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Bedrohung durch Putin und Xi Jinping: Sollte man Globalisierung zurückdrehen?


Tagesanbruch
Ein Himmelfahrtskommando

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 01.06.2022Lesedauer: 6 Min.
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Diktator Xi Jinping und Diktator Putin bei einem Treffen in Peking.Vergrößern des Bildes
Diktator Xi Jinping und Diktator Putin bei einem Treffen in Peking. (Quelle: Archivbild/Li Xueren/imago-images-bilder)

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Wenn man erst einmal anfängt mit dem Entrümpeln, hört man gar nicht mehr auf. Eigentlich wollte man nur das eine chaotische Fach im Schrank aufräumen, weil das wirklich höchste Zeit war. Aber auf eine Schublade folgt schnell die nächste. Auf einmal findet man sich räumend im nächsten Zimmer wieder und mistet kurz darauf den Keller aus. So läuft das. Jedenfalls, wenn man sich vorher viel zu lange nicht mehr um Ordnung in der Bude gekümmert hat. Deshalb gibt es jetzt auch so viel Rumgeräume in der Wohngemeinschaft in Berlin, wo der Olaf, der Christian, die Annalena und der Robert hinter jeder Schranktür, die sie aufmachen, noch mehr zum Ausmisten entdecken. Angeblich sind die Vormieter schuld, da sind sich alle einig. Nur der Olaf blickt etwas verschämt zu Boden, wenn man das erwähnt. Er wohnt nämlich schon länger da.

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"Klimafreundlicher Umbau der Wirtschaft" stand auf der ersten Schublade, mit der die Berliner Ampelkoalitionäre sich eigentlich vorrangig befassen wollten. Ein Teil der rot-grün-gelben Regierungs-WG steht inzwischen aber schon vor dem Bundeswehrspind in der Ecke, wo ihnen nach dem Aufmachen sofort haufenweise Schrott entgegenpurzelte. In das Zimmer mit dem Türschild "Weltwirtschaft" haben sie bisher nur mal kurz reingespickt und vor Schreck die Tür gleich wieder zugemacht. Aber es ist klar, auch da muss man dringend ran: ein wüstes Durcheinander, regelrecht verfilzt. Überall Abhängigkeiten, in denen man sich verfangen kann wie in klebrigen Spinnennetzen zwischen den Möbeln. Lieferketten, die sich verworren haben wie ein Wollknäuel, mit dem die Katze zu lange gespielt hat.

Im Laufe der vergangenen Jahre wurde immer deutlicher, wie viel Mist sich dort aufgetürmt hat. Zum Beispiel in der Pandemie: Als Corona plötzlich zuschlug, waren Masken und Schutzausrüstung dramatisch knapp, aber die Produzenten in China hatten für Europa nur ein Schulterzucken übrig: "Für euch gibt es erst mal nichts, wir brauchen das Material selbst, sorry." Für stapelweise Euro ging zum Glück dann doch ein bisschen was. War aber sündhaft teuer. Abhängigkeit kostet.

Das merken wir jetzt auch beim Wladimir: "Sanktionen!" schallt es Putin aus dem empörten Deutschland entgegen, doch der Diktator in Moskau lächelt nur maliziös und legt seine Hand schon mal locker auf den Gashahn. Wenn er jetzt mit dem Zudrehen anfangen würde, käme uns das ganz schön ungelegen. Deshalb zahlen die verwundbaren Nationen, Deutschland allen voran, sich lieber dumm und dusselig, um ihre Tanks weiter aufzufüllen.

Politiker und Wirtschaftsleute rund um den Globus diskutieren deshalb jetzt erregt über "Deglobalisierung" und wirtschaftliche "Entkopplung". Also über die Idee, dass in Zukunft jeder Staat wieder nur mit befreundeten Ländern Geschäfte und um andere einen großen Bogen macht. Es gibt verschiedene Vorschläge, wie das konkret aussehen soll. In den USA hat man vor allem China als neuen Rivalen ausgemacht. Das Ringen der beiden Supermächte teilt die Welt in zwei Blöcke ein. Den Europäern behagt diese Vorstellung weniger, hier will man bitte schön auch als eigener Block wahrgenommen werden, der sich mit anderen freiheitsliebenden Teilen der Welt zu einem Konglomerat zusammenfügt. In dieser Sortierung ist für weitere eigenständige Akteure, zum Beispiel Indien oder halbwegs demokratische Staaten in Afrika, sogar auch noch Platz. So oder so bestünde die Weltwirtschaft am Ende aus einem Sammelsurium eigenständiger Blöcke, die vorwiegend untereinander handeln und sich möglichst wenig in Abhängigkeit von anderen begeben. Klingt gut? Nur in der Theorie. In der Praxis ist es gefährlicher Quatsch.

Die Welt hat der Globalisierung enorm viel zu verdanken: Gesellschaften rund um den Globus haben ihren Platz in den Fertigungsketten gefunden und sich ein Stück vom Wohlstandskuchen gesichert. Der Effekt ist gewaltig. Im Dauerfeuer alarmierender Nachrichten, die Tag für Tag auf uns hereinprasseln, vergessen wir leicht, dass die weltweite Armut in den vergangenen Jahrzehnten in geradezu sensationellem Umfang abgenommen hat.

Sicher: Nicht alle Länder und Regionen haben gleichermaßen von der globalen Vernetzung profitiert. In Asien ging es rasant aufwärts, während in Afrika noch viel geschehen muss. Und in Deutschland genießt zwar jeder von uns das Privileg, in eine kraftstrotzende Industriegesellschaft hineingeboren zu sein, doch dadurch gehört man nicht automatisch zu den Gewinnern der Epoche. Das kann jeder bestätigen, dessen Job in ein Land mit billigeren Löhnen ausgelagert wurde (wo andere so wiederum Arbeit finden). Die Bilanz ist also gemischt – aufs Ganze gesehen aber trotzdem eindeutig: Die Globalisierung hat sich als weltweite Wohlstandsmaschine erwiesen. Und Deglobalisierung würde bedeuten: Man schaltet die Maschine in den Rückwärtsgang. Angesichts von acht Milliarden Menschen, die essen, arbeiten und in Würde leben wollen, statt zu hungern oder auf der Suche nach Nahrung, Arbeit, einem besseren Leben an andere Orte zu wandern, käme das einem Himmelfahrtskommando gleich.


Heute beginnt der Praxistest

Die Preise steigen und steigen, die Inflationsrate kratzt an der 8-Prozent-Marke – nun winkt Entlastung: Heute treten das 9-Euro-Monatsticket und der Tankrabatt in Kraft, mit denen die Bundesregierung die gestiegenen Lebenshaltungskosten dämpfen will. Die Ziele der beiden bis Ende August befristeten Aktionen sind klar: Das günstige ÖPNV-Ticket soll Reisende zum Umstieg auf Bus und Bahn bewegen, die Steuersenkung auf Sprit zugleich den Frust derjenigen mildern, die dennoch aufs Auto angewiesen sind.

Genauso klar sind allerdings auch die Risiken: Da ist zum einen das absehbare Kuddelmuddel in Zügen, auf Bahnsteigen und Bahnhöfen – das Pfingstwochenende gilt als erster Stresstest. Zum anderen stellt sich die Frage, ob die niedrigere Steuer auf Benzin (minus 35,2 Cent pro Liter Super, minus 16,7 Cent pro Liter Diesel) überhaupt bei den Endkunden ankommt: Was der Sprit an der Zapfsäule kostet, bestimmen allein Tankstellenbetreiber und Mineralölkonzerne – und die schienen sich zuletzt eher auf eine Erhöhung verständigt zu haben. Außerdem ist der günstigere Sprit noch gar nicht bei den Tankstellen angelangt, berichtet meine Kollegin Frederike Holewik.

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Trotzdem: Die beiden Subventionen dürften die Inflation zumindest kurzfristig ein wenig drosseln, sagen Ökonomen. Und wenn richtig viele Leute mit dem 9-Euro-Ticket durchs Land zuckeln, investiert der Staat womöglich endlich mehr in den ÖPNV. Der Praxistest wird's erweisen.


Dänemark wagt mehr Europa

Bislang galten die Dänen als EU-Skeptiker: Dem Vertrag von Maastricht stimmten sie erst im zweiten Anlauf zu, als ihnen mehrere Ausnahmen zugestanden wurden. Deshalb bezahlen sie bis heute in Kronen statt in Euro. Eine weitere dieser "Opt-out-Klauseln" betrifft die Verteidigung: Unser nördlicher Nachbar hat sich als einziger EU-Mitgliedstaat aus der gemeinsamen Sicherheitspolitik ausgeklinkt. Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine hält Ministerpräsidentin Mette Frederiksen diesen Sonderweg nun plötzlich nicht mehr für zeitgemäß und hat für heute eine Volksabstimmung angesetzt: Knapp 4,3 Millionen Dänen dürfen über die Frage abstimmen, ob das Land mehr EU-Regeln übernehmen soll. Umfragen sehen das Ja-Lager vorn. Es wäre ein historischer Sinneswandel.


Was lesen?


Selbst der AfD war er zu extrem: Andreas Kalbitz' Parteimitgliedschaft wurde annulliert, Auftritte wurden ihm verboten. Doch jetzt meldet sich der Rechtsradikale zurück, berichtet unsere Reporterin Annika Leister.


Die europäischen Staaten wollten Russland gemeinsam bestrafen. Doch je länger der Krieg in der Ukraine dauert, desto deutlicher werden die Risse in der Sanktionsfront gegen Putin. Meine Kollegen Camilla Kohrs und Fabian Reinbold beschreiben, wie zwei Regierungschefs den Westen in Geiselhaft nehmen.


Als "Demokratie ohne Demokraten" galt die Weimarer Republik. Dass sie scheiterte, war auch das Werk dieser Männer. Um wen es sich handelt, lesen Sie auf unserem Historischen Bild.


Was amüsiert mich?

Das 9-Euro-Ticket bietet ganz neue Möglichkeiten.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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