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Tagesanbruch: Beginnender Europawahlkampf – einer muss ja mal anfangen


Was heute wichtig ist
Einer muss ja mal anfangen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 22.02.2019Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Bundespräsident Steinmeier empfängt den Präsidenten von Lettland, Raimonds Vejonis.Vergrößern des Bildes
Bundespräsident Steinmeier empfängt den Präsidenten von Lettland, Raimonds Vejonis. (Quelle: Wolfgang Kumm/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Im Bundestag, in den Parteizentralen, in den Büros der Abgeordneten: Überall kommt jetzt das Thema Europa auf den Tisch. Und fast überall wird es schnell in Päckchen zerlegt. Das geht ungefähr so: Ach Mensch, in drei Monaten ist ja Europawahl, da brauchen wir Themen! Also guckt man mal nach, was man in den Tiefen des letzten Wahlprogramms oder in irgendwelchen Eckpunktepapieren noch so rumstehen hat, und packt es auf den Tisch. Quadratisch, praktisch, gut. EU-weiter Mindestlohn, Umweltschutzregeln, vielleicht auch die europäische Armee: konkrete Forderungen, schnell verständliche Schlagworte, Politik für Plakate. Aber die wichtigsten Fragen werden viel zu selten gestellt.

Wie begründen wir unsere Demokratie, wenn gewohnte Parteistrukturen zunehmend durch Bewegungen ersetzt werden, ob sie nun En Marche, Gelbwesten Cinque Stelle, Brexiteers oder Fridays for Future heißen? Was sind unsere Werte wert, wenn vielerorts eine Rückbesinnung aufs Nationale stattfindet, wenn die Pole der Gesellschaft größer werden und die Mitte kleiner? Woher rührt die zunehmende Schwierigkeit vieler Menschen, mit Ambivalenz umzugehen und zu akzeptieren, dass nicht alles Schwarz oder Weiß ist? Dass man die eigene Meinung nicht immer hundertprozentig durchsetzen kann, sondern dass es in demokratischen Gemeinwesen meist nur 70, 50 oder auch mal deutlich weniger Prozent sind – und dass dies keine Katastrophe, sondern ein Wesensmerkmal der Kompromissfindung ist? Lässt sich das bei vielen Bürgern verbreitete Gefühl der Benachteiligung in eine konstruktive Gestaltungskraft umwandeln? Wer macht endlich den deutschen Unternehmern klar, dass Europa nicht ein Spielgerät ist, das sie Frau Merkel überlassen können, sondern dass es in ihrem ureigenen Interesse liegt, die politische Einigung mitzugestalten? Wie treffen wir künftig Entscheidungen in der EU? Braucht das gewählte Europaparlament mehr Befugnisse oder sollen nationale Repräsentanten – die Staats- und Regierungschefs – das Recht behalten, jederzeit reinzugrätschen und auf Brüsseler Nachtsitzungen Fakten zu schaffen?

Brexit in Großbritannien, Populisten in Italien, Nationalisten in Osteuropa: In einer Zeit, in der die europäische Einigung grundsätzlich in Frage steht, in der vielerorts demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien übergangen werden, in der die EU anfängt zu bröckeln, brauchen wir eine große Debatte über die Zukunft unseres Kontinents. “Europa ist so gespalten und paralysiert wie seit der Zeit vor den Römischen Verträgen nicht mehr“, sagte mir ein hoher Außenpolitiker aus dem Bundestag. “Wir haben die Aufgabe, neue Antworten auf diese Herausforderung zu geben.“ Ich denke, das ist richtig. Aber ich denke auch, dass es dafür mehr als Sachthemen braucht, mehr als nur Wahlkampf.

Wollen wir die europäische Einigung weiter vertiefen, um in einer globalisierten Welt auch künftig mitreden zu können? Wenn ja, wird dies nur gelingen, indem eine von Deutschland und Frankreich angeführte Avantgarde vorangeht und gemeinsame Politik nicht nur in Festreden beschwört, sondern tatsächlich durchzieht. Das würde bedeuten, es braucht…

  • eine gemeinsame Außenpolitik. Berlin und Paris müssten in Washington, Peking und Moskau mit einer Stimme sprechen.
  • eine gemeinsame Energiepolitik, vor allem bei der Nuklearenergie und der Gasversorgung.
  • eine gemeinsame Rüstungspolitik mit einheitlichen Waffensystemen und einer klaren Haltung zu Rüstungsexporten (die am besten ablehnend ist, aber das ist nur meine unmaßgebliche Meinung).
  • eine gemeinsame Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik mit verbindlichen Regeln und gerechten Quoten.
  • eine gemeinsame Steuerpolitik – zum Beispiel gegenüber amerikanischen Digitalkonzernen, die längst mächtiger sind als einzelne EU-Staaten.
  • klare Regeln, welche Herausforderungen (Chinas Aufstieg? Neue russische Nuklearwaffen?), Projekte (Nordstream 2? AKW Fessenheim?) und Konflikte (Syrien? Irak?) so wichtig sind, dass sie die nationale Sicherheit tangieren und daher gemeinsam mit höchster Priorität bearbeitet werden.
  • vielleicht auch ein verpflichtender Sozialdienst für alle Schulabgänger, den sie in einem europäischen Nachbarland leisten müssen, um erstens Gutes an der Gesellschaft tun, zweitens Sprache und Kultur kennen zu lernen und drittens wichtige Lebenserfahrung zu sammeln.

Wollen wir das alles? Solange wir über Fragen wie diese keine ernsthafte, ausführliche Debatte führen, werden wir die Krise der EU nicht überwinden. Solange wird es weiter abwärts gehen. Manchmal habe ich den Eindruck, wir alle haben es uns in unserem Vertrauen, dass die EU schon irgendwie weiterfunktionieren wird, ein bisschen zu bequem gemacht. Und manchmal fehlen mir der Mut und die Entschlossenheit eines Willy Brandt und eines Helmut Kohl.

Moment, sagte ich, dass die wirklich wichtigen Fragen nicht gestellt werden? Ich muss mich korrigieren, zumindest ein bisschen. In den meisten Parteizentralen, im Gespräch mit Abgeordneten und in Talkshows und vermisse ich diese Themen tatsächlich schmerzlich – aber es gibt einen, der sie wieder und wieder auf den Tisch packt, ohne sie in Wahlkampfpäckchen zu zerlegen. Er muss dabei behutsam vorgehen, da sein Amt ihm enge Leitplanken setzt; in die Tagespolitik eingreifen darf er nicht. Aber er kann die Fragen nach der künftigen Entwicklung Europas so formulieren, dass jeder, der verstehen will, sie versteht. Und das macht er. Seine Reden zur Weimarer Verfassung, zur lebendigen Demokratie, selbst kurze Ansprachen auf Staatsbanketten wie gestern Abend zu Ehren des lettischen Präsidenten: Man kann sie alle als leidenschaftliche Appelle verstehen. Für ein erneuertes Europa, für mehr Nähe zwischen Politikern und Bürgern, für lebendige Debatten der Zivilgesellschaft. Er misst die Grenzen seines Amtes aus, dieser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, und das ist gut so. Irgendjemand muss hierzulande ja mal anfangen, die großen Fragen zu stellen.

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WAS STEHT AN?

Die Bilanz von dreieinhalb Jahren Dieselkrise lautet ungefähr so: Zerstörtes Vertrauen und frustrierte Bürger. Manipulierte Autos verlieren drastisch an Wert und werden bald aus vielen Innenstädten verbannt. Ihre Besitzer sollen bitte schön neue Wagen kaufen und werden mit Rabatten abgespeist, die in Wahrheit keine sind.

Etliche Autobesitzer sind deshalb vor Gericht gezogen und bekamen Recht. Hunderttausende Opfer des Dieselbetrugs hingegen scheuen diesen Schritt. Für sie zieht nun Klaus Müller ins Feld. Der Vorstand des Verbraucherzentrale-Bundesverbands legt sich nicht nur mit einzelnen VW-Händlern an, sondern gleich mit dem ganzen Wolfsburger Konzern, stellvertretend für mindestens 400.000 Autofahrer. Im Gespräch mit meinem Kollegen Markus Abrahamczyk erklärt er, was die erste Sammelklage Deutschlands den Dieselfahrern wirklich bringt – und warum ein Ausgang ohne Urteilsspruch eine gute Lösung sein könnte.

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Sexuelle Selbstbestimmung halten wir für eine Selbstverständlichkeit. Im Film "Der verlorene Sohn", der nun in den deutschen Kinos anläuft, ist sie das nicht: In den USA, in Australien, auch in einigen europäischen Ländern sollen homosexuelle Menschen in Camps und sogenannten Konversionstherapien "umerzogen" werden. Der australische Regisseur Joel Edgerton bringt dieses erschreckende Thema auf die Leinwand. Wie er darauf kam und was er damit bezweckt, sehen und lesen Sie im Interview meiner Kollegen Helge Denker und Nicolas Lindken.

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Jetzt wird es ernst für die deutschen Athleten bei der Weltmeisterschaft in Seefeld. Heute kämpfen die Kombinierer in Österreich um die ersten Medaillen. Dabei richten sich die Augen besonders auf Johannes Rydzek. Wie der vierfache Titelverteidiger diese WM angeht, hat er meinem Kollegen Tobias Ruf erklärt. Anschließend hat Ruf sich von Sven Hannawald erläutern lassen, warum die deutschen Skispringer diesmal wirklich zuversichtlich sein können. Mein Kollege Alexander Kohne wiederum hat die Rennrodler Felix Loch, Tobias Wendl und Tobias Arlt getroffen und nach ihrem Erfolgsrezept gefragt. Elfmal Olympia-Gold, 29 WM-Titel: Wie schafft man das? So schafft man das.


WAS LESEN?

Deutschland fürchtet Donald Trumps mögliche Autozölle. Der setzt genau auf diese Angst. Blufft der US-Präsident nur? Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold blickt in seiner Analyse hinter die Kulissen, dazu liefern meine Kollegen Jerome Baldowski und Arno Wölk ein Erklärvideo.


Wenn wir ein Fußball-Spiel anschauen, sehen wir häufig nur das Offensichtliche: Tore, Fouls, vergebene Chancen. Als Kölns Stürmer Anthony Modeste am vergangenen Wochenende nach einem Treffer mitten auf dem Platz in Tränen ausbrach, war das deshalb ein besonderer Moment. “Er hat seinen großen Wunsch, noch einmal vor seinem kürzlich verstorbenen Vater zu spielen, leider nicht mehr verwirklichen können. In gewisser Weise waren Tonys Tränen auch ein Zeichen, das uns allen eine Mahnung sein sollte", sagt sein Trainer Markus Anfang. "Klar, er hat Geld, er hat Ruhm. Aber hinter dem Sportler steht ein Mensch mit einem Privatleben und Emotionen. Das wird im Fußballgeschäft oft vergessen.“ Das Interview meines Kollegen Luis Reiß über Menschlichkeit im Profifußball lesen Sie hier.


WAS AMÜSIERT MICH (NA JA…)?

"Das ist so eine Sache, die man filmt, weil sie einem sonst niemand glaubt", schreibt jemand über dieses Filmchen, und wenn Sie es gesehen haben, sagen Sie das vermutlich auch. Die Protagonisten: Hund, Affe, Fahrrad. Ja, das klingt nach einem Witz und ist auch mindestens so komisch. Wenn Sie die Kinnlade wieder hochgeklappt haben, überrascht uns der Film damit, dass er den Unterschied zwischen einem sozialen Medium (hier: Twitter) und einem von Journalisten gemachten Medium gleich auch noch erklärt. Mit Twitter sind wir schon durch: anschauen, lachen und tschüss! Als Journalist aber hat man berufsbedingt die Stirn zu runzeln: über das enorme Geschick des Affen und darüber, dass die Umstehenden erstaunlich wenig belustigt sind. Aber dann verschwindet das berufsbedingte Runzeln – sobald man nämlich die entscheidende Stelle findet. Dazu schieben Sie den Fortschrittsbalken bitte von Sekunde 36 bis 37 einmal ganz langsam voran. Gibt's eben doch nicht, die Sachen.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und dann ein ebenso schönes Wochenende. Wenn Sie mögen, können Sie am Samstag ab 6 Uhr hier den ausführlichen Tagesanbruch-Podcast hören. Mit meinem Kollegen Marc Krüger unterhalte ich mich wieder über die wichtigsten Themen der Woche.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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