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Ostafrika: Die Heuschreckenplage gefährdet eine ganze Region


Zweite Welle
Ostafrika: Heuschreckenplage gefährdet eine ganze Region


Aktualisiert am 10.05.2020Lesedauer: 4 Min.
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Heuschrecken: Riesige Schwärme bedrohen in Ostafrika die Lebensmittelversorgung der Menschen.Vergrößern des Bildes
Heuschrecken: Riesige Schwärme bedrohen in Ostafrika die Lebensmittelversorgung der Menschen. (Quelle: Xinhua/imago-images-bilder)

In Ostafrika wütet seit Monaten eine Heuschreckenplage. Riesige Schwärme vernichten Ernten, die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung ist gefährdet. Doch angesichts der Corona-Pandemie droht die Region alleingelassen zu werden.

Im Juli 2019 gab es die ersten Warnungen. Die Welternährungsorganisation befürchtete angesichts starker Regenfälle eine sprunghafte Vermehrung der Wüstenheuschrecke in Ostafrika. Zehn Monate später breitet sich die zweite Welle der Heuschreckenplage über Länder wie Kenia, Somalia, Eritrea und Südsudan aus und zerstört in den betroffenen Regionen einen Großteil der Vegetation. Felder werden leergefressen, während das Vieh auf den Weiden keine Nahrung mehr findet. Im Juni und Juli droht zeitgleich zur Ernte der verbliebenen Pflanzen die dritte Welle.

Selbst kleinere Schwärme von einem Quadratkilometer Ausmaß vernichten pro Tag eine Menge an Nahrung, die 35.000 Menschen ernähren könnte. Berichte sprachen schon Anfang des Jahres von Schwärmen so groß wie das Saarland. Der Region droht die schlimmste Plage seit 25 Jahren – in Kenia war es seit sieben Jahrzehnten nicht mehr so dramatisch.

Die Corona-Krise macht die Situation nicht einfacher. Da der Luftverkehr begrenzt ist, müssen Pestizid-Lieferungen teilweise eingeschifft werden, wodurch das Insektengift erst später verfügbar ist. Ausgangsbeschränkungen könnten darüber hinaus dazu führen, dass die Kontrolle der Plage zweitrangig wird. Jungtiere, die sich jetzt noch effektiv bekämpfen ließen, könnten so zu vermehrungsfähigen Heuschrecken heranwachsen. Gleichzeitig sind Regierungen weltweit mit der Bewältigung der Covid-19-Pandemie beschäftigt. Die Not der Menschen in Ostafrika könnte daher untergehen.

Heuschrecken – Einzelgänger und Schwarmtiere

Wanderheuschrecken, zu denen auch die Wüstenheuschrecke gehört, sind nicht notwendigerweise eine Bedrohung für die Vegetation. Vielmehr existieren die Insekten in zwei verschiedenen Ausprägungen, die jeweils genetisch identisch sind, sich in Verhalten und Körperbau aber stark unterscheiden. In der sogenannten Einzelphase sind die Tiere ortsgebunden. Übersteigt die Population durch günstige Brutbedingungen eine bestimmte Anzahl, verändern sich die Tiere jedoch. Grund dafür ist eine erhöhte Ausschüttung von Serotonin.

Die Heuschrecken werden in der Schwarmphase dunkler und größer, ihr Stoffwechsel beschleunigt sich und sie vermehren sich schneller. Zudem beginnen die Tiere Schwärme zu bilden und zu wandern. Diese Eigenschaften verstärken sich mit jeder neuen Generation. Die Folge: Die Schwärme werden größer, verbrauchen mehr Nahrung und wandern deshalb weiter. Pro Tag legt ein Schwarm bis zu 150 Kilometer zurück. Die Vermehrung der Heuschrecken ist dabei exponentiell: In drei Monaten kann sich die Population verzwanzigfachen, in sechs Monaten ist die Zahl der Heuschrecken unter günstigen Bedingungen 400-mal, nach neun Monaten 8.000-mal so hoch.

Betroffene Länder sind bereits durch andere Krisen geschwächt

Die Heuschrecken treffen auf Länder, die durch bewaffnete Konflikte und Naturkatastrophen geschwächt sind. Im Jemen auf der Arabischen Halbinsel kennt man regelmäßig auftretende Plagen und konnte diese in der Vergangenheit erfolgreich durch frühe Intervention eindämmen. Aktuell herrscht jedoch Bürgerkrieg und die Heuschrecken konnten sich praktisch ungehindert vermehren. Laut Angaben der Welthungerhilfe haben die verschiedenen Schwärme bereits im Inland ihre Eier abgelegt. Dort gibt es derzeit starke Niederschläge, was zu optimalen Vermehrungsbedingungen für die Insekten führt.

Auch in Ostafrika gibt es in einigen Regionen bewaffnete Konflikte. Im Südsudan beispielsweise herrschte bereits zuvor infolge eines jahrelangen Bürgerkriegs eine Hungerkrise. Die Region ist zusätzlich durch Extremwetterlagen wie Dürren und Starkregen betroffen. Die neuerliche Heuschreckenplage verschärft die ohnehin schon prekäre Situation der Menschen.

Hinzu kommt nun auch noch die Corona-Krise. Viele Menschen haben ihr Einkommen entweder durch die Heuschreckenplage oder die Einschränkungen infolge der Pandemie verloren. Gleichzeitig werden die Lebensmittel knapp und die Preise steigen. So hat sich der Brotpreis im Sudan verdoppelt. Das überfordert die Menschen. Carolin Schmidt von der Welthungerhilfe, Programmkoordinatorin im Südsudan, bestätigt, dass schon jetzt mehr als die Hälfte der Menschen im Land sich nicht mehr ohne Hilfe ausreichend ernähren können.

Matthias Späth, Landesdirektor der Welthungerhilfe in Äthiopien, geht davon aus, dass die Folgen der Corona-Pandemie zusammen mit der Heuschreckenplage mindestens ein bis zwei Jahre spürbar bleiben und die betroffenen Menschen auf Unterstützung angewiesen sein werden. Dabei könnte sich die Plage auch auf weitere Teile Afrikas ausbreiten. Gelingt keine massive Eindämmung in Ostafrika, werden die Heuschrecken weiterwandern. Bis nach Westafrika könnten die Insektenschwärme vordringen.

Flächendeckender Pestizideinsatz kann neue Probleme bringen

In den betroffenen Gebieten Ostafrikas versuchen die Regierungen nun die Plage durch den flächendeckenden Einsatz von Pestiziden einzudämmen. Wo Schädlingsbekämpfungsmittel verfügbar sind, werden sie aus der Luft gegen die Schwärme eingesetzt. Doch nicht nur Heuschrecken sterben durch die Giftstoffe. Auch nützliche Insekten verenden. Zudem gelangen die Pestizide in den Boden – wenn die Heuschrecken weg sind und der Boden wieder bestellt werden kann, wandern die Stoffe in die Nahrungskette.

Die Welthungerhilfe setzt sich daher dafür ein, neben dem Einsatz von Pestiziden auch mechanische Methoden zur Bekämpfung einzusetzen. So werden Menschen vor Ort beispielsweise geschult, noch flugunfähige Heuschrecken in flache Gräben zu treiben und dort zu verbrennen oder zu vergraben. Gleichzeitig erhält die Bevölkerung Unterstützung in Form von Lebensmitteln, Ersatz für verlorenes Vieh oder Saatgut.

Um das Überleben der betroffenen Menschen zu sichern, sind jedoch weitere finanzielle Hilfen notwendig. Die Weltgemeinschaft hat bereits reagiert und 120 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt. Auch Deutschland beteiligt sich mit 20 Millionen Euro, wie Bundesentwicklungsminister Gerd Müller im Interview mit t-online.de erklärt.

Mittel- und langfristig müssen darüber hinaus Frühwarnsysteme aufgebaut werden. Auch dafür bedarf es einer zuverlässigen Finanzierung. Da der großflächige Einsatz von Giftstoffen zudem die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet, plädiert die Welthungerhilfe für die Erforschung und die Verwendung von biologischen Insektenbekämpfungsmittel. Das können beispielsweise pflanzliche Insektizide sein.

Klimakrise begünstigt Heuschreckenplagen – und macht sie unberechenbarer

Heuschreckenplagen in der Region treten regelmäßig auf, begünstigt durch das Wetterphänomen "Indischer-Ozean-Dipol". Dabei ist die Meeresoberfläche des östlichen Indischen Ozeans besonders kühl, wodurch es einerseits in Australien zu extremer Trockenheit kommt und andererseits Luftmassen nach Westen gedrängt werden. Bei ihrem Weg über das Arabische Meer nimmt die Luft viel Feuchtigkeit auf – trifft sie auf den afrikanischen Kontinent, entstehen starke Niederschläge. Ohne diese könnten sich die Heuschrecken nicht ausreichend vermehren, um Schwärme zu bilden.

Gewöhnlich tritt der Dipol alle vier bis sechs Jahre auf. Nun kam es aber gleich dreimal hintereinander zu der Wetterkonstellation. Klimaforscher gehen davon aus, dass die Klimakrise erheblichen Einfluss auf Meeresströmungen und Phänomene wie den Dipol hat. Heuschreckenplagen könnten daher nicht nur unregelmäßiger, sondern auch häufiger auftreten. Für die Menschen in Ostafrika bedeutet dies noch mehr Unsicherheit.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Welternährungsorganisation
  • Welthungerhilfe
  • Berichterstattung der Daily Nation (Kenia)
  • Deutsche Welle: "Wetterphänomen sorgt für Brände, Starkregen und Heuschreckenplage"
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