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Bundestagswahl: Olaf Scholz – Kleine Veränderung zeigt, wo es hingehen soll


Olaf Scholz
Eine kleine Veränderung zeigt, wo es hingehen soll


Aktualisiert am 27.09.2021Lesedauer: 6 Min.
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Nach den ersten Prognosen: Olaf Scholz gibt sich am Wahlabend optimistisch, doch der Vorsprung ist hauchdünn. (Quelle: reuters)

Die SPD ist deutlich stärker, als sie es vor einigen Wochen erwarten konnte. Ob die Partei den Kanzler stellen kann, ist zwar noch offen. Olaf Scholz probiert es aber schon mal aus.

Er trägt wieder Krawatte. Als Olaf Scholz um kurz vor 19 Uhr ins Atrium des Willy-Brandt-Hauses tritt, ist eigentlich alles wie immer mit ihm. Zumindest äußerlich. Scholz lächelt, wie so oft bei seinen Auftritten zuletzt, nur vielleicht eine Nuance breiter als sonst. Er winkt den jubelnden Parteianhängern zu, die "Olaf, Olaf"-Sprechchöre angestimmt haben, das natürlich auch.

Aber sonst?

Keine großen Triumphgesten, kein Gefühlsausbruch, nicht mal ein hanseatischer. Nur diese Krawatte. Sie fällt auf, weil Scholz bei seinen Auftritten als Kanzlerkandidat fast nie eine getragen hat. Es ist die größte Veränderung zwischen dem Vor-Wahl-Scholz und dem Nach-Wahl-Scholz. Der erste Schritt der Transformation vom Kanzlerkandidaten zum möglichen Kanzler. Doch reicht es am Ende wirklich?

Scholz hat sich Zeit gelassen. Er tritt an diesem Abend in Berlin als letzter der Spitzenkandidaten vor seine Anhänger. Die SPD wollte die ersten Hochrechnungen abwarten, nachdem die Prognosen noch kein eindeutiges Bild ergaben. Das Problem: Die Hochrechnungen geben zu diesem Zeitpunkt noch immer kein eindeutiges Bild ab.

Es ist knapp, so viel steht fest. Gut möglich, dass die SPD am Ende vorne liegt. Gut möglich aber auch, dass es knapp nicht reicht für Platz eins, und die Union vorne liegt. Scholz bezeichnet das Wahlergebnis vor seinen Anhängern trotzdem als "großen Erfolg". Die Wähler wollten einen Wechsel in der Regierung, sagt er, und dass "der nächste Kanzler ein Sozialdemokrat wird".

Ob es dazu kommt, das ist noch nicht ausgemacht. Die SPD hat es auch nicht allein in der Hand, denn sie braucht Partner, um zu regieren, wahrscheinlich sogar zwei.

Ein Erfolg, da hat Scholz recht, ist das Ergebnis für die SPD aber trotzdem. Sie liegt nach scheinbar endloser Durststrecke wieder auf Augenhöhe mit der Union und ist vielleicht sogar wieder stärkste politische Kraft in Deutschland. Sie hat das geschafft, was ihr noch vor wenigen Monaten die wenigsten zugetraut hätten. Selbst in der SPD konnte man das Gefühl bekommen, dass die Zweifel bei vielen größer waren als die ernsthafte Hoffnung. Zumindest für diesen Abend sind die Zweifel verschwunden.

Oder wie Olaf Scholz es hanseatisch-überschwänglich formuliert: "Natürlich freue ich mich über das Wahlergebnis."

Die SPD lag am Boden

Man muss ein bisschen zurückschauen, um diese Freude verstehen und richtig einordnen zu können. Denn die Freude ist natürlich auch so groß, weil die SPD so tief gefallen war. Sie lag am Boden, jahrelang schon.

Seit Gerhard Schröder 2005 knapp als Bundeskanzler abgewählt worden ist, hat die SPD zwar in 12 von 16 Jahren mitregiert. Doch die großen Koalitionen mit der Union führten verlässlich dazu, dass die SPD immer weiter zusammenschrumpfte. Ruhm und Ehre heimste Angela Merkel ein, die SPD litt sich fast in die Bedeutungslosigkeit.

Die Not wurde so groß, dass die Nachwuchshoffnung Kevin Kühnert gegen die letzte große Koalition mobil machte. Die Sorge der jungen Genossen war gewaltig, dass bald nichts mehr übrig sein würde von der einst so stolzen SPD, wenn ihre Generation irgendwann an die Reihe käme.

Die Sozialdemokraten quälten sich dann doch noch einmal in die Regierung. Mit großen Verwerfungen selbstverständlich und großen Verletzungen. Dass die SPD ihre Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles nach dem schlechten Ergebnis der Europawahl 2019 vom Hof jagte, ist vielen heute immer noch unangenehm.

Der Ärger der Parteibasis auf die Funktionärsschicht war so groß, dass sie zwei Außenseiter zu ihren Vorsitzenden wählte: Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken – und eben nicht den Langzeitfunktionär Olaf Scholz. Diesen Olaf Scholz machten die beiden dann ironischerweise zum Kanzlerkandidaten. Aber eben vor allem, weil es keine auch nur halbwegs ebenbürtige Alternative gab.

Scholz war der einzige, der konnte und auch wollte. Denn es schien ja ein Himmelfahrtskommando zu sein: Seit 2018 kam die SPD in den Umfragen nicht mehr über die 20-Prozent-Marke, zuletzt war sie meist eine 15-Prozent-Partei mit dem Anspruch und dem Stolz einer Volkspartei. Scholz wurde belächelt für seine Kandidatur, noch bis vor wenigen Wochen.

In der SPD trösteten sie sich damit, dass Angela Merkel ja bei der Wahl nicht mehr antrete und sich dann schon alles neu ordnen werde. Mehr als eine Hoffnung, dass davon ausgerechnet die SPD profitieren würde, war es aber eigentlich nicht.

Und es gab da auch immer noch eine andere Erzählung: Nämlich die von der angeblich deutlich stabileren Stammwählerbasis der Union, die im Gegensatz zur SPD-Basis eben (noch) nicht erodiert sei. Egal, wer Kanzlerkandidat ist. Von dieser Erzählung ist mit dem Absturz der Union nun nicht mehr so wahnsinnig viel übrig.

Eine fokussierte Kampagne – und zweimal Glück

Man muss der SPD zugutehalten, dass sie sich von all dem Hohn und all dem Spott nicht hat verrückt machen lassen. Zumindest hat sie ihre Zweifel nicht nach außen getragen. Die Sozialdemokraten stellten sich früh auf, erarbeiteten gemeinsam ein Programm, mit dem alle leben konnten. Und Generalsekretär Lars Klingbeil stellte die wohl beste Kampagne dieses Wahlkampfs auf die Beine – zugeschnitten auf den einzigen Trumpf der SPD: Olaf Scholz, den bei den Menschen bekannten und beliebten Vizekanzler.

Und mit einer Fokussierung auf wenige Kernthemen. So wusste jeder Genosse an den Wahlkampfständen mit den roten Sonnenschirmen, wofür die Partei diesmal eintritt: Mindestlohn, Rentengarantie, Wohnungsbau, Klimaschutz.

Scholz selbst hat all das bei seinen Auftritten so oft wiederholt, er hat so oft vom Respekt gesprochen, den er den Menschen zurückgeben wolle, dass man ihm allein dafür Respekt zollen muss, bei seinen Reden nicht irgendwann vor Langeweile eingeschlafen zu sein. Aber genau so funktioniert eine gute Kampagne eben: die immergleiche einfache Botschaft immer wieder wiederholen. Respekt, Respekt, und auch für dich: Respekt.

Bei der Union hingegen waren sich nicht mal die Chefs von CDU und CSU immer ganz sicher, was eigentlich in ihrem Wahlprogramm steht. Die Grünen wiederum hatten einmal mehr ein Problem damit, ihre ausgefeilten Konzepte so zu erklären, dass nicht der noch schneller steigende Benzinpreis, sondern der soziale Ausgleich für den steigenden Preis bei den Menschen hängenbleibt.

Womit ein Vorteil der SPD in diesem Wahlkampf beschrieben wäre, aber eben nicht ihr größter Vorteil. Denn die SPD und Olaf Scholz haben selbstverständlich enorm vom Lachen des CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet im Flutgebiet und der Fehlerkette der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock profitiert.

Die Werte der SPD in den Umfragen stiegen erst an, als sich beide durch ihre Patzer für viele Bürger unmöglich gemacht hatten. Sie hatten zweimal Glück. Wäre das anders gelaufen, hätte Scholz' SPD ohne Weiteres am Ende auch bei 15 Prozent landen können.

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Ampel oder doch Jamaika?

Dass die Freude am Abend noch nicht überschäumt im Willy-Brandt-Haus, liegt auch daran, dass die SPD noch zittern muss, ob sie auch wirklich regieren kann. Denn selbst, wenn sie wirklich vor der Union landet, sitzt sie noch längst nicht im Kanzleramt.

Denn die Union will auch eine Regierung bilden, und zwar unbedingt. Man werde "alles daransetzen, eine Bundesregierung unter Führung der Union zu bilden", sagt Armin Laschet an diesem Abend im Konrad-Adenauer-Haus. Alles. Also auch eine Jamaika-Koalition mit Grünen und FDP versuchen, wenn sie hinter der SPD landet.

Aus der SPD ist zu hören, Grüne und FDP müssten es sich gut überlegen, ob sie wirklich mit dem klaren Wahlverlierer Armin Laschet in eine Regierung eintreten wollten. Immerhin ist seine Union im Vergleich zur vergangenen Wahl dramatisch eingebrochen. Für die Grünen wäre Jamaika das Todesurteil, sagt ein nicht unwichtiger Genosse.

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Die SPD wird aber ohnehin auch ihrerseits alle Möglichkeiten ausloten, ist am Abend zu hören. Und zwar ebenfalls unabhängig davon, ob sie vorne liegt oder nicht. Die realistischste Regierungsoption für sie ist und bleibt dabei die Ampel mit Grünen und FDP. Davon müsste sie aber vor allem die FDP überzeugen. Ausgang: offen.

In der SPD stellen sich einige schon darauf ein, dass es durchaus länger dauern könnte, dieses Patt zwischen Jamaika und Ampel aufzulösen. Oder wie Olaf Scholz es hanseatisch-nüchtern am Ende seiner Ansprache sagt: "Jetzt warten wir noch das endgültige Wahlergebnis ab, aber dann machen wir uns an die Arbeit."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen im Willy-Brandt-Haus
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