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Hohe Inflation, niedrige Kauflaune: Was nun?


Tagesanbruch
Das Kassandra-Prinzip

  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

Aktualisiert am 30.06.2022Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Lebensmittel sind deutlich teurer geworden.Vergrößern des Bildes
Lebensmittel sind deutlich teurer geworden. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

unser Leben ist durchzogen von Momenten der Unsicherheit. Wir warten auf gute oder schlechte Schulnoten, die Zusage zu einem Job oder darauf, dass jemand unsere Zuneigung erwidert. Mit Ungewissheit umzugehen, fällt uns meist schwer. Sie setzt uns unter Stress. Sie auszuhalten gelingt den einen besser, den anderen schlechter.

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Ungewiss ist auch die derzeitige wirtschaftliche Lage. Die Inflation ist aktuell mit 7,6 Prozent viel zu hoch. Der Bundesverband der deutschen Industrie senkt seine Konjunkturprognose um zwei Prozentpunkte. Und die Kauflaune der Deutschen ist im Allzeittief.

Auch an der Supermarktkasse spüren wir die Veränderung. Erst gestern hat der Kollege Mauritius Kloft den Praxistest gemacht. Unser t-online-Warenkorb hat sich seit Ende Januar um mehr als 14 Prozent verteuert.

Kollektive Ungewissheit macht sich breit. Die drohende Rezession ist wie dunkle Gewitterwolken am Horizont. Ob es wirklich stürmisch wird, können wir noch nicht mit Gewissheit sagen. Die Aussicht darauf erzeugt Ungewissheit.

Wie können wir damit umgehen?

Wir können zunächst einmal verdrängen. Schlechte Nachrichten blenden wir gerne aus oder schieben sie weg. Psychologen sprechen vom Kassandra-Prinzip: Die mythologische Figur Kassandra, Tochter von König Priamos, warnte vergeblich vor dem trojanischen Pferd. Die Trojaner wollten ihr keinen Glauben schenken, sie freuten sich lieber über das prächtige Geschenk.

Doch irgendwann klappt das mit dem Verdrängen nicht mehr. Dann versuchen wir zu verstehen, wie schlimm es wirklich werden kann. Dafür fängt unser Hirn an, komplexe Zusammenhänge zu vereinfachen, um die begreiflich zu machen (egal für wie intelligent wir uns halten). Wir suchen nach klaren Kausalitäten. Sinngemäß: Hohe Inflation führt zu sinkender Kauflaune. Oder: Wir müssen Atomkraftwerke länger laufen lassen, wenn wir unabhängig von russischem Erdgas werden wollen.

Dabei entsteht ein doppeltes Problem: Zum einen erscheinen uns Zusammenhänge, die in unser Weltbild passen, logischer. Zum anderen verdrängen wir, dass einfache Kausalzusammenhänge die Ausnahme sind. Die Welt ist eben kompliziert. Es gibt viele Ansatzpunkte, wie wir unabhängig von russischem Erdgas werden können.

Im Optimalfall gelingt es uns, die Ungewissheit aufzulösen. Wir können versuchen, die Herausforderung selbst zu lösen. Wir können uns Mitstreiter zur Problemlösung suchen. Oder wir hoffen auf Hilfe anderer, zum Beispiel finanzielle Unterstützung durch die Regierung, wie Zuzahlungen für Hartz-IV-Empfänger wegen der hohen Inflation.

Bei den aktuellen Problemen dieser Welt (Krieg, Klimakrise, Inflation, Corona) sind Lösungen oft schwer oder gar nicht absehbar. Es entsteht ein Gefühl der Ohnmacht. Wir haben den Eindruck, selbst nur wenig gegen die Klimakrise tun zu können, und erst recht nicht gegen die hohe Inflation oder die wirtschaftliche Entwicklung. Außerdem sind wir (in Teilen) abhängig von den Entscheidungen anderer, von Politikern und Wirtschaftslenkern. Das alles erzeugt Stress.

Es hilft deshalb nur, die Unsicherheit zu ertragen. Die Welt zu nehmen, wie sie ist. Wir werden zufriedener, wenn wir Probleme erst einmal annehmen, bevor wir sie lösen wollen. Die Welt ist weder einfach noch gerecht.


Nervosität im Kreml

Kennen Sie die russische Halbinsel Kola? Nicht? Sie ist uns in den vergangenen Tagen deutlich nähergerückt, denn sie grenzt im Westen an das künftige Nato-Mitglied Finnland. Bekannter als Kola ist die einzige große Stadt der Region: Murmansk. Von dort aus sind es nur noch etwa 240 Straßenkilometer bis zur finnischen Grenze.

Murmansk ist der einzige eisfreie Hafen Russlands in der Arktis, und aus diesem Grund wichtigster Stützpunkt der russischen Marine. Experten schätzen, dass zwei Drittel der atomaren Zweitschlagskraft Russlands von in Murmansk stationierten U-Booten abhängt. Zudem sind in der Region viele russische Langstreckenbomber stationiert. Kurz gesagt: Die Fähigkeit Russlands, einen atomaren Erstschlag zu beantworten, liegt großteils in Murmansk.

Weil nur eine einzige Straße und eine Bahnlinie parallel zur finnischen Grenze Richtung Moskau und St. Petersburg verlaufen, wäre es aus russischer Sicht für die Nato ein Leichtes, die russische Verteidigung hier empfindlich zu treffen. Bis zur nächsten größeren Stadt sind es von Murmansk 780 Kilometer.

Der russische Präsident Wladimir Putin verwechselt ja gerne Bedrohung mit Verteidigung. Aus diesem Grund dürfte der bevorstehende Nato-Beitritt Finnlands deutliche Schnappatmung im Kreml auslösen.


G20-Besuch in Moskau

Wladimir Putin empfängt in Moskau den indonesischen Staatschef Joko Widodo. Weil Indonesien in diesem November den G20-Gipfel ausrichtet, geht es bei dem Besuch im Kreml auch um Moskaus Beziehungen zur gesamten Staatengruppe. Noch ist offen, ob Putin zum Gipfel persönlich anreist oder lediglich per Video zugeschaltet ist. So oder so: Für viele im Westen ist es derzeit schwer vorstellbar, mit ihm an einem Tisch zu sitzen.


Tschechien: Vorsitz und Skandal

Tschechien übernimmt ab morgen die EU-Ratspräsidentschaft. Während der Ukraine-Krieg voraussichtlich das bestimmende Thema der nächsten sechs Monate sein wird, beschäftigt die Regierung zugleich eine innenpolitische Affäre. Kurz gesagt: Es geht um Schmiergelder und Postengeschacher. Ein Minister der Koalition musste bereits zurücktreten.


Skandal mit 15 Millionen Toten

Dänemark versucht einen Skandal aufzuklären, der Ende November mehr als 15 Millionen Leben gekostet hat. Heute Vormittag legt eine Parlamentskommission ihren Abschlussbericht im Nerzskandal vor. Die Tiere wurden gekeult, weil man befürchtete, dass sie Corona auf Menschen übertragen können. Eine gesetzliche Grundlage gab es nicht.


Was sich ab Juli ändert

Ab morgen ändert sich eine ganze Reihe von Dingen:

  • Strom wird dann 3,72 Cent pro Kilowattstunde preiswerter, weil die EEG-Umlage entfällt.
  • Die Renten steigen im Westen um 5,35 Prozent, im Osten um 6,12 Prozent.
  • Der Mindestlohn steigt auf 10,45 pro Stunde.
  • Die Hartz-IV-Sanktionen entfallen.
  • Wer einen Vertrag im Internet abschließt, muss diesen künftig auch im Internet kündigen können, mit einem einfachen Klick auf einen Button.
  • Außerdem: Immobilienbesitzer müssen per Elster eine eigene Steuererklärung abgeben. Wichtig: Die Frist läuft bis Ende Oktober.

Alle Änderungen haben wir für Sie hier übersichtlich zusammengestellt.


Was lesen

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Die schockierenden Aussagen einer jungen Zeugin zum Sturm auf das Kapitol belasten Donald Trump schwer. Unser USA-Korrespondent Bastian Brauns hat sich mit der Frage beschäftigt, ob er nun doch noch vor Gericht landen könnte.


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Was mich amüsiert

Fast achtmal so viele Soldaten will die Nato künftig als schnelle Eingreiftruppe mobilisieren können. Eigentlich sollte jeder einen haben dürfen, findet unser Karikaturist.

Morgen schreibt Florian Harms wieder an dieser Stelle. Heute wünsche ich einen stressfreien Donnerstag.

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de

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