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HomePolitikTagesanbruch

Coronavirus-Krise: Was wir jetzt von Superreichen lernen können


Was heute wichtig ist
Was wir jetzt von Superreichen lernen können

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 08.04.2020Lesedauer: 8 Min.
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Pfleger und Mediziner sind nicht nur durch die Corona-Krise besonderen Belastungen ausgesetzt.Vergrößern des Bildes
Pfleger und Mediziner sind nicht nur durch die Corona-Krise besonderen Belastungen ausgesetzt. (Quelle: Marcel Kusch/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

na, haben sie einen Blick auf den Supervollmond erhascht? Läppische 356.910 Kilometer betrug sein Abstand zu unserem Erdball in der vergangenen Nacht, so nah kommt er uns erst in fünf Jahren wieder. Sah wirklich super aus: ob in Brandenburg…

…in Hannover…

…oder in Köln.

Das Himmelsballett der Gestirne ist eine Kunst, die wir viel zu selten würdigen, während wir hier unten unsere kleinen Kreise ziehen. Gerade in einer Zeit der Prüfung können wir uns das vergegenwärtigen. In diesem Sinne schweift der kommentierte Überblick über die Themen des Tages heute geringfügig ab:

WAS WAR?

Die Corona-Krise verlangt uns nicht nur viel ab, sie vermittelt uns auch eine Ahnung davon, wie schwer uns künftige Katastrophen treffen können. Noch vor einem Dreivierteljahr dominierte die Klimakrise die Diskussionen in unserem Land. Nun ist sie vom Virusschlamassel von der Agenda verdrängt worden, aber weg ist sie deswegen ja nicht. Während sich Politiker, Firmenlenker und auch viele Bürger immer noch schwer tun, entschlossen auf die Alarmzeichen der Umwelt zu reagieren, machen andere längst Nägel mit Köpfen. Etwas seltsam muten uns diese Zeitgenossen an, aber das ändert nichts daran, dass ihre Entscheidungen uns vor Fragen stellen, die wir nicht einfach ignorieren können – sowohl vor dem Hintergrund der Klima- als auch angesichts der Corona-Krise.

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Superreiche Amerikaner sind es, die sich in Kalifornien, Kansas und anderswo im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, aber auch im abgeschiedenen Neuseeland Luxusbunker bauen lassen: unterirdische Festungen, in denen sie künftige Katastrophen überdauern können. Anfangs war es die Angst vor einem Atomkrieg, in jüngster Zeit ist es die Furcht vor dem Kippen des Klimas, die Multimillionäre ihre Dollars verbuddeln lässt. Wenn erst jahrelange Dürren, Waldbrände, Wassermangel und Ernteausfälle zu Massenaufständen führen, so das Szenario, dann ziehen sie sich in ihre Fünf-Sterne-Gemächer unter Tage zurück, plantschen im unterirdischen Infinity-Pool, schmökern im Privatkino Filme, lassen aus einer unermesslichen Vorratskammer Speisen auftragen.

Nein, das ist kein Schmu. Das US-Magazin "New Yorker" hat vor einiger Zeit recht anschaulich beschrieben, wie sich die Topmanager von Tech-Konzernen aus dem Silicon Valley und Investmentbanker aus New York auf einen Zusammenbruch der amerikanischen Gesellschaft vorbereiten. Die Reportage liest sich wie ein Thriller-Plot – aber sie beschreibt Tatsachen und ist nicht die einzige Quelle. Mit den traurigen Prepper-Gestalten in deutschen Kleinstädten haben diese Luxusbunkerbauer so viel zu tun wie ein Hai mit einer Kaulquappe. Amerikas Tech-Elite hat längst verstanden, was die Stunde geschlagen hat. Sie durchsetzt die Welt mit ihren süchtig machenden Social-Media-Algorithmen, verbietet ihren eigenen Kindern aber das Smartphone, um sie nicht verdummen zu lassen. Sie macht Millionen mit Investments in Digital- und Rohstoff-Fonds und errichtet währenddessen ihre Rückzugsorte für den Moment, wenn das Verfeuern von Kohle, Benzin, Kerosin und Schiffsdiesel das Klima endgültig zugrunde gerichtet hat. Mit Geld kann man alles kaufen, sogar einen Exit aus dem Weltuntergang.

Das Problem dieser Leute ist ein anderes, und darüber zerbricht man sich in diesen illustren Kreisen tatsächlich ernsthaft den Kopf: Wer soll die Superreichen bewachen, wenn Tausende oder gar Millionen Menschen draußen, außerhalb der Bunker in der verdorrenden Welt, nur noch an ihr eigenes Überleben denken, wenn der Mensch dem Menschen zum Wolf wird? Wie können sie dann verhindern, dass sich ihre Wachleute gegen sie wenden, dass die ihre Gewehre gegen ihre Herren drinnen im Bunker richten, um selbst in den Genuss von Trinkwasser, Nahrung, Schutz vor dem Inferno zu kommen? Es gibt in Kalifornien kluge Köpfe, die sich Gedanken über dieses Dilemma machen und ihre Erkenntnisse versilbern. Das Bewacher-Problem haben sie so gelöst: Die Besitzer des Bunkers müssen möglichst früh – also vor dem Beginn der Katastrophe – ihre Wachen sozialisieren, sie in ihre Familien aufnehmen, sie behandeln wie Brüder und Schwestern. Nur dann, so die psychologische Schlussfolgerung, können sie sich der Loyalität ihrer Beschützer absolut sicher sein. Sie müssen ihre Angestellten großzügig entlohnen, ihnen Wertschätzung entgegenbringen, ihre Wünsche ebenso ernst nehmen wie ihre Klagen. Weil ihr eigenes Überleben von ihnen abhängt. Weil diese Leute für sie systemrelevant sind.

Warum ich Ihnen das alles heute Morgen erzähle? Weil ich den Eindruck habe, dass wir in unserer gegenwärtigen Lage etwas daraus lernen können, selbst wenn uns das apokalyptische Gehabe amerikanischer Multimillionäre schrullig vorkommt. Zwar mögen wir noch ein gutes Stück von den schlimmsten Folgen der Klimakrise entfernt sein, doch begonnen hat sie längst – und auch die Corona-Krise vermittelt uns in einem etwas weniger dramatischen, doch ebenfalls ernsthaften Szenario eine Ahnung dessen, was auf uns zukommen kann.

Deutschland ist eine alternde Gesellschaft. Schon 20 Millionen der knapp 83 Millionen Bundesbürger haben mehr als 65 Jahre auf dem Buckel, und täglich werden es mehr. Mit zunehmendem Alter sind viele Senioren auf Hilfe angewiesen – durch den mobilen Pflegedienst daheim, in Altersheimen oder Krankenhäusern. Diese Helfer und vor allem Helferinnen kommen zu einem großen Teil aus dem Ausland: zum Beispiel Altenpflegerinnen aus Osteuropa, Krankenschwestern aus Österreich, private Haushälterinnen und Putzhilfen vom Balkan, aus Spanien oder der Türkei. Doch angesichts der Corona-Krise kehren immer mehr von diesen Helfern in ihre Herkunftsländer zurück. "Flucht der Pflegekräfte" titelte vor wenigen Tagen die "Süddeutsche Zeitung" und kam zu dem Schluss: "In ganz Europa gefährdet die Pandemie die Versorgung alter Menschen zu Hause, weil Pflegekräfte nicht mehr zu ihnen können – oder das jeweilige Land fluchtartig verlassen haben Richtung Heimat." Nimmt man an, dass zu normalen Zeiten mindestens 300.000 Polinnen in deutschen Krankenhäusern, Altenheimen und Haushalten arbeiten, erkennt man die enorme Dimension des Problems. Wir verlieren nicht unsere Bewacher. Aber wir verlieren unsere Helfer.

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Sie ahnen, woraus ich hinaus will: Wir sollten die Corona-Krise nicht nur still erdulden. Wir sollten sie zum Anlass nehmen, unser profitorientiertes Gesundheitssystem zu hinterfragen – und vor allem den sozialen Status, den wir als Bürger, Unternehmer oder Politiker den Zigtausenden Pflegekräften und Haushaltshilfen in Deutschland zubilligen. Die meisten von ihnen sind in einem unverschämten Maße unterbezahlt, überbeansprucht, überlastet. Ausbeutung ist kein zu großes Wort dafür. Das muss sich ändern, und 500 Euro extra von Herrn Söder reichen dafür nicht. Diese Menschen sind nicht weniger systemrelevant als Banken, Autofirmen oder andere mit Steuermilliarden gepäppelte Unternehmen. Wenn das Corona-Schlamassel dazu führt, dass wir alle das einsehen und den Missstand in der Pflege nachhaltig beheben, dann könnte diese Krise am Ende sogar doch noch etwas Positives bewirken.


WAS STEHT AN?

Es ist bedrückend: In Zeiten wie diesen bereitet uns schon die allgemeine Lage Sorgen, doch immer ist darin noch Platz für Krisen in der Krise. Im Falle des Coronavirus für Ausbrüche, die besonders viele Opfer fordern. Für Bedrohungen, die die berechtigen Ängste der Allgemeinheit in den Schatten stellen. Und wie so oft in diesen Tagen wissen wir eigentlich schon, was noch geschehen kann. Denn in unseren Nachbarländern geschieht es bereits.

Die Schreckensmeldung, die uns selbst in der Flut der Hiobsbotschaften hätte aufhorchen lassen müssen, erreichte uns vor einigen Tagen aus Spanien. Verteidigungsministerin Margarita Robles berichtete, was Soldaten während eines "Desinfektionseinsatzes" zu Gesicht bekamen: Sie fanden Menschen tot in ihren Betten liegen. Zurückgelassen, alleingelassen. In den Altenheimen. In manchen Pflegeeinrichtungen sei das Personal seit Tagen nicht mehr erschienen. Nach den ersten Corona-Fällen hätten die Pfleger das Weite gesucht. Nebenan, in Frankreich, zählen sie die Toten in den Heimen gar nicht erst. Nur wer im Krankenhaus stirbt, wird in der offiziellen Corona-Opferstatistik verzeichnet. Das soll sich nun ändern, mit einer App zur mobilen Erfassung. Dass das Sterben in vollem Gange ist, weiß man dort aber auch so.

Auch aus Deutschland erreichen uns seit Tagen beunruhigende Meldungen aus Pflegeheimen. In einer Wolfsburger Einrichtung sind bereits 30 an Covid-19 leidende Bewohner gestorben, weitere 222 sind mit dem Virus infiziert. Viele Risikopatienten, Betreuung aus nächster Nähe, alles auf engem Raum: In vielen Heimen geht es ähnlich zu wie im Krankenhaus – nur ohne Ärzte, ohne Beatmungsgeräte, ohne ausreichende Schutzausrüstung. Die Altenpflegerin Silke Behrendt-Stannies hat ihren Arbeitsalltag in der "Hart, aber fair"-Sendung am Montag drastisch beschrieben: "Die Mitarbeiter nehmen die Angst mit nach Hause." Schutzmaterial – Masken, Handschuhe, Kittel – seien inzwischen so kostbar wie Bargeld: Lässt man sie herumliegen, sind sie schnell weg. Schonungslos entlarvte sie das auf Profit getrimmte Gesundheitssystem: "Die Renditeerwartungen bei privaten Pflegeheimen sind fatal und jetzt sogar tödlich."

Man muss die Wahrheit beim Namen nennen, selbst wenn sie schmerzt. Die Krankheit Covid-19 wird wohl noch viel mehr Alte und Kranke dahinraffen. Viele von ihnen sind der zerstörerischen Kraft des Virus hilflos ausgeliefert. Egal, wie vorsichtig die Pflegekräfte sich verhalten, schon mit einer Person kann das Virus ins Heim gelangen, und dann tragen sie es von Patient zu Patient. Gibt es Alternativen zur mangelnden Schutzausrüstung? Der Virologe Christian Drosten schlägt tägliche Corona-Tests für das Personal in Kliniken vor – das wäre auch für Altenpfleger denkbar. Denn so ein Test schlägt sehr früh an – noch bevor ein Infizierter zum Überträger wird, lange bevor er die ersten Symptome zeigt. Wer also beim täglichen Routinetest als angesteckt erkannt wird, bleibt rechtzeitig zu Hause. Auch in der ambulanten Pflege könnte das funktionieren.

Die Schlacht um das Coronavirus ist noch lange nicht geschlagen. Unser Arsenal ist noch nicht leer, aber erst einmal müssen wir die Waffen schärfen. Das sollten wir bedenken, wenn wir über "Exit-Strategien" aus dem "Lockdown" parlieren und eine schnelle Rückkehr zur Normalität fordern. Wichtiger ist es, dass wir jedem wünschen, womit wir sonst zum Geburtstag gratulieren: Gesundheit. Und ein langes Leben.


Wie infektiös ist das Coronavirus wirklich – und wie viele Menschen stecken sich mit SARS-CoV-2 an, ohne es zu bemerken? Gestern habe ich Ihnen vom Bonner Virologen Hendrik Streeck berichtet, der sich im Kreis Heinsberg auf die Spuren des Erregers begibt. Meine Kollegin Nicole Sagener informiert Sie ab heute regelmäßig über den Fortgang der Studie.


Die deutschen Wirtschaftsforschungs-Institute stellen heute ihr Frühjahrsgutachten vor. Es dürfte kein schöner Anblick werden.

Das Bundeskabinett will die Novelle des Außenwirtschaftsgesetzes beschließen. Sie soll deutschen Unternehmen mehr Schutz vor feindlichen Übernahmen bieten.

Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen legt einen Bericht zu Giftgasangriffen in Syrien vor. Voraussichtlich werden die Ermittler erstmals die Verantwortlichen hinter den Attacken nennen. Alle Augen ruhen auf Assad.


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Für viele Menschen sind soziale Medien gegenwärtig die einzige Möglichkeit, Kontakte zu pflegen. Sie helfen dabei, die Einsamkeit zu überbrücken, Probleme zu lösen und einander nah zu sein – und bergen ein großes Problem: Vielerorts kursieren Falschinformationen. Auffällig ist vor allem ein Netzwerk, sagt die Psychologin Sonja Utz in unserem Podcast "Tonspur Wissen", und das ist nicht Facebook.


Italien gehört zu den Ländern mit den meisten Todesopfern durch Covid-19 – und die Dunkelziffer ist vermutlich sogar noch höher. Viele Menschen sterben zu Hause, ohne getestet zu werden. "Viele haben nicht einmal einen Arzt gesehen, als sich ihr Zustand verschlechterte, weil Ärzte nicht verfügbar sind", erzählt ein italienischer Mediziner. Meine Kollegin Saskia Leidinger hat die ganze Geschichte für Sie.


Trotz Corona-Krise wollen die Bundesliga-Klubs ab Mai wieder kicken – ohne Zuschauer in den Stadien. Wäre das gesellschaftlich vertretbar? Meine Kollegen Noah Platschko und Daniel Schreckenberg haben darüber diskutiert.


WAS AMÜSIERT MICH?

Die Bundesregierung lehnt die von Italien und Spanien gewünschten "Corona-Bonds" ab. Das kann man vernünftig finden. Oder kaltherzig.

Wie auch immer Sie zu dem Thema stehen: Ich wünsche Ihnen stets ein großzügiges Herz. Man lebt besser damit.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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