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Bundestagswahl 2021: Angela Merkel geht doch nicht


Tagesanbruch
Sie geht doch nicht

  • Steven Sowa
MeinungVon Steven Sowa

Aktualisiert am 24.09.2021Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Angela Merkel: Nach 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft wird sich nach dem 26. September 2021 herausstellen, wer ihr folgt.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel: Nach 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft wird sich nach dem 26. September 2021 herausstellen, wer ihr folgt. (Quelle: Uriel Sinai/Getty Images)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

haben Sie ein Tablet zu Hause? Sie wissen schon: Es sieht aus wie ein Schneidebrett, kann aber Geräusche machen und Filme abspielen. Tolle Erfindung. Wie ein Handy in groß oder ein Laptop in klein.

Wieso ich Ihnen das erzähle? Im Jahr 2005 hat es eine erste Version dieser Geräte gegeben. Seitdem sind die Tablets moderner geworden. 2010 erlebte die technische Innovation mit dem ersten iPad den Durchbruch. Heute gibt es die Dinger überall.

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Und sie sind nur ein Beispiel dafür, was in diesen Jahren alles passiert ist.

Nur eines ist seit 2005 immer gleich geblieben: Wenn man darauf nach Informationen zu "Deutscher Bundeskanzler" sucht, gibt es zuallererst eine Korrektur beim Genus und dann die simple, seit nunmehr 16 Jahren gleiche Antwort.

Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Junge Menschen, die am Sonntag erstmals ihr Kreuz auf dem Wahlzettel machen dürfen, kennen nur eine Regierungschefin: Angela Merkel – "die ewige Kanzlerin". 16 Jahre ergeben in Summe eine lange Zeit. Die Macht der Gewohnheit hat sich eingestellt. Der Machtmensch Merkel kam dabei nie besonders laut daher, aber wir alle in Deutschland haben uns daran gewöhnt, dass sie die Geschicke der Bundesregierung lenkt – und haben darauf vertrauen können, dass sich das Land in guten Händen befindet.

"Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger", die Raute, der Blazer: alles untrennbar mit ihr verbunden. Doch viel mehr als monotone Ansprachen, Marotten oder ihr Kleidungsstil haben ihre Charaktereigenschaften unser Land geprägt. Mit der Bundeskanzlerin Merkel verbinden Menschen im ganzen Land Ruhe und Besonnenheit, einen unaufgeregten Regierungsstil und, wie Barack Obama es einst über sie sagte, ihr "nüchtern-analytisches Bewusstsein".

Seit Oktober 2018 ist klar: Angela Merkel macht es nicht noch einmal. Sie hat ihr Ende als Kanzlerin selbst gewählt – und damit ihrer Partei und der politischen Konkurrenz das Feld überlassen.

Ein Übungsfeld für die Mission "Merkel 2.0". Alle ernsthaften Kandidatinnen und Kandidaten, alle drei Parteien, die in den vergangenen Monaten um das Kanzleramt kämpften, haben mit Angela Merkels Erbe geliebäugelt. Und sich durchaus aufgrund ihrer Beliebtheit an ihr orientiert.

Die Grünen haben Annalena Baerbock statt Robert Habeck ins Rennen geschickt. Die Deutschen haben sich 16 Jahre lang an eine Frau gewöhnt, so das Kalkül. Die Union setzte auf den Teamplayer Armin Laschet, der den internen Machtkampf gewinnen konnte und weniger dominant-marktschreierisch auftritt als Markus Söder oder Friedrich Merz. Es sollte der sanfte Übergang werden: Laschet, der vermeintliche Merkel mit Brille und Anzug.

Viel näher gekommen ist ihr aber ein anderer. Er ist nur fünf Zentimeter größer als sie. Seine Kurzhaarfrisur noch knapper als der bekannteste Bob der Nation. Er kommt nicht aus dem Osten, aber hat dort jahrelang als Anwalt mit der Treuhand verhandelt. Ob er gerne Kartoffelsuppe isst? Vorstellbar. Nur: Olaf Scholz rudert lieber, als dass er wandert.

Sie haben richtig gelesen: Olaf Scholz kommt Merkel am nächsten – und machte die Raute vor einigen Wochen gar unverhohlen zu einer PR-Nummer. Doch trotz aller Anbiederung hat die SPD offenbar besser als die CDU selbst das Prinzip verstanden, mit dem die Kanzlerin 16 Jahre lang unser Land regiert hat. Die Sozialdemokraten haben allen Unkenrufen zum Trotz einen Kanzlerkandidaten aufgestellt, der genau das verspricht, was viele nach der langen Ära Merkel auf keinen Fall missen wollen: Stabilität.

Klar, Deutschland braucht einen echten Wandel: ökologisch, technologisch, ökonomisch. Aber nach fast zwei Dekaden wollen die Mitbürgerinnen und Mitbürger offensichtlich keinen Umbruch. Sie haben Angst vor zu drastischen Veränderungen. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere, denn: Gewohnheiten vermitteln uns ein Gefühl der Sicherheit. Merkel war das Metronom, das in gleichmäßigen, vertrauten, Zuverlässigkeit simulierenden Schwingungen den Takt vorgegeben hat.

Einen langsamen Takt, zweifellos. Sie konnte Diskussionen stoisch aussitzen. Das kann auch Olaf Scholz. Sie sagte in den richtigen Momenten lieber weniger als mehr. Wie Olaf Scholz. Sie war keine begnadete Rednerin, aber detailverliebt, akribisch, fleißig und verlässlich. Attribute, die auch Olaf Scholz für sich reklamiert. Weder Merkel noch Scholz sind Visionäre. Aber beide sind Verfechter von Gerechtigkeit und haben ein großes Interesse an Kontinuität.

Die SPD möchte das entstehende Machtvakuum füllen, das Merkel hinterlässt. Mit einem Mann, der den Menschen im Land das Gefühl vermittelt: Sie geht doch nicht. Angela Merkel bleibt. In Form eines Sozialdemokraten, der einen "moderaten Weg" für die Zukunft verspricht. So wie es einst Merkel schaffte, geschickt Inhalte der SPD zu übernehmen, könnte dieser Coup nun umgedreht gelingen. Die Merkel-DNA mit einem roten Anstrich in den nächsten vier Jahren.

Ist denn schon Montag, der 27. September und die Wahl gelaufen, werden Sie sich nun fragen. Sind die Koalitionsverhandlungen geführt oder die Verträge unterzeichnet? Mitnichten. Die neuesten Erhebungen des ZDF-Politbarometers zeigen allerdings: In der Kanzlerfrage liegt Olaf Scholz weiterhin klar in Führung. 64 Prozent der Befragten halten ihn demnach für geeignet. Spannend bleibt es trotzdem, denn die Union macht Boden gut – wenn auch nur wenig. Ein Prozentpunkt mehr im Vergleich zur Vorwoche bedeutet 23 Prozent. Die SPD hingegen verharrt bei 25 Prozent.

Fest steht also nur: Es wird ein enges Rennen – und wer kann am Ende mit wem? Womöglich wird es noch lange dauern, bis die Regierung gebildet und der Kanzler gewählt ist. Nach der Bundestagswahl 2017 dauerte es mehr als vier Monate, bis die neue Bundesregierung stand. Vielleicht kommt die Neujahrsbotschaft noch einmal von Angela Merkel. Im Blazer, nicht im Anzug. Live und in Farbe – dann auch auf Ihrem Tablet.


Die Pflicht ruft

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Angela Merkel ist trotz der Parallelen zu Olaf Scholz eine loyale Persönlichkeit. Partei für ihren Finanzminister ergreifen? Nicht mit ihr. Schließlich ist er Kanzlerkandidat der SPD und somit auch ärgster Konkurrent. Sie macht gute Miene zum schlechten Spiel. Zumindest, wenn man ein Spiel nach den Regeln aktueller Umfragewerte beurteilt. Dann liefe die Union geradewegs in Richtung eines historisch schlechten Wahlergebnisses. Unter Merkel waren es zuletzt 32,9 Prozent, mit Armin Laschet könnten es am Sonntag 10 Prozentpunkte weniger werden.

Also hilft Merkel, wo sie kann. Zumindest jetzt, auf den letzten Metern. Heute ist sie mit ihrem Unionsnachfolger und dem CSU-Chef Markus Söder bei einem Wahlkampfauftritt in München. Es ist der zweite Termin von insgesamt dreien, die die Nochkanzlerin im Auftrag der "Armin Laschet für Deutschland"-Mission beschreitet. Im Dreierpack geben Merkel, Laschet und Söder bestimmt ein gutes Bild ab.

Aber ob die Wahlkampfhilfe auf den letzten Metern die Wende bringen wird? Zweifel sind angebracht.


Unsere Zukunft geht auf die Straße

Auch die Grünen sind nicht da, wo sie gerne wären. Der Sprung Richtung Kanzleramt wirkt bei Baerbock und Co. zwei Tage vor der Wahl ebenfalls unwahrscheinlich weit. Das erwähnte Politbarometer sieht sie aktuell bei 16,5 Prozent. Liegt es womöglich gar daran, dass sie mit ihrem Kernthema nicht ausreichend große Bevölkerungsgruppen mobilisieren konnten?

Heute geht die Klimaschutzbewegung "Fridays for Future" auf die Straße. Bundesweit werden bei einem groß angelegten Klimastreik in mehr als 400 Städten Proteste aufbranden. In Berlin beginnen die vornehmlich jungen Leute um 12.00 Uhr. Tausende werden zwei Tage vor der Wahl am Bundestag stehen, darunter die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg. Zentrale Forderung: Verstärkte Klimaschutzmaßnahmen, die den weltweiten Temperaturanstieg auf 1,5 Grad begrenzen.

Eine Forderung, die auch die Grünen nur zu gut kennen – aus ihrem eigenen Wahlprogramm. Doch Aktivisten werfen der Partei vor, Schönfärberei zu betreiben. Angeblich würden die Maßnahmen, die die Grünen ergreifen wollen, für das erklärte 1,5-Grad-Ziel gar nicht ausreichen. Auch deshalb steckt Annalena Baerbock in einem Dilemma: Den einen ist sie nicht radikal genug – und den meisten Menschen in Deutschland geht das Programm der Grünen in Sachen Klimaschutz zu weit.


Was lesen?

Der Sozialdemokrat Willy Brandt demonstrierte einst der siegesgewissen Union, dass bei der Bundestagswahl auch eine Partei triumphieren kann, die nicht stärkste Kraft ist. Denn genau so will es das Grundgesetz. Mein Kollege Marc von Lüpke hat einen Blick in die Wahlkämpfe der Vergangenheit geworfen.

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Mein Kollege Johannes Bebermeier wiederum hat den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz seit Monaten beobachtet, begleitet und nun in einem pointierten Porträt entschlüsselt. Und nein: Dabei geht es nicht um Merkel. Seiner Ansicht nach wird Scholz nicht Kanzler, weil er so toll ist oder weil er so hart gearbeitet hat, sondern weil ... Ach, lesen Sie selbst, es lohnt sich: "Es ist eigentlich anders, als er denkt."

Weil wir gerade bei Wahrscheinlichkeiten sind: Britta Ernst könnte bald die neue "First Lady" sein. Sie ist seit Jahren als Politikerin aktiv – und nebenbei noch die Frau an der Seite von Olaf Scholz. Welche Art von Beziehung die beiden führen und worüber das Politikerpaar sich zu Hause unterhält, lesen Sie hier.


FDP und SPD werfen der AfD eine Mitschuld an der Tötung in Idar-Oberstein vor. Die protestiert. Sind die Methoden der Partei eine Gefahr für die Demokratie? Wie gezielt weckt sie Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen – und wie gut kommt sie damit an? Meine Kollegin Annika Leister ist dieser Frage in Sachsen nachgegangen, wo die AfD am Sonntag stärkste Kraft werden könnte.


Was mich amüsiert

Haben Sie gestern mal wieder Scholz, Baerbock, Laschet und Co. im Fernsehen angetroffen? Wahlsendung Nummer 753 lief. Diesmal nannte sich das "Bundestagswahl – Schlussrunde der Spitzenkandidaten". Nicht für alle ein Vergnügen.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start ins Wochenende. Morgen lesen Sie an dieser Stelle ein Wahlspezial von Sven Böll und Florian Harms, inklusive eines sehr hörenswerten Podcasts.

Ihr

Steven Sowa
Redakteur Unterhaltung
Twitter @StevenSovani

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Mit Material von dpa.

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