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AfD-Mann Karsten Hilse greift Habeck an – und relativiert Nationalsozialismus


Rechter Angriff auf Habeck
AfD-Mann verharmlost im Bundestag den Nationalsozialismus

  • Annika Leister
Von Annika Leister

Aktualisiert am 14.01.2022Lesedauer: 4 Min.
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Voller Verachtung: Mit einer Wutrede, die an die Sprache des Nationalsozialismus erinnert, wütet ein AfD-Mann gegen den Vizekanzler. (Quelle: t-online)

Karsten Hilse ist einer der radikalsten AfD-Abgeordneten im Bundestag. Am Donnerstag trat er ans Mikrofon, beleidigte Minister Habeck sowie große Teile des Parlaments und relativierte die NS-Vergangenheit.

Wegen Ermittlungen gegen ihn droht ihm bereits die Aufhebung der Immunität. Für den AfD-Abgeordneten Karsten Hilse ist das aber offenbar kein Grund sich zu zügeln. Am Donnerstag trat der 57-jährige Sachse nach Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) ans Mikrofon im Bundestag – und verharmloste in einer rund fünfminütigen Rede auf der Ungeimpften-Tribüne den Nationalsozialismus, schürte Ängste vor Impfungen und beleidigte Habeck sowie große Teile des Parlaments.

Habeck hatte zuvor im Hinblick auf die Energieversorgung von einer "Phase der großen Veränderung" gesprochen und erklärt, mit welchen Maßnahmen die Ampelregierung Deutschland mittelfristig unabhängig von fossilen Energien machen will. Das gebiete der Klimaschutz.

Für Hilse ist das ein Reizthema: Er ist Sprecher der AfD-Fraktion für Klimaschutz und Energiepolitik – und leugnet den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel. Was ihn in anderen Fraktionen für den Posten als Sprecher in dem Bereich disqualifizieren würde, geht bei der AfD voll auf. Auch die Partei vertritt in ihrem Programm die These, dass es den menschengemachten Klimawandel nicht gibt und der Ausstieg aus Kohle- wie Atomenergie ein Fehler ist.

Radikaler "Lautsprecher" der AfD

Hilse, der als radikaler "Lautsprecher" der AfD bekannt ist, wurde diesem Ruf am Donnerstag wieder voll gerecht und verquickte maßlose Kritik an der Klima- sowie der Corona-Politik des Bundes mit Geschichtsrevisionismus und einer Kaskade an unter Rechten beliebten Stanzen.

So behauptete er mit Blick auf die Corona-Politik, dass die Bundesregierung die Freiheitsrechte aushebele und Bürger wie Abgeordnete zu Menschen zweiter Klasse degradiere, "wenn sie sich der experimentellen Gentherapie entziehen". Das, so Hilse weiter, erinnere "an die dunkelsten Zeiten der Geschichte". Letzteres ist eine Formulierung, die üblicherweise für die Phase des Nationalsozialismus in Deutschland, in der Schätzungen zufolge 60 Millionen Menschen ihr Leben lassen mussten, gebraucht wird.

Damit aber war Hilse noch lange nicht am Ende. Habeck wolle mit seiner Klimapolitik, die einen massiven Ausbau der Windkraft vorsieht, nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern auch die Natur zerstören, behauptete er. "Allein das würde schon ausreichen, Sie und Ihre Berater auf ihren Geisteszustand untersuchen zu lassen", ätzte Hilse. Und: "Sie, Minister Habeck, wollen den Untergang Deutschlands, schließlich fanden Sie Vaterlandsliebe schon immer zum Kotzen."

"Ich verachte Sie zutiefst"

Ganz im Gegensatz zur AfD, betonte Hilse im Anschluss, um dann zum wirren Finale zu kommen: "Aber irgendwann werden Sie alle sich verantworten müssen für die Verarmung und Verelendung großer Teile des deutschen Volkes, für die Zehntausenden Toten bei einem Blackout und durch die Gentherapie-Schäden, für die Ebnung des Weges in den Totalitarismus und vor allem für die geschundenen Kinderseelen aufgrund ihrer menschenverachtenden Corona-Politik."

Was wie eine Drohung klingt, entkräftet Hilse knapp durch den Zusatz, vielleicht müssten sich die Adressierten nicht vor einem weltlichen Gericht verantworten, ganz sicher jedoch im Jenseits.

Seinen letzten Satz richtet Hilse schließlich nicht nur an Habeck, sondern an das gesamte Plenum: "Ich verachte Sie – bis auf wenige Ausnahmen – zutiefst."

Nutzer kritisieren "Wahnwichtel" und "Bullshitbingo"

Im Plenarsaal blieb Hilses Rede weitgehend unwidersprochen, in den sozialen Medien äußerten Nutzer jedoch schnell scharfe Kritik: Manche kritisierten eine "Wahnwichtel-Show", andere Hilses "großes Bullshitbingo", wieder andere kommentierten schlicht "unerträglich" oder "Karsten Hilse ist ein Nazi".

Pikanterweise ist der AfD-Mann eigentlich Polizist. Bereits 2017 zog er über das Direktmandat für den sächsischen Wahlkreis "Bautzen I" in den Bundestag ein. Seither ist er nach eigener Aussage vom Polizeidienst freigestellt.

Bei einer Demonstration gegen die Corona-Politik in Berlin wurde er im November 2020 von der Polizei festgenommen. Ein Video der Festnahme wurde von AfD-Politikern und Unterstützern in den sozialen Medien weit verbreitet. Die Bundespolizei notierte Medienberichten zufolge in einem internen Bericht, Hilse habe einen Begleiter zum Filmen aufgefordert – und erst danach Widerstand geleistet. Eine Widerstands-Inszenierung also.

Deshalb droht Hilse laut Informationen der dpa wohl ein juristisches Nachspiel. Das Parlament erteilte am Donnerstag die Genehmigung eines Strafverfahrens gegen den AfD-Mann. Konkret soll es dabei um die Vorfälle während der Corona-Demonstration gehen.

Kritische Phase für die AfD

Seit Einführung der 3G-Regel im Bundestag im November sitzt Hilse auf der Tribüne für Ungeimpfte, zu Anfang mit gut sichtbarem "Ungeimpft"-Button. Von dort aus hielt er auch seine Rede am Donnerstag. Auf Facebook teilte er das Video von seinem Auftritt mit den Worten "Meine erste Rede von der Ehrentribüne".

In mehr als 200 Kommentaren danken ihm viele seiner Follower und sprechen ihren Respekt aus. Doch einige Hilse-Fans äußern auch Kritik: Der AfD-Abgeordnete solle verbal abrüsten. "Es geht nicht, im Bundestag mit Beleidigungen (wenn auch verständlich) um sich zu werfen." Die AfD müsse gerade jetzt auf Seriosität achten.

Die radikalen Köpfe der AfD stehen zurzeit unter besonderer Beobachtung. Denn das Verwaltungsgericht Köln verhandelt am 8. und 9. März über die Frage, ob der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall ins Visier nehmen darf. Die AfD hat gleich vier Klagen eingereicht, um die Einstufung zu verhindern. Würde die Partei vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall unter die Lupe genommen, könnte der Verfassungsschutz V-Leute und andere Methoden der heimlichen Informationsbeschaffung einsetzen. Mehrere AfD-Landesverbände – darunter auch Hilses Landesverband Sachsen – stehen bereits unter Beobachtung.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Twitterreaktionen, Facebook-Kommentare
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