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Anschläge in Afghanistan: Angela Merkels gefährliche Sätze


Tagesanbruch
Ihre gefährlichen Sätze

  • Johannes Bebermeier
MeinungVon Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 27.08.2021Lesedauer: 5 Min.
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"Absolut niederträchtiger Anschlag": Das sagt Merkel nach den Explosionen in Kabul. (Quelle: Reuters)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

ich weiß nicht, wie es Ihnen ging – aber als gestern mein Handy mit den Eilmeldungen zu den Anschlägen in Kabul vibrierte, musste ich nach dem ersten Schrecken sofort an Angela Merkel denken. Was hat die Kanzlerin wohl gedacht, als sie von der ersten Explosion am Flughafen hörte, dann von der zweiten, von den vielen Verletzten und den vielen Toten? Von den Menschen, die sich in ein neues Leben retten wollten und die jetzt tot sind?

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Was die Kanzlerin denkt, ist für Journalisten natürlich in vielen Situationen interessant, besonders in den kritischen. Aber gestern hat es mich besonders interessiert, nicht nur als Journalist. Und zwar auch aus einer seltsamen Mischung aus Wut und Mitleid heraus. Denn mir kamen sofort zwei Sätze Merkels in den Kopf, die ich schon am Mittwoch kaum vergessen konnte.

Angela Merkel hatte diese Sätze im Bundestag gesprochen, bei ihrer Regierungserklärung zu Afghanistan. Da stand sie in ihrem dunkelroten Blazer und bat die Zuhörerinnen und Zuhörer darum, ihr "eine etwas zugespitzte persönliche Bemerkung" zu gestatten. Und dann sagte Merkel sie, diese zwei fatalen Sätze: "Hinterher, im Nachhinein präzise Analysen und Bewertungen zu machen, das ist nicht wirklich kompliziert. Hinterher, im Nachhinein alles genau zu wissen und exakt vorherzusehen, das ist relativ mühelos."

Uff, dachte ich. Und das denke ich inzwischen mehr denn je.

Jetzt mögen Sie mir entgegnen: Wieso fatale Sätze? Die stimmen doch! Und ja, selbstverständlich stimmen sie. Wie könnten diese Sätze nicht stimmen? Es sind Banalitäten, die Merkel da formuliert, Sätze die immer richtig sind und nie falsch. Hinterher ist man immer schlauer! Doch die Kanzlerin versucht mit diesen Banalitäten ihre gescheiterte Politik zu rechtfertigen. Und da wird es abenteuerlich und, ja, sogar gefährlich.

Denn Merkel macht sich mit diesen Sätzen immun gegen jegliche Kritik. "Hinterher ist man immer schlauer", das gilt natürlich in seiner Banalität für jede einzelne Entscheidung, die Politikerinnen und Politiker treffen (und nicht nur die). Würde man diesen lächerlichen Maßstab an politische Entscheidungen anlegen, ließe sich jeglicher Unfug rechtfertigen, und niemand müsste jemals Verantwortung für irgendwas übernehmen.

Mehr noch, im Grunde würde es das Prinzip demokratischer Politik zunichte machen, wenn man die "Hinterher ist man immer schlauer"-Merkel wirklich zu Ende dächte. Denn wo sich Politik nicht mehr für schlechte Entscheidungen rechtfertigen muss und verantwortlich gemacht werden kann, da funktioniert unsere Demokratie nicht mehr. Denn sie basiert ja genau auf dem Prinzip, Menschen Macht auf Zeit zu gewähren, um dann kritisch zu schauen, was sie damit anstellen. Und sie, wenn sie Fehler machen, abwählen zu können.

Angela Merkels Sätze waren deshalb schon am Mittwoch unerhört. Am Donnerstag, nach den Anschlägen in Kabul, hoffe ich, dass sie Merkel selbst unangenehm sind. Und habe deshalb sogar ein wenig Mitleid. Denn wie grausam das jetzt klingt, angesichts der Toten und Verletzten: Hinterher ist man immer schlauer.

Die restlichen Sätze in Angela Merkels Regierungserklärung machten es übrigens nicht besser. Die Verantwortung für die Katastrophe teilte sie großzügig auf, nicht nur unter ihren Ministerinnen und Ministern, sondern gleich unter allen internationalen Partnern, die in Afghanistan aktiv waren. "Deutschland ist ja keinen Sonderweg gegangen", sagte sie. Stimmt, aber ist das diesmal eine gute Nachricht?

Es verdichten sich die Hinweise, dass der Bundesnachrichtendienst offenbar durchaus energischer vor der Lage in Afghanistan gewarnt hat, als die Politik das jetzt zugeben möchte. Erweist sich das als wahr, hätte die Bundesregierung in einer fraglos schwierigen Situation eben schlicht die falsche Entscheidung getroffen. Und müsste dafür die Verantwortung tragen. Angela Merkel als Kanzlerin vorneweg.

Umso bitterer ist, dass auch die Anschläge in Kabul nun eine Katastrophe mit Ansage sind. Und zwar im wahrsten Wortsinn. Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte noch am Donnerstagmittag gewarnt: "Wir wissen, dass die Terrordrohungen sich massiv verschärft haben, dass sie deutlich konkreter geworden sind." Westliche Geheimdienste hatten Erkenntnisse, dass der afghanische Ableger der Terrormiliz "Islamischer Staat" Anschläge am Flughafen plane. Verhindern konnte die Attacken trotzdem niemand.

Wir wissen nicht, was Angela Merkel dachte, als sie von den Anschlägen in Kabul hörte. Aber schon bevor die Nachricht über die Ticker lief, sagte die Kanzlerin eine für das Wochenende geplante Reise nach Israel ab. Sie weiß, wie ernst es ist. In einer ersten Reaktion sprach Frau Merkel von einer "bedrückenden Nachricht" und einem "absolut niederträchtigen Anschlag". Die Bundesregierung werde "diejenigen, die nicht in Sicherheit gebracht werden konnten", nicht vergessen. Daran wird sie sich nun messen lassen müssen. Jeden Tag. Ohne gefährliche Ausflüchte.


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Herzliche Grüße, Ihr

Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
Twitter: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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