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Machtkampf um CDU-Vorsitz: Merz kämpft halt hart (und das ist nicht schlimm)


Was heute wichtig ist
Die Kritik an Friedrich Merz ist übertrieben

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 28.02.2020Lesedauer: 8 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Friedrich Merz beim Politischen Aschermittwoch im thüringischen Apolda.Vergrößern des Bildes
Friedrich Merz beim Politischen Aschermittwoch im thüringischen Apolda. (Quelle: Martin Schutt/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Friedrich Merz möchte Kanzler werden. 18 Jahre, nachdem er sich als CDU-Fraktionsvorsitzender von Angela Merkel ins Seitenaus rempeln ließ, sind seine Wunden nicht verheilt, sondern schmerzen immer noch sehr. Er mag diese Frau nicht, er hält sie für hinterhältig und prinzipienlos, was er sich so erklärt, dass sie eben in einem Unrechtsstaat aufwuchs, wo es angesichts allgegenwärtiger Spitzelei schwierig gewesen sei, Charaktereigenschaften wie Vertrauen und Loyalität zu entwickeln. Es ist Küchenpsychologie, aber sie hilft ihm bei der Erklärung, warum die Dauerrivalin seine Befähigung für höchste politische Ämter partout nicht anerkennen will. Damals nicht und neulich nicht, als er erwog, als Superminister in ihr gar nicht so super Kabinett einzusteigen, und heute erst recht nicht, wo sie offenbar seinen Durchmarsch an die Spitze von Partei und Staat zu vereiteln versucht.

Man weiß wenig über die genauen Hinter- und Abgründe des Merz-Merkelschen Binnenverhältnisses, aber wer im richtigen Moment den richtigen Leuten zuhört, kann die Puzzleteile doch zu einem Bild zusammenfügen. Es ist ein ziemlich düsteres Bild. Nicht zu erwarten, dass es jemals helle Pinselstriche bekommt. Merz will Merkels Job, und Merkel will das verhindern. Weil sie in Ruhe bis Herbst 2021 zu Ende weiterwurschteln, Pardon, regieren will, weil sie ihn für ungeeignet hält, das polarisierte Land zu beruhigen und Europas mächtigsten Staat so auszurichten, dass er auch die kleinen EU-Partner pfleglich behandelt. Und schließlich wohl auch, weil sie ihm die Genugtuung des späten Triumphs nicht gönnt.

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All das kann man hören oder es sich aus Gehörtem und Geschautem zusammenreimen, immer mit der Fußnote des Vorbehalts versehen, weshalb die meisten Zuschauer es gleich ganz übersehen und sich stattdessen auf die grell ausgeleuchteten Arenen des Politikzirkus‘ fokussieren: die Parteiveranstaltungen, die Talkshows, die Bundespressekonferenz und natürlich auch die Twitterkaskaden. Dort, in dem vermeintlich sozialen, oft aber ziemlich unsozialen Netzwerk, toben von morgens bis abends die Schlachten der politischen, medialen und sonst wie bedeutenden Wichtigheimer – und wer in diesen Tagen nicht mindestens einen gepfefferten Tweet zu Friedrich Merz abgesetzt und zweitausend Likes eingeheimst hat, muss sich als unbedeutendes Würstchen vorkommen. Manchem Politikjournalisten bereitet diese Aussicht derartiges Unbehagen, dass er zeitweiliges Schweigen öffentlich mit Urlaubstagen zu entschuldigen müssen meint, nur um dann doch noch schnell ein paar Böller hinterherzufeuern.

Wer die täglichen Weltuntergangsschreie der linksliberalen Twitter-Schickeria verfolgt, die sich von jedem dritten Merz'schen Satz auf die Palme treiben lässt, der fragt sich, was diese in Selbstgewissheit badenden Leute eigentlich von sich gegeben hätten, hätten sie weiland in den Achtzigern mal Franz Josef Strauß donnerwettern gehört. Leider sind die meisten dafür zu jung. Sie sind in der wiedervereinigten Wohlfühlrepublik aufgewachsen, kennen es gar nicht anders, als dass im Kanzleramt die Frau mit der lustigen Raute sitzt, deren wechselnde Blazerfarben auffälliger sind als ihre politischen Ideen, und wundern sich, dass nun ein Typ daherkommt, der diesen sedierenden Politikstil nicht nur für furchtbar langweilig, sondern auch für furchtbar riskant hält. Weil die Gesellschaft sich immer weiter polarisiert, weil Europas Zusammenhalt bröckelt, weil die Welt in eine prekäre Bipolarität zwischen China und Amerika abzudriften droht, weil Digitalkonzerne sich die Weltwirtschaft unter den Nagel reißen und weil niemand klar formuliert, welchen strategischen Weg die Bundesrepublik angesichts all dieser Herausforderungen eigentlich einschlagen soll.

Friedrich Merz treibt Deutschlands Dämmerzustand um, er kann laut und wild dagegen wettern, und nicht immer hält er dabei Maß. Er ist kein Mann der wohlabgewogenen Worte, vor allem vor Fanpublikum neigt er dazu, Sätze rauszuhauen, die a) übertrieben, b) verletzend und c) später notgedrungen Anlass zu Relativierungen sind. Allein in den vergangenen sieben Tagen hat er erstens einen dümmlichen Chauvi-Witz gerissen, zweitens ein noch dümmeres Rezept zur Bekämpfung des Rechtsextremismus‘ propagiert, drittens die Bedeutung des unabhängigen Journalismus‘ infrage gestellt, viertens ungezügelte Überheblichkeit offenbart und fünftens bis mindestens zehntens sich auch sonst bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit aufgeführt wie König Frieder der Viertelvorzwölfte.

All das kann man kritisieren, und man kann es auch scharf tun. Aber bei der gegenwärtigen Kritik an Friedrich Merz geht jedes Maß verloren. Wer die feurigen Kommentare in linksliberalen Medien oder das wütende Gebell des Twitterrudels hört, der mag sich eigentlich nur noch die Ohren zuhalten und von dieser bigotten Blasendebatte abwenden. Ob ein unbeteiligter Bürger in, sagen wir, Castrop-Rauxel oder Magdeburg diese Selbstbeschäftigung der vermeintlichen Meinungsführer noch versteht? Ich habe da meine Zweifel.

Friedrich Merz ist ein Politiker und er befindet sich im Wahlkampf um den Vorsitz von Deutschlands mächtigster Partei, der zugleich als Sprungbrett ins Kanzleramt dienen kann. Da kann man schon mal das Florett zu Hause lassen und den Säbel zücken, solange man auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, eine klare Grenze zum Extremismus und Rechtspopulismus zieht (was Merz tut) und auch Kritik toleriert. "Natürlich ist Friedrich Merz ein eher konservativer Vertreter der CDU. Aber wo bitteschön ist das Problem? Die Christdemokraten sind ohne Zweifel eine Partei der Mitte", schreibt der geschätzte Kollege Sven Böll (noch) in der "Wirtschaftswoche".

Jeder, der in der politischen Arena das Siegerpodest erklimmen will, braucht einen Kampfstil. Angela Merkel versprüht Theaternebel, Robert Habeck wirft mit Kissen, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wissen noch nicht genau, wie kämpfen geht, Armin Laschet schmiedet Allianzen – und Friedrich Merz verteilt eben Kinnhaken. Das sind wir nicht mehr gewohnt nach all den großkoalitionären Schmusejahren, die harten Typen waren immer nur drüben in Washington, Moskau oder Ankara. Nun ändert sich das, weil eine Ära absehbar zu Ende geht und etwas Neues beginnt. Und wie immer in solchen Umbrüchen ändert sich auch der Stil der Auseinandersetzungen. Das ist nicht schlimm. Das kann sogar spannend sein, solange am Ende der Richtige gewinnt.

Wer das ist? Dieses Urteil überlasse ich Ihnen. Ich will Sie ja nicht mit Kissen bewerfen.


In Japan ist am Montag schulfrei! Den Rest der Woche auch. Und alle anderen Wochen bis Anfang April – mindestens. Nur begeistert das niemanden. Es stehe eine "extrem kritische Periode" im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus bevor, erklärte Premierminister Shinzo Abe gestern vor der Presse, und das klingt ein bisschen wie bei uns. Doch hierzulande bleiben Schulen und Kindergärten geöffnet – bis auf die im Landkreis Heinsberg, wo das Virus bereits umgeht. Warum? Weil bei uns zwar gestern die Zahl der Infektionen sprunghaft gestiegen ist, aber nur 32 akute Krankheitsfälle bestätigt sind, während man in Japan schon mehr als 180 zählt? Ja, auch. Aber vor allem, weil es nicht so einfach ist.

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Schulschließungen sind eine große Keule, die man nicht ohne gravierende Konsequenzen schwingt. Erst mal lernen die Kleinen viele Wochen lang nichts, was den Lehrplan bis ins nächste Schuljahr durcheinanderbringt. Außerdem werden Eltern in die Bredouille gebracht, die Kleinen neben dem Job irgendwie anders unterzubringen. Aber darf das wirklich zählen? Geht es nicht um Leben und Tod? Tja, sagen die Experten, und zucken mit den Schultern. Das Coronavirus kann Kindern erstaunlich wenig anhaben – aber schleppen sie den Erreger womöglich trotz bester Gesundheit vom Kindergarten in ihre Familien? Und übertragen sie ihn nur selten oder mit großer Wahrscheinlichkeit an die Lieben zu Hause? Auf diese Fragen haben wir keine Antwort. Wir wissen nur, dass sich Schulschließungen während der verheerenden Spanischen Grippe von 1918 als effektives Mittel zur Eindämmung der Epidemie erwiesen haben.

Für die Entscheidungsträger heißt das: Wie man es macht, ist es verkehrt. Entweder macht man den Laden zu und bringt Zigtausende Bürger umsonst in Schwierigkeiten, falls Kinder als Überträger nur eine geringe Rolle spielen. Oder man entscheidet sich fälschlicherweise für business as usual, während die Klassenzimmer als Tauschbörse für die Viren dienen – dann facht man die Epidemie an und trägt vielleicht die Verantwortung für den Tod von Menschen. Wie soll man das entscheiden? Auf Forschungsergebnisse warten? Auf diese Frage gibt es ausnahmsweise eine Antwort: Abwarten bedeutet, sowieso zu spät zu sein.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO traut sich langsam aus der Deckung und spricht erstmals vom "Pandemie-Potenzial" der Krankheit. Experten außerhalb der Organisation gehen schon länger davon aus, dass der Zug für die Einhegung der Krankheit inzwischen abgefahren ist. Für solche Krisensituationen gibt es Pläne in den Schubladen, nur lösen sie das Dilemma nicht. Keine Blaupause führt daran vorbei, dass uns entscheidende Informationen über das Verhalten des Erregers fehlen. "Mut zur Lücke", sagt man dann, aber mal ehrlich: Das kann einem so locker nur dann über die Lippen kommen, wenn man für die Konsequenzen einer Entscheidung nicht anschließend den Kopf hinhalten muss. Zollen wir den Gremien, Behörden und Verantwortlichen deshalb Respekt: Sie müssen unsichere Entscheidungen treffen und dürfen aus Angst vor Fehlern nicht zögern. Wünschen wir ihnen also den Mut, die kleinstmöglichen Fehler zu machen.


WAS STEHT AN?

In Hanau finden heute Nachmittag ein Trauerzug und die Beisetzung von zwei weiteren Opfern des rassistischen Anschlags statt.

In Nordsyrien eskalieren die Kämpfe: Als Vergeltung für einen Luftwaffenangriff, bei dem mehr als 30 türkische Soldaten starben, hat Erdogans Armee Stellungen der syrischen Regierungstruppen angegriffen. Die Lage wird immer brenzliger. Die Türkei fordert nun Beistand von der Nato und der internationalen Gemeinschaft – und droht Berichten zufolge den Flüchtlingen im Land die Grenzen zu öffnen. Gleichzeitig sind fast eine Million Menschen auf der Flucht.

In Dresden werden nach mehrjähriger Generalsanierung die Gemäldegalerie "Alte Meister" und die Skulpturensammlung wiedereröffnet.

In Paris empfängt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Asia Bibi, die in Pakistan als Christin verfolgt wurde und mehr als acht Jahre lang in der Todeszelle saß.

Ebenfalls in Paris werden die César-Filmpreise vergeben. Großer Favorit ist Roman Polanskis grandioser Historienschinken "J'accuse" über die Dreyfus-Affäre, den Sie unbedingt gesehen haben sollten. Überschattet wird die Preisverleihung durch neue Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Starregisseur, weshalb er die Verleihung schwänzt.

In Karlsruhe öffnet das Sonnenbad als erstes deutsches Freibad nach der Winterpause seine Pforten. Brrr!


WAS LESEN?

Über unser Exklusivinterview mit ehemaligen Elitesoldaten des geheimnisumwitterten Vereins Uniter habe ich Ihnen gestern berichtet. Heute möchte ich Ihnen unsere begleitende Recherche empfehlen, die aufmerksame Zuschauer bereits gestern Abend im ARD-Politikmagazin "Kontraste" verfolgen konnten: Mitglieder des Vereins reisten vor Monaten auf die Philippinen, wo die Nationalpolizei einen blutigen Feldzug gegen angebliche Drogenkonsumenten und Dealer führt. Tausende Tote sind zu beklagen, für die illegalen Exekutionen wird kaum ein Polizist zur Rechenschaft gezogen. Und was tat der Verein dort? Er bildete Polizeikräfte aus. Erste-Hilfe-Kurse, heißt es. Doch die entsandte Einheit trainierte zuvor mit scharfer Munition, fanden meine Kollegen Jonas Mueller-Töwe und Lars Wienand heraus.


Gestern lobte ich an dieser Stelle Gesundheitsminister Jens Spahn, weil er eingestand, dass wir uns am Beginn einer Coronavirus-Epidemie befinden. Doch man kann seine Aussage natürlich auch anders bewerten: Ein Apotheker hat meiner Watson.de-Kollegin Agatha Kremplewski erklärt, warum er Spahns Satz unverantwortlich findet.


WAS AMÜSIERT MICH?

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Ich wünsche Ihnen einen kontrollierten Tag. Wenn Sie den Tagesanbruch abonniert haben, bekommen Sie am morgigen Schalttag die Wochenendausgabe geschickt.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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