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Deutsche Verbrechen an den Völkern Osteuropas – eine einfache Wahrheit


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MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 21.06.2021Lesedauer: 6 Min.
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Gedenkstätte für sowjetische Kriegsgefangene in Dresden.Vergrößern des Bildes
Gedenkstätte für sowjetische Kriegsgefangene in Dresden. (Quelle: imago images)

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So war das

In diesen sommerlichen Tagen voller Leichtigkeit, an denen wir im T-Shirt umherspazieren, mittags Eis schlecken und abends den Fußballern zujubeln, an denen wir nach den anstrengenden Corona-Monaten aufatmen und uns auf den Urlaub freuen, da ist es keine schlechte Idee, für einen Augenblick innezuhalten und die Gedanken in die Vergangenheit schweifen zu lassen.

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Stellen Sie sich vor, Sie wären vor 80 Jahren ein junger Mann gewesen. Sie wären in Moskau, Kiew oder einem der vielen Dörfer in der riesigen Sowjetunion aufgewachsen. Sie hätten vielleicht gerade die Schule abgeschlossen, steckten schon in der Ausbildung oder arbeiteten auf der Kolchose Ihres Ortes – als Sie der Einberufungsbefehl erreicht. Die Deutschen haben Ihr Land angegriffen, in den frühen Morgenstunden des 22. Juni 1941 dringen Kampfflugzeuge in den sowjetischen Luftraum ein und bombardieren zahlreiche Städte. 121 deutsche Divisionen mit drei Millionen Soldaten und weiteren 600.000 aus Italien, Ungarn, Rumänien, Finnland und der Slowakei marschieren auf breiter Front zwischen Ostsee und Schwarzem Meer gen Osten.

Was sie dort bezwecken, wird bald auch jenen Zeitgenossen klar, die noch an das Gute im Menschen glauben: Die Deutschen führen einen Vernichtungskrieg, um den "Lebensraum im Osten" für ihresgleichen zu erobern. Ihre Anführer haben ihnen eingeimpft, sie seien "Herrenmenschen", die die "slawischen Untermenschen ausmerzen" müssten. Und so verhalten sich die deutschen Soldaten. Sie ringen nicht nur die gegnerischen Truppen nieder, sie fackeln ganze Dörfer ab, erschießen Männer, Frauen, Kinder. Hinter der Front operieren die Todesschwadronen der Einsatzgruppen, die Jagd auf Juden und sowjetische Politkommissare machen. "Es ging darum, die Sowjetunion als Ganzes zu zerstören und eine rassistische Herrschaft im eroberten Gebiet zu errichten", erklärt der Historiker Sönke Neitzel im Gespräch mit unserem Zeitgeschichteredakteur Marc von Lüpke. "Die Deutschen wollten das Land bis zum Letzten ausbeuten."

Stellen Sie sich vor, Sie wären damals auf sowjetischer Seite dabei gewesen. Falls Sie den ersten Ansturm überlebt haben, finden Sie sich nun in der Roten Armee wieder und werden von Ihren Offizieren zum Widerstand angetrieben. Sie sind entschlossen, Ihre Heimat zu verteidigen, doch die Lage ist schwierig. Ihr Schuhwerk ist notdürftig, Ihr Gewehr nur eine Flinte, und überhaupt war die militärische Ausbildung eher symbolisch. So kommt es, dass Sie sich schon bald ergeben müssen, gemeinsam mit vielen anderen jungen Männern aus Leningrad, Omsk oder von andernorts werden Sie in ein Lager gesperrt.

Dort merken Sie schnell: Dieser Ort ist die Hölle. Auf einem Acker hat man eine Fläche mit Stacheldraht umzäunt, mehr gibt es nicht: keine Baracken, keine Toiletten, keine Küche. Gelegentlich werfen Ihnen die Bewacher einen Kanten Brot oder eine faulige Kartoffel vor die Füße, alle paar Tage kommt vielleicht eine Wassersuppe hinzu, das war’s. Wer sich beschwert, bekommt eine Kugel in den Kopf. Also ertragen Sie stumm Ihr Schicksal und schicken Stoßgebete zum Himmel, auf dass der liebe Gott sie bald erlösen möge.

Doch Sie warten vergebens. Und während Sie warten, sehen Sie, wie Ihre Kameraden ihr Leben aushauchen. Sie sterben am Fleckfieber oder an der Ruhr, aber die meisten verhungern. Ausgemergelte Gestalten kauern auf dem Acker, nach ein paar Wochen sacken sie in sich zusammen. So stirbt einer nach dem anderen, und irgendwann kann auch Ihr Körper nicht mehr. Vielleicht gilt Ihr letzter Gedanke Ihrer Mutter oder Ihrem Liebchen zu Hause, dann ist es aus. 18 Jahre alt sind Sie geworden, vielleicht auch 25. Ihren Leichnam wird man in einem Massengrab verscharren, so wie all die anderen.

So war das. In den vier Jahren zwischen Sommer 1941 und Sommer 1945 gerieten weit mehr als fünf Millionen sowjetische Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft. Mehr als drei Millionen überlebten sie nicht. Die deutschen Angriffskrieger ermordeten die meisten von ihnen nicht durch Kugeln, sondern durch Vernachlässigung und die Hungerwaffe. Es ist ein unfassbares Verbrechen – das jedoch in der Aufarbeitung der Nazi-Gräuel bis heute nur wenig Beachtung gefunden hat.

Dabei müssten wir nur etwas aufmerksamer durch die Welt gehen, dann könnten wir sie sehen, all die Gräber. Die meisten liegen in Osteuropa, aber viele auch in deutscher Erde. Sie liegen in Friedrichshafen am Bodensee und im bayerischen Hebertshausen. Sie liegen in Berlin und in Brandenburg an der Havel. Sie liegen in Hamburg und in Limburg an der Lahn. Sie liegen in Güstrow und in Ludwigslust. Sie liegen im niedersächsischen Bergen-Lohheide, in Gelsenkirchen und in Düsseldorf. Sie liegen im sächsischen Zeithain und in Dresden. Sie liegen in Halberstadt, in Gotha und an vielen weiteren sowjetischen Grabstätten in ganz Deutschland, und noch viele, viele mehr liegen namenlos unter der Erde. Dort, wo die Opfer vor acht Jahrzehnten verscharrt wurden.

Zu lange haben wir ihrer nicht angemessen gedacht; erst nach und nach beginnt sich das zu ändern. Auch deshalb ist die Eröffnung der Ausstellung "Dimensionen eines Verbrechens. Sowjetische Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg" durch den Bundespräsidenten am Freitag eine Zäsur gewesen. "Der deutsche Krieg gegen die Sowjetunion war eine mörderische Barbarei", hat Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede gesagt. "Die Erinnerung an dieses Inferno, an absolute Feindschaft und die Entmenschlichung des Anderen bleibt uns Deutschen eine Verpflichtung und der Welt ein Mahnmal."

Und falls Sie sich nun fragen, warum ich Ihnen all das heute Morgen erzähle, schiebe ich noch hinterher: Nur wenn wir die Schrecken der Vergangenheit kennen, können wir aus ihnen lernen und den Frieden in Europa bewahren. Diese einfache Wahrheit ist 80 Jahre nach den deutschen Verbrechen an den Völkern Osteuropas noch wichtiger als die Freude über einen ausgelassenen Post-Corona-Sommer.

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Politik mit Plan

CDU und CSU tun sich mit Wahlprogrammen traditionell schwer, als Regierungsparteien fällen sie Entscheidungen je nach Lage. Aber ganz ohne Plan geht es nicht, weshalb Armin Laschet und Markus Söder heute Mittag das Unionsprogramm für die Bundestagswahl vorstellen. Der Entwurf ist vorab durchgesickert: Steuererleichterungen für Unternehmen (wobei nicht ganz klar ist, wie sie angesichts der Corona-Schulden finanziert werden sollen), mäßig ambitionierte Klimaziele (die hinter dem zurückbleiben, was Angela Merkel schon als Umweltministerin in den 1990er-Jahren für notwendig erachtete) und ein Bekenntnis zum Bürokratieabbau und der Digitalisierung, das in großen Teilen auf dem Buch "Neustaat" der Bundestagsabgeordneten Nadine Schön und Thomas Heilmann basiert. Interessant wird vor allem, welche Zugeständnisse Herr Laschet den Konservativen in seiner Partei macht. Denn die größte Gefahr für seine Ambitionen droht ihm aus den eigenen Reihen, berichtet unser Reporter Tim Kummert.


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Was amüsiert mich?

Fußball kann ein ziemlich kompliziertes Spiel sein.

Ich wünsche Ihnen einen unkomplizierten Wochenstart. Morgen schreibt meine Kollegin Annika Leister den Tagesanbruch, von mir lesen Sie ab Mittwoch wieder.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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