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Corona | Delta-Variante: "Eine kritische Phase in der Jahrhundertpandemie"


Tagesanbruch
Corona: Das Eis wird wieder dünner

MeinungFlorian Harms

Aktualisiert am 23.06.2021Lesedauer: 7 Min.
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Das Behelfskrankenhaus auf dem Messegelände in Hannover soll bis September abgebaut werden.Vergrößern des Bildes
Das Behelfskrankenhaus auf dem Messegelände in Hannover soll bis September abgebaut werden. (Quelle: Julian Stratenschulte/dpa-bilder)

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Da kommt was auf uns zu

Das Schöne am Sommer ist ja: Das Eis liegt nicht auf der Straße, sondern steckt in der Waffel. Falls wir das für eine unverbrüchliche Selbstverständlichkeit halten, könnten wir uns allerdings täuschen – mit dramatischen Folgen. Der Reihe nach.

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Wer in diesen Tagen durch deutsche Innenstädte spaziert, könnte glatt vergessen, dass sie soeben erst aus der Krisenstarre erwacht sind: Einkaufsbummler, Fußballgucker, Kaffeeschlürfer und Partygänger bevölkern dichtgedrängt den öffentlichen Raum, der Sommer ist herrlich, das Leben ist schön. Corona – war das was? Die täglichen Neuinfektionen liegen unter 500, die Sieben-Tage-Inzidenz dümpelt im einstelligen Bereich herum – ja prima, und nun bald ab in die Urlaubssonne!

Leider schieben sich dunkle Wolken vor die Sonne: Nachdem sie in Indien viel Unheil angerichtet hat, verbreitet sich die Delta-Variante des Coronavirus auch in Europa rasant, gegenwärtig vor allem in Großbritannien und Portugal. Sie ist ansteckender, sie führt womöglich zu gravierenderen Erkrankungen, und sie wird schon von der nächsten Variante übertrumpft: Delta Plus ist da.

Nein, Grund zur Panik besteht deshalb nicht. Mit doppeltem Impfschutz birgt Delta für die meisten Menschen keine übermäßigen Gefahren – nach allem, was man bisher weiß (obgleich das leider herzlich wenig ist). Doch Stand jetzt ist hierzulande noch nicht einmal ein Drittel der Bevölkerung vollständig geimpft. Um die kritische Menge von drei Vierteln zu erreichen, wird es Herbst werden; und da sind die Impfverweigerer noch nicht einmal berücksichtigt. Auch jene Touristen, die unter einer gebräunten Haut eine Infektion aus dem Urlaub mit nach Hause bringen, werden die Lage erschweren. Das bedeutet: Wir erleben gegenwärtig eine kritische Phase in der Jahrhundertpandemie, die leider immer noch nicht vorbei ist, so inständig wir uns das auch wünschen. Insofern wirkt die gegenwärtige Unbekümmertheit vieler Zeitgenossen tückisch und weckt eine düstere Erinnerung: Wie war das noch vor einem Jahr, als wir nach der ersten Corona-Welle unbekümmert den Sommer genossen und anschließend geradewegs in die zweite Welle stolperten?

Noch macht die Delta-Variante in Deutschland nur etwas mehr als sechs Prozent der Corona-Neuinfektionen aus – ortsweise liegt sie aber bereits darüber, etwa in Hessen, wo es schon mehr als 20 Prozent sind. Was geschieht, falls Delta im Spätsommer bundesweit auf eine in beträchtlichen Teilen noch nicht vollständig geimpfte Bevölkerung trifft und sich massenhaft ausbreitet? Füllen sich die Kliniken dann wieder zu schnell, verfallen wir dann wieder in Panik, reagiert die Politik dann wieder kopflos, hyperventilieren die Boulevardmedien, marschieren auf den Straßen die Querfeldeindenker, und welche Folgen hätte all das für die Bundestagswahl Ende September? "Da baut sich leider ein perfekter Sturm für den Herbst auf", warnt Corona-Cheferklärer Karl Lauterbach.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es, und natürlich wollen wir nach 15 Monaten Seuchenschlamassel darauf hoffen, dass wir die Krise jetzt aber wirklich und endlich im Griff haben. Doch schaut man sich an, welche Entscheidungen gegenwärtig getroffen werden – und vor allem, welche nicht getroffen werden – zu wenig Luftfilter, funktionierende Wlans und Ausweichgebäude für Schulen, ein intransparentes Erfassungssystem für Intensivbetten, Gesundheitsämter, die immer noch mit Faxgerät und Zettelwirtschaft hantieren – muss man nüchtern feststellen: Unsere ganze Hoffnung auf einen halbwegs normalen Jahresausklang ruht allein auf der Impfkampagne. Falls die stockt, falls sie nicht genügend Menschen erreicht, falls das Virus schneller ist als wir und womöglich noch widerstandsfähigere Varianten produziert, ja, dann könnte das Eis, auf dem wir wandeln, ziemlich schnell ziemlich dünn werden. Nicht erst im Winter.


Ein Freund fürs Leben

Früher, als man einfach noch nach Syrien reisen konnte, saß ich gelegentlich im Café "Naufara" hinter der Umayyaden-Moschee in der Altstadt von Damaskus. In den Nachmittagsstunden deklamierte dort der Geschichtenerzähler Abu Schadi auf seinem Thron die Heldentaten aus 1001 Nacht, erzählte von mutigen Seefahrern und anmutigen Prinzessinnen, und wenn er den Eindruck hatte, dass sein Publikum dem Genuss der Wasserpfeife, des Mokkas oder gar des Backgammonspiels mehr Aufmerksamkeit schenkte als seinen Berichten, knallte er urplötzlich einen langen Säbel auf den nächstbesten Tisch, woraufhin wir ihm sofort allesamt wieder an den Lippen hingen. Schließlich war er eine Autorität – so wie schon sein Vorgänger und sein Vorvorgänger und sein Vorvorvorgänger. Es war eine Tradition, dem Hakawati zu lauschen, und in den Gassen der ältesten dauerhaft besiedelten Stadt der Welt huldigte man ihm gern. Dass seine Zuhörer allzu oft abschweiften, lag wohl daran, dass er sich auf altarabische Märchen beschränkte. Die sind unterhaltsam, aber eben auch weit weg von den Dramen der Gegenwart.

Wie anders klangen da die Berichte, die wir aus dem Mund von Suheil Fadel hörten! Wenn der eine Buchhandlung in Schorndorf, Solingen, Saarbrücken betrat oder eine Volkshochschule in Stuttgart, Hamburg, Leipzig, wenn er uns in einer Theaterkneipe gegenübersaß und mit einem verschmitzten Lächeln anhob, seine Geschichten zu erzählen, dann schweifte niemand mehr ab. Dann waren binnen Sekunden alle gefesselt und ließen sich entführen in die Welt der ganz normalen Menschen, des frommen Bäckers oder des listigen Schusters, die sich mit Charme und Bauernschläue durch den arabischen Alltag kämpften. Suheil erzählte so anschaulich, als wäre es ein Kinofilm, so witzig, dass wir uns die Lachtränen aus den Augen wischten, so warmherzig, dass wir seine Figuren am liebsten umarmt hätten. "Ich mache Bücher, um sie mündlich frei zu erzählen. Das ist meine Lebensaufgabe: diese mündliche Erzählkunst zu verteidigen", sagt er. Natürlich verschlangen wir aber auch seine Bücher, den "Fliegenmelker", den "Ehrlichen Lügner", den "Erzähler der Nacht" und später seine Geschichten aus dem Leben eines Gastarbeiters im kühlen Deutschland. In den Neunzigerjahren lagen seine Werke in jeder guten Buchhandlung gleich vorn an der Kasse, mehr als eine Million Exemplare wurden verkauft.

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Ausgerechnet ein Araber erschloss uns den Reichtum der deutschen Sprache. Und wenn man genug von seinen Geschichten gehört und gelesen hatte und ebenfalls vom Schreiben lebte, konnte man irgendwann besser formulieren als zuvor. Dann hatte man ein Gespür für Dramaturgie entwickelt, für überraschende Brüche und für Pointen. Beherrscht man diese Kunst aber einmal, verlernt man sie nicht mehr. Es stimmt eben schon, was der Volksmund sagt: Lesen bildet – aber nicht nur durch den Inhalt, sondern auch durch die Form. Deshalb ist es uns heute eine Ehre, dem großen Schriftsteller Rafik Schami zu seinem 75. Geburtstag zu gratulieren und ihm ein herzliches Dankeschön zuzurufen. "Freund aus Damaskus" bedeutet sein Künstlername übersetzt, das passt nicht nur zu seiner Herkunft vor 50 Jahren, sondern auch zur Zukunft: Mein lieber Freund Rafik, irgendwann wird Syrien von der Tyrannei befreit sein, dann sehen wir uns im Café Naufara in Damaskus. Schufak fi Dimaschq, sadiqi!


Blinken in Berlin



Kartellamt gegen Kraken

Nun ist auch Apple dran: Man wolle prüfen, ob der iPhone-Hersteller mit seinem Betriebssystem iOS ein digitales Ökosystem über mehrere Märkte errichtet hat, kündigte Kartellamts-Präsident Andreas Mundt an. Dabei geht es auch um den App-Store, der es dem kalifornischen Konzern ermöglicht, Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen. Seit eine Gesetzesreform im Januar ihre Kompetenzen erweitert hat, nimmt die Bonner Behörde die ganz dicken Fische vor die Harpune: Sie hat auch Prüfverfahren gegen Facebook, Amazon und Google eingeleitet und ermittelt damit nun gegen alle vier großen US-Digitalkonzerne. Manche Beobachter quittieren das angesichts der überwältigenden Marktmacht der Datenkraken mit einem müden Lächeln und sprechen von David gegen Goliath. Aber wir wissen ja, wie diese Geschichte ausging – und die Schleuder in der Hand von Herrn Mundt, der heute seinen Tätigkeitsbericht vorstellt, könnte ein Pakt mit der EU-Kommission sein.


Auf ins Achtelfinale!

DFB-Kapitän Manuel Neuer darf also weiter seine Regenbogen-Armbinde tragen, die Münchner Arena aber nicht in bunten Farben leuchten – "die Uefa kuscht vor Viktor Orbán", kommentiert unser Nationalmannschaftsreporter Noah Platschko. Das ist die verworrene Ausgangslage vor dem letzten EM-Gruppenspiel der deutschen Elf gegen Ungarn heute Abend um 21 Uhr. In sportlicher Hinsicht ist hingegen alles klar: In der ersten Turnierbegegnung eines deutschen Nationalteams mit Ungarn seit dem "Wunder von Bern" anno 1954 müssen Jogis Jungs natürlich unbedingt den Achtelfinaleinzug erreichen. Also am besten einfach noch mal so aufdrehen wie gegen Portugal!


Was lesen?

Seit Montag haben auch CDU und CSU ein Wahlprogramm. Es widerspricht dem der Grünen in vielen Punkten. Trotzdem könnten die drei Parteien nach der Bundestagswahl zusammenfinden und regieren, analysieren unsere Hauptstadtreporter Johannes Bebermeier und Tim Kummert. Wie das gehen kann, zeigen sie hier.


Die Börse boomt. Immer mehr Konzerne und Start-ups drängen an die Finanzmärkte, die Kurse flitzen von einem Rekord zum nächsten. Auch viele Kleinanleger haben inzwischen begriffen: Wer mehr aus seinem Geld machen will, kommt an Aktien kaum noch vorbei. Worauf sollte man achten, wo lauern Risiken, was sind sichere Anlagen? Unsere Finanzkolumnisten Jessica Schwarzer und Gerd Kommer können es erklären: In ihrer neuen Doppelkolumne "Sekt und Selters" erfahren Sie, wie Sie Ihr Geld langfristig vermehren und von Börsentrends profitieren können.


Über ein Jahr schon muss Berlin ohne US-Botschafter auskommen. Kurz vor der Reise der Bundeskanzlerin nach Washington kommt Bewegung in die Personalie: Vor allem Frauen sind im Gespräch. Unser Reporter Bastian Brauns hat sich in Berlins Diplomatenkreisen umgehört.


Was amüsiert mich?

Im Wahlkampf machen Politiker viel mit. Manche leider zu viel. Die gehen dann zu "Bild" ins Studio und lassen sich dort vorführen. Ob so was an der Wahlurne hilft, dürfen Sie selbst entscheiden.

Lassen Sie sich bitte nicht für dumm verkaufen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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