalb der Union kreiert hatte, um ihnen auf diese Weise die Möglichkeit zur Partizipation und Zusammenarbeit am Kulturhauptstadt-Programm zu geben. Bei der Bewerbung für 1998 und 1999 wurden Stockholm bzw. Weimar vorgezogen. Dann wurde entschieden, Graz für das Jahr 2003 zu nominieren. Dieses Mal wurde der Titel Graz zugesprochen. […] 99

In großen Teilen wortgleich heißt es auf der Homepage "Graz03.at":

Als damals noch junges Mitglied der EU bekam Österreich 1998 die Möglichkeit eine seiner Städte für den Titel "Kulturhauptstadt Europas" zu nominieren. Die Österreichische Bundesregierung hatte Graz zu diesem Zeitpunkt bereits zweimal für den Titel "Kulturhauptstadt Europas" nominiert. Beim ersten Mal (1988) wurde Graz mit der Durchführung des "Kulturmonats" 1993 beauftragt, einer Veranstaltung, die die EU für Städte außerhalb der Union kreiert hatte, um ihnen auf diese Weise die Möglichkeit zur Partizipation und Zusammenarbeit am Kulturhauptstadt-Programm zu geben. Bei der Bewerbung für 1998 bzw. 1999 wurden Stockholm bzw. Weimar vorgezogen. […] Deshalb wurde entschieden - auch auf die Gefahr hin, dass das Unternehmen Kulturhauptstadt aufgrund des relativen Misserfolges im Jahr 2000 abgeschafft werden könnte - Graz für das Jahr 2003 zu nominieren. Dieses Mal wurde der Titel tatsächlich Graz zugesprochen […]

Bauernopfer auf zahlreichen Seiten

Zwar habe Giffey an dieser Stelle die betreffende Homepage "Graz03.at" in der Fußnote als Quelle angegeben, stellen die Forscher fest – allerdings verweise sie dabei auf die falsche Unterseite auf der betreffenden Webseite. Und schlimmer: Dass beinahe der gesamte Absatz wortwörtlich übernommen, also einfach kopiert wurde, ist nicht mit den eigentlich notwendigen Anführungszeichen gekennzeichnet. Was für Laien nach einer Kleinigkeit klingt, ist in der wissenschaftlichen Welt, in der Gedanken das kostbarste Gut sind, ein Verstoß gegen die Zitierregeln, die jeder Student in den ersten Semestern lernt.

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Das Vorgehen hat unter Plagiatsexperten einen Namen: "Bauernopfer". Der Begriff stammt eigentlich aus dem Schachspiel, wo man einen Bauern freiwillig opfern kann, um an anderer Stelle im Spiel einen Vorteil zu erlangen.

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In Giffeys Arbeit werden auf vielen Seiten Bauern geopfert. 43 sogenannte "einfache Bauernopfer" haben Stefanowitsch und sein Team bisher ausgemacht, bei denen zwar eine Quelle angegeben, aber nicht klargemacht wird, dass ganze Passagen wortwörtlich daraus übernommen wurden. 15 weitere Bauernopfer haben die Forscher gefunden, die mit falscher Quellenangabe versehen wurden.

Mehrfach und besonders umfangreich wurden dabei ganze Passagen aus Internetquellen übernommen. Neben "Graz03.at" griff Giffey auch auf Seiten des Bezirksamts Neukölln zurück sowie auf Inhalte der Homepage "Graz online".

Auf Seite 46 heißt es zum Beispiel in Giffeys Masterarbeit:

Im Jahr 1128 wurde die Stadt Graz erstmals auf einer Schenkungsurkunde erwähnt. Während der Regentschaft von Friedrich III. war die Stadt zeitweise Residenz des Römischen Reiches deutscher Nation. Nach der großen habsburgischen Erbteilung wurde Graz Residenzstadt der innerösterreichischen Erblande. Nach der Revolution von 1848 erhielt Graz 1850 die Selbstverwaltung. In der Gründerzeit überschritt die Bevölkerungszahl erstmals die 100.000er Marke. 1938 wurde das Stadtgebiet durch die damals erfolgten Eingemeindungen um das Sechsfache vergrößert und Graz bestand bis zum Jahre 1988 aus 16 Stadtbezirken. 1988 wurde die Gemeinde Puntigam zum 17. Grazer Stadtbezirk.

Die beinahe wortgleich übernommene Passage fanden Stefanowitsch und seine Mitstreiter auf der Homepage "Graz online". Dort heißt es:

Im Jahr 1128 wird Graz erstmals auf einer Schenkungsurkunde erwähnt. […]. Während der Regentschaft von Friedrich III. ist Graz zeitweise Residenz des Deutschen Reiches. […] Nach der großen habsburgischen Erbteilung wird Graz Residenzstadt für die innerösterreichischen Erblande (Steiermark, Kärnten, Krain, Istrien, Triest). […] Als Folge der Revolution von 1848 erhält Graz 1850 die Selbstverwaltung. […] In der sogenannten Gründerzeit gibt es wiederum eine besonders rege Bautätigkeit und die Bevölkerungszahl von Graz überschreitet erstmals die 100.000er Marke. 1938 wird das Stadtgebiet von Graz durch die damals erfolgten Eingemeindungen um das Sechsfache vergrößert und besteht bis zum Jahre 1988 aus 16 Stadtbezirken. 1988 wurde die bis dahin zu Straßgang gehörende Katastralgemeinde Puntigam zum 17. Grazer Stadtbezirk Puntigam.

Wörtliche Übernahmen ganzer Absätze, Quellenangaben an anderer Stelle

Auch hier wurde die wörtliche Übernahme der langen Passage nicht entsprechend gekennzeichnet. Und: Die Quelle selbst wurde nicht nach dem entsprechenden Abschnitt, sondern an anderer Stelle in Giffeys Arbeit angegeben. Dass der Prüfer die Kopie so bemerkt, ist unwahrscheinlich.

Neben diesen historischen und geographischen Angaben, die größtenteils wörtlich kopiert wurden, wurden auch originellere Gedanken und Wertungen übernommen. Zum Beispiel die von "Graz als erster Brückenkopf" auf Seite 47 in der Masterarbeit:

Während des "Kalten Krieges" fungierte die westeuropäische Stadt Graz als erster Brückenkopf für Kulturschaffende aus Osteuropa. Hier konnten sich viele über neueste Strömungen der Gegenwartskunst informieren und ihre eigene Arbeit "im Westen" präsentieren. Diese Verbindungen zum Südosten Europas wurden für Graz zu einer tragfähigen Basis für neue Brückenschläge während der großen Veränderungen, die die europäische Gegenwart prägen.

Die Quelle wurde in diesem Fall angegeben, befindet Stefanowitschs Team, nicht deutlich gemacht worden sei aber erneut die wörtliche Übernahme der gesamten Passage. Wieder stammt sie von der Homepage "Graz03", wieder heißt es dort zum großen Teil wortgleich:

Während des "Kalten Krieges" war Graz als westeuropäische Stadt in unmittelbarer Nähe des "Eisernen Vorhangs" in keiner günstigen touristischen Position, fungierte aber als erster Brückenkopf für KünstlerInnen und Kulturschaffende aus Osteuropa. Hier konnten sich viele über neueste Strömungen der Gegenwartskunst informieren und ihre eigene Arbeit "im Westen" präsentieren. Diese Verbindungen zum Südosten Europas wurden für Graz zu einer tragfähigen Basis für neue Brückenschläge während der großen Veränderungen, die die europäische Gegenwart prägen.

Kürzere Absätze und einzelne Sätze wurden wohl auch aus einem Handlexikon des 2005 verstorbenen Politikwissenschaftlers Wolfgang Mickel übernommen. Insgesamt fünf Passagen in der Arbeit führt die Plagiatsuntersuchung auf Mickels Werk zurück, in allen Fällen wurde die direkte Übernahme nicht gekennzeichnet, in einigen Fällen wird Mickel als Quelle erst Absätze später genannt oder eine völlig andere Quelle angegeben.

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"Schwer vorstellbar, dass es der Verfasserin nicht bewusst war"

Stefanowitsch korrigiert als Professor an der Freien Universität regelmäßig Abschlussarbeiten. Er weiß, wie sehr Studenten in dieser Phase unter Stress stehen können. Dass man in einer Arbeit mal den Überblick verliere und Fehler mache, dafür habe er Verständnis, sagt er. Das aber scheine hier nicht der Fall zu sein. "Bei diesem flächendeckenden Vorgehen kann ich mir nur schwer vorstellen, dass es der Verfasserin nicht bewusst war", sagt er.

Ob böser Wille oder Überforderung der Grund war, will Stefanowitsch nicht bewerten. Es wirke allerdings, "als ob gar nicht erst versucht wurde, die Arbeit eigenständig zu formulieren". Dabei habe Franziska Giffey, damals noch unter dem Namen Süllke, vor der Masterarbeit bereits ein Studium zur Diplom-Verwaltungswirtin abgeschlossen. Auch diesen Abschluss erlangte sie – nach eigenen Angaben von 1998 bis 2001 - an der Fachhochschule, an der sie den Master ablegte. Mit den Regeln des wissenschaftlichen Zitierens hätte sie also bestens vertraut sein müssen, findet Stefanowitsch.

"Sie hätte es wissen müssen" – der Vorwurf wird Giffey nicht zum ersten Mal gemacht. In der Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit war er zentral. Die Dissertation ist die Krönung für die meisten wissenschaftlichen Karrieren, oft Türöffner hinein in eine elitäre Gruppe. Diverse Hausarbeiten und Abschlussarbeiten liegen vor der Masterarbeit wie vor der Dissertation. Für alle gelten dieselben oder sehr ähnliche Zitierregeln.

Giffey erklärte bei ihrem Rücktritt als Ministerin, dass sie ihre Dissertation "nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben habe". Sie bedauere, wenn ihr dabei Fehler unterlaufen seien. Im selben Statement gab sie bekannt, dass sie weiterhin als Spitzenkandidatin der SPD in Berlin kandidieren wolle. Nun ziert ihr Gesicht viele Plakatwände in Berlin, auch in Lichtenberg, nahe der Bibliothek der HWR wirbt sie für sich.

Prominent gibt Giffey zurzeit auf der Homepage der Berliner SPD in ihrem ausformulierten Lebenslauf als Spitzenkandidatin an: "Neben ihrer Tätigkeit als Europabeauftragte absolvierte Franziska Giffey von 2003 bis 2005 ein Studium zum Master of Arts (M.A.) für Europäisches Verwaltungsmanagement an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin (FHVR)." Von der aberkannten Doktorarbeit findet sich auf der Homepage – wenig überraschend – kein Wort.

Wiederkehrendes Muster

Stefanowitsch hat auch die Prüfung der Dissertation genau verfolgt. "Das Muster, nach dem die Masterabeit verfasst ist, erinnert stark an das, was auch bei der Dissertation festgestellt wurde." Er zieht für den Master aus seinen Untersuchungen das Fazit: "Aus meiner Sicht ist dieser Masterabschluss nicht verdient." Die rechtlichen Konsequenzen könne er nicht einschätzen, Regelungen dazu variieren auch von Hochschule zu Hochschule. An manchen Instituten verjähren Plagiate in Bachelor- und Masterarbeiten – im Gegensatz zu Plagiaten in Dissertationen – nach fünf oder zehn Jahren.

t-online hat die für die SPD-Spitzenkandidatin zuständige Pressestelle der Partei sowie die HWR am Donnerstag um Stellungnahme gebeten. Die HWR wurde dabei unter anderem gefragt, warum die von den Forschern bemängelten Stellen bei der Prüfung der Arbeit nicht aufgefallen sind – und ob die Fachhochschule die Arbeit nun erneut prüfen und gegebenenfalls neu bewerten will.

Die Pressesprecherin der HWR antwortete am Nachmittag, dass sie Antworten so kurzfristig nicht liefern könne und um Verständnis bitte. Man wolle sich wieder melden, sobald die Antworten vorlägen.

Giffey lässt mitteilen: Falls es zu Fehlern gekommen sei, "beruhen diese auf Flüchtigkeit"

Die Rechtskanzlei "Unverzagt" teilte t-online am späten Donnerstagabend im Namen von Franziska Giffey mit, dass ihre Mandantin ihre Masterarbeit "nach bestem Wissen und Gewissen gefertigt" habe. "Soweit sie hierbei unter Zugrundelegung wissenschaftlicher Standards wörtliche Übernahmen nicht hinreichend als solche kenntlich gemacht hat, geschah dies ohne Absicht und insbesondere nicht zu dem Zweck, wissenschaftliche Erkenntnisse der jeweils Zitierten als eigene auszugeben." Falls Fehler bei der Zitatform aufgetreten seien, "beruhen diese auf Flüchtigkeit", heißt es weiter. Aus diesem Grund sehe Giffey selbst auch keinen Verstoß gegen die von ihr am Ende der Masterarbeit unterzeichnete Erklärung.

Stefanowitsch will die Arbeit weiter prüfen, nach Quellen forschen, die er bisher nicht aufspüren konnte. Dabei, versichert er, treibe ihn weder Parteipolitik noch Giffey-Hass an. Nur kurz sei er von 2012 bis 2014 Mitglied der Piratenpartei Berlin, aber dort nicht sonderlich aktiv gewesen. Derzeit habe er kein Parteibuch und auch keine Beziehungen zu parteinahen Organisationen.

Müllers Vermächtnis in Gefahr?

Dem FU-Professor geht es um die Wissenschaft, so erklärt er es. Um seine eigenen Studenten und den international als exzellent geltenden Wissenschaftsstandort Berlin. Und ja, ein wenig geht es ihm auch um Michael Müller, Giffeys Parteikollege, zurzeit noch Regierender Bürgermeister und Wissenschaftssenator von Berlin.

Schon jetzt könne er seinen Studenten nicht erklären, warum Giffey nach Entzug der Dissertation ganz ohne Besinnungspause für das höchste Amt in der Stadt kandidieren könne, sagt Stefanowitsch. Für durchschnittliche Studenten hätten Plagiate schließlich gravierende Folgen – in so extremen Fällen würden sie exmatrikuliert und dürften auch an anderen Hochschulen nie wieder ihr Fach studieren. Das Ende für Karriereträume. Giffeys Karriere hingegen mag einen kleinen Knick gemacht haben, in der Landespolitik aber beginnt sie jetzt erst so richtig.

Als "fatales Zeichen" und "Schlag ins Gesicht" wertet der Sprachwissenschaftler eine nun mögliche "Bürgermeisterin Giffey" für den Wissenschaftsstandort Berlin – und für Giffeys Parteikollegen Michael Müller. Müller, der nie selbst studiert hat, genießt in der Wissenschaftslandschaft einen exzellenten Ruf. Der gelernte Drucker und Bürokaufmann hat in den letzten Jahren als Wissenschaftssenator reichlich Gelder für seine Spitzen-Hochschulen eingesammelt. Das Lob für ihn ist in diesem Bereich groß.

Müllers Vermächtnis würde "zerstört", findet Stefanowitsch, "wenn nun jemand auf ihn folgt, der die Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens so mit Füßen getreten hat."

Verwendete Quellen
  • Plagiats-Analyse des Stefanowitsch-Teams vorab, später komplett hier veröffentlicht: "Herzenssache Wissenschaft"
  • Franziska Süllke: "Der Europapreis der Parlamentarischen Versammlung des Europarats – Eine vergleichende Betrachtung der Europapreisträgerschaft in drei europäischen Städten im Kontext der Förderung des europäischen Einigungsgedankens"
  • Gespräch mit Anatol Stefanowitsch
  • Anfrage an Franziska Giffey
  • Anfrage an die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin
  • Eigene Recherchen
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