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Tagesanbruch: Anschlag in Halle – Vier Punkte, die gegen den Hass helfen


Mittel gegen den Hass

Von Florian Harms

Aktualisiert am 10.10.2019Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Polizisten vor dem jüdischen Friedhof in Halle an der Saale.Vergrößern des Bildes
Polizisten vor dem jüdischen Friedhof in Halle an der Saale. (Quelle: Sebastian Willnow/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Ein Schwerbewaffneter versucht am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur in eine Synagoge einzudringen, platziert einen Sprengsatz, feuert auf die Eingangstür, kommt aber nicht hinein, erschießt eine Passantin, fährt weiter, erschießt in einem Döner-Imbiss einen Mann, verletzt weitere Menschen, wird von Polizisten angeschossen, flieht, filmt seine Taten und teilt sie im Internet, versetzt eine ganze Stadt in den Schockzustand: Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass militanter Rechtsextremismus und Antisemitismus zu den größten Gefahren für unseren Rechtsstaat und unsere Sicherheit zählen, dann wurde er gestern in Halle an der Saale auf grausame Weise geliefert. Gerade mal vier Monate nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschüttert der nächste Anschlag eines Extremisten unser Land. Offenbar nahm er sich das Massaker eines Rassisten im neuseeländischen Christchurch zum Vorbild.

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Hört man das kalte Lachen und die judenfeindlichen Sprüche des Mörders, sieht in seine hasserfüllten Augen, das sorgfältig vorbereitete Waffenarsenal in seinem Auto, die Kaltblütigkeit, mit der er auf seine Opfer feuert, die verwackelten Bilder in diesem Video, das die Redaktion von t-online.de zwar zu Recherchezwecken sichtete, aber nicht veröffentlicht, um dem Täter keine Bühne für seine Propaganda zu geben, lässt man dieses abscheuliche Terrorpamphlet auf sich wirken, fragt man sich, was so einen Menschen treibt. Hass gedeiht in Köpfen, aber er gedeiht auch in den dunklen Ecken des Internets. Auf sogenannten Imageboard-Plattformen teilen Gewalttäter menschenverachtende Filme, Bilder und Texte und lassen sich dafür von Gleichgesinnten feiern. Andere animieren sie zur Nachahmung. Weder die Betreiber noch die Sicherheitsbehörden haben diese digitalen Jauchegruben bisher trockengelegt.

Das muss sich schnellstens ändern. Als wehrhafte Demokratie braucht die Bundesrepublik schlagkräftige digitale Behörden – bei der Polizei, beim Verfassungsschutz, in den Staatsanwaltschaften. Sie müssen parlamentarischer und ministerieller Kontrolle unterstehen, aber sie brauchen mehr Personal, Befugnisse und internationale Abstimmung als bisher. "Die Gefahr, die von Hassbotschaften ausgeht, ist sehr groß", räumte BKA-Präsident Holger Münch kürzlich im t-online.de-Interview ein. Da Gewaltpropaganda in Zeiten des Internets global ist, darf auch Polizeiarbeit nicht an nationalen Grenzen enden. Das ist die erste Lehre aus dem Anschlag von Halle.

Die zweite ist noch einfacher: Die Sicherheitsbehörden müssen den Rechtsextremismus endlich ernster nehmen und bundesweit verfolgen. Jahrelang haben sie sich auf den Islamismus fokussiert. Das war nicht falsch, aber es hat ihren Blick für die Gefahr von rechts verschleiert.

Die dritte Lehre betrifft den Schutz jüdischer Einrichtungen. "Dass die Synagoge in Halle an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös", sagt der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Er hat Recht. Schlimm genug, dass 74 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus jüdische Gotteshäuser in Deutschland immer noch bewacht werden müssen. Aber die Bluttat vom Mittwoch zeigt, dass es nötig ist. In jeder Stadt und rund um die Uhr. Wäre es dem Täter in Halle gelungen, in die Synagoge einzudringen, wären ihm bis zu 80 Menschen ausgeliefert gewesen. Eine erschreckende Vorstellung. “Den Menschen ist der Schock in die Gesichter geschrieben“, berichten meine Kollegen Nathalie Helene Rippich und Daniel Schreckenberg in ihrer Reportage aus Halle an der Saale.

Die vierte Lehre betrifft uns alle. Jeder einzelne Bürger kann etwas dagegen tun, dass Extremisten ihren Hass versprühen. Indem wir laut und deutlich widersprechen, wenn am Stammtisch, in der Bahn oder im Internet rassistische Sprüche geklopft werden. Indem wir im Freundes-, Familien- und Kollegenkreis dafür eintreten, dass Gewalt, Fremdenhass und Antisemitismus in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Indem wir uns selbst gegen den Virus der Vorurteile und Böswilligkeit wappnen. Indem wir anständig bleiben. Das mag kein Allheilmittel gegen radikalisierte Einzeltäter sein. Aber es stärkt die Gemeinschaft der toleranten und friedliebenden Demokraten. Sie ist die Basis unserer Gesellschaft.


Demokratie lebt von Regeln. Normen, Gesetzen, Zuständigkeiten, verbindlichen Prozessen. Zugleich ist eine konstruktive Politik auf das Vertrauen zwischen den Akteuren angewiesen. Sie müssen sich an die vereinbarten Regeln und Prozesse halten, die demokratischen Strukturen achten – und darauf vertrauen können, dass ihre Gegenüber es ebenso tun. Im Rahmen eines solchen Regelwerks kann Politik zum Wohle vieler Menschen gedeihen.

Das Gegenmodell verkörpern die Egomanen. Politiker, die zwar durch demokratische Prozesse an die Macht gelangt sein mögen, aber auf die Regeln pfeifen. Donald Trump und Boris Johnson sind zwei Musterbeispiele für diesen Politikertypus. Der amerikanische Präsident sieht sich mit einem riskanten Wahlkampf und nun auch noch einem drohenden Amtsenthebungsverfahren konfrontiert – und kämpft mit allen Mitteln um seine Macht. Den legalen, den verruchten und offenbar auch den illegalen. Seine Schimpftiraden, seine Drohungen und seine Großmäuligkeit auf Twitter nehmen immer absurdere Formen an, aber seine Fans lieben ihn dafür. Er verweigert jede Unterstützung zur Aufklärung der Ukraine-Affäre – und erschüttert damit das demokratische Gefüge der checks and balances in den Vereinigten Staaten. Beobachter nennen es gar eine Kriegserklärung des Präsidenten an das Prinzip der Gewaltenteilung, wie unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold berichtet.

Auch außenpolitisch torpediert Donald Trump die Strukturen der Zusammenarbeit. Sein Befehl zum Abzug der US-Soldaten aus Syrien mag in manchen Ohren friedfertig klingen (die Truppe heimholen, keine Kriege im Nahen Osten mehr führen). De facto verstärkt er das Chaos und das Leid in dem geschundenen Land. Die verbündeten Kurden, die halfen, den “Islamischen Staat“ niederzuringen, liefert er der türkischen Armee aus. Prompt begannen Erdogans Offiziere gestern Abend eine Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Die Folgen sind absehbar: noch mehr Opfer, noch mehr Flüchtlinge, auch in Europa.

Aber der Twitter-Präsident im Weißen Haus ist nicht der einzige Regierungschef, der auf Konsens und internationale Zusammenarbeit pfeift. Der britische Premierminister eifert ihm nach. Mit seiner chaotischen Brexit-Politik hat sich Boris Johnson in die Enge manövriert. Nun gibt er vor, weiter mit der EU zu verhandeln, verfolgt insgeheim aber eine versteckte Agenda, auf die nur ein Wort passt: Destruktivität. Ihr Höhepunkt war die propagandistische Ausschlachtung eines Telefonats mit Bundeskanzlerin Merkel. Das Ziel: Deutschland den Schwarzen Peter für das Scheitern der Brexit-Verhandlungen zuschieben – während Johnson und sein Strippenzieher Dominic Cummings selbst die Weichen für den ungeregelten Austritt stellen. Das Kalkül: den Brexit-Fans endlich liefern, was sie wollen, und dann auf einer nationalistischen Woge einen Wahlsieg einfahren. Die Erfolgsaussicht: groß.

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Ob wir sie nun Egomanen, Narzissten oder Querulanten nennen: Politiker, die ausschließlich zu ihrem eigenen Vorteil handeln, denen die Folgen ihrer Manöver egal sind und die sich wie Elefanten im Porzellanladen aufführen, gibt es vielerorts. Das ist betrüblich, aber keine Katastrophe. Gelangen sie aber an die Hebel der Regierungsmacht, ändert sich das schlagartig. Sie können in wenigen Monaten einreißen, was besonnene Vorgänger in jahrelanger Arbeit errichtet haben. Sie können Zigtausende Menschen ins Unglück stürzen.

Deshalb sollten wir uns das Beispiel der Egomanen in Washington und London als Mahnung nehmen. Auch hierzulande mögen wir uns gelegentlich über die Regierenden ärgern, mancher mag sich auch andere Leute auf den Chefsesseln wünschen. Alles legitim. Aber Hetzer und Narzissten dürfen dort niemals hingelangen.


WAS STEHT AN?

Das Bundesverfassungsgericht veröffentlicht heute seine Entscheidung zum Anti-IS-Einsatz der Bundeswehr in Syrien und im Irak. Die Linksfraktion hatte eine Organklage gegen Bundestag und Bundesregierung eingereicht, sie hält die gerade zur Verlängerung anstehende Mission für rechtswidrig.

Die “Oldschool Society” soll Teil des organisierten Rechtsradikalismus in Deutschland sein, der Generalbundesanwalt wirft zwei Männern aus Chemnitz und Anklam die Bildung einer terroristischen Vereinigung vor. Heute kommt es zur Urteilsverkündung in Dresden.

In Luxemburg treffen sich die 28 EU-Finanzminister und verhandeln über die Schwarze Liste geächteter Steueroasen. Vorher sollten Sie vielleicht noch mal geschwind hier hineingucken.

In Stockholm werden gleich zwei Nobelpreise für Literatur vergeben: der für dieses Jahr und wegen des Skandals im Vergabekomitee auch der für vergangenes Jahr. Ginge es nach mir, stünde zumindest ein Kandidat schon fest.


WAS LESEN?

Roding in Ostbayern ist ein beschauliches Städtchen. Laut wird es dort höchstens mal beim Weißbierfest. Nun aber geht es hoch her: Metallarbeiter schlagen Alarm vor dem Standort der Firma Continental, denn der steht vor dem Aus. Noch werden dort Teile für Verbrennungsmotoren gebaut, aber die werden im Zeitalter der E-Autos bald nicht mehr gebraucht – ebenso wie viele Mitarbeiter des Zulieferer-Riesens: Der Konzern will 20.000 Stellen streichen, davon 7.000 in Deutschland. Angesichts eines Konzerngewinns von fast drei Milliarden Euro im vergangenen Jahr klingt das in den Ohren vieler Angestellter wie Hohn. Fällt den Verantwortlichen die Kündigungswelle angesichts glänzender Bilanzen nicht schwer? Und ist es im Jahr 2019 nicht ein bisschen spät, um Sparmaßnahmen im Autobau mit technologischem Wandel zu begründen? Das hat mein Kollege Markus Abrahamczyk die Frau gefragt, die es wissen muss: Ariane Reinhart ist Personalvorstand bei Continental. Sie hat jede Frage beantwortet.


WAS AMÜSIERT MICH?

Die Bundesregierung hat also endlich und tatsächlich und wirklich ihr Klimapäckchen auf den Weg gebracht. Und nun?


Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Tag. Morgen schreibt Peter Schink für Sie. Wenn Sie den Tagesanbruch als E-Mail abonniert haben, lesen Sie mich am Samstagmorgen wieder.

Herzliche Grüße, Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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