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Folgen der Corona-Krise: Die Ruhe vor dem Sturm


Was heute wichtig ist
Die Ruhe vor dem Sturm

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 27.03.2020Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci spricht mit Ärzten und Pflegern auf der neu eröffneten Intensivstation für Covid-19-Patienten des Humboldt-Klinikums.Vergrößern des Bildes
Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci spricht mit Ärzten und Pflegern auf der neu eröffneten Intensivstation für Covid-19-Patienten des Humboldt-Klinikums. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Wäre Deutschland ein Schiff, es führe durch raue See. "Die Ruhe vor dem Sturm“ nennt Gesundheitsminister Jens Spahn die Lage dieser Tage. Wir hocken in unseren Kabinen, sehen rundherum das Leben einfrieren und die Wirtschaft einbrechen – und beginnen uns vielleicht zu fragen: Ist es das wirklich wert? Gesundheitlich geht es uns auf der MS Deutschland den Umständen entsprechend ja immer noch einigermaßen gut. Natürlich steigt die Zahl der Erkrankten, mehr als 43.000 Infizierte sind es seit gestern Abend. Das macht uns Sorgen, war allerdings zu erwarten. Aber die Krankenhäuser agieren noch nicht am Anschlag, und die Zahl der Todesfälle ist mit 239 im Vergleich zu Oberitalien oder Spanien vergleichsweise gering. Nach den angepassten Definitionen der Corona-Zeit stehen die Dinge hierzulande also gar nicht so schlecht.

Wir wissen, dass sich das ändern wird. Aber jetzt, während die ersten Böen des heraufziehenden Sturms an den Fenstern rütteln, ist noch Zeit, diese fester zu verrammeln. Krankenhäuser können die Materiallager aufstocken und ihre Personalpläne für den Ansturm wappnen. In den Supermärkten werden an der Kasse die letzten Plexiglasscheiben angebracht, um die Kassierer vor uns Kunden zu schützen – und gleichermaßen uns vor den tapferen Helden, die unsere Grundversorgung durch den Scanner ziehen (alles bis auf Klopapier). Wir zurren alles Lose fest, bevor der Sturm bald heftig losbrüllt.

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Zur Vorbereitung gehört auch, uns zu vergegenwärtigen, was unausweichlich auf uns zukommt. Dazu brauchen wir nicht viel: nur ein paar Zahlen und einen Kalender. Wer sich das Virus eingefangen hat und nicht symptomfrei aus der Sache herauskommt, erkrankt in den folgenden zwei Wochen. Frühestens geht es zwei Tage nach der Ansteckung los, im Mittel ist es jedoch – nach aktuellem Kenntnisstand – am fünften oder sechsten Tag soweit.

In der Statistik sichtbar ist von alledem: nichts. In Deutschland wird viel und schnell getestet, so dass wir hoffen dürfen, von einer erheblichen Anzahl dieser Infektionen nach weiteren zwei, drei, vier Tagen zu erfahren – zum Beispiel, wenn der Betroffene einen Arzt kontaktiert und den Test absolviert, woraufhin die Information noch den Weg in die offizielle Zählung finden muss. Die Dauer schwankt im Einzelfall also wie ein Schiff auf hoher See, aber als Anhaltspunkt kann uns diese Zahl dienen: von der Ansteckung bis zur Aufdeckung sind es Pi mal Daumen acht bis zehn Tage. Vorausgesetzt, das System in Deutschland funktioniert wie geplant, reagiert schnell und sorgt dafür, dass wir uns nicht mit einer hohen Dunkelziffer herumschlagen müssen.

Dann nimmt die Erkrankung ihren Lauf: Eine Woche, nachdem es losging mit miesem Gefühl und ersten Symptomen, ist der nächste Meilenstein erreicht. Bei vielen der Betroffenen stellen sich nun die Weichen: Entweder es geht wieder aufwärts – oder abwärts. Dann führt der Weg ins Krankenhaus, dort spendet Sauerstoff Linderung gegen die Atemprobleme. Für die, die schwerer betroffen sind, ist eine aufwendigere Betreuung auf der Intensivstation nötig. Dort wird es zunehmend voller: Aus Italien erfahren wir, dass erfolgreich behandelte Patienten im Mittel zwei Wochen lang einen Platz belegten, bevor es ihnen gut genug ging, um sie zu verlegen, und das kostbare Intensivbett für einen anderen schweren Fall zur Verfügung steht. Eine kleine Zahl von Patienten wird die Krankheit trotz Versorgung an den Beatmungsplätzen nicht überleben. Das ist der Moment, den alle fürchten. Wenn er kommt, sind seit der Infektion etwa drei Wochen vergangen.

Zunächst einmal erzählen uns diese Zahlen eine Geschichte, die wir schon kennen: Unser Verhalten in diesen kritischen Tagen entscheidet über den Tribut an Menschenleben, den Covid-19 in drei bis vier Wochen von uns fordern wird. In der Zeit bis dahin geht die Krankheit ihren Gang wie ein erbarmungsloses Uhrwerk. Ohne dass wir daran noch etwas ändern könnten. Aus Wuhan wissen wir: Das schlimme Crescendo auf den Intensivstationen und das Sterben derer, denen im Chaos kein Arzt mehr zu Hilfe eilen konnte, erreichte erst einen Monat nach Beginn der radikalen Ausgangssperre seinen Höhepunkt. Für uns in Deutschland bedeutet das: Für den nächsten Monat müssen wir durch die Konsequenzen unseres vergangenen Handelns hindurch. Auch die Kanzlerin weiß das – und bittet uns um Geduld. Sie wolle "sehr klar sagen, dass im Augenblick nicht der Zeitpunkt ist, über die Lockerung dieser Maßnahmen zu sprechen", meldete sich Angela Merkel gestern Abend aus der Quarantäne.

Doch wenn wir diese Geduld aufbringen, liegt auch ein Körnchen Hoffnung darin. Ob unser gemeinsames Bemühen, die Selbstdisziplin, die Ausgangsbeschränkungen, das Herunterfahren des öffentlichen Lebens Früchte tragen, werden wir vorerst nur in zarten Andeutungen erfahren. Die Infektionszahlen jedoch werden Tag für Tag unerbittlich steigen, und was die bittere Statistik der Todesfälle angeht, steht uns das Schlimmste erst noch bevor. Entmutigen muss uns diese Entwicklung aber nicht. Durchhalten, nicht locker lassen, Solidarität zeigen: Das ist jetzt die Devise. Denn nicht nur die bitteren Früchte ernten wir nach langer Reife, sondern schließlich auch die süßen. Wenn wir uns an Bord der MS Deutschland alle vernünftig, umsichtig und solidarisch verhalten, werden die allermeisten von uns den Sturm überleben. Und nach jedem Sturm kommt die Sonne zurück.


Lange Wartezeit in der Kälte, bürokratische Abläufe, schroffes Personal: Die Erlebnisse einer Tagesanbruch-Leserin in einer Stuttgarter Corona-Teststation haben Wellen geschlagen. Inzwischen haben die Behörden reagiert. Ein Sprecher der Stadt teilte uns gestern mit: "Das Rote Kreuz meldete uns um die Mittagszeit, dass die Wartezeit sich auf 30 Minuten im Schnitt verringert hat. Besonders schwer angeschlagene Patienten konnten vorgezogen werden. Bis zum Mittag wurden 50 Patienten von den zwei Ärzten versorgt. Und seit gestern Abend gibt es ein Zelt vor Ort, damit die Menschen nicht in der Kälte warten müssen. Dieses wird gut angenommen.“

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WAS STEHT AN?

Die kilometerlangen Lkw-Staus an den deutschen Außengrenzen werden langsam zum Problem, immer mehr Waren kommen deshalb nicht rechtzeitig in Fabriken, Geschäfte, Haushalte. Kann da nicht der Scheuer-Andi was machen? Kann er bestimmt. Heute videokonferiert er mit den Verkehrsministern der Bundesländer. Anschließend wäre es gut, wenn er mal in Warschau, Prag und Bratislava anruft.

Der Bundesrat will heute in einer Sondersitzung ratzfatz das Multimilliardenpaket der Bundesregierung zur Bekämpfung der na, Sie wissen schon durchwinken. So wird zum Beispiel die Kurzarbeit bei Volkswagen, Daimler und vielen, vielen anderen deutschen Unternehmen bezahlt. Hier zeigt der deutsche Staat, wie schnell und effektiv er handeln kann.

Wir reden die ganze Zeit über Corona, aber es gibt ja auch noch andere wichtige Themen. Heute legt die Rentenkommission der Bundesregierung ihre Empfehlungen für eine grundlegende Reform des Rentensystems vor. Die ist dringend nötig, andernfalls wird uns das System aufgrund der alternden Bevölkerung bald um die Ohren fliegen.


WAS LESEN?

Die Corona-Krise trifft uns hart – trotzdem gibt es auch jetzt Dinge, die Hoffnung machen. Mein Kollege Patrick Diekmann musste eine Weile suchen, aber er hat sie gefunden.


Der Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen war von Anfang an stark vom Coronavirus betroffen – mittlerweile registrieren Großstädte wie Berlin, München und Köln die meisten Fälle. Meine Kollegen Arno Wölk und Philip Friedrichs zeigen Ihnen im Zeitraffer, wie sich die Infektionen bundesweit ausgebreitet haben.


Sitzen Sie nun auch den ganzen Tag im Homeoffice? Dann sollten Sie sich in Acht nehmen, denn Kriminelle nutzen die Angst vor Corona mit perfiden Spam-Mails aus. Wie Sie sich vor den Risiken schützen, zeigt Ihnen mein Kollege Ali Roodsari.


Warum gefährdet das Coronavirus manche Menschen besonders stark? Die Virologin Gülşah Gabriel erklärt es Ihnen in unserem Wissenschafts-Podcast "Tonspur Wissen".


WAS AMÜSIERT MICH?

Wir sind wirklich ein seltsames Völkchen, wir Deutschen. Glauben Sie nicht? Dann schauen Sie bitte mal kurz hier rein (und klicken dann rechts unten den Ton an).

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Tag. Wenn Sie den Tagesanbruch als E-Mail abonniert haben, bekommen Sie morgen früh die Wochenendausgabe geschickt. Mein Kollege Marc Krüger hat wieder allerhand Interessantes für Sie vorbereitet.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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