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Tagesanbruch: Begeisterung aus der CDU für Friedrich Merz


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 16.11.2018Lesedauer: 8 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Friedrich MerzVergrößern des Bildes
Friedrich Merz (Quelle: Rolf Vennenbernd dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Spektakulär, was sich in Großbritannien abspielt. Nicht erst seit gestern, nicht erst seit Wochen, nein, seit der Brexit-Abstimmung vor zweieinhalb Jahren beschäftigt sich die politische Elite des Landes quasi pausenlos und ausschließlich mit sich selbst. Machtkämpfe, Hirngespinste, Ultimaten, Lösungsversuche, erhitzte Parlamentsdebatten am laufenden Band: ein tagtägliches Schauspiel von Shakespeare’schen Dimensionen. Nun erleben wir den Höhepunkt – Rücktritte, Wirrwarr, Ratlosigkeit. Und das alles, damit es dem Land hinterher schlechter geht als vorher. Denn das wird über kurz oder lang das Ergebnis des Brexit sein. In einer globalisierten Welt, in einem vereinigten Europa mit seinen komplexen Finanzströmen, verzweigten Handelswegen, wechselnden politischen Allianzen kann ein Land, das sich abseits stellt, nur eines: verlieren. Hätte jemand den Plan gehabt, Großbritannien (und die EU) zu destabilisieren, er hätte sich nichts Effektiveres ausdenken können als diesen Schlamassel.

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Eine Frau und zwei Männer auf einer Bühne in Lübeck, im Publikum erwartungsvolle CDU-Mitglieder – und dann los: Wer hält die beste Rede, wer hat die größte Ausstrahlung, wer wirkt sympathisch und locker, aber zugleich verantwortungsbewusst und durchsetzungsstark? In einem Satz: Wer hat das Zeug, Deutschlands größte Partei zurück auf die Erfolgsspur zu führen? Die Antwort auf diese Frage ist ein wochenlanger Dreikampf.

Seine Schauplätze ähneln sich: Es sind die Startseiten von Online-Medien, die Titelseiten von Tageszeitungen und die Sofas in Fernsehstudios, aber auch viele Meetings, Vieraugengespräche und noch mehr Telefonate. Und die Bühnen von Regionalkonferenzen wie gestern Abend in Lübeck. Wer Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn lauschte, hörte graduelle, aber keine grundlegenden Unterschiede. Alle drei setzen sich behutsam von Angela Merkel ab, ohne die Noch-Kanzlerin bloßzustellen. Alle drei grenzen sich von der AfD ab, ohne konservative Wähler vor den Kopf zu stoßen. Alle drei finden Digitalisierung, Pflege, innere Sicherheit und so weiter unheimlich wichtig. Alle drei wirkten gestern kompetent und, verzeihen sie mir bitte diese Spitze, irgendwie austauschbar. “Egal, welche Frage kam, die Antworten ähnelten sich doch sehr“, berichtet mein Kollege Marc von Lüpke, der die Kandidaten in Lübeck beobachtet hat. Das Feuer des Aufbruchs konnte keiner der drei entzünden. Aber ihnen bleiben ja noch drei Wochen bis zum Parteitag.

Zeit genug, noch etwas genauer hinzuschauen. Denn trotz ihrer ähnlichen politischen Positionen führen Merz, Kramp-Karrenbauer und Spahn sehr unterschiedliche Wahlkämpfe um die Herzen ihrer Parteifreunde.

Kramp-Karrenbauer bereitete sich schon länger auf diesen Moment vor, wurde aber trotzdem von Merkels Entscheidung überrascht, den Parteivorsitz jetzt abzugeben. Als sie im Februar das Amt der Generalsekretärin übernahm, bat sie Merkel, nicht in deren machttaktische Überlegungen einbezogen zu werden. Sie wollte ehrlich sagen können: Ich habe nichts gewusst! Das war klug. Ihr Wahlkampf um den CDU-Vorsitz begann leise, mündete aber schnell in einen Interview-Marathon: Heute hier morgen dort, übermorgen wieder fort – und trotz ihrem Hang zu mäandernden Sätzen immer ein, zwei prägnante Aussagen für die Medien. Das kommt an: Laut dem ARD-Deutschlandtrend von gestern Abend wünschen sich 46 Prozent der CDU-Anhänger, dass Kramp-Karrenbauer CDU-Chefin wird. Merz? Nur 31 Prozent. Spahn? Gerade mal 12 Prozent.

Da regt sich Schmerz im Herz von Friedrich Merz. Mit seiner Kandidatur hat er Freund und Feind überrumpelt und ist dabei von manchen Medien lauthals angefeuert worden. Inzwischen ist der Jubel abgeflaut, mancher raunt hinter vorgehaltener Hand schon von einem Strohfeuer. Denn jetzt beginnen auch CDU-Leute, kritische Fragen zu Merz‘ Eignung für das höchste Parteiamt, später vielleicht gar das Kanzleramt zu stellen. Das hat etwas mit seinen mannigfachen Verbindungen in der Welt der Hochfinanz zu tun.

Kaum ein (wieder) aktiver Politiker ist dort so gut vernetzt wie Merz. Das kann von Vorteil sein, wenn man Dinge bewegen, schwierige politische Entscheidungen anbahnen, Unterstützer und Geld organisieren möchte. Es kann aber auch ein Nachteil sein. Weil es die Glaubwürdigkeit eines Politikers erschüttern kann, unbeeinflusst von den Wünschen mächtiger Finanzkonzerne für die Interessen der Bürger zu kämpfen. Für wen steht Merz wirklich ein? Man muss nicht lange grübeln, um sich diese Frage zu stellen.

Am augenfälligsten ist seine Beschäftigung bei Blackrock, und dabei muss man noch nicht einmal nach den dubiosen Cum-Ex-Geschäften fragen, in die der Vermögensverwalter vor (!) Merz‘ Anstellung verwickelt gewesen sein soll. Blackrock ist an allen Dax-Konzernen beteiligt und verwaltet sage und schreibe 6.000 Milliarden US-Dollar. Der “Tagesspiegel“ nennt die Firma das “mächtigste Unternehmen der Welt“ und den “größten Gewinner der Finanzkrise“ mit besten Verbindungen zu Regierungen überall auf der Welt: ein Geldkonzern auf dem Weg zur globalen Vorherrschaft. Merz ist nicht nur Aufsichtsratschef des deutschen Ablegers der Fondsgesellschaft, er übt auch weitere einflussreiche Ämter in der Wirtschaft aus. Laut eigenen Angaben ist er...

  • Partner in der Rechtsanwaltskanzlei Mayer Crown,
  • Verwaltungsratsvorsitzender und Aufsichtsratsmitglied der Privatbank HSBC Trinkaus AG,
  • Aufsichtsratsvorsitzender der Hygienepapier-Firma WEPA,
  • Aufsichtsratsvorsitzender des Flughafens Köln/Bonn,
  • Verwaltungsratsmitglied der Schweizer Stadler Rail AG.

Außerdem war Merz laut “Spiegel“ früher...

  • Beirat der Commerzbank,
  • Aufsichtsratsmitglied bei der Deutschen Börse,
  • Aufsichtsratsmitglied des Recycling- und Entsorgungsunternehmens Interseroh,
  • Aufsichtsratsmitglied des Immobilienkonzerns IVG,
  • Aufsichtsratsmitglied der Versicherungsgesellschaft Axa Konzern AG,
  • Aufsichtsratsmitglied bei der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA.

Dank all dieser Mandate hat Merz in den vergangenen Jahren Millionen verdient. Das ist sein gutes Recht, und es ist eine Leistung, auf die er stolz sein darf. Dass er allerdings von sich selbst sagt: "Ich würde mich zu der gehobenen Mittelschicht in Deutschland zählen" – zu "dieser kleinen, sehr vermögenden, sehr wohlhabenden Oberschicht mit Sicherheit nicht", zeugt von einer bemerkenswerten Sicht auf die gesellschaftlichen Realitäten in unserem Land.

Soviel darf man sicher konstatieren: Gelänge es Merz, Merkel nicht nur an der CDU-Spitze, sondern auch im Regierungsamt abzulösen, dürften an der Madison Avenue Nummer 295 in Manhattan, New York, die Champagnerkorken knallen. Dort residiert das Hauptquartier von Blackrock. Mit einem “Chancellor Merz“ könnte sich das Blackrock-Management einen direkten Draht in den siebten Stock des Kanzleramts erhoffen, wo der Regierungschef die Geschicke der Bundesrepublik lenkt. Wo entschieden wird, ob Deutschland eher einen gewerkschaftsfreundlichen oder einen unternehmerfreundlichen Kurs einschlägt. Wo in Zusammenarbeit mit dem Finanzministerium künftige Steuersätze definiert werden und festgelegt wird, ob man Steuerschlupflöcher für Großkonzerne schließt oder offen lässt. Wo man mit dem Wirtschaftsministerium über Ausnahmegenehmigungen in Kartellfragen berät. Kurz: wo ausgefochten wird, wer welches Stück vom Kuchen der deutschen Staatsquote bekommt.

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Aus der CDU ist nach wie vor Begeisterung für Merz zu hören: ein echter Kerl, ein Macher, ein Klartexter! Aber es mehren sich auch die Stimmen, die leise fragen, ob die Partei mit so einem Kandidaten irgendwann eine Bundestagswahl gewinnen kann. Ich sage es mal so: Unterhalb der gehobenen Mittelschicht in diesem Land dürfte es eine Menge Leute geben, die sich diese Frage auch stellen würden.

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WAS STEHT AN?

Angela Merkel muss dringend mal nach den, pardon, dem Rechten sehen. Fast drei Monate ist es nun her, seit rechtsradikale Ausschreitungen Chemnitz erschütterten, die ganze Republik diskutierte, Medien rund um den Globus berichteten, vieles geriet durcheinander, vieles geriet undifferenziert, wenige Politiker hatten den Schneid, sich der Diskussion mit den Bürgern der Stadt zu stellen. Immerhin Ministerpräsident Kretschmer, Bundesministerin Giffey und der Bundespräsident waren dort – aber die Kanzlerin? Hatte andere Termine.

Heute kommt sie endlich. Aber so richtig willkommen ist sie bei vielen Chemnitzern nicht mehr. Die könne gern in Berlin bleiben, sagte mir eine Bürgerin. Auch in den Behörden gibt man sich demonstrativ reserviert. Ne, man könne nicht sagen, wer genau zu den Terminen der Bundeskanzlerin eingeladen sei, knurrt man im Rathaus, die Oberbürgermeisterin sei ja selbst nur eingeladen worden. Barbara Ludwig (SPD), die Frau an der Spitze der Stadt, ist nicht gut zu sprechen auf die Frau an der Spitze des Staates: Sie hat nach der Tötung Daniel H.s und den anschließenden Protesten keinen Hehl daraus gemacht, dass sie sich Angela Merkel früher in der Stadt gewünscht hätte. Nun fürchtet sie, dass der hohe Besuch die Stadt noch einmal aufwühlt.

Wie geht die Kanzlerin mit dieser schwierigen Situation um? Unser Reporter Lars Wienand ist heute vor Ort und wird genau hinschauen. Seinen Bericht lesen Sie heute Nachmittag auf t-online.de.

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CSU-Chef Horst Seehofer will sich heute in München – Achtung, Achtung! – "zu seinen Zukunftsplänen äußern". Es geht um den genauen Zeitpunkt für den Verzicht auf den Parteivorsitz. Dazu fällt mir dieses Lied ein.

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Die Nachrichtenagenturen haben eine Rubrik “Termine voraussichtlich ohne Berichterstattung“. Heute ganz vorn dabei: In Berlin stellen Jugendliche aus Deutschland und Frankreich 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg ihre Ideen für eine friedliche Welt vor. Außerdem: In Hannover startet Bundesfamilienministerin Franziska Giffey das Programm “Respekt Coaches“ an 175 deutschen Schulen. Speziell geschulte Sozialarbeiter sollen Schülern die Werte einer demokratischen und offenen Gesellschaft vermitteln und den respektvollen Umgang miteinander lehren. Ich weiß ja nicht, wie Sie das sehen, aber ich fände, beides wäre eher eine Berichterstattung wert als Horsts unendlicher Abgang.

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Wer sagt eigentlich, wie schwer ein Kilogramm sein soll? Das Ur-Kilogramm in der Nähe von Paris sagt es. Dort steht es sehr, sehr sicher verwahrt in einem Tresor, als letztgültige Eichgröße für jede Gewichtsmessung. Man sollte peinlich darauf achten, dass es bleibt, wie es ist – und nicht etwa versehentlich eine größere Anzahl von Atomen von ihm wegpolieren. Alle anderen Basisgrößen der Physik, der Meter zum Beispiel oder die Sekunde, lassen sich aus den messbaren Eigenschaften des Universums ableiten. Der Meter ist inzwischen als die Entfernung definiert, die das Licht in knapp einer Dreihunderttausendstelsekunde zurücklegt. Um die Sekunde abzumessen, zählt man die Schwingungen eines Elektrons in einem Cäsium-Atom. Und so weiter. Nur für das Kilo braucht man so ein Ding in einem Schrank, das man besser nicht fallen lässt.

Das ist ab heute Geschichte. In Versailles, nicht weit vom Tresor mit dem Problemkilo, treffen sich die Experten des Fachs. Sie werden eine neue Definition beschließen. Endlich sind die Messtechniken genau genug, um auf ein menschengemachtes Ding verzichten zu können. Die Definition ist kompliziert – was kein Wunder ist, nicht umsonst hat der Abschied von der alten Masse so lange gedauert. Nun wird deshalb niemand das Ur-Kilogramm gleich vor Freude in die Luft werfen. Aber nur, damit es uns nicht auf die Füße fällt.

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WAS LESEN?

Der Winter rückt näher. Doch, tut er. Ist aber gar nicht schlimm, weil: Am Wochenende starten die Skispringer in die Weltcup-Saison! Was wir von den deutschen Adlern erwarten dürfen, verrät Ihnen mein Kollege Tobias Ruf in seinem Favoriten-Check. Außerdem hat er mit dem letzten deutschen Vierschanzentournee-Sieger Sven Hannawald über die neue Saison, die Diskussion über den Bundestrainer und den deutschen Senkrechtstarter Karl Geiger gesprochen. Apropos Geiger: Der Oberstdorfer will jetzt richtig abheben. Wie? Na, so!

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WAS AMÜSIERT MICH?

Halloween ist nun wirklich und wahrhaftig vorbei. Aber diese Perle möchte ich Ihnen auf keinen Fall vorenthalten. Sie gibt Ihnen vielleicht auch Hoffnung fürs nächste Jahr, falls Sie sich für die Zombies, Vampire und blutige Gesichter nicht so recht erwärmen können. Denn Erlösung naht aus Japan, der Heimat des “Cosplay“, der höchsten Kunst der Verkleidung. Da erscheint eine Frau als "Model auf einer billigen koreanischen Klamottenversand-Website". Zwei andere gehen als "Youtube-Entschuldigungsvideo". Auch dabei: Mann und Frau, verkleidet als "Paar auf dem Weg nach Hause nach einer Laser-Augen-OP". Die hohe Kunst eben. Blut? Pah, Kinderkram!

Ich wünsche Ihnen einen produktiven Freitag und dann ein schönes Wochenende. Wenn Sie mögen: Hier hören Sie ab Samstagmorgen den Audio-Tagesanbruch am Wochenende. Dort unterhalte ich mich mit meinem Kollegen Marc Krüger über die politische Woche. Am Montag schreibt dann mein Stellvertreter Florian Wichert den Tagesanbruch. Und ab Dienstag bin ich wieder für Sie da.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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