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Tagesanbruch: Das Verhalten von Verfassungsschutzchef Maaßen ist inakzeptabel


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 14.09.2018Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Regierungsbank im BundestagVergrößern des Bildes
Regierungsbank im Bundestag (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Bitte stellen Sie sich für einen Moment vor, Sie wären der Chef oder die Chefin eines großen Unternehmens. Auf Ihren Schultern lastet viel Verantwortung: Milliarden Euro Umsatz, Erfolgsdruck, das Wohl Ihrer Mitarbeiter. Da müssen Sie sich auf ihre Führungskräfte verlassen können. Nur wenn diese ihre Unternehmensvision mittragen und sich gegenüber der Geschäftsführung hundertprozentig loyal verhalten, können Sie und Ihre Firma erfolgreich sein.

Und dann gibt es da diesen Abteilungsleiter. Der verfolgt eine eigene Agenda, die sich offenkundig von Ihrer unterscheidet. Er setzt Gerüchte in die Welt. Er widerspricht Ihnen öffentlich, ohne Sie vorzuwarnen. Sie zweifeln an seiner Loyalität. Vielleicht denkt er, er wisse es besser. Aber es kommt noch dicker: Er bespricht Vertrauliches mit Dritten, die sich anschließend in Widersprüche verstricken. Und er leitet seine Abteilung so intransparent und klandestin, dass die große Mehrheit der Kunden ihr nicht mehr vertraut.

Was würden Sie mit so einem Abteilungsleiter machen, wenn er sein Verhalten trotz mehrfacher Ermahnungen nicht ändert? Richtig: Sie würden ihn seines Postens entheben. Damit er nicht noch mehr Unheil anrichtet. Damit die Abteilung endlich wieder effektiv im Sinne des Unternehmens arbeiten und ihren ramponierten Ruf wiederherstellen kann. Damit sie das Vertrauen der Leute zurückgewinnt. So wäre es in der freien Wirtschaft.

Das Problem ist: Der Bundesverfassungsschutz ist keine Firma, sondern eine Behörde. Und zu seiner Arbeit gehört die Heimlichtuerei. Aber in einer Demokratie müssen sich auch Geheimdienste und ihre Chefs an Regeln halten und dürfen nicht anfangen, selbst Politik zu machen – selbst wenn ihnen die Linie der gegenwärtigen Regierung nicht gefällt. Deshalb ist das Verhalten des Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen inakzeptabel und darf nicht folgenlos bleiben.

Gravierend ist aber auch diese Erkenntnis: Die Bundeskanzlerin ist mittlerweile so geschwächt, dass sie den Mann nicht einfach entlassen kann. Sicher, formal kann das eh nur der Bundesinnenminister tun, und der hält eben zu seinem angeschlagenen Behördenleiter. Aber besäße Angela Merkel noch die Macht und die Kraft, die sie vor drei oder fünf Jahren hatte, wäre Herr Maaßen längst weg vom Fenster. So aber müssen wir nun weiter dabei zuschauen, wie sich die große Koalition beim Zoff über eine Personalie immer kleiner macht.

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Das Wirken russischer Geheimdienste und staatsnaher Trolle gehört inzwischen genauso zum Internet wie Google, Twitter und Facebook. Einflussnahme auf die US-Wahlen, Manipulationsversuche bei der Brexit-Abstimmung, Kampf um die Deutungshoheit bei der Krim-Annexion und beim Krieg in der Ukraine: Die Liste ist noch lange nicht zu Ende. Nur manchmal erinnern uns die Ereignisse an den Propagandakrieg im Netz, dabei begleitet er unser Leben inzwischen permanent. Aktueller Schauplatz ist wieder einmal Großbritannien. Der Nervengift-Anschlag auf den russischen Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter hat die Maschinerie der Desinformation auf Hochtouren gebracht.

Längst geht es nicht mehr darum, die eigene Wahrheit an den Mann zu bringen. Russische Desinformation beschränkt sich nicht auf eine dem Kreml gefällige Version der Ereignisse, sagt Ben Nimmo, der sich für den US-Think-Tank Atlantic Council mit dem Thema befasst. Stattdessen wird eine Flut konkurrierender Theorien und Behauptungen im Netz freigesetzt, bis niemand mehr weiß, was man eigentlich noch glauben soll. Und man deshalb glauben kann, was man will.

Der schnelle Takt in sozialen Netzwerken macht das leicht. Zwar dürfte fast jedem klar sein, dass ein Nervengift nach der Freisetzung Schutzmaßnahmen erforderlich macht, die man vorher nicht braucht. Trotzdem: ein Foto der zwei Verdächtigen in Straßenklamotten, daneben eines von zwei Spezialisten in Schutzanzügen, darunter die Frage: "Männer, die mit hochgefährlichem Gift umgehen: wie viele Unterschiede kannst du finden?" – das erntet die Lacher, und die Klicks. Desinformation muss nicht argumentieren. Meme, Sarkasmus, Humor garantieren rasche Verbreitung, eine akribische Auflistung der Beweislage eher nicht. Und irgendwas bleibt immer hängen. Es soll ja Leute geben, die glauben, was auf Facebook so zu lesen ist. Und für alle, die dann immer noch zweifeln, gibt es ein schönes Interview mit den beiden in einem kremlnahen Sender. So funktioniert Desinformation heute.

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WAS STEHT AN?

Wenn Sie den Tagesanbruch regelmäßig lesen, wird Ihnen aufgefallen sein, dass ich mich regelmäßig über die Fehler von Spitzenpolitikern auslasse – beziehungsweise über das, was ich für Fehler halte. Heute mache ich mal alles anders. Heute spreche ich drei Spitzenpolitikern meine Anerkennung aus. Heute lobe ich mal, Achtung, Horst Seehofer. Doch, mach ich. Viele seiner Kritiker hätten es wohl ebenso wie ich nicht für möglich gehalten, dass er nach den Flüchtlingsabkommen mit Spanien und Griechenland nun auch so schnell eine Einigung mit der schwierigen Regierung in Italien erzielt.

Moment, sagen Sie nun, es fehlen ja noch die Unterschriften unter dem Abkommen! Und da haben Sie natürlich Recht. Abwarten, sagen sie außerdem, der Vertrag regelt ja nur, dass Migranten, die schon mal andernorts einen Asylantrag gestellt haben und dann an der deutsch-österreichischen Grenze aufgegriffen werden, zurückgeschickt werden – das sind ja nur ganz wenige! Und da haben Sie wohl wieder Recht. Gleichwohl: Der Bundesinnenminister hatte versprochen, die Verträge schnell zu schließen, und er hat Wort gehalten. Was sie dann im Alltag bewirken und ob sie wirklich nur sehr wenige Fälle betreffen, werden wir sehen. Auch darüber wollen die EU-Innenminister sprechen, wenn sie sich heute in Wien zu ihrer Migrationskonferenz treffen.

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Auch Winfried Kretschmann zolle ich Respekt. Baden-Württemberg ist ihm längst zu klein geworden, also fliegt er nach Kanada und, yeah!, San Francisco. Dort will er sich nicht nur über den neuesten Stand in Sachen Digitalisierung informieren (yeah, da kann Deutschland was lernen), sondern auch am Gipfel einer Klimaschutzinitiative teilnehmen, die sein Bundesland gemeinsam mit Kalifornien gegründet hat. So setzt er ein starkes Signal in Richtung Washington, wo ein Mann das Sagen hat, der Klimaschutz für Kokolores hält. Yeah!

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Auch Gerd Müller zolle ich Respekt. Der Bundesentwicklungsminister spricht deutlicher als alle anderen Regierungsmitglieder über die Lage im syrischen Kampfgebiet. “In Idlib bahnt sich derzeit eine der größten humanitären Katastrophen unserer Zeit an“, sagt er im Interview mit dem “Focus“ – und erwähnt auch die Gründe für den Krieg, die vielen hierzulande kaum geläufig sind: Der Bürgerkrieg in Syrien sei eine dramatische Nachwirkung der Terroranschläge vom 11. September 2001 und des darauffolgenden Irakkriegs. Das ist vielleicht ein bisschen verkürzt, aber ganz falsch ist es nicht: Der amerikanische Angriff auf Saddam Husseins Regime stürzte die ganze Region ins Chaos, Zigtausende Iraker flohen nach Syrien, der islamistische Terrorismus erstarkte.

Und noch etwas sagt Müller: Deutschland müsse seinen humanitären Einsatz in Krisenländern wesentlich verstärken. Gegenwärtig seien rund 70 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. “Entwicklungsländer nehmen 90 Prozent aller Flüchtlinge auf. Der Großteil kommt also gar nicht nach Europa.“ Diesen Menschen müsse vor Ort geholfen werden. So ist es.

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WAS LESEN?

Wir Bürger beschweren uns ja gelegentlich darüber, dass unser Steuergeld für die falschen Dinge verbraten werde. Manche erregen sich über überflüssige Bahnhöfe, andere echauffieren sich über unsinnige Rüstungsprojekte, und alle gemeinsam lästern wir über den Hauptstadtflughafen BER. Aber kaum jemand redet noch über den Preis, den wir alle für die Bewältigung der Finanzkrise bezahlt haben, die vor zehn Jahren über den Globus loderte. Was würden Sie denken, wenn ich Ihnen sage: Jede Familie in Deutschland hat durch die Bankenkrise mindestens 3.000 Euro verloren? Vielleicht würden Sie denken: Der Harms übertreibt. Ich setze aber noch einen drauf: Es könnte sogar noch teurer werden. Vielleicht denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal die Namen Commerzbank, Hypo Real Estate, WestLB oder BayernLB hören. Diese Institute haben viel mehr Steuergeld verbrannt als alle Bahnhöfe und Flughäfen zusammen.

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Wenn Wirtschaftsbosse über die "Selbstheilungskräfte der Wirtschaft" reden, dann meinen sie damit meist eines: Bitte keine staatliche Einmischung! Wird schon. Lasst mal. Gelegentlich allerdings entfalten diese Selbstheilungskräfte ihre Wirkung in einer Weise, die den Konzernspitzen weniger gefällt. Das hat in China gerade die Restaurantkette "Xiabu Xiabu" erfahren. Die muss sich, wenn es in einer ihrer Küchen nicht hinreichend hygienisch zugeht, normalerweise mit den Kunden rumärgern, ihnen vielleicht ein bisschen entgegenkommen, eventuell gibt es noch Stress mit dem Gesundheitsamt. Aber gravierend, für ein Großunternehmen? Ist das alles nicht.

Letzte Woche nun fand eine Frau Ma in ihrem Eintopf ein Tier, das sie nicht bestellt hatte. Was sie während des Essens mit ihren Stäbchen hervorzog, war – bitte legen Sie ihr Frühstücksbrötchen jetzt kurz zur Seite – eine gut durchgekochte Ratte. Man bot der Kundin 600 Euro Entschädigung an. Weil sie schwanger war und sich sorgte, dass die unhygienische Suppeneinlage vielleicht das Kind gefährde, verstieg sich das Restaurant nach Angaben der Familie sogar dazu, ihr eine Abtreibung zu empfehlen und 2.500 Euro zu den Kosten beizusteuern. Familie Ma war nicht amüsiert. Familie Ma postete ein paar Fotos. Da war ganz schön was los im chinesischen Internet.

Dass Ratten in der Küche niemals, wirklich niemals entschuldbar sind, hat "Xiabu Xiabu" inzwischen verstanden. Nicht wegen einer lästigen Küchenkontrolle oder eines verschmerzbaren Schmerzensgelds. Das Entsetzen der Kunden in den sozialen Netzwerken ließ den Börsenkurs dermaßen in den Keller rauschen, dass inzwischen 160 Millionen Euro zum Herrn gegangen sind. Auch für einen Restaurantgiganten ist das kein Betrag aus der Portokasse mehr. Selbstheilungskräfte des Marktes nennt man das dann. Alles in allem doch gar nicht so schlecht.

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WAS FASZINIERT MICH?

Für den Start in den Tag ist es vielleicht nicht so gut, gleich schon die Schäfchen zu zählen. Verzichten wir also auf das Zählen und gönnen uns lieber eine frische Perspektive. Hier also: Schafe und Schäferhunde, wie Sie sie bestimmt noch nie gesehen haben. Oder ist es irgendeine seltsame Flüssigkeit? Wabernde Blasen? Strömungen? Wie überraschend es doch sein kann, die Dinge aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten!

Ich wünsche Ihnen einen Tag voller neuer Perspektiven und dann ein schönes Wochenende. Wenn Sie mögen: Hier hören Sie ab Samstagmorgen, 6 Uhr, den Tagesanbruch am Wochenende.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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